Universal Pictures International (UPI)
Rupert Sanders beim "Snow White & the Huntsman"-Photocall
Schneewittchen in neuem Gewand
Interview: Rupert Sanders' düstere Märchenkunst
Was für ein Karrieresprung. Nach einigen Werbespots und Kurzfilmen wurde Rupert Sanders die Inszenierung des aufwendigen Fantasy-Epos "Snow White & the Huntsman" anvertraut. In der hochbudgetierten Adaption des "Schneewittchen"-Märchens der Gebrüder Grimm schickt er Kristen Stewart in den Kampf gegen Königin Charlize Theron, die der jungen Schönheit nach dem Leben trachtet. Wie man als Debütant mit dem finanziellen Druck umgeht, verrät Sanders im Interview mit Filmreporter.de. Zudem spricht der Regisseur über wahre und Ware Kunst.
erschienen am 30. 05. 2012
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Snow White & the Huntsman
Ricore: Wieso haben Sie sich für "Snow White & the Huntsman" als Ihren ersten Spielfilm entschieden?

Rupert Sanders: Weil man mir einen Haufen Geld dafür geboten hat [lacht]. Nein, mir stand eine großartige Besetzung zur Verfügung. Zudem hatte ich die Möglichkeit, eine Welt zu erschaffen, die ganz die meine ist. Ich konnte eine elementare menschliche Geschichte erzählen, die schon in sehr vielen Filmen Thema war. Der "Schneewittchen"-Stoff ist ein Archetypus voller Symbolik, der auch ein modernes Publikum ansprechen kann.

Ricore: Der Film hält nicht für jeden ein Happy End bereit.

Sanders: So ist es ja auch im wahren Leben. Wir werden alle sterben, das hat nichts von einem Happy End. "Snow White & the Huntsman" handelt von Sterblichkeit und davon, wie man mit dem Tod umgeht. Das ist der Grund, wieso der Stoff in all den Jahren nichts von seiner Bedeutung verloren hat.

Ricore: Würden Sie gerne ewig leben?

Sanders: Natürlich [lacht]. Nein, Leben und Tod müssen nebeneinander bestehen. Auch darum geht es im Film. Schneewittchen ist das schlagende Herz des Lebens und die böse Königin will dieses Leben auslöschen. Aus diesem Grund ist Schneewittchen vom Tod umgeben.

Ricore: Für welches Zielpublikum haben Sie den Film konzipiert?

Sanders: In erster Linie habe ich ihn für mich gemacht, weil ich mich von Anfang an in die Geschichte verliebt habe. Abgesehen davon, spricht er ein universelles Publikum an. Wir wollten einfach eine moderne Version des Stoffes inszenieren.
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Rupert Sanders in Berlin ("Snow White & the Huntsman")
Ricore: Wie groß war der Druck, der angesichts des Großprojekts auf Ihnen lastete?

Sanders: Wenn jemand so viel Geld in einen Film investiert, dann erwartet er keinen Arthouse-Film, den kaum jemand sehen will. Das ist eine einfache Regel. Wenn ein Film über 100 Millionen Dollar kostet, will man diese 100 Millionen wieder zurückhaben. Wenn man eine Low-Budget-Produktion macht, reichen auch geringe Einspielergebnisse. Bei einem größeren finanziellen Niveau muss man erfolgreich sein.

Ricore: Wie viel kreative Freiheit hatten Sie?

Sanders: Ich war vollkommen frei. Vor der Arbeit an "Snow White & the Huntsman" habe ich einen dreieinhalb minütigen Kurzfilm inszeniert, den ich als Stimmungsgedicht bezeichne. Ich zeige darin Bilder des Waldes und der Königin sowie ihres zerfließenden Spiegels. All das habe ich mit einem Gedicht und Musik unterlegt. Als ich den fertigen Kurzfilm dem Studio vorlegte, gaben sie mir die Chance, "Snow White & the Huntsman" zu inszenieren.

Ricore: Wie ist das Verhältnis zwischen Drehbuch und fertigem Film. Haben Sie viel an der Vorlage geändert?

Sanders: Ja, ich habe einige Änderungen vorgenommen. Am Anfang ähnelte das Buch den "Shrek"-Filmen, auch wenn es einige großartige Ideen beinhaltete. Die Figur des Jägers und seine Hintergrundgeschichte zum Beispiel waren toll. Die Königin war fast wie ein Vampir angelegt und Schneewittchen war viel aktiver. Ich wollte, dass der Film in seiner Tonart sehr düster ausfällt. Er sollte sich in seiner Stimmung mehr an der Märchenvorlage orientieren.

Ricore: Welche Filme und Regisseure haben Sie inspiriert?

Sanders: Ich mag Filme wie "Wenn die Gondeln Trauer tragen" von Nicolas Roeg, Peter Greenaways "Der Kontrakt des Zeichners" und Terry Gilliams "Die Abenteuer des Baron Münchhausen". Das sind Filme, die unterschiedlicher nicht sein können.
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Charlize Theron als böse Königin Ravenna
Ricore: Parallel zu Ihrem Film ist mit Tarsem Singhs "Spieglein Spieglein - Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen" eine weitere Adaption des Schneewittchen-Stoffs entstanden. Sehen Sie Ihre Adaption in Konkurrenz zu Singhs Werk?

Sanders: Nein, ich betrachte uns nicht als Konkurrenten. Unser Produzent Joe Roth hat schon etliche Filme produziert und ist sehr erfahren. Er sagte mir, dass ich meinen eigenen Film machen und mich nicht an der anderen Produktion orientieren soll. Das taten wir dann auch. Ich war sehr überrascht, als ich den Trailer von "Spieglein Spieglein" gesehen habe. Ich hatte nicht gedacht, dass er so anders als unser Film ausfallen würde.

Ricore: Standen Kristen Stewart und Charlize Theron von Anfang an als Hauptdarstellerinnen fest?

Sanders: Charlize stand von Anfang an als Königin fest, nicht jedoch Kristen als Schneewittchen. Wir haben zwar über sie gesprochen, haben aber zunächst nach einer unbekannten Schauspielerin gesucht. Als ich Kristen traf, habe ich an ihr etwas Besonderes gesehen. Sie ist modern, rebellisch und unabhängig. Sie ist sehr schön und trägt eine schwere Last auf ihren Schultern. Es gab sehr viele Parallelen zwischen ihr und Schneewittchen. Schneewittchen ist keine Frau, die tatenlos herumsitzt und auf ihren Prinzen wartet, um gerettet zu werden. Sie führt die Männer vielmehr an und ist für sie eine Inspirationsquelle.

Ricore: Der Film wurde von zwei Cuttern geschnitten. Lag das am Zeitdruck?

Sanders: Das lag vor allem daran, dass Neil Smith noch nie bei einem Langfilm den Schnitt erledigt hatte und wir ihn nicht einem zu großen Druck aussetzen wollten. Hinzu kam aber noch der Zeitdruck. Wir begannen mit den Dreharbeiten im September 2011, die Postproduktion dauerte bis Mitte Mai dieses Jahres. Wir hatten also nicht viel Zeit und entschlossen uns, einen zweiten Cutter hinzuzuziehen. So kam Conrad Buff an Bord, der bereits einige tolle Filme geschnitten hat. Die beiden haben sehr gut miteinander harmoniert.

Ricore: Mit Blick auf Walt Disneys "Schneewittchen und die sieben Zwerge" ist Ihre Version viel ernster und düsterer.

Sanders: Ich wollte die Erwartungshaltung des Zuschauers brechen und einen ernsten Film machen. Ich wollte keine alte Frau haben, die im Wald herumläuft. Auch die Zwerge sind so gestaltet, dass der Film nichts von seiner Ernsthaftigkeit verliert. Als sie in der Geschichte auftauchen, wird der Film etwas lichter, um dann aber wieder ganz düster zu werden. "Snow White & the Huntsman" handelt von einer gefangenen jungen Frau, die ihr Königreich von einer Unterdrückerin zurückerobern will. Da muss es ernst zugehen.
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Chris Hemsworth und Kristen Stewart auf der Flucht
Ricore: Vor "Snow White & the Huntsman" haben Sie Werbespots und Kurzfilme gedreht. Wie kam es dazu?

Sanders: Man kann sein Schicksal nicht vollends kontrollieren. Man muss jede Möglichkeit ergreifen, die sich einem bietet. Das habe ich getan und bin eine Weile diesen Weg gegangen. Ich habe gerne Werbespots gedreht. Ich reiste um die Welt und arbeitete mit vielen talentierten Menschen zusammen. Es gibt viele Wege, die zum Beruf des Filmregisseurs führen. Einige führt es über die Spezial-Effekte dorthin, andere übers Drehbuchschreiben, wiederum andere über Werbung oder Kurzfilme.

Ricore: In künstlerischer Hinsicht kann man als Werbespot-Regisseur viel ausprobieren. Andererseits geht es am Ende des Tages darum, mithilfe des Werbespots ein Produkt zu verkaufen. Wie passt das zusammen?

Sanders: Ich denke, dass die hohe Kunst auch nicht ganz unschuldig ist. Sie versteht es nur, den geschäftlichen Aspekt besser zu verstecken. Sagen Sie mir nicht, dass ein Künstler wie Damien Hirst nicht auch Geschäftsmann ist. Er steckte einen Hai in ein Aquarium, um damit auch Geld zu verdienen. Leonardo da Vinci hat nicht umsonst Bilder gemalt, sondern hatte einen Mäzen, der ihn förderte. Ich drehte Werbespots, um Geld zu verdienen. Gleichzeitig ist es aber auch eine Kunstform.

Ricore: Als Sie dem Studio Ihre Vorstellungen von "Snow White & the Huntsman" präsentierten, hatten Sie einen ganzen Katalog von Ideen, die von berühmten Künstlern inspiriert waren. Können Sie einige Beispiele nennen?

Sanders: Es waren vor allem Künstler wie Gustave Doré, Arthur Rackham oder William Holman Hunt. Darüber hinaus habe ich einige aktuelle Künstler engagiert wie zum Beispiel den Bildhauer Kevin Francis Gray, der das Spiegelwesen entworfen hat. Außerdem beschäftigten wir einige japanische, russische, englische und US-Künstler, die wir in einen Raum steckten um aus ihnen die besten Ideen herauszusaugen.

Ricore: Sind Sie so auch als Werberegisseur vorgegangen?

Sanders: Nein, dort hatten wir nicht genug Zeit, um so akribisch zu sein. Ich brachte aber Leute ins Spiel, bei denen ich ahnte, dass sie talentiert waren.

Ricore: Ist die Besessenheit der Königin nach Schönheit auch eine Reflexion auf den Schönheitswahn in Hollywood?

Sanders: Es ist nicht nur ein Problem von Hollywood. Wir haben alle unsere Spiegel zu Hause hängen. Unsere Kultur war schon immer von Schönheit besessen. Den Schneewittchen-Stoff gab es lange, bevor er von den Gebrüder Grimm zu einem Märchen verarbeitet wurde. Auch damals hat man von Schönheit gesprochen. Es ist eine natürliche menschliche Besessenheit.

Ricore: Wir haben eben über die kommerzielle Seite der Kunst gesprochen. Wie wichtig ist es vor diesem Hintergrund, eine populäre Musikband für den Soundtrack zu verpflichten?

Sanders: Es gibt auf der Welt sicher bekanntere Bands als Florence and the Machine. Ich denke aber, Lady Gaga hätte nicht zum Konzept gepasst. Die Stimme von Florence klang für mich einfach richtig. Sie ist zeitlos und modern und das wollten wir auch mit dem Film sein. Wir haben gerne mit Florence zusammengearbeitet und finden, dass sie großartige Arbeit geleistet hat.

Ricore: Welche Projekte planen sie in Zukunft?

Sanders: Als nächstes möchte ich einen Science-Fiction-Film realisieren, der von "Schlacht um Algier" beeinflusst ist. Ich habe bereits ein 30-seitiges Treatment verfasst.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 30. Mai 2012
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Rupert Sanders studiert Grafik-Design am Snow White & the Huntsman", bei der er renommierte Schauspielerinnen wie Charlize Theron und Kristen Stewart in Szene setzt.
"Snow White and the Huntsman" ist 2012 eine von zwei Verfilmungen von "Schneewittchen" der Gebrüder Grimm. Während Tarsem Singhs "Spieglein Spieglein - Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen" heiter und humorvoll daherkommt, setzt Rupert Sanders in "Snow White and the Huntsman" ganz auf düstere Bilder und eine Handlung mit reichlich Action. In die Titelrolle ist Kristen Stewart geschlüpft. Die böse Königin verkörpert Charlize Theron. Sie will die Schöne aus Eifersucht töten.
2024