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Nick Park, Regisseur von Wallace & Gromit auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen
Nick Park über scharfe Ratschläge aus L.A.
Interview: Drei Sekunden Film - pro Tag!
Eigentlich ist Nick Park berühmt - sein Name ist der breiten Öffentlichkeit dennoch unbekannt. Umso beliebter sind seine Trickfilmfiguren Wallace und Gromit, die der 46-jährige im "Stop-Motion"-Verfahren mit Hilfe von Knetmasse zum Leben erweckt. Nun schickt der dreifache Oscarpreisträger seine beiden Lieblinge auf eine Abenteuerreise ins Kino. Bei den Filmfestspielen in Cannes 2005 sprachen wir mit ihm über den logistischen Alptraum hinter den Kulissen.
erschienen am 11. 10. 2005
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Mit Knete zum Erfolg: Oscar-Gewinner Nick Park
Ricore: Mr. Park, aus welchem Material bestehen Ihre Figuren?

Nick Park: Eine besondere Form von Plastilin, sehr beweglich. Wir haben es hier ja nicht mit herkömmlicher Animation zu tun, denn jede Veränderung des Körpers wird einzeln ausgeführt und ergibt erst in der Summe eine runde Bewegung. Ich muss also mit einem Material arbeiten, dass mir alle Möglichkeiten offen lässt und fast schon menschliche Bewegungen erlaubt.

Ricore: Computer sind während dieses aufwendigen Prozesses nicht im Spiel?

Park: Ganz ohne geht es nicht mehr. Computeranimation brauchen wir vor allem für Spezialeffekte wie zum Beispiel Wasser oder Feuer. Nachträglich wird so einiges eingefügt, aber die eigentlichen Figuren blieben davon unberührt. Ich arbeite so, als ob es keine Computer gäbe.

Ricore: Mit maximal 30-minütigen Kurzfilmen wurde "Wallace & Gromit" Kult. Was macht Sie dagegen so sicher, dass die beiden Figuren auch über volle 85 Minuten Kurzweil bieten?

Park: Ich habe mehr Zeit in die Story investiert, als je zuvor. Man muss das Auf und Ab der Geschichte gezielt planen, Höhen und Tiefen pointiert setzen. Sonst verliert der Zuschauer schnell das Interesse. Wir haben das mit detaillierten Storyboards gemacht, in der wir den ganzen Film vorab auf Papier gezeichnet hatten. Allerdings weicht die endgültige Szene fast immer davon ab, weil man bei einem so komplizierten Verfahren doch nie sehen kann, wie sich alles entwickelt. Es ist ein sehr organischer Prozess. Zumindest bekommt man einen ersten Eindruck, was funktioniert und wo noch Schwächen liegen.

Ricore: Allerdings lag der Charme von "Wallace & Gromit" immer darin, dass man hinter der Machart die Hingabe der kleinen Firma Aardman Animations Ltd. erkennen konnte. Wie kann man sich diese Natürlichkeit bei einem Budgetdruck von 80 Millionen Dollar erhalten?

Park: Wir haben mehr Druck als normal, das ist richtig. Aber die Herstellung dieser Trickfilme kann nicht industrialisiert werden, alles beruht auf persönlichem Einsatz. Wer bei den alten Kurzfilmen genau hinsieht, wird hier und da sogar Fingerabdrücke erkennen. So etwas dürfen wir uns bei diesem Film zwar nicht mehr leisten, aber ich versuche mich trotzdem nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.

Ricore: Reichlich schwer, wenn Dreamworks-Studiomogul Jeffrey Katzenberg das Sagen hat. In Cannes übernahm der als Kontrollfreak bekannte Produzent dieses Jahr sogar die Vorstellung der ersten fertigen Szenen!

Park: Ich fühle mich einerseits geehrt, dass er Interesse an meinen Ideen hat, bin aber andererseits natürlich auch froh, dass ich 5.000 Meilen von ihm entfernt in meinem Studio in Bristol, England arbeiten kann. Alle zehn Wochen fliegen er und ein vierköpfiges Beraterteam mit seinem Privatjet für achtstündige Meetings ein, um die neuesten Szenen zu begutachten. Dann kommen jede Menge scharfe Ratschläge und Ideen, was man besser machen könnte. Allerdings respektiert er auch, wenn wir uns ab und dann dagegen entscheiden. Abgesehen von Stippvisiten hält er sich mit regelmäßigen Videokonferenzen auf dem Laufenden.
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Nick Park auf Promotiontour in Cannes
Ricore: Wie strukturiert sich Ihre tägliche Arbeitsweise?

Park: Ich arbeite mit dem dreißig- bis vierzigköpfigen Team bis zu zehn Stunden täglich. Um die Machart unserer Filme zu lernen, gibt es sogar eigene Workshops, in denen wir unsere Mitarbeiter schulen. Denn das eigentliche Produkt ist harte Arbeit: Mit vereinten Kräften schaffen wir durchschnittlich drei Sekunden fertigen Film pro Tag!

Ricore: Die Originalstimme von Wallace stammt von dem 84-jährigen britischen Schauspieler Peter Sallis. Wann genau finden Trickfilm und Vertonung zusammen?

Park: Von der ersten Sekunde an! Wir brauchen die Stimmen, bevor wir zu arbeiten anfangen können. Es ist also fortwährender Prozess, der für die perfekte Lippensynchronisation unbedingt nötig ist. Wenn es nicht anders geht, springe ich zeitweise auch mal persönlich ein und spreche für einen Rohschnitt verschiedene Rollen einfach selbst.

Ricore: Wie wählen Sie Ihre Synchronsprecher aus?

Park: Es gab von Studioseite harsche Vorgaben, dass wir doch bitteschön prominente Namen wählen sollten. Mit Ralph Fiennes und Helena Bonham Carter habe ich mich daran gehalten, hoffe aber gleichzeitig, damit keine typischen Teenager-Stars ausgewählt zu haben. Wenn ich die Stimme eines Schauspielers interessant finde, entnehme ich aus seinen alten Filmen einfach eine Tonspur, die ich animiere. Erst wenn hier alles zusammenpasst, trete ich an den jeweiligen Schauspieler heran und frage ihn, ob er Interesse hat.

Ricore: Sie scheinen Ihren Job wirklich zu lieben. Für was gibt ein Workaholic wie Sie sein hart erarbeitetes Geld aus?

Park: Ich lege keinen besonderen Wert auf Luxus. Genug ist genug. Ich brauche keine teuren Autos oder Juwelen, um glücklich zu sein. Ich begebe mich gern auf Abenteuer-Trips in die Wildnis, das gibt mir Ausgleich. Ansonsten lebe ich in meinem kleinen Haus in Bristol fröhlich dahin. (lacht)

Ricore: Haben Sie noch Träume?

Park: Und ob! Erst gestern Nacht habe ich die Story um meine Animationsfiguren weitergeträumt. Einmal kam am Ende eines Traums sogar so etwas wie ein Abspann. Können Sie sich das vorstellen?
erschienen am 11. Oktober 2005
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Die Oscarprämierten Knetmassenhelden Wallace & Gromit beschützen feinstes Zuchtgemüse vor einem gefräßigen Monsterhasen. Der im besten Sinne altmodische Stop Motion mit britischem Humor vom Feinsten der Aardman-Gründer Nick Park und Co-Regisseur Steve Box stellen eine fabelhafte Alternative zum digitalen Dauerbeschuss der Disney-, Pixar- und Manga-Produktionen.
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