Tobis
Todd Haynes
Rock oder Klassik?
Interview: Musikalischer Todd Haynes
Musik ist ein wichtiger Bestandteil im Leben von Regisseur Todd Haynes. Ihr widmet er seine Filme "Velvet Goldmine" und "I'm Not There". Auch privat kommt Haynes kaum ohne Musik aus, wie das I-Pod beweist, dass er zum Interview mit Filmreporter.de mitführt. Dieses führen wir mit ihm anlässlich seiner Werkschau auf dem 30. Filmfest München. Im Gespräch erläutert uns Haynes, weshalb er neue Erzähltechniken ausprobiert, warum er nur alle vier Jahre einen Film dreht und was an ihn an Rainer Werner Fassbinder fasziniert.
erschienen am 12. 11. 2012
Kinowelt Home Entertainment
Rainer Werner Fassbinder in "Katzelmacher"
Ricore Text: Wie oft waren Sie schon in München?

Todd Haynes: Es ist bereits das dritte Mal, dass ich hier bin. Bisher waren meine Aufenthalte jedoch immer nur sehr kurz und hatten berufliche Gründe.

Ricore: Haben Sie jetzt Zeit München zu besichtigen? Sie wollten sich doch Orte ansehen, die Rainer Werner Fassbinder oft besuchte.

Haynes: Definitiv. Alle Zeit, die ich außerhalb des Filmfestes für mich habe, versuche ich zu nutzen, um mir die Lieblingsorte von Fassbinder anzusehen. Ich war zum Beispiel bereits an meinem ersten Tag in München in der Deutschen Eiche. Letzte Nacht waren wir in dem italienischen Restaurant, in dem Fassbinder einen seiner Filme gedreht hat. Ingrid Caven, Fassbinders erste Frau, war auch dabei. Insofern umgebe ich mich in München mit allem mit Fassbinder verbundenen, dass ich finde.

Ricore: Was fasziniert Sie an Fassbinder?

Haynes: Viel. Alleine die Fülle an Werken, die er in sehr kurzer Zeit geschaffen hat, ist äußerst beeindruckend. Wir sind heute noch damit beschäftigt, Fassbinders Werk zu erforschen und aufzuarbeiten. Es ist schlicht monumental, was er da geschaffen hat. Außerdem finde ich an ihm interessant, wie er in seiner Arbeit von der Politik der 1960er Jahre beeinflusst wurde, genau wie Jean-Luc Godard. Seine Arbeitsweise, seine Art Kritik zu üben und die von ihm behandelten Themen veränderten sich dadurch. Dinge auf verschiedene Arten zu reflektieren und zu beleuchten, ist etwas, dass ich für meine Arbeitsweise übernommen habe.

Ricore: Weshalb ist es Ihnen wichtig, möglichst viele neue Erzähltechniken auszuprobieren?

Haynes: Ich komme von einem filmischen Hintergrund, der sehr genau filmische Konventionen als Reflexion sozialer Gegebenheiten analysierte. Diese Konventionen wurden dann gebrochen, um Neues zu generieren und den direkten Zugang zu den Charakteren zu verhindern. Das führt beim Ansehen eines Films dazu, dass sich der Zuschauer genauer damit auseinandersetzen muss, was er eigentlich von einem Film erwartet und wo diese Erwartungen herkommen. Mich persönlich interessieren insbesondere Emotionen und Identifikationsmöglichkeiten, die beim Erzählen einer Geschichte automatisch auftauchen. Aber natürlich gibt es auch die Möglichkeit sich näher mit stilistischen und formalen Aspekten auseinanderzusetzen und das an unseren kulturellen Traditionen zu reflektieren.
Eurovideo
Dem Himmel so fern
Ricore: Welche Rolle spielt dabei Ihre Homosexualität? Sie sagten mal, dass Ihre sexuelle Orientierung dafür sorge, dass Sie Dinge aus einem besonderen Blickwinkel betrachteten.

Haynes: Ich bin der Meinung, dass nicht jeder Mensch die Möglichkeiten hat, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Wenn man dieses Gefühl hat, ist es wichtig darüber zu sprechen wie und warum das der Fall ist.

Ricore: Resultiert Ihr Spiel mit geschlechtlichen Identitäten auch daraus, dass Schwule und Lesben nicht die gleichen Rechte haben wie Heterosexuelle?

Haynes: In gewisser Weise vielleicht schon. In meinem Film "Dem Himmel so fern" kommen etwa sämtliche sexuelle Spektren vor, wie Heterosexualität, Homosexualität und Transsexualität. Ich glaube die Hauptaussage dieses Films ist, dass jede dieser Strömungen mit einer anderen vergleichbar ist, diese aber nicht notwendigerweise gleich sind. Merkwürdig finde ich auch, dass ein Homosexueller in den 1950er Jahren mehr Möglichkeiten hatte sich auszuleben, als ein Schwarzer, da er sich im Gegensatz zu diesem im Verborgenen ausleben konnte. Auf einen Schwarzen wurden deshalb Dinge projiziert, die gar nicht existierten.

Ricore: Sie haben bisher nur sehr wenige Filme gedreht. Welcher ist für Sie der wichtigste?

Haynes: [Überlegt lange] Meine Filme sind alle sehr verschieden und entstanden jeweils aus einem Bedürfnis heraus, die das jeweilige Werk als absolut notwendig erschienen ließen. Insofern bin ich mir nicht sicher, ob ich wirklich sagen kann, welches Werk das wichtigste für mich ist oder war. Witzig ist aber, dass mein kleiner Film "Superstar: The Karen Carpenter Story" schon fast alles beinhaltete, was ich in späteren Filmen genauer ausführe. Es ist ein Film über Musik, Popkultur, die Dinge des Alltagslebens sowie Frauen - alles Punkte, die mein gesamtes Schaffen durchziehen.

Ricore: Warum benötigen meist vier Jahre, um einen einzigen Film zu realisieren?

Haynes: Weil ich nicht Rainer Werner Fassbinder bin. Ich arbeite im Gegensatz zu ihm eher langsam und habe nicht wie andere Regisseure ständig vier oder fünf Projekte parallel am Laufen. Ich sage gewöhnlich nur: "Okay, das will ich jetzt als nächstes machen!". Das gewünschte Projekt dann zu recherchieren, zu schreiben, zu finanzieren, zu casten, zu drehen und zu bewerben, was mir im Gegensatz zu anderen Filmleuten wirklich Spaß macht, dauert dann eben seine Zeit, so dass es meist nur alle vier Jahre zu einem neuen Projekt kommt.
Tobis
I'm Not There
Ricore: Ist es auch in Zukunft für Sie ein wichtiges Anliegen Drehbuch und Regie selbst zu übernehmen?

Haynes: Nein. Das hat sich bei mir ein wenig geändert, seit ich die Fernsehproduktion "Mildred Pierce" gedreht habe. Da habe ich das Drehbuch nicht alleine geschrieben. Außerdem basierte der Stoff auf einem Roman, an den wir uns bis zu gewissen Grad zu halten hatten. Insofern hat sich meine Arbeitsweise an "Mildred Pierce" sehr stark von anderen Projekten unterschieden. Bereits bei "I'm Not There" hatte ich jemanden, der mit dabei geholfen hat, dass Drehbuch zu beenden. Zudem habe ich vor einigen Monaten zum ersten Mal eine Folge einer Fernsehserie inszeniert. Laura Dern spielt darin die Hauptrolle. Mir haben die Veränderungen sehr gut gefallen. Es hat Spaß gemacht, die Dinge mal aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Insofern habe ich keine festgelegten Vorstellungen über den Ablauf meiner zukünftigen Arbeitsprozesse.

Ricore: Möchten Sie in Zukunft öfters fürs Fernsehen arbeiten?

Haynes: Es war eine tolle Erfahrung, Dinge fürs Fernsehen zu machen. HBO hat generell viele clevere Leute, die den Laden gut am laufen halten. Insofern wäre es eine schöne Sache, wieder mit ihnen zusammenzuarbeiten. Aber letztlich hängt das natürlich von dem jeweiligen Stoff ab. Ich hätte zum Beispiel große Lust darauf, erneut eine Folge einer Fernsehserie zu inszenieren. Aber das ist nur ein Kann und kein Muss.

Ricore: Was muss ein Stoff haben, damit Sie sagen: "Das will ich unbedingt machen!"?

Haynes: Keine Ahnung. Ich bin heute auch nicht mehr der junge, besessene Typ von früher, der fanatisch irgendein Projekt verfolgt [lacht]. Das hat sich geändert. Nun habe ich mich insofern typischen Regisseuren angenähert, als dass ich derzeit mehrere Angebote für neue Projekte vorliegen habe, auch wenn ich gerade mit Jon Raymond an einem Drehbuch für einen neuen Kinofilm schreibe.

Ricore: Welche Unterschiede gibt es zwischen der Realisierung einer Fernseh- und einer Kinoproduktion?

Haynes: Die Art in der wir an "Mildred Pierce" gearbeitet haben, war der Arbeit an einem Kinofilm sehr ähnlich, beispielsweise was unsere Aufmerksamkeit für Details angeht. Außerdem habe ich mit vielen Schauspielern gearbeitet, die aus der Filmbranche kamen, wie beispielsweise mit Kate Winslet. Fast die komplette Crew bestand aus Filmleuten, die etwas fürs Fernsehen machten. Einen riesigen Unterschied gibt es allerdings doch: Das zu drehende Material pro Tag ist im Fernsehbereich wesentlich mehr, in etwa fünf Seiten Drehbuch, im Gegensatz zu ungefähr zwei bei einem Kinofilm. Deshalb konnte ich nicht jede Szene so exakt planen, wie ich es normalerweise tue. Es war einfach zu viel zu tun und dadurch eine besonders hohe Konzentration nötig.
Tobis
Todd Haynes
Ricore: Sie haben bereits im frühen Kindesalter Amateurfilme gedreht. Wie kam es dazu?

Haynes: Die meisten Familien in den 1960er- und 1970er-Jahren hatten Super 8-Kameras, so wie viele Haushalte heute eine kleine Videokamera haben. Heute ist die Arbeit am Filmmaterial wesentlich einfacher, weil du alles am Computer bearbeiten kannst. Damals hatte ich einen kleinen improvisierten Schneidetisch, an dem ich mich ausprobieren konnte. Glücklicherweise haben mich meine Eltern dabei von Anfang moralisch unterstützt. Sie haben mir sogar viel konkret geholfen, zum Beispiel indem mich mein Vater beim Drehen von Szenen tatkräftig unterstützte. Bereits seit "Marry Poppins" bin ich mit dem Kinovirus infiziert. Es war der erste Film, den ich je gesehen habe. Ich war damals drei Jahre alt.

Ricore: Hat Ihnen damals jemand gezeigt, wie man Filme dreht?

Haynes: Nicht wirklich. Da quasi jeder Mensch Filme guckt, bin ich der Meinung, dass jeder die Fähigkeit in sich trägt, Filme zu machen. Wir denken in Filmform und manchmal fühlt sich unser Leben eher wie ein Film, denn wie die Realität an. Insofern ist alles nur eine Frage des Probierens. Natürlich macht man viele Fehler, aber irgendwann findet man heraus wie es funktioniert. Ich glaube nicht, dass man auf eine Filmschule gehen muss, um zu lernen, wie man einen ordentlichen Film dreht.

Ricore: Entwickelte sich Ihr Interesse für Musik ebenfalls im frühen Kindesalter?

Haynes: In meiner Kindheit war Musik für mich schon eine wichtige Sache. Aber nur, wenn ich Musicals und Kinderfilme gesehen habe. Mein Vater liebte Rock'n'Roll, insofern habe ich diese Musik-Richtung zu Hause viel gehört. Aber wirklich wichtig wurde Musik für mich erst im Erwachsenenalter, als ich meinen Lebensrhythmus gefunden hatte. Dann spielte sie eine zentrale Rolle.

Ricore: Welche Musik hören Sie gerne?

Haynes: So ziemlich alle Musikrichtungen sind auf meinem I-Pod vertreten. Von Hard Rock, über R'n'B und Schlager bis hin zu Klassik und Folk-Musik ist alles dabei. Mir ist wichtig, gegenüber allen Musikstilen offen zu sein. Man sollte immer etwas Neues ausprobieren wollen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 12. November 2012
Zum Thema
Der amerikanische Regisseur und Drehbuchautor Todd Haynes lässt es ruhig angehen. Für die Fertigstellung eines Films benötigt meist vier Jahre. Zu seinen erfolgreichsten Filmen gehören "Velvet Goldmine" und "I'm Not There", in denen zwei wichtige Motive vorkommen, die Haynes' gesamtes Schaffen kennzeichnen: Musik und das Spiel mit der sexuellen Identität. Der Regisseur hält "Superstar: The Karen Carpenter Story" für sein wichtigstes Werk, da er hier bereits alle Themen aufgreife, die er in..
Todd Haynes hat sich mit Haut und Haaren den 50er Jahre verschrieben. "Far from Heaven" glänzt mit einer wirklich bezaubernden Ausstattung: Pink Chevrolets, hochtoupierte Haare und der Mief der amerikanischen Provinz sind - das sei zugegeben - bezaubernd in Szene gesetzt. Mittendrin schwebt Julianne Moore als brave Mittelschichthausfrau auf einer rosa Wolke. Die bonbonfarbene Künstlichkeit ist gewollt, die Schauspieler agieren in einem keimfreien Reagenzglas. Leider ist auch die Geschichte..
I'm Not There (Kinofilm)
Bob Dylan zeichnet sich durch viele Facetten aus. Er ist erfolgreicher Musiker, Schriftsteller und Schauspieler. Marcus Carl Franklin, Ben Whishaw, Christian Bale, Cate Blanchett, Heath Ledger und Richard Gere spielen Bob Dylan. Sie porträtieren den Künstler an verschiedenen Stationen seines Lebens und seiner Karriere und präsentieren so die Mannigfaltigkeit des als Sänger bekannt gewordenen Künstlers. Hervorzuheben ist vor allem die schauspielerische Leistung von Cate Blanchett. Sie mimt..
2024