Universum Film
Mal Drama - mal Komödie: Regisseur Marc Rothemund
'Der Tod gehört zum Leben'
Interview: Marc Rothemund findet Balance
Marc Rothemunds "Heute bin ich blond" handelt von der schrecklichen Diagnose Krebs. Die verändert das Leben einer angehenden Studentin schlagartig. Krankenhaus, Medikamente und Chemotherapie stehen auf der Tagesordnung. Unterkriegen lässt sich die junge Frau nicht, sie packt das Leben am Schopf. Es ist kein Kinomärchen, das Rothemund erzählt, es ist ein Stoff, der auf einer wahren Begebenheit beruht. Im Gespräch mit Filmreporter.de verrät uns der Regisseur, inwieweit das Thema Krebs seine Lebenseinstellung prägt. Außerdem spricht der Autodidakt über seinen Ärger, weil im deutschen Kino so viele Talente auf der Strecke bleiben.
erschienen am 1. 04. 2013
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Heute bin ich blond
Ricore: Herr Rothemund, Sie haben in den letzten drei Jahren drei Filme gemacht. Was treibt Sie als Filmemacher an?

Marc Rothemund: Ich habe das große Glück, meine Leidenschaft zum Beruf gemacht zu haben. Mein Vater war bereits Regisseur. Als Scheidungskind konnte ich ihn nur in den Schulferien sehen, wenn ich ihn am Drehort besucht hatte. Als Kind bei den Dreharbeiten eines Films dabei zu sein, war ein großes Abenteuer. Es war wie Fußball, eine Mannschaftssportart, bei der man jeden Tag an einem anderen Ort und einem anderen Land ist. Außerdem finde ich das Drehen einfach großartig. Als Regie-Assistent, als der ich etliche Jahre gearbeitet habe, drehte ich bis zu fünf Filme im Jahr. Ich war ständig auf dem Set. Als Regisseur musste ich ganz schön schlucken, als ich mitbekommen habe, wie lange die Produktion eines Films vom Verfassen des Drehbuchs bis zur Postproduktion dauert. Wenn man schnell ist, braucht man anderthalb Jahre für einen Kinofilm. Von diesen achtzehn Monaten entfallen nur zwei auf das Drehen. Weil das aber meine Lieblingsbeschäftigung ist, möchte ich so schnell wie möglich, an den nächsten Drehort kommen. Das heißt, während der Postproduktion versuche ich bereits, andere Projekte vorzubereiten.

Ricore: Müssen Sie die Stoffe suchen oder werden Sie Ihnen angeboten?

Rothemund: Das ist unterschiedlich. Auf "Sophie Scholl - Die letzten Tage" bin ich gestoßen, nachdem ich in der Zeitung anlässlich ihres 60. Todestages einen Artikel über sie gelesen hatte. In einem Nebensatz stand, dass sie vier Tage lang im Gestapo-Hauptquartier eingesessen hatte. Ich dachte, dass sie festgenommen und gleich exekutiert wurden. Bei der Recherche kamen wir auf die Vernehmungsprotokolle, die unveröffentlicht im Bundesarchiv lagen. So wurde daraus ein Kinofilm. Bei "Heute bin ich blond" haben die Produzenten Andreas Bareiß und Sven Burgemeister intensiv den Buchmarkt beobachtet. Als das Buch "Heute bin ich blond. Das Mädchen mit den neun Perücke" von Sophie van der Stap herauskam, haben sie sich gleich die Verfilmungsrechte besorgt. Anschließend wandten sie sich an mich und fragten, ob ich mir vorstellen könnte, daraus einen Film zu machen. Ich hatte zunächst Vorbehalte. Als ich mit der Lektüre fertig war, war ich nicht nur voller Lebensfreude, sondern hatte auch einen komplett neuen Blick auf die Krankheit. Danach wollte ich den Film unbedingt machen.

Ricore: Es ist ein Stoff, der sicher auch eine enorme Recherche-Leistung erfordert. Wie gingen sie an das Thema heran?

Rothemund: Weil der Film auf einer wahren Begebenheit beruht, haben wir so viel wie möglich recherchiert. Zunächst einmal mussten wir schauen, was die wahre Geschichte hergibt und was wir für 100 Minuten Film gebrauchen können. Für mich war von Anfang an klar, dass Sophie van der Stap, welche die Krankheit besiegt hat, am gesamten Herstellungsprozess an unserer Seite sein muss. Als wir nach den ersten Drehbuchfassungen mit der Geschichte auf dem guten Weg waren, haben wir das Skript Sophie zum Lesen gegeben. Danach haben wir uns tagelang über das Thema unterhalten. Dabei hat sie mir noch mehr Geschichten erzählt und mir die Krankheit auch emotional näher gebracht. In dieser Arbeitsphase kamen Erlebnisse ins Drehbuch, die in Sophies Autobiographie nicht vorkamen.

Ricore: Zum Beispiel?

Rothemund: Zum Beispiel der Handlungsstrang mit dem Arzt. Der ist am Anfang ein harter Knochen. Doch das liegt in der Natur der Sache. Als behandelnder Arzt darf man mit den Patienten weder mitfühlen noch mitleiden. Man muss eine berufliche Distanz und einen handwerklichen Blick auf die Krankheit haben. Im Film bricht seine Härte am Ende auf und er freut sich mit seiner Patientin. Weil Sophie Angst um ihre Fruchtbarkeit hat, schenkt er ihr die Geburtszange, die ihm einst sein Großvater hinterlassen hatte. Sophie hat das tatsächlich erlebt, es aber nicht in der Autobiografie erwähnt. Für mich war das ein so starkes Bild, dass ich es unbedingt im Film haben musste. Viele Leute in meinem Team sagten, dass ich das nicht machen kann. Es würde eine komische und schmierige Szene werden. Ich sagte: 'Nein, wir drehen das jetzt'. Am Ende ist es zu einer meiner Lieblingsszenen geworden.
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Marc Rothemund auf der Premiere von "Heute bin ich blond"
Hemmschwelle Krebs
Ricore: Warum waren Sie anfangs skeptisch wegen des Themas?

Rothemund: Wenn es um Krebs geht, hat man immer eine gewisse Hemmschwelle zu überwinden. Es klingt nach Dahinsiechen und nach Schmerz. Man will sich grundsätzlich nicht mit dem Thema beschäftigen. Solange man lebt will, will man nicht über den Tod nachdenken. Hinzu kommt, dass in meinem Familien- und Freundeskreis etliche Personen an der Krankheit gestorben sind. Durch die Beschäftigung mit der Autobiographie und dem heutigen Stand der Medizin habe ich die Hemmschwelle bald jedoch verloren. Ich erkannte, dass man die Behandlung gegen Krebs ertragen kann. Was mir die Auseinandersetzung mit dem Thema auch erleichtert hat, war die Tatsache, wie Sophies Familie und Freunde mit der Krankheit umgegangen sind. Sie haben sie immer wieder aufgebaut und dafür gesorgt, dass sie während der Behandlung den Krebs vergisst. Am Ende hatte die Krankheit für mich nicht nur einen negativen Beigeschmack, sondern auch etwas Positives an sich. Das gab mir den Mut, den Film zu machen. Ich dachte, wenn wir es schaffen, Sophies Haltung zu ihrer Krankheit auf die Leinwand zu transportieren, dann kann ich auch meine Hemmschwelle überwinden.

Ricore: Der Film ist ja auch mehr ein Wohlfühlfilm als ein Drama.

Rothemund: Ja, in "Heute bin ich blond" kann man häufiger lachen als weinen. Man soll aus dem Film mit der Erkenntnis herauskommen, dass Leben und Tod zusammen gehören und man eine schwere Krankheit besiegen kann. Die größte Herausforderung war, dass sich das Gefühl, das ich beim Lesen der Vorlage hatte, auf den Zuschauer überträgt. Er soll mit einem Lächeln aus dem Kino kommen.

Ricore: Das unterscheidet ihren Film von Andreas Dresens "Halt auf freier Strecke", der trotz des Humoranteils wesentlich ernster ist.

Rothemund: Ich bewundere Andreas' Film sehr, wie ich ihn auch als Regisseur bewundere. Er hat gesagt, dass der Film so anstrengend war, dass er ein paar Mal kurz vor dem Aufgeben war. Insofern habe ich großen Respekt davor, dass er den Film trotzdem fertiggestellt hat. Ich hätte ihn nicht gemacht, weil ich emotional nicht dazu imstande wäre. Sich nur mit dem Tod auseinanderzusetzen hätte ich nicht gekonnt. Mehr als die Hälfte der an Krebs erkrankten Menschen überleben die Krankheit und so dachte ich, dass ich mich lieber dieser Hälfte widme. Ich bin nicht so gefestigt wie Andreas. Ich habe mich lieber für die Hoffnung und das Überleben entschieden.

Ricore: Haben Sie sich anlässlich des Films oder der Todesfälle in Ihrem Freundes- und Familienkreis auch mit der Krankheit auseinandergesetzt?

Rothemund: Absolut. Ich erkannte, dass es jeden treffen kann - unabhängig davon, wie man lebt. Man kann sich gesund ernähren und trotzdem an Krebs erkranken. Andererseits gibt es Kettenraucher, die nicht betroffen werden. Ich habe mich im Rahmen der Arbeit an "Heute bin ich blond" nicht nur mit Familien-Mitgliedern und Freunden eingehend mit der Krankheit unterhalten. Ich hatte auch die Chance, mich auch fachlich über die Krankheit und ihre Behandlung zu informieren. Durch die Recherchereise über Gespräche mit Spezialisten bis zur Begegnung mit Betroffenen hat die Krankheit für mich ihren Schrecken verloren. Ich habe heute einen viel sachlicheren Blick auf das Thema.
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David Rott, Lisa Tomaschewsky und Marc Rothemund bei der Premiere von "Heute bin ich blond"
Ricore: Welche Botschaft vermittelt der Film hinsichtlich der restlichen Zeit, die einem Menschen zum Leben bleibt?

Rothemund: Dass der Mensch ein winziges Element im Kosmos ist und sich nicht zu wichtig nehmen soll. Außerdem sollte man sich immer bewusst sein, dass man eines Tages unweigerlich sterben wird. Der Tod gehört einfach zum Leben dazu. Mit diesem Bewusstsein sollte man das Beste aus dem Leben machen. Das gilt sowohl für gesunde als auch für schwer erkrankte Menschen. Wenn man Krebs hat, geht die Welt nicht gleich zugrunde. Wenn man davon betroffen ist und die Krankheit früh erkannt wurde, hat man große Überlebenschancen. Selbst wenn der Arzt erst in einem halben Jahr eine definitive Aussage machen kann, kann man bis dahin Bücher lesen, sich sozial engagieren oder auf Reisen gehen. In meiner Familie hat jemand mit Krebs weitergearbeitet. Er hat morgens zwei Stunden Chemo bekommen und ging danach zur Arbeit. Steve Jobs hat mit der schlimmsten Krebsart, dem Bauchspeicheldrüsenkrebs, noch sieben Jahre gelebt und iPhones erfunden. Man kann es schaffen, man muss den Tag einfach nutzen. Man wird sowieso eines Tages sterben, man muss sich dessen nur bewusst sein.

Ricore: Sie sagten einmal, dass Sie abwechselnd Dramen und Komödien inszenieren. Nach Ihren letzten zwei Filmen hat man den Eindruck, dass Sie sich auf die Mitte, die Tragikomödie, festgelegt haben.

Rothemund: Das kommt gerade wohl auf mich zu. Früher habe ich mich mit meinen Filmen tatsächlich von einem Pol zum anderen bewegt. "Harte Jungs" und "Sophie Scholl lagen" lagen im Genre-Spektrum weit auseinander. Ich werde älter und nur die Extreme suchen muss auch nicht sein. Wenn man die Möglichkeit hat, sie zu vereinen, dann ist das auch eine schöne Herausforderung. Anscheinend bin ich in einem Alter, in dem ich nach dem Ausgleich der Extreme suche.

Ricore: Wie würden Sie sich als Regisseur im deutschen Kino positionieren?

Rothemund: Als unabhängigen Freelancer (lacht). Das gilt auch für meinen Geschmack als Zuschauer. Wenn ich ins Kino gehe, dann schaue ich mir von "Beasts of the Southern Wild" über "Silver Linings" bis zu "Ratatouille" eine große Bandbreite an Filmen an. Ich liebe das Kino um seine Vielfältigkeit und bin froh, dass ich als Regisseur die Möglichkeit habe, alle Genres zu bedienen. Ich hoffe, dass ich auch weiterhin unterschiedliche Geschichten erzählen und mich nicht wiederholen werde.

Ricore: Sie haben es als Autodidakt ganz nach oben in der Kinobranche geschafft. Würden Sie sagen, dass der Beruf des Regisseurs nicht unbedingt über die Filmhochschule gehen muss und dass man ihn auch über die Erfahrung erlernen kann.

Rothemund: Diese Fahne kann ich nur hochhalten. Man muss nicht zur Filmhochschule gehen, um Filmemacher zu werden. Ich kenne sehr viele hervorragende Regisseure, die von Filmhochschulen abgelehnt wurden und doch erfolgreich den Beruf ausüben. Fragen Sie doch mal, wie oft ein Tom Tykwer abgelehnt wurde. Wir haben in Deutschland ein System, in dem viel zu viele Filmhochschulen viel zu viele Regisseure und Produzenten ausbilden, obwohl der Markt das gar nicht hergibt. Auf der anderen Seite gibt es etliche Regie-Assistenten und Quereinsteiger, die kaum eine Chance haben, weil der Weg in den Beruf nahezu ausschließlich über die klassische Ausbildung führt. Ich finde, es müssten mehr Türen auch für sie geöffnet werden. Wenn ich mir überlege, wie viele Talente auf der Strecke bleiben, dann kommen mir die Tränen. Sie brauchen eine Chance.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 1. April 2013
Zum Thema
Marc Rothemund beginnt seine Karriere als Regie-Assistent von Helmut Dietl, Dominik Graf und anderen Regisseuren. Als Regisseur pendelt der Autodidakt mit Bedacht zwischen leichten Komödien und ernsten Dramen. Seinen Durchbruch schafft er mit "Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit" (1998). Die Komödie "Harte Jungs" gehörte 1999 mit 1,7 Millionen Kinobesuchern zu den erfolgreichsten Filmen des Jahres. Die Hoffnung stirbt zuletzt" über das Schicksal einer..
Sophie (Lisa Tomaschewsky) fällt aus allen Wolken, als sie erfährt, dass sie einen bösartigen Tumor hat. Statt sich aufzugeben, stürzt sie sich ins Leben. Als ihr wegen der Chemotherapie die Haare ausfallen, sollen Perücken die hübsche Fassade aufrechterhalten. Zur Sorge ihrer Familie droht die junge Frau immer mehr in den Partysumpf zu versinken und damit ihre Behandlung zu gefährden. Mit der Literaturverfilmung "Heute bin ich blond" hat Marc Rothemund ein konventionelles Feel-Good-Movie..
2024