Capelight Pictures
Leb wohl, meine Königin!
Regisseur der Königin
Interview: Benoît Jacquot ist der Chef
Mit "Leb wohl, meine Königin!" bringt Benoît Jacquot die Französische Revolution in die deutsche Hauptstadt. Sein Historien-Drama über den Untergang von Königin Marie Antoinette ist der Eröffnungsfilm der Berlinale 2012. Im Interview mit Filmreporter.de spricht der französische Regisseur über die Entstehung seines Werks sowie das Verhältnis zwischen Dienern und Herrschern.
erschienen am 23. 05. 2012
Capelight Pictures
Leb wohl, meine Königin!
Ricore: Wie sind Sie an "Leb wohl, meine Königin!" inszenatorisch herangegangen? Benoît

Jacquot: Ich wollte die Ereignisse aus Sicht der jungen Vorleserin Sidonie Laborde schildern. Was wir auf der Leinwand sehen, sind ihre Erlebnisse. Daher folgt ihr die Kamera die ganze Zeit. Wann immer sie still steht, steht auch die Kamera still und wenn sie rennt, rennt ihr die Kamera hinterher. Im Prinzip kreiert sie Zeit und Raum und die Kamera wird zu ihrem Schatten. Ihr Blick auf die Welt wird zur Perspektive des Films.

Ricore: Wie viel Freiheit lassen Sie Ihren Schauspielern beim Drehen?

Jacquot: Ich gebe den Schauspielern nicht die Psychologie ihrer Charaktere vor. Für mich besteht die Kunst des Schauspiels darin, etwas sehr Intimes zu kreieren. Die Schauspieler sollen die Freiheit besitzen, die Psyche ihrer Figur selbst zu ergründen. Ich ermutige die Schauspieler bei diesem Vorgehen, doch ich lasse ihnen diese Freiheit nicht, wenn es darum geht, wie viel Zeit und Raum sie innerhalb einer Szene einnehmen sollen. Andernfalls wäre es nicht möglich, die Szene zu drehen. Auf diese Weise haben die Schauspieler den Eindruck, vollkommen frei zu sein und machen zu können, was sie wollen, obwohl das eigentlich nicht der Fall ist.

Ricore: Weil Sie der Chef sind.

Jacquot: Ja, genau [lacht].
Capelight Pictures
Léa Seydoux in "Leb wohl, meine Königin!"
Ricore: Warum haben Sie Léa Seydoux und Diane Kruger für die Hauptrollen ausgewählt?

Jacquot: Ich fand es sehr interessant, dass die beiden gegensätzlichen Figuren von Schauspielerinnen verkörpert werden, die ebenfalls sehr unterschiedlich sind. Die Unterschiede zwischen den Darstellerinnen sollten die Unterschiede zwischen ihren Charakteren betonen. Die beiden haben eine andere Herangehensweise an die Schauspielerei. Léa ist sehr jung und geht instinktiv an ihre Arbeit heran. In gewisser Weise hat sie eine kindliche Seite an sich. Diane nähert sich der Rolle dagegen weniger instinktiv, als vielmehr mit ihrem Verstand. Für die Rolle Marie Antoinettes passt Diane auch aufgrund ihres Aussehens sehr gut. Zudem ist sie im selben Alter wie Marie Antoinette, als sich die Geschehnisse ereigneten. Léa und Diane sind auf jeweils andere Weise exzellente Schauspielerinnen und die Kamera liebt sie.

Ricore: Auf welche Weise drückt sich der Klassenkonflikt zwischen den beiden Figuren im Film aus?

Jacquot: Der Konflikt zwischen den Klassen kommt im Film deutlich zur Geltung. Ich wollte zeigen, wie die einfachen Leute am Hofe von Versailles dem Adel dienen und dank der Aristokraten an etwas glauben können. Diese Widersprüchlichkeit zeigt sich in jeder Beziehung zwischen Dienern und Herrschern. Wenn die Herrscher ihre Macht verlieren, reagieren die Diener auf verschiedene Weise. Manche fliehen und andere gehen mit dem sinkenden Schiff unter.

Ricore: Was hat Sie an der Romanvorlage von Chantal Thomas besonders gereizt?

Jacquot: An der Buchvorlage fand ich sehr interessant, wie sich diese historisch so wichtige Zeit, welche die Situation eines ganzen Landes verändert hat, in einer kurzen Spanne von ein paar Tagen verdichtet. Aus dramatischer Sicht ist das sehr spannend. Dasselbe gilt für den begrenzten Raum. Alles spielt sich innerhalb der Schlossmauern von Versailles ab.

Ricore: Wie sehr brauchen wir in unserer heutigen westlichen Gesellschaft eine Revolution?

Jacquot: Wir brauchen sowohl in persönlicher als auch in universeller Hinsicht eine Revolution. Ich denke, dass sie kommen wird, wenn auch in ganz anderer Form, als die Revolutionen, die wir bislang erlebt haben.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 23. Mai 2012
Zum Thema
Benoît Jacquot beginnt seine Karriere als Regieassistent der französischen Schriftstellerin und Filmemacherin Marguerite Duras. Im Alter von 28 Jahren gibt er 1975 mit "L'assassin musicien" sein Regiedebüt. In den folgenden Jahrzehnten dreht er über 30 Spielfilme, vornehmlich Dramen, für die er das Drehbuch oft selbst schreibt. Im Laufe seiner Karriere arbeitet er mit vielen bekannten französischen Schauspielern. Sein Historiendrama "Leb wohl, meine Königin!" eröffnet 2012 die Filmfestspiele..
In "Leb wohl, meine Königin!" schildert Regisseur Benoît Jacquot die bevorstehende unfreiwillige Abdankung Marie Antoinettes (Diane Kruger) im Juli 1789. Das Historiendrama spielt überwiegend innerhalb der königlichen Schlossmauern von Versailles und besticht durch seine Atmosphäre des Verfalls. Jacquot konzentriert sich auf die Verfassung der Machthaber während dieser Endzeit. Neben der Königin steht deren treu ergebene Vorleserin Sidonie Laborde (Léa Seydoux) im Mittelpunkt, die das drohende..
2024