Nicolas Kantor/Majestic Filmverleih
Charlotte Roche, Autorin von "Feuchtgebiete"
Charlotte Roche polarisiert
Interview: Kunst oder Provokation?
Als Charlotte Roche ihren Debüt "Feuchtgebiete" veröffentlicht, löst sie einen Sturm der Entrüstung aus. Ist der Roman Kunst oder Provokation? Derselben Frage muss sich auch David Wnendts gleichnamige Adaption des Bestsellers stellen. Einerseits wird der Film von Kritikern gelobt, galt auf dem Filmfestival von Locarno gar als Mitfavorit auf den Hauptpreis. Andererseits sind manche Zuschauer über das pathologische Verhalten der Hauptfigur schockiert. Filmreporter.de hat die Moderatorin und Autorin Roche gesprochen und sie gefragt, was sie von der Verfilmung ihres Romans hält.
erschienen am 21. 08. 2013
Majestic Filmverleih
Was Carla Juri in "Feuchtgebiete"
Ricore Text: Sie sind durch "Feuchtgebiete" reich geworden. Können Sie mit Geld umgehen?

Charlotte Roche: Überhaupt nicht. Das ist eine Sache, bei der die Erziehung meiner Eltern total versagt hat. Als ich noch kein Geld hatte, war ich massiv verschuldet. Als ich VIVA-Moderatorin war, habe ich immer Kredite aufgenommen. Engländer sind nun mal so. Die leben immer auf Pump. Das Geld, das ich habe, muss ich vor mir selber verstecken, damit überhaupt was übrig bleibt.

Ricore: Wo verstecken Sie es?

Roche: In Betongold.

Ricore: Sie haben Immobilien gekauft?

Roche: Ja, irgendwas, das sicher ist, so wenig wie möglich Banken unterstützt und lange braucht, um liquide zu werden. Mehr noch als vor der Krise, muss ich es vor mir selbst schützen.

Ricore: Haben Sie Ärger mit Ihren Mietern?

Roche: Das ist eine geile Frage. Ja, ich vermiete. Ich suche mir selbst Aufgaben. Ich liebe es, die Toiletten meiner Mieter zu reparieren. Es gibt nichts, das schöner ist. Ich bin ein richtiger Toilettenfuchs. Dann hab ich den ganzen Tag gute Laune.
Majestic Filmverleih
Carla Juri proviziert in "Feuchtgebiete"
Ricore: Gibt es etwas, wovor Sie sich ekeln?

Roche: Ja, ganz viel. Die Menschen denken wegen meinen Büchern, dass ich schamlos bin. Ich bin sogar besonders schamhaft, deswegen muss ich ja solche Bücher schreiben. Ich schreibe, weil ich mit dem Gedanken erzogen wurde, dass vieles peinlich ist. Ich schäme mich selbst für diese körperlichen Sachen. Ich befreie mich davon, indem ich darüber schreibe.

Ricore: Wie wichtig ist "Feuchtgebiete" mit seiner tollen Frauenfigur für Sechzehn- und Siebzehnjährige?

Roche: Ich freue mich darüber, dass der Film eine FSK 16 bekommen hat. Eigentlich wollte ich immer, dass die Verfilmung meines Buches eine FSK 18 bekommt. Aber jetzt fände ich es schade, wenn Sechzehn- und Siebzehnjährige den Film nicht sehen dürften. Gerade für junge Leute ist ein Gegenpol wichtig gegen den Druck, den sie im Leben haben. Sie dürfen nicht nach Mensch riechen, dürfen kein einziges Haar am Körper haben.

Ricore: Ist das denn wirklich so?

Roche: Ja. Je jünger die Leute sind, umso mehr Körperhass haben sie. Das ist meine Beobachtung. Zu viel Optimierung bedeutet Misshandlung des Körpers. Das heißt nicht, dass sie keinen Sex haben, sondern dass sie gar nicht mehr angefasst werden können, weil alles so optimiert ist. Wenn man sich selbst negativ betrachtet, dann führt das zu Unglück und Krankheit.

Ricore: In den sozialen Netzwerken wurde der Trailer zu "Feutchtgebiete" teilweise zensiert. Finden Sie das gerechtfertigt oder übertrieben?

Roche: Solche Sachen zu zensieren ist bescheuert. Ich bin total dagegen.
Peter Hartwig/Majestic Filmverleih
Regisseur David Wnendt und Hauptdarstellerin Carla Juri am Set von "Feuchtgebiete"
Ricore: Haben sich die Interviews seit Erscheinen des Buches 2008 verändert?

Roche: Die Menschen, mit denen ich jetzt rede, sind Filmjournalisten. Das ist eine ganz neue Welt. Ich helfe, den Film zu pushen. Und zwar mit großer Freude, weil er so geil geworden ist. Ich wünsche Carla, David und Peter [Hauptdarstellerin Carla Juri, Regisseur David Wnendt und Produzent Peter Rommel; Redaktion] allen Erfolg der Welt.

Ricore: Als die Nachricht der Verfilmung von "Feuchtgebiete" öffentlich wurde, gab es einen ähnlichen Sturm der Entrüstung wie nach der Veröffentlichung des Buchs.

Roche: Das ist leider immer so. Ich versuche, bei mir zu bleiben und darüber zu lachen. Der Film ist streckenweise ruhig und zart. Er ist überhaupt nicht auf Skandal gemacht. Das schreiben Leute, die nicht recherchiert haben.

Ricore: Ist der Feminismus seit Erscheinen des Buches weitergekommen?

Roche: Das hoffe ich doch. Wenn ich dazu beitragen konnte, gerne. Ich glaube, dass es immer wieder Gegenreaktionen gibt. Beim Feminismus ist schon in den Siebzigern alles geklärt gewesen, dann hat sich alles wieder verloren. Auf einmal passen sich die Frauen wieder an oder entwickeln sich zurück in ein früheres Frauenbild. Und dann muss man wieder arbeiten, um wieder nach vorne zu kommen. Zwei Schritte vor, einen zurück.

Ricore: Ihr zweites Buch "Schoßgebete" kommt auch bald in die Kinos. Was erwarten Sie vom Film?

Roche: Dass ich die Rechte verkauft habe und, ist genauso ein Vertrauensbeweis wie bei der Adaption von "Feuchtgebiete". Ich kriege den fertigen Film irgendwann präsentiert, und dann bin ich genauso aufgeregt. Die Bücher sind für mich wie zwei Kinder. Man kann sie nicht vergleichen. Sie sind extrem unterschiedlich. So körperlich und poppig das erste ist, so düster, traurig und therapeutisch ist das zweite. Ich bin gespannt. Ich möchte, dass der Film berührt. Ich werde ihn mir anschauen und mich überraschen lassen.

Ricore: Was ist mit Charlotte Roche, der Schauspielerin? Haben Sie damit abgeschlossen?

Roche: Ja, es war schwierig zu schauspielern. Ich glaube, ich kann das nicht.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 21. August 2013
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