Concorde Film
Jeremy Irons auf der Berliner Premiere von "Nachtzug nach Lissabon"
Schauspieler müssen immer etwas tun
Interview: Jeremy Irons sucht die Rastlosigkeit
In seiner langjährigen Karriere hat Jeremy Irons viele interessante Charaktere gespielt. In Bille Augusts Literatur-Verfilmung "Nachtzug nach Lissabon" hat der englische Schauspieler eine besondere Aufgabe zu meistern, nämlich einen langweiligen Professor zu verkörpern. Inwiefern das eine Herausforderung für jeden Schauspieler ist, verriet der 64-Jährige Filmreporter.de im Interview.
erschienen am 8. 03. 2013
Concorde Film
Martina Gedeck und Jeremy Irons auf der Berliner Premiere von "Nachtzug nach Lissabon"
Ricore Text: Mr. Irons, Sie haben in Ihrer Karriere viele unterschiedliche Charaktere gespielt. Wie groß war die Herausforderung, einen langweiligen Menschen darzustellen?

Jeremy Irons: Für einen Schauspieler ist es immer schwer, nichts zu tun. Weil das Drehen eines Films ein langweiliger Prozess ist, möchte man als Schauspieler immer etwas tun. Raimund Gregorius ist jedoch kein handelnder Mensch, sondern eher ein Zuhörer und Beobachter. Es ist scheint relativ uninteressant und Bille hat mich dazu ermutigt, wenig zu tun. Dennoch hoffe ich, dass die Zuschauer Empathie für die Figur empfinden und die Geschichte durch seine Augen sehen werden.

Ricore: Inwiefern ist das Filmemachen ein langweiliger Prozess?

Irons: Weil es gewöhnlich eine langsame Arbeit ist. Im Fall von "Nachtzug von Lissabon" war das anders. Nicht nur weil ich in jeder Szene zu sehen bin und daher fünf Tage in der Woche drehen musste, sondern weil Bille sehr schnell arbeitet. Er macht gewöhnlich ein bis zwei Takes pro Einstellung. Ich mag, diese Art zu arbeiten. In "Beautiful Creatures - Eine unsterbliche Liebe", einem meiner nächsten Filme, ist das anders. Es ist eine große und aufwendige Produktion und ich spiele darin eine relativ kleine Rolle. Die meiste Zeit musste damit zubringen, auf meinen Einsatz zu warten. Das macht mir keinen großen Spaß.

Ricore: Was macht einen langweiligen Menschen aus?

Irons: Ich finde Menschen langweilig, die nicht reden und nicht zuhören können. Wenn man miteinander kommunizier, dann sollte es eine Zwei-Weg-Kommunikation sein. Langweilig sind auch Menschen, die nicht aufgeschlossen sind. Manche Menschen können sich einfach nicht öffnen und erscheinen ihrem Mitmenschen als langweilig. Schwierig ist es, wenn sie sich öffnen und es hinter der Fassade nicht zu entdecken gibt. Dann sind sie wirklich langweilig.

Ricore: Finden Sie nicht auch, dass "Nachtzug nach Lissabon" im Vergleich zur Vorlage leichter zugänglich ist?

Irons: Ich glaube nicht, dass das Buch so schwer verständlich ist, man muss es nur in der richtigen Gemütsverfassung lesen. Es ist sicher kein schwungvolles Buch. Es ist vielmehr ein Buch, das den Leser zum Nachdenken einlädt. Ich kenne viele Menschen, die sagen, dass "Nachtzug nach Lissabon" ihr Lieblingsbuch ist.
Concorde Film
Jeremy Irons in "Nachtzug nach Lissabon"
Ricore: Sind Sie zufrieden mit der Verfilmung des Buches.

Irons: Es fällt mir schwer zu urteilen. Ich habe mir den Film mit einigen Freunden angesehen und sie danach nach ihrer Meinung gefragt. Sie mochten den Film. Das Buch handelt von der Philosophie, insofern ist es schwierig, einen Film darüber zu machen. Dennoch hat Bille viele Elemente der Vorlage in den Film hineingenommen. Die Atmosphäre und die Besetzung sind toll. Ich habe gehört, dass einige Zuschauer es schwierig fanden, deutsche Schauspieler in portugiesischen Rollen zu sehen. Darüber machte ich mir überhaupt keine Gedanken. Ich vergesse beim Arbeiten immer leicht die Nationalität der Schauspieler. Ich kümmere mich nicht darum, wie sie klingen, wichtig ist mir vielmehr, was sie fühlen. Man sollte als Zuschauer von "Nachtzug nach Lissabon" die äußeren Umstände ausblenden und den Ursachen des menschlichen Befindens nachgehen. Es geht um die Gefühle des Menschen und darum, was er vom Leben lernt.

Ricore: "Nachtzug nach Lissabon" thematisiert auch lebensverändernde Entscheidungen. Stimmt es, dass Sie vor knapp dreißig Jahren eine wichtige berufliche Entscheidung trafen, die einen Einschnitt in ihrer Karriere markierte?

Irons: Ich wollte Anfang der 1980er Jahre aus der Serie "Wiedersehen mit Brideshead" aussteigen. Zuvor hatte ich mit Karel Reisz vertraglich ausgemacht, dass ich für "Die Geliebte des französischen Leutnants" frei bekomme. Ich hatte meinen Vertrag gebrochen, was das Ende meiner schauspielerischen Laufbahn hätte bedeuten können. Die Serie hatte bis dahin bereits 50 Millionen Pfund verschlungen und man konnte ohne mich nicht weitermachen. Zwei Tage später haben wir einen Kompromiss ausgehandelt. Die Erfahrung lehrte mich damals eines: Ich bin mein eigener Herr und kann tun und lassen, was ich will.

Ricore: Wie kommt Ihnen diese damals sicher wichtige Episode in Ihrem Leben heute vor?

Irons: In dem Moment, in dem wir die Entscheidungen treffen, mögen sie wichtig sein, mit zeitlichem Anstand werden sie klein und unwichtig. Es kommt selten vor, dass wir rückblickend sagen: 'Diese Entscheidung war wichtig'.

Ricore: Wie fanden Sie die Zusammenarbeit mit den deutschen Schauspielern?

Irons: Ich liebte es, mit Bruno zu arbeiten. Er ist unglaublich bescheiden, fast schon schüchtern und ein ungemein guter Schauspieler. Er hat diesen Instinkt, den jeder gute Schauspieler haben sollte, nämlich sich mit jeder neuen Rolle ins Land des Unbekannten und Ungewissen zu wagen. Sie sollten sehr stolz auf ihn als deutscher Schauspieler sein.
Concorde Film
Jeremy Irons auf der Berliner Pressekonferenz
Ricore: Mit Bille August haben sie schon einen Film gedreht, "Das Geisterhaus". Wie war die Wiederbegegnung?

Irons: Es ist immer schön, mit einem Regisseur erneut zusammenzuarbeiten. Es bedeutet, dass man sich kennt, um die Stärken und Schwächen des anderen weiß. Was mich angeht, so habe ich ihm voll und ganz vertraut. Bille hat sich seit "Das Geisterhaus" überhaupt nicht verändert. Er hat heute gefühlte 20 Kinder mehr, aber äußerlich ist er noch immer der gleiche (lacht).

Ricore: Wie gefiel Ihnen Lissabon?

Irons: Es ist eine wunderschöne Stadt. Ich habe bereits "Das Geisterhaus" dort gedreht. Allerdings hatte ich damals nie die Gelegenheit, die Altstadt zu besuchen, weil ich keinen freien Tag hatte. Dieses Mal lebte ich im wunderschönen Hotel in der Altstadt, im Palácio Belmonte. Lissabon ist eine arme Stadt und viele Häuser sehen verfallen aus. Es herrscht dort eine sehr bröckelige Atmosphäre und der Lebensstandard der Bevölkerung ist nicht besonders hoch. Dennoch empfinde ich jede Stadt, die dieses Flair ausstrahlt, als sehr belebend. Ich mag es nicht, wenn eine Stadt allzu steril aussieht. In London gibt es viele Ecken, wo Riesenunternehmen Riesengebäude gebaut haben. So etwas gibt es in Lissabon nicht. Die Stadt ist von erhabener Schönheit. Sie hat viele Hügel und es gibt viel Wasser, was ebenso eine schöne Stadt auszeichnet. Bei alldem ist sie nicht selbstgefällig. Das mochte ich sehr.

Ricore: In Deutschland wird "Nachtzug nach Lissabon" wie jeder Film synchronisiert. Das bedeutet, dass Ihre schöne sonore Stimme für die deutschen Zuschauer verloren geht. Was halten Sie davon?

Irons: Ich verstehe nicht, wieso man das hier tut. Wenn ich mich in einer anderen Stimme höre, tut es mir sehr leid. Als ich mit Volker Schlöndorff "Eine Liebe von Swann" in Paris drehte, haben wir zwei Versionen gemacht. Man wollte die französische Version von einem Synchronsprecher synchronisieren. Ich sagte, das sei verrückt und machte den Vorschlag, dass ich die Synchronisation übernehmen könnte. Als Schauspieler setzt man die Stimme oft kontrapunktisch gegen die Mimik des Gesichts ein. In der Synchro kommt es oft vor, dass man den Ausdruck des Gesichts als Vorlage für die Stimme benutzt. Das schränkt die Darstellung wesentlich ein. Das ist schade, aber offenbar mögen die Deutschen keine Untertitel. Vielleicht liegt es an der deutschen Sprache. Habt ihr zu viele lange Wörter (lacht)

Ricore: Sie sprechen kein Deutsch, oder?

Irons: [auf Deutsch] Nein (lacht)

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 8. März 2013
Zum Thema
Vor seiner Filmkarriere arbeitet der in England geborene Schauspieler Jeremy Irons vor allem auf der Bühne an der Seite von namhaften Darstellerinnen wie Glenn Close. Nach seinem Durchbruch in "Die Geliebte des französischen Leutnants" wird er bald zu einem der gefragtesten Charakterdarsteller in und außerhalb der Insel. Stirb langsam - Jetzt erst recht". Fünf Jahre zuvor erhielt er den Die Affäre der Sunny von B." Seit 1978 ist Jeremy Irons mit der Schauspielerin Sinèad Moira Cusack..
Lateinlehrer Raimund Gregorius (Jeremy Irons) stolpert in Bern über ein Buch, dessen Inhalt und Autor ihn fesseln. Um mehr über die Identität des portugiesischen Schriftstellers zu erfahren, fährt er kurz entschlossen nach Lissabon. Hier lernt er nicht nur viele der beschriebenen Protagonisten kennen, sondern erfährt auch einiges über die wechselhafte Geschichte Portugals. Mit "Nachtzug nach Lissabon" will Bille Augusts an sein episches Werk der 1990er Jahre anzuknüpfen, scheitert jedoch am..
2024