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Oliver Hirschbiegel auf der Premiere von "Elser: Er hätte die Welt verändern können" in München
'Wir sind ein radikales Volk'
Interview: Oliver Hirschbiegel frei heraus
Nach "Der Untergang - Hitler und das Ende des 3. Reichs" und "Ein ganz gewöhnlicher Jude" widmet sich Oliver Hirschbiegel mit "Elser" erneut dem Nationalsozialismus. Das Drama erzählt die Lebensgeschichte des Handwerkers Georg Elser, der 1939 ein Attentat auf Adolf Hitler verübt, aber knapp scheitert. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges wird er im Konzentrationslager Dachau hingerichtet. Im Interview mit Filmreporter.de erklärt Oliver Hirschbiegel, was die Faszination dieses Menschen ausmacht, der für ihn ein 'Ausnahmebeispiel für Zivilcourage' ist.
erschienen am 7. 04. 2015
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Christian Friedel in "Elser - Er hätte die Welt verändert"
Faszination Drittes Reich?
Ricore Text: Herr Hirschbiegel, wie waren die Dreharbeiten zu diesem so wichtigen Thema der jüngeren deutschen Geschichte?

Oliver Hirschbiegel: Absurderweise hatte ich bei "Elser" den schönsten Dreh meines Lebens. Da war Licht drin. Wahrscheinlich hatte das nichts mit dem Stoff zu tun, so etwas passiert halt einfach manchmal.

Ricore: Nach "Der Untergang - Hitler und das Ende des 3. Reichs" und "Ein ganz gewöhnlicher Jude" haben Sie erneut ein Thema aus dem Dritten Reich bearbeitet. Was fasziniert Sie daran?

Hirschbiegel: Eigentlich habe ich nicht wirklich ein Thema. Oder es ist tatsächlich das Dritte Reich, ich weiß es nicht. Ich nehme die Sachen an, die mich faszinieren und die ich als Herausforderungen betrachte.

Ricore: Was faszinierte Sie an "Elser"?

Hirschbiegel: Ich sah darin unter anderem die Möglichkeit, ein Kommentar zu "Der Untergang" zu liefern. Der Film wird vor allem in Deutschland noch immer kritisch beäugt. Er wird mir absurderweise fast vorgeworfen.

Ricore: Und wie ist dieser Kommentar nun ausgefallen?

Hirschbiegel: Ich wollte an die Wurzeln des Nationalsozialismus gehen. Das Geheimnis des Dritten Reichs ist die Tatsache, dass es auf uns verweist - ob wir das wollen oder nicht. Die Hälfte der Menschen haben damals diese Leute gewählt - in demokratischen oder nicht-demokratischen Wahlen, das sei mal dahingestellt. Die Menschen, die damals für die braunen Typen gestimmt haben, die sind wir. Sie sind unsere Vorfahren, wir tragen ihre Gene. Wir können nicht den Kopf in den Sand stecken und so tun, was wäre das nicht wahr. Das war sehr deutsch und konnte so nur in Deutschland stattfinden. Wir sind ein radikales Volk, im positiven wie im negativen Sinne. Wenn es ins Negative umschlägt, dann wird unsere Radikalität grauenhaft.

Ricore: Legt "Elser" eine neue Schicht des Dritten Reichs frei?

Hirschbiegel: Der Film zeigt, wie die Bewegung des Nationalsozialismus langsam in die ländliche Kultur einsickert und sie für sich vereinnahmt. Das wurde so tatsächlich noch nicht dargestellt. Abgesehen von der politischen Relevanz, die Elser auch heute noch hat, spielt das Heimatliche im Film eine wichtige Rolle. Das fand ich spannend, schließlich können wir darauf stolz sein. Unsere Lieder, unsere Gedichte, Goethe, Jean Paul usw., all das kommt aus dem Land und unserer Erde. Ich finde, wir gehen da viel tiefer als andere Völker. Wenn auch nicht ganz so tief wie die Russen. Die Russen sind uns sehr ähnlich.

Ricore: Neben den Episoden, die im Ländlichen spielen, zeichnet den Film eine ungeheure formale Strenge aus. Streckenweise erinnert er in seiner Beklommenheit an Fritz Langs "Auch Henker sterben".

Hirschbiegel: Ich wollte den Aspekt der Radikalität und Unnachgiebigkeit formal übersetzen. Ich dachte dabei weniger an Lang als lustigerweise an Yasujiro Ozu. In seinen Filmen geht es immer wieder um die häusliche Kultur. Sei spielen im familiären Umfeld, stellen aber trotzdem große Fragen. Bei Ozu gibt es auch diese einbetonierte Kamera, die sich keine Sekunde bewegt. Das habe ich in "Elser" auch verwendet, und zwar in den Verhörszenen.
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Oliver Hirschbiegel auf der Premiere von "Elser: Er hätte die Welt verändern können" in München
Oliver Hirschbiegel: Meine Kamerafrau hat gelitten
Ricore: Sie sperren die Figuren gewissermaßen auch in der Kameraeinstellung ein. Wie empfanden Besetzung und Stab diese Herangehensweise?

Hirschbiegel: Meine Kamerafrau [Judith Kaufmann, Red.] hat darunter geradezu gelitten. Sie durfte nicht einmal die Kamera anfassen. Dafür durfte sie in den Landszenen ausgiebig Handkamera benutzen (lacht).

Ricore: Sie kannten die Geschichte von Georg Elser schon vorher, sollen aber nicht gewusst haben, wie man seine Geschichte spannend erzählt. Warum?

Hirschbiegel: Weil ich die üblichen Biopics, die eine Lebensgeschichte nacherzählen, langweilig finde. Mich interessieren Figuren. Die geniale Idee des Drehbuchs zu "Elser" war, sich dem Charakter über die Verhörprotokolle und mittels Rückblenden zu nähern. Das fand ich sehr clever. Damit hatten sich mich bei den Eiern. Im Skript war das an jener Stelle, als die Erzählung zum ersten Mal in die Vergangenheit an den Bodensee zurück blendet. Ab da wusste ich, dass ich das sehen will. Wenn ich einen Film sehen will, dann kann ich ihn auch machen.

Ricore: Wie viel Unterhaltung verträgt eine historische Figur wie Georg Elser?

Hirschbiegel: Es geht mir um das Kinoerlebnis. Das wurde mir damals bei "Der Untergang" vorgeworfen.

Ricore: Dass es Unterhaltung war?

Hirschbiegel: Ja, es gehört sich angeblich nicht, einen historischen Stoff unterhaltsam zu verpacken. Er muss dokumentarisch-kommentierend erzählt werden. Bei "Der Untergang" lautete der Vorwurf: Es kann nicht sein, dass die Nazis als Menschen abgebildet werden. Genau das tut aber das Kino meinem Verständnis nach. Kino zeigt eine andere Welt, es zeigt Träume, in die man als Zuschauer eintaucht. Es schließt die Realität aus. Wenn ein Film einen historischen Stoff behandelt, dann darf er nicht verstaubt wirken, sondern muss authentisch sein. Das ist mir zwei Mal gelungen, aber ich weiß nicht genau, warum... (lacht).

Ricore: Inwiefern hat Sie Georg Elser als Mensch und Widerstandskämpfer interessiert?

Hirschbiegel: Als ich das Buch las, merkte ich sofort, dass es eine direkte Linie zu Edward Snowden gibt. Oder zu Jeanne D'Arc. Es gibt Ausnahmemenschen, die für eine Größe stehen, die man sich nicht erklären kann. Menschen, die eine ungeheure Selbstlosigkeit, Zivilcourage und Mut an den Tag legen. Elser, die Geschwister Scholl und Stauffenberg waren in ihrem Kampf letztlich alleine. Und sie wussten damals, dass über die Sippenhaft auch die Angehörigen in Gefahr sein würden. Das braucht großen Mut und große Entschlossenheit. Ich finde es wichtig, dass die jungen Menschen das sehen.

Ricore: Wird Georg Elser gerade neu entdeckt?

Hirschbiegel: Das hoffe ich doch. Es ist erfreulicherweise viel über ihn geschrieben worden. Zuletzt war der 70. Jahrestag des Anschlages Anlass dafür. Ich hoffe, dass der Film dazu beitragen wird, dass Elser dort hinkommt, wo er hingehört, nämlich mindestens neben Stauffenberg und die Scholl-Geschwister. Eigentlich finde ich ihn sogar eine Stufe höher. Elser war der Einzige, der schon 1938 gesehen hat, was andere nicht sahen. Viele, die es gesehen haben, gingen weg. Wie Sebastian Haffner. Elser, dieser kleine Nichtakademiker und Handwerker, blieb und entschied sich zu handeln. Er ist ein Ausnahmebeispiel für Zivilcourage.
Constantin Film
Der Untergang - Hitler und das Ende des 3. Reichs
Ewiges Rätsel!
Ricore: Wie konnte dieser Mann eigentlich diesen Anschlag verüben? Er war weder ein besonders politischer Mensch, noch hatte er die fachliche Qualifikation für die Konstruktion einer Bombe...

Hirschbiegel: Er wird ein ewiges Rätsel bleiben. Insofern konnte man die Nazis bedingt verstehen, als sie sich nicht vorstellen konnten, dass er ein Einzeltäter war. Die Bombe war eine geniale Konstruktion. Zu dieser Zeit so ein Ding mit so einer Präzision zu bauen ist eine enorme Leistung. Es ist eben eine bemerkenswerte Geschichte. Fast unglaublich.

Ricore: Sie sind einer der wenigen deutschen Regisseure, die es nach Hollywood geschafft haben. Werden dort von der Filmindustrie viele Regisseure in den endlosen Filmreihen nicht verschlissen?

Hirschbiegel: In der Studio-Maschinerie zu arbeiten erfordert eine gewisse Konstitution und Disposition. Das ist nicht jedermanns Sache. Wenn man das Erzählen liebt, dann macht man sich zu einem Sklaven der Geschichte, die man so gut wie möglich erzählen will. Wenn man aber eine große Studioproduktion macht, die nichts anderes als eine große Merchandising-Maschine ist, dann wird man schnell Sklave des Systems und nicht mehr der Geschichte.

Ricore: "Elser" ist Ihre erste deutsche Produktion seit 2005. Wird es wieder so lange dauern bis zum nächsten deutschen Film aus ihrer Hand?

Hirschbiegel: Ich habe keine Ahnung (lacht). Mein nächster Film ist jedenfalls eine Produktion, die in England entwickelt wurde, aber in Deutschland spielt. Nämlich 1973 in Ost- und Westberlin. Das Drehbuch wurde auf Englisch geschrieben und wird jetzt auf Deutsch übersetzt. Zwei Drittel des Films werden auf Deutsch gedreht, ein Drittel auf Englisch. Es ist noch nicht ganz in trockenen Tüchern, aber es sieht sehr danach aus, dass ich den Film machen werde.

Ricore: Wovon handelt die Geschichte?

Hirschbiegel: Es ist ein Familiendrama und handelt von einer Familie mit Zwillingskindern. Ein Teil der Familie lebt in West-Berlin, der andere im Osten. Es geht auch um Spionage und politische Interessen. Eine Ost-West-Geschichte aus den 70er Jahren - ein noch relativ unbeacktertes Feld.

Ricore: Sie gelten als sehr entspannter Regisseur. Stimmt das?

Hirschbiegel: Das höre ich auch immer wieder. Ich weiß nicht, wie andere Regisseure auf dem Set sind. Ich denke immer: So wie ich das mache, ist das normal. Über andere Kollegen höre ich manchmal die erstaunlichsten Geschichten, dass sie teilweise wild herumschreien, Terror machen usw. Ich habe gerne eine nette Atmosphäre auf dem Set.

Ricore: Was ist Ihr idealer Film?

Hirschbiegel: Mein Lieblingsfilm besteht aus einer Figur, die vor der Kamera nichts anderes tut, als zu erzählen. Das fasziniert mich sehr: Ein Mensch, der vor der Kamera spricht. Dem kann ich stundenlang zuschauen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 7. April 2015
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Der frühere Waldorfschüler und Küchenjunge Oliver Hirschbiegel studiert Malerei und Grafik bei Sigmar Polke. Später wendet er sich zunehmend der Fotografie, Video- und Filmproduktion zu. Nach diversen Rauminstallationen und Performance-Auftritten feiert er 1986 mit dem Fernsehfilm "Das Go! Projekt" sein Regie-Debüt. Fünf Jahre später sorgt er mit "Mörderische Entscheidung" für frischen Wind in der Deutschen Fernsehlandschaft. Der Thriller erzählt eine Geschichte aus zwei Perspektiven, von..
Adolf Hitler kannte keine Gnade mit Georg Elser, der ihn am 8. November 1939 an einem symbolträchtigen Ort in München mit einer Bombe aus dem Weg räumen wollte. Der Schreiner folgte seinem Gewissen, um den Krieg gegen Polen und die Verfolgungen von Andersdenkenden und Minderheiten zu beenden, während seine Landsleute dem Führer noch bedingungslos folgten. Oliver Hirschbiegel schildert das Schicksal eines Aufrechten, der dem Grauen des Dritten Reichs ein Ende setzen wollte.
2024