20th Century Fox
Emily Watson auf der Berliner Premiere von "Die Bücherdiebin"
"In Büchern findet man moralischen Kompass"
Interview: Emily Watson will komplexe Figuren
Es ist kaum zu glauben. Die zurückhaltende und höfliche Emily Watson mir gegenüber spielt in der Verfilmung von "Die Bücherdiebin" eine äußerst unfreundliche Frau. Rosa begegnet ihrer Umwelt mit Härte und beschimpft - unfähig ihre wahren Gefühle auszudrücken - ihr Nahestehende als 'Saumenschen'. Für Emily Watson wäre es unvorstellbar, ihrer Tochter nicht zu sagen, dass sie sie liebt. Warum sie so von dieser Rolle fasziniert war und warum Bücher so wichtig sind, berichtet die Britin Filmreporter.de im Interview.
erschienen am 14. 03. 2014
20th Century Fox
Emily Watson im Interview bei der Premiere von "Die Bücherdiebin"
Nach dieser Rolle gelechzt!
Ricore Text: Haben Sie gezögert, die Rolle der Rosa in Die Bücherdiebin anzunehmen? Anfangs ist sie nicht gerade die sympathischste Figur.

Emily Watson: Nein, ich habe geradezu nach dieser Rolle gelechzt. Ich habe das Drehbuch von Beginn an geliebt. Aber mehr noch hat mich gereizt, jemanden zu spielen, der so unfreundlich ist.

Ricore: Warum?

Watson: Als Schauspielerin ist es interessant, eine so komplexe Figur zu spielen, in die man sich richtig verbeißen kann. Rosa repräsentiert eine besondere Generation von Frauen, in Deutschland, aber auch in ganz Europa. Diese Frauen mussten lernen, ohne Männer auszukommen, da die meisten im Ersten Weltkrieg gefallen waren. Rosa ist sehr bitter und das würde sie eigentlich anfällig für die Ideologie der Nazis machen. Doch als dann dieser junge Jude vor ihrer Tür steht, erweist sie sich als zutiefst ehrbare Person.

Ricore: Wie war es, einen Film mit einem solchen Thema hier in Deutschland zu drehen?

Watson: Das war eine großartige Erfahrung. Viele Menschen hier haben Vorfahren, die Nazis waren. Ich habe mit manchen darüber gesprochen, es ist ein schmerzhafter Umstand, mit dem sie leben müssen.

Ricore: Finden Sie, dass Deutschland offen mit seiner Vergangenheit umgeht?

Watson: Gerade hier in Berlin, ja. Hier wurde jeder Stein umgedreht, in den Museen wird das Geschehene thematisiert. Aber ich wusste nicht, ob es okay ist, die Menschen nach ihrer persönlichen Geschichte zu fragen. Dabei fühlte ich mich etwas unwohl, obwohl es mich sehr interessierte. Sie haben sehr emotional, aber auch positiv darauf reagiert.
20th Century Fox
Regisseur Brian Percival mit Hauptdarstellerin Sophie Nélisse und Emily Watson in Berlin
Emily Watson: Du Saumensch!
Ricore: Was war für Sie die größte Herausforderung bei der Rolle?

Watson: Die Veränderung in der Persönlichkeit von Rosa. Anfangs ist sie sehr hart und verschlossen, doch dann öffnet sie sich, wird menschlicher, sogar spontan als sie in die Schule geht, um Liesel eine wichtige Nachricht zu überbringen. Diese Szene war am schwierigsten, den Rosa ist unfähig Liesel zu sagen, dass sie sie liebt, obwohl es natürlich so ist. Für mich wäre es unvorstellbar, meiner Tochter nicht zu sagen, dass ich sie liebe.

Ricore: Und wie ist es, eine Figur aus einer anderen Zeit zu spielen?

Watson: Die Menschen bewegen und benehmen sich anders, darauf muss man sich einstellen. Die Kleidung hilft dabei jedoch meistens.

Ricore: Rosa gebraucht ein Wort sehr oft, Saumensch.

Watson: Ach ja, dieses Wort. Leider erinnere ich nicht mehr den englischen Ausdruck, den wir verwendeten. Doch ich weiß noch, dass ich mich sehr darüber wunderte. Ich fragte einen der Fahrer, ob er das Drehbuch gelesen habe und diesen Begriff kennen würde. Er verneinte. Also ging ich zu den Produzenten und fragte, ob Markus Zusak dieses Wort vielleicht erfunden habe. Keiner hatte es je gehört. Doch dann traf ich einen der Mitarbeiter für die Requisiten, er ist schon über 60 Jahre alt und stammt aus der Gegend um München. Und er erzählte mir, dass seine Großmutter dieses Wort sehr oft sagte.

Ricore: Welche Szene im Film hat Sie am meisten beeindruckt?

Watson: Die Bücherverbrennung. Liesel hört die Ansprache des Bürgermeisters und singt begeistert mit. Doch dann sieht man plötzlich, wie ihre Unschuld verschwindet und sie versteht, was wirklich passiert.
20th Century Fox
Sophie Nélisse, Emily Watson, Nico Liersch und Ben Becker auf dem Roten Teppich
Liebesbekundung an das Geschichten erzählen
Ricore: Haben Sie den Roman gelesen?

Watson: Ja, aber erst nach Drehende. Ich finde, er ist ein wunderbares Instrument, um einer jungen Generation diesen Teil der Geschichte näher zu bringen. Zugleich ist der Roman eine Liebesbekundung an das Geschichten erzählen generell. Man erhält seine ganze Bildung und Menschlichkeit aus Büchern. In Büchern findet man seinen moralischen Kompass. Wenn man den Menschen das wegnimmt, führt das zu Ignoranz und Extremismus.

Ricore: Welche Bücher sind Ihnen wichtig?

Watson: Ich bin in einem Literatur-versessenen Haushalt aufgewachsen. Meine Mutter war Englischlehrerin. Wir hatten keinen Fernseher, deswegen las ich viel, ging ins Theater und später dann selbst zur Royal Shakespeare Company. Ich würde also sagen, dass Shakespeare sehr wichtig für mich ist.

Ricore: Was macht Shakespeare so besonders?

Watson: Die Sprache ist alt und die Geschichten sind veraltet und sonderlich, aber Shakespeare hat diese Art, das menschliche Wesen so wahrhaftig und lebendig zu beschreiben. So ist er immer noch sehr modern und ein großer Humanist.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch!
erschienen am 14. März 2014
Zum Thema
Brian Percivals Adaption des Bestsellers des australischen Schriftstellers Markus Zusak nähert sich dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte aus der Perspektive des Todes. Verfilmt wurde die Parabel in Berlin und Brandenburg mit einem Starensemble. Die traumatisierte neunjährige Liesel (Sophie Nélisse) stammt aus einem kleinen Ort bei München. 1939 taucht sie nach dem Tod ihres Bruders und der Trennung von ihrer Mutter in die Welt realer und fiktiver Bücher ab und verdrängt so die..
Emily Watson ist eine jener Schauspielerinnen, die lieber durch ihre Leistung auffallen, als durch Geschichten in der Klatschpresse. Schon mit ihrem Kinodebüt in Lars von Triers Drama "Breaking The Waves" erspielt sie sich mit ihrer intensiven Darstellung eine Oscarnominierung. Da erscheint es beinahe als schlechter Witz, dass sie zunächst abgelehnt wird, als sie sich für die Schauspielschule bewirbt.Die Asche meiner Mutter", "Gosford Park", "Roter Drache" und "Die Bücherdiebin". Seit 1995 ist..
2024