Universum Film
Sebastian Koch als RAF-Aktivist in "Das Wochenende"
Viel Einsamkeit...
Interview: Sebastian Koch zwischen Kunst und Leben
Sebastian Koch spielt in "Das Wochenende" ein ehemaliger RAF-Terrorist, der nach 18 Jahren Gefängnis wieder frei kommt. Beim Wochenende mit Freunden wird er nicht nur mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Er muss sich auch die Frage stellen, inwieweit sein Lebensentwurf mit der Wirklichkeit vereinbar ist. Im Gespräch mit Filmreporter.de verrät Koch, wie er die RAF als Jugendlicher erlebt hat. Außerdem erklärt der 50-Jährige uns, wie eine ideale Welt aussieht.
erschienen am 12. 04. 2013
20th Century Fox
Bruce Willis, Jai Courtney und Sebastian Koch in "Stirb langsam - Ein guter Tag zum Sterben"
Ricore: Herr Koch, als Schauspieler mit ihrem Profil fühlen Sie sich in einem Kammerspiel wie "Das Wochenende" sicher wohler als in einem Actionfilm wie "Stirb langsam - Ein guter Tag zum Sterben", oder?

Sebastian Koch: (lacht) Nein, das stimmt nicht. Tatsächlich aber ist Jens Kessler aus "Das Wochenende" eine schwierige Rolle. Er war 18 Jahre im Gefängnis und wird nach dieser langen Zeit mit Menschen konfrontiert, die für ihn eine große Bedeutung haben. Für ihn stand die Welt im Gefängnis still, während sie draußen weitergegangen ist. Er hat ein Kommunikationsproblem. Die Tatsache, dass er so lange im Gefängnis war und plötzlich reden und zuhören muss, überfordert ihn. Es sind für ihn zu viele Informationen. Er steht unter einem ganz besonderen Druck. Es kommt bei ihm zu keiner Entäußerung seiner Innenwelt.

Ricore: Ihr Jens ist zehn Jahre jünger als die Figur in Bernhard Schlinks Roman-Vorlage. Dennoch kann man den Charakter historisch verankern. Er repräsentiert die dritte RAF-Generation.

Koch: Ja. Trotzdem ging es uns nicht um Faktentreue. Überhaupt hat der Film nur bedingt etwas mit der RAF zu tun. Der Hintergrund der Geschichte spielt zwar in dieser Zeit. Trotzdem geht es eher darum, wann man welche Entscheidung getroffen hat. Es geht um Lebensentwürfe, die generell mit Mitte fünfzig hinterfragt werden. Alle Figuren werden mit ihren Entscheidungen konfrontiert, die sie vor 20 Jahren getroffen haben. Es geht darum, dass man die Folgen der einmal getroffenen Entscheidungen nicht mehr rückgängig machen kann. Diese Konsequenzen sind das, was der Mensch lebt. Wenn Jens in die Gruppe kommt, funktioniert er wie ein Katalysator. Durch ihn stellen die Personen ihre Entscheidungen in Frage. Ohne viel zu sagen, setzt er einen Reflexionsprozess in Gang.

Ricore: Gibt der Film dem Idealisten den Vorzug oder den Pragmatikern, die ihre Ideale dem bürgerlichen Leben geopfert haben?

Koch: Das Schöne an "Das Wochenende" ist, dass er keine Antworten gibt. Es gibt nicht die eine Wahrheit. Es gibt viele Wahrheiten. Jeder der Protagonisten im Film hat seine eigene Wahrheit und eine damit verbundene Konsequenz. Jens musste mit seiner Strafe leben. Die anderen werden mit der Frage konfrontiert, ob sie sich treu geblieben sind oder ihre Ideale zugunsten eines bequemeren Leben geopfert haben. Es gibt Entscheidungen und Haltungen zu etwas und bei Jens waren oder sind sie sehr klar. Das heißt aber nicht dass sie jeder verstehen muss.

Ricore: Als Jahrgang 1962 haben Sie zumindest die zweite RAF-Generation bewusst erlebt. Welche Erfahrung haben Sie mit diesem Kapitel der deutschen Geschichte gemacht?

Koch: Das war sicher eine Zeit der Bedrohung. Ich war mit 15 Jahren Mofa-Fahrer und bin auch mal in Polizeikontrollen geraten, in denen die Waffen im Anschlag gehalten wurden. Im Fernsehen waren dauernd die Gesichter von Andreas Baader, Ulrike Meinhof und Holger Meins zu sehen. Es herrschte zu der Zeit ein großer Aufruhr. In der jungen Demokratie schien sich in eine anarchische Strömung zu entwickeln. Der Staat war extrem verunsichert und musste Stärke zeigen. Andererseits waren die RAF-Leute nicht sehr konkret in dem, wie sie ihre Revolution geführt haben.
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Sylvester Groth und Sebastian Koch in "Das Wochenende"
Ricore: Wie war Ihr Verhältnis zu den RAF-Mitgliedern?

Koch: Mit 15 Jahren habe ich mich nicht so sehr mit der politischen Dimension der RAF beschäftigt, aber es hatte für mich als Teenager dennoch etwas abenteuerliches, diese Menschen, die sich gegen ein System auflehnten. Ich wusste damals aber noch nicht, dass die gesamte Protesthaltung jener Tage aus dem Nicht-Sprechen der Väter resultierte, die nach dem Krieg nicht Stellung bezogen hatten. Ihre Kinder wollten sie aufwecken. All diese Dinge habe ich erst später erfahren, als ich einige Filme zu dem Thema machte.

Ricore: Waren Sie als junger Mann politisch aktiv oder zählte für Sie in erster Linie die Schauspielerei?

Koch: Das war die Zeit, in der ich zum ersten Mal mit Kunst und Theater konfrontiert wurde. Das hat mich so sehr begeistert, dass ich mich relativ schnell vom politischen Alltag distanzierte. Spätestens mit meinen Filmen über das Thema und über Nazi-Deutschland merkte ich, dass man über diese Kapitel der deutschen Geschichte unbedingt sprechen muss. Auf diese Weise habe ich eine politische Haltung entwickelt.

Ricore: "Das Wochenende" handelt auch vom Konflikt zwischen Ideal und Wirklichkeit. Ist das nicht auch ein Thema, mit dem sich ein Schauspieler identifiziert: der Konflikt zwischen künstlerischer Berufung und bürgerlichem Leben?

Koch: Kunst hat tatsächlich viel mit Einsamkeit zu tun. Der schöpferische Akt kommt oft aus einer Stille heraus. Er ist oft auch das Ergebnis einer Verzweiflung und einer permanenten Suche. Große Kunst resultiert aus einem Leiden, einer ausweglosen Situation heraus. Da ist eine Familie nicht gerade förderlich. Es nicht einfach, das Künstler-Dasein und das Familienleben zusammenzubringen. Bei einem Schauspieler kommen erschwerend die vielen Reisen hinzu. Man muss viel organisieren und Abstriche machen. Zum Teil muss man diese beiden Welten trennen, damit sie eine Chance haben zu wachsen.

Ricore: In "Das Wochenende" führt dieses Dilemma auch zum Konflikt zwischen Vater und Sohn, wobei der Jüngere dem Älteren seine Abwesenheit vorwirft. Ist Ihnen auch dieses Thema vertraut?

Koch: Ja, klar, nur nicht in dieser Dimension. Meine damalige Freundin und ich trennten uns, als unsere Tochter vier Jahre alt war. Probleme der Abwesenheit gab es natürlich - sei es durch die Trennung bedingt als auch durch meinen Beruf. am Anfang sicherlich. Doch davon abgesehen gibt es durchaus Möglichkeiten, die die künstlerische Tätigkeit und das Familienleben unter einen Hut zu bringen. Man braucht einen Plan, hinter dem alle Beteiligten stehen. Das hat bei uns leider nicht funktioniert.
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Sebastian Koch als RAF-Aktivist in "Das Wochenende"
Ricore: Haben Sie sich als angehender Künstler auch im Konflikt mit dem Mainstream gesehen?

Koch: Ja, ich glaubte damals sehr an das Theater. Die Bühne war für mich eine lebendige und anarchistische Kunstform. Als ich anfing gab es noch diese künstlerischen 'Theaterfamilien', die sich dann in den 1990er Jahren leider auflösten. Das war der Grund, wieso ich von der Bühne weggegangen bin. In den 1980er Jahren hatte ich eine große Arroganz gegenüber dem Fernsehen, die wahre Kunst fand für mich auf der Bühne statt, alles andere war Establishment. Das hat sich erst geändert, als ich in Frankreich einen großen Kinofilm machte. Erst mit diesem Projekt unter einem großen Regisseur spürte ich, was die Leinwand alles kann. Für mich war immer wichtig, etwas zu transportieren.

Ricore: Gibt es heute immer weniger Filme, die etwas transportiert?

Koch: Ja, solche Filme werden leider immer seltener finanziert und gefördert. Dabei leben wir in einem Förderparadies. Die Menschen haben leider immer weniger Lust, sich anspruchsvolle Filme anzusehen. "Das Wochenende" ist ein wichtiger Film, weil er eben nicht alles ausspricht, ein Film über die kleinen Bewegungen des Daseins. Er zeigt ein Stück Leben, künstlerisch erhöht. Das Kino braucht solche Filme.

Ricore: Die Menschen wollen lieber geführt und alles gezeigt bekommen, anstatt nachzudenken.

Koch: Dabei ist das Nicht-Zeigen im Kino so wichtig., erst dann fängt das eigene Nachdenken an. Es geht nicht nur darum, dass die Kamera etwas zeigt, sondern auch darum, wann sie weggeht. Auch jenseits des Bildes spielt sich vieles ab. Es gibt im Kino keine Geheimnisse mehr. Das ist sehr sehr schade.

Ricore: Wie sähe neben diesem idealen Kino Ihre ideale Welt aus?

Koch: Wenn jeder in der Lage wäre, etwas abzugeben, dann hätten wir eine andere Möglichkeit des Miteinanders. Stattdessen sind die Menschen Selbstversorger, die nicht realisieren, dass wir alle dieselbe Luft atmen und in einem ähnlichen Rhythmus leben. Wir sollten uns bewusst werden, dass wir alle miteinander verbunden sind und zusammengehören.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch
erschienen am 12. April 2013
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2024