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Kheiron in "Nur wir drei gemeinsam" (Nous trois ou rien, 2015)
Erster Schritt in neue Welt
Interview: Kheirons Debüt "Nur wir drei gemeinsam"
Obwohl er als Regisseur gerade seinen ersten Film vorstellt, wirkt Kheiron bei unserer Begrüßung sehr gelassen. Entspannt sitzt er in seinem Sessel in der Bibliothek des Bayerischen Hofs und lächelt sympathisch. Als ich den kleinen Raum betrete, erhebt er sich höflich, fragt mit einem kräftigen Händeschütteln 'Ça va' (wie geht's?). Kheiron ist ein erfrischendes Allround-Talent - Komiker, Musiker, Schauspieler und jetzt auch Regisseur und wirkt mit sich und seinem Schaffen im Einklang. Wir befragten den vielseitigen Künstler im Rahmen des Filmfest München zu "Nur wir drei gemeinsam".
erschienen am 29. 06. 2016
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Nur wir drei gemeinsam (Nous trois ou rien, 2015)
Ich komme ja nicht wirklich vom Film
Ricore Text: Es ist Ihr erster Film, und der wird gleich auf dem Münchner Filmfest aufgeführt. Wie fühlen Sie sich, dass Ihr Debütfilm gleich so groß rauskommt?

Kheiron: Ja, es ist zwar mein erster Film, aber ich komme ja nicht wirklich vom Film, deswegen muss ich ganz ehrlich zugeben, dass mich die Kinowelt nicht so sehr beeindruckt. Seitdem ich diesen Film gemacht habe, gehe ich zwar viel ins Kino, aber davor habe ich kaum mehr als 30 Filme in meinem Leben gesehen. Von daher: Auch wenn es das Filmfest von Tokio, Cannes oder München ist, beeindruckt mich das erst mal nicht. Was mich sehr beeindruckt, ist die Sicht, den andere auf meinen Film haben. Zum Beispiel Kritiker oder das Publikum, also mich interessiert schon sehr, wie mein Film aufgenommen wird. Ich fand es gestern sehr schön, mich dem Publikum zu stellen, mit ihm zu sprechen, das war schon ganz schön spannend, das macht auch viel Spaß. Aber ich bin in erster Linie ein Komiker, ich stehe jeden Abend vor 500 Leuten auf der Bühne und kenne das Publikum, und habe daher kaum mehr Angst. Es sei denn, Sie würden jetzt eine Waffe auf mich richten! (lacht) Was aber nicht heißt, dass ich nicht froh bin, hier zu sein. Ich freue mich jetzt auf die zweite Vorführung. Aber wie gesagt, Festivals haben mich jetzt nicht so beeindruckt.

Ricore: Was hat Sie dazu bewegt, als Komiker das Leben Ihrer Eltern im Film festzuhalten?

Kheiron: Ich bin ja nicht nur Komiker, Stand-up-Comedian, sondern bin auch Musiker, aber ich finde, in erster Linie bin ich Geschichtenerzähler. Jede Geschichte braucht ein anderes Medium, um erzählt zu werden. Wenn ich von Alltagsgeschichten, von ganz alltäglichen Problemen erzähle, dann mache ich das als Komiker, weil ich dann sofort die Reaktion des Publikums habe. Wenn ich über etwas reden möchte, wo ich nicht die sofortige Reaktion des Publikums brauche, dann schreibe ich Musik, weil es bei Liedern so ist, dass erst am Ende das Publikum reagiert. Es reagiert ja nicht mittendrin. Aber bei dieser Geschichte hier - die ich übrigens niemals in meinen Vorführungen und Shows erzählt habe - da wusste ich, diese Geschichte ist so dicht, da sind so viele Figuren, so viele Facetten, das kann man nur als Film erzählen. Und jetzt hatte ich die Möglichkeit, diesen Film zu machen.

Ricore: Welche Filme haben Sie am meisten bei Ihrer Arbeit an "Nur wir drei gemeinsam" inspiriert?

Kheiron: Ich habe mir jetzt natürlich nicht Filme angeschaut, im Hinblick auf 'Oh, ich werde jetzt in Zukunft Regie führen', ich habe nur meinen Film gemacht. Ich bin ins Kino gegangen wie jeder andere auch: als Zuschauer. Und ich habe sie als Zuschauer wahrgenommen. Aber ich habe ein paar Lieblingsfilme und habe dabei festgestellt, dass das, was mich eben am meisten interessiert, die richtige Mischung aus Humor und Drama, ist. Mein Lieblingsfilm aus den USA ist "Forrest Gump", mein französischer Lieblingsfilm ist "Ziemlich beste Freunde", mein Lieblingsfilm aus Kanada ist "Starbuck", mein italienischer Lieblingsfilm ist "Das Leben ist schön" und "Tatsächlich ... Liebe" ist mein Lieblingsfilm aus Großbritannien. Und ich habe gemerkt, dass in diesen fünf Filmen auch genau die richtige Menge Humor und Drama enthalten sind.

Ricore: Hätten Sie die Wahl: Mit wem würden Sie denn gern mal in Zukunft zusammenarbeiten?

Kheiron: Wenn Sie mich jetzt fragen würden, mit wem ich gern als Regisseur zusammenarbeiten würde, dann würde ich sagen: Idris Elba und Brad Pitt. Das sind echte Denkmäler. Und die beiden zusammen, das wäre schon was. Bei den Frauen, okay, das klingt jetzt wirklich ein bisschen einfach, aber es wären Meryl Streep und Susan Sarandon. Und als Schauspieler würde ich sehr gern mal mit den fünf Regisseuren arbeiten, die ich eben genannt habe (Robert Zemeckis von "Forrest Gump", Olivier Nakache und Éric Toledano von "Ziemlich beste Freunde", Ken Scott von "Starbuck", Roberto Benigni von "Das Leben ist schön" und Richard Curtis von "Tatsächlich ... Liebe", d. Red.).
Filmfest München 2016/Dominik Bindl
Kheiron stellt in München 2016 "Nur wir drei gemeinsam" dem Festivalpublikum vor
Kheiron: Eltern waren wirklich involviert
Ricore: Sie haben das Leben Ihrer Eltern verfilmt und hierbei Ihren Vater gespielt. Wenn jetzt jemand Ihr Leben verfilmen würde, wen würden Sie sich als Schauspieler wünschen, der Sie spielen soll?

Kheiron: (lacht) Wow. Über diese Antwort muss ich erst mal nachdenken. Ich war jetzt bei über 500 Interviews in allen Ländern, in denen ich bereits war. Aber die Frage hat mir jetzt noch keiner gestellt. (Er lehnt sich zurück, starrt an die hohe Decke der Bibliothek und denkt nach) Oh, einer fällt mir doch ein: Pierre Lemaitre. Er sieht mir zwar nicht ähnlich (Pierre Lemaitre ist 32 Jahre älter als Kheiron, d. Red.), aber ich finde, dass er zurzeit der beste französische Schauspieler ist.

Ricore: Aber mit Maske geht ja bekanntlich alles.

Kheiron: (lacht) Ja, mit Maske vielleicht schon.

Ricore: Wie war die Reaktion Ihrer Eltern, als sie erfahren haben, dass Sie ihr Leben verfilmen wollen?

Kheiron: Naja, meine Eltern kennen mich schon. Und da ich Künstler bin und voller Ideen, haben sie gesagt: "Interessante Idee, die du da hast." Aber sie haben nicht wirklich daran geglaubt, dass daraus wirklich was entsteht.

Ricore: Und als es wirklich soweit war?

Kheiron: Die erste Etappe war es, das Drehbuch zu schreiben. Und als ich das es fertig geschrieben hatte, waren meine Eltern beeindruckt und dachten: Ach, sieh an, er hat es wirklich gemacht! Und das hat ihnen doch schon gefallen. Und dann war es wirklich so, innerhalb von fünf Tagen, nachdem wir es verschickt haben, bekamen wir schon Antworten. Und wir haben es wirklich an alle wichtigen französischen Verleiher und Sender geschickt, wie Canal+, Gaumont, und viele andere, und sie haben tatsächlich alle geantwortet. Und wir haben uns dann einfach den ausgesucht, der am meisten an dieses Projekt geglaubt hat. Es ist wirklich nicht die Regel, dass man innerhalb von fünf Tagen so ein Feedback bekommt, aber meine Eltern waren dann wirklich involviert, sie waren immer dabei, haben die Schauspieler kennengelernt, waren zwei bis drei Mal am Drehort mit dabei - bis in den Schneideraum... Sie kannten das Projekt dann schon ziemlich gut. Sie haben die Werbung im Fernsehen gesehen und das Verrückte ist wirklich, dass obwohl wir uns sehr nahestehen: meine Eltern und ich, haben wir uns nie so oft gesehen wie in den letzten drei Jahren. Das war bis zu vier Mal pro Woche. Und das hat uns wirklich gut getan.
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Kheiron in "Nur wir drei gemeinsam" (Nous trois ou rien, 2015)
Mit Herzblut gemacht
Ricore: Ihre Mutter ist im Film auch wie alle anderen weiblichen Figuren sehr stark dargestellt. Etwas, das man leicht vergisst, wenn man an Iran und Teheran denkt. Wie wichtig war es Ihnen, die Frau als starke Persönlichkeit darzustellen?

Kheiron: Es stimmt. Sie werden in meinen Filmen niemals Frauen nur so als Nebenfiguren, als Hausmutti oder als hübsches Beiwerk sehen. Das kann ich Ihnen versprechen, das wird bei mir niemals der Fall sein. Ich sehe Frauen anders auch weil die Frauen, die ich kenne und über die ich schreibe, eben anders sind. Ich hatte auch gar nicht die Absicht, über starke Frauen zu schreiben, sondern habe einfach über Frauen geschrieben, wie ich sie kenne und sehe. Und so sind sie nun mal. Stark.

Ricore: Sie haben in einem Interview über den Film gesagt: "ich wollte nie einen politischen Film machen". Und trotzdem haben Sie ein sehr starkes politisches Thema aufgegriffen: die Flüchtlingskrise. War es Ihnen wichtig, einen anderen Blick auf das Thema zu werfen?

Kheiron: Ich glaube, jeder französische Film ist irgendwo politisch. Zum Beispiel "Verstehen Sie die Béliers?". In den Béliers geht es nicht nur um das Problem, schwerhörig zu sein oder das Problem der Jugend, es geht in erster Linie um das Problem der Emanzipation, es geht darum, dass ein junges Mädchen sich selbst verwirklichen möchte und Toleranz einfordert. In dem Moment, wo du Toleranz einforderst, bist du schon politisch. "E.T. - Der Außerirdische" ist ein Film über eine Scheidung und nicht über Aliens (lacht). Ich glaube eben, dass jeder Film in irgendeiner Weise politisch ist. Ich habe aber einen Film über meine Eltern gedreht, weil ich finde, dass sie ein unglaubliches Schicksal hatten. Allein, indem ich ihren Weg erzähle, ihren Lebensweg, bin ich politisch. Andererseits ist der Film insofern kein politischer Film, weil er nicht mit dem Zeigefinger zeigt, von wegen "Schaut doch mal her, wie politisch engagiert ich bin." Ich glaube, die Zuschauer verstehen auch diesen Unterschied.

Ricore: Was wäre denn Ihre Wunsch-Message, die sie den Zuschauern vermitteln wollen?

Kheiron: Der Film hat ja wie gesagt mehrere Themen. Und so hat er auch mehrere Botschaften. Es geht um Liebe, Widerstand, Kampf, Empathie, Solidarität, um Kraft, aber auch um Loslassen, ums Abschwören, es hat also unglaublich viele Themen. Das ist vielleicht auch seine Schwäche, dass jeder etwas anderes da rausholt. Aber gestern beispielsweise, nachdem ich den Film gezeigt habe, kamen zuerst zwei junge Frauen auf mich zu, die sagten: "Es ist wunderbar, dass Sie diesen Film gemacht haben. Endlich mal jemand, der was zur Flüchtlingsproblematik und Ihre Lebensweise macht. Es wird ein Referenzfilm für unsere Arbeit mit Flüchtlingen, um das stärker auszudrücken." Und danach kommt ein junger Mann auf mich zu und sagt: "Ich war sechs Jahre alt, als die Revolution im Iran ausgebrochen ist. Und ich bin Ihnen so dankbar, dass Sie endlich was darüber erzählt haben." Man könnte meinen, das sind Leute, die gar nicht den gleichen Film gesehen haben.

Ricore: Der Film zeigt auch, dass man einen positiven Blick aufs Leben haben kann. Egal, was passiert. Fiel es Ihnen persönlich schwer, diesen Blick aufrecht zu erhalten?

Kheiron: Es hat Momente gegeben, gerade was die Dreharbeiten des Films angeht, da bin ich auf Leute gestoßen, die immer sehr bitter und irgendwie ziemlich hart waren. Es gab zwar Leute, die haben den Film in den Himmel gelobt. Aber es gab auch schon harte Kritik von Journalisten und Zuschauern, die gesagt haben: "Ihr Film zeigt zu schöne Gefühle." Ich weiß gar nicht, was sie damit sagen wollen. Schöne Gefühle, was soll das denn sein? Und dann wirft man mir vor, dass am Ende alles gut sei. Das stimmt doch gar nicht, am Ende ist nicht alles gut. Der eine Junge muss wieder ins Gefängnis. Aber der Film zeigt, was Hoffnung ist. Ich verstehe das nicht: Warum wollen einige Leute immer nur, dass alles so hart bleibt, dass alles so traurig bleibt? Das verstehe ich wirklich nicht. Und da habe ich mich auch in einigen Interviews komisch gefühlt, dass ich mich verteidigen musste, dass so was auch möglich ist.

Ricore: Hoffnung ist gut. Können wir denn hoffen, dass Sie noch weitere Filme machen?

Kheiron: Ja, also, ich bin gerade dabei, meinen zweiten Film zu schreiben, und mein Wunsch ist es, dass ich mit meinem Namen für gewisse Qualitätslabel stehen kann. Ich kenn das ja selbst: Es gibt Künstler, die ich sehr bewundere, und die sehe ich dann im Fernsehen, wenn sie sagen: "Ja, schaut unbedingt meinen neuen Film an, den habe ich mit wahnsinnig viel Herzblut gemacht." Und dann sehe ich mir den Film an und denke: Ne, du hast ihn nicht mit Herzblut gemacht, du hast ihn gemacht, weil du dafür Kohle bekommen hast, und du hast uns hinters Licht geführt. Und ich kann Ihnen versprechen, dass ich so was nicht machen werde. Und auch wenn Sie meinen nächsten Film vielleicht nicht mögen werden, werden sie trotzdem erkennen, dass er mit Herzblut gemacht worden ist.

Ricore: Da lass ich mich gern überraschen. Vielen Dank für das Gespräch!

Kheiron: Sehr gern.
erschienen am 29. Juni 2016
Zum Thema
Kheiron wird am 21. November 1982 in Teheran als Nouchi Tabib geboren. Kheirons Eltern flüchten mit ihrem Kind 1984 ins französische Exil nach Paris. Vier Jahre arbeitet Kheiron als Erzieher in einem sozialen Kinder- und Jugendprojekt, während er gleichzeitig an seiner Karriere als Künstler arbeitet - jetzt nennt er sich Kheiron, nach dem Zentauren Chiron aus der griechischen Mythologie.Große Jungs - Forever Young" von Anthony Marciano. 2015 veröffentlicht Kheiron sein erstes Rap-Album mit dem..
Die besten Geschichten schreibt das Leben. Das hat sich auch der französische Komiker, Regisseur und Schauspieler Kheiron gedacht, als er die Lebensgeschichte seiner Eltern erzählt und hierbei selbst die Rolle seines Vaters übernommen hat. Mit der richtigen Mischung aus Komik und Drama hat er einen guten Start mit seinem Debütwerk geschafft.
2024