20th Century Fox
Gore Verbinski mit Hauptdarsteller Dane DeHaan auf der Berliner Premiere
Vater der Piraten
Interview: Gore Verbinski ängstigt Kurbadbesucher
Gore Verbinski ist der Vater des "Fluch der Karibik"-Erfolgs. Nach drei sehr erfolgreichen Teilen verlässt er die Filmreihe. Der 1964 geborene Regisseur inszeniert den Animationsfilm "Rango" und den mystischen Western "Lone Ranger" mit seinem Lieblingsstar Johnny Depp. "A Cure for Wellness" inszeniert er überwiegend in Deutschland. Der intelligente Mystery-Thriller begleitet Dane DeHaan als Jungunternehmer Lockhart in ein abgelegenes Sanatorium in den Schweizer Bergen, wo er einen Manager abholen soll.
erschienen am 27. 02. 2017
20th Century Fox
Regisseur Gore Verbinski wirbt in Berlin für "A Cure for Wellness"
Neue visuelle Realität
Nach einem Autounfall erwacht er mit eingegipstem Bein und taucht tief in die Welt von Bädern und Massagen ein, in der Menschen auf mysteriöse Weise verschwinden. Auf der Suche nach Antworten stößt er auf die geheimnisvolle Geschichte des Ortes, eine esoterische Schönheit (Mia Goth) und einen diktatorischen Arzt und Klinikleiter (Carl Lumbly).

Ricore Text: Nach zwei Ausflügen in die Wüste kehren Sie zum Wasser zurück. An welche Quellen knüpfen Sie an?

Gore Verbinski: Thomas Manns "Zauberberg" inspirierte die Atmosphäre des Müßiggang lebender, reicher Kurpatienten. Auch bei ihm wird die Kur zum Alptraum, nur auf einer anderen Ebene. "A Cure for Wellness" wurde von den Phantasien Edgar Allan Poes und den Märchen der Romantik beeinflusst. Ich spiele auch mit dem jahrhundertealten Wunsch, ewig jung zu bleiben und nie zu sterben sowie dem Geist der Wissenschaft jener Epoche. Einige Forscher dachten damals, sie könnten Leben und Naturgesetze überlisten. Bei ihren Experimenten haben sie ethische und moralische Grenzen überschritten.

Ricore: Von Geistern kommen Sie aber auch in diesem Film nicht los?

Verbinski: Das Kino ist der Ort, wo unsere Träume und Phantasien mit der Wirklichkeit zu einer neuen, visuellen Realität verschmelzen. Daher packe ich den Zuschauer gerne am Schopf und verfrachte ihn in unbekannte Welten, an denen uns unsere Geister einholen. Dieser Film funktioniert jedoch anders als "Fluch der Karibik" oder "Lone Ranger". Wir wünschen uns schnell, dass die Geister, die uns hier eingeholt haben, schnell wieder verschwinden.

Ricore: Die gesellschaftlichen Metaphern sind nicht zu übersehen.

Verbinski: Der Film reflektiert den Zeitgeist, er spielt mit den Ängsten, die uns heute verwirren. Die Welt wird mit jedem Tag irrationaler. Wir errichten neue Mauern. Viele Amerikaner fürchten, wir treiben auf einen neuen Krieg zu. Die alten Gewissheiten sind verschwunden. Meine Frau und mich treibt die Sorge um, dass unsere Söhne trotz guter Schul- und Uniausbildung ihren Weg nicht machen können, wenn sie sich nicht willenlos ans System anpassen. Der materielle Erfolg ist der alleinige Maßstab für den Wert eines Menschen geworden. Lockhard ist ein Narziss, er denkt nicht daran, was sein Treiben andere kostet. Das macht ihn zum idealen, skrupellosen Mitläufer. Er würde für den Erfolg seiner Mission über Leichen gehen. Er glaubt, dass man mit Geld alles regeln kann. Er kann sich daher nicht vorstellen, dass Menschen aus diesem System aussteigen wollen. Zugleich sucht er stets eine Form der Absolution, er fühlt sich für nichts verantwortlich.
20th Century Fox
Regisseur Gore Verbinski ("A Cure for Wellness")
Gore Verbinski: wir treiben auf einen neuen Krieg zu
Ricore: Zugleich können sich nur Reiche solche Kuren leisten, die im Schnitt zehn Jahre länger leben als ärmere Mitbürger?

Verbinski: Auch das ist ein Denkanstoß. Sie denken, sie werden gesund, bleiben aber Teil eines Systems, das sie ausspuckt, wenn sie nicht länger funktionieren.

Ricore: Hatten Sie Schwierigkeiten den Stoff durchzusetzen?

Verbinski: Diese Wiederstände bin ich gewohnt. Kein Mensch in Hollywood sah kommerzielles Potential in "Piraten der Karibik". Vor dem Dreh von "Lone Ranger" wollten mich alle überreden, einen klassischen Western zu inszenieren und Johnny Depps exzentrische Rolle auszulassen. Aber genau sie hat mich gereizt. Also bin ich zwei Schritte zurückgegangen, um meine Visionen zu verwirklichen. Ich verfügte für die Fortsetzungen der "Piraten der Karibik" über enorme materielle Ressourcen. Wäre ich im Mainstream geblieben, hätte ich weiter aus dem Vollen schöpfen können. Aber ich habe mich entschieden, mit einem niedrigeren Budget nach Deutschland zu gehen.

Ricore: Sie haben nie bedauert, bei den "Piraten" ausgestiegen zu sein?

Verbinski: Wenn man nichts mehr lernen kann und alles erreicht hat, sollte man gehen. Ich hatte alles gegeben, was ich konnte, und lief Gefahr, mich in einer Komfortzone einzurichten. Das hat mich geängstigt, also habe ich mich an einem Animationsfilm versucht.
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Bildgewaltig: Gore Verbinski' "A Cure for Wellness" (2016)
Verliebt in Sanatorium von Beelitz
Ricore: Wie ist der Kontakt zu Babelsberg entstanden?

Verbinski: Ich habe in der Schweiz, Österreich und Rumänien gesucht. Aber nur in Deutschland habe ich relativ nahe alle Orte gefunden, die meinen ästhetischen Vorstellungen entsprachen. In das Sanatorium von Beelitz habe ich mich sofort verliebt. Wir mussten nur einige Umbauten vornehmen. Auch der Bahnhof von Oberhof, Zwickau, Schraplau bei Halle/Saale und Tübingen waren ideal für unsere Zwecke.

Ricore: Aber haben Sie nie befürchtet, dass die Geschichte zu kompliziert für Zuschauer in den USA ist?

Verbinski: Die Zuschauer sind schlauer als Hollywood denkt. Viele Filmemacher leiden unter dem Zwang, nur noch Varianten bestimmter Erzählmuster abzuliefern. Ich will das nicht verteufeln, das Popcornkino hat seinen Platz. Aber es ist schwierig geworden auszubrechen. Ich bin aber weiter überzeugt, es macht den Reiz des Geschichtenerzählens aus, gemeinsam mit dem Zuschauer unbekannte, geheimnisvolle Welten zu erkunden, ihn mit falsche Fährten zu verwirren und bis zum Ende zu überraschen.

Ricore: Können beliebten Serien zu einer Renaissance anspruchsvollerer Erzählstrukturen im Kino beitragen?

Verbinski: Ich hoffe, dass sie mit ihrer Vermutung Recht haben. Viele Leute sind nicht mehr bereit, in ein Kino zu fahren und einen Film inmitten Fremder anzusehen. Im Moment funktioniere beinahe ausschließlich verrückte Event-Filme oder irgendetwas, woran der Zuschauer andocken kann. Einen Bestseller, einen Star. Über diesem Trend geht die Mitte verloren. Jeder sehnt sich nach den wunderschönen Original-Geschichten, diesen Überraschungserfolgen, die unser Herz betörten. Nur leider sind die Zuschauer nicht mehr neugierig, sich solche Filme in großer Zahl anzusehen.

Ricore: Danke für das Gespräch.
erschienen am 27. Februar 2017
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Vor seiner Geburt siedelt Gore Verbinskis Familie von Polen nach Amerika. Dort wird er 1964 als Gregor Verbinski in Tennessee geboren. Schon im Teenageralter dreht er kleine Werke mit einer 8mm-Kamera. Nach dem Studium der Filmwissenschaft an der Mäusejagd". Die folgenden Arbeiten gehören verschiedenen Genres an. Mexican - Eine heiße Liebe" und danach für den Horrorfilm "Ring" (2002) verantwortlich. 2003 dreht Verbinski den ersten Teil der "Fluch der Karibik"-Reihe, die sich zu einem der..
Frauenschwarm Dane DeHaan kommt im vornehmen Schweizer Kurort einer dunklen Machenschaft auf die Spur. Düsterer Horror-Thriller von Gore Verbinski ("Fluch der Karibik"). Der lotet in dem stilistisch sehr anspruchsvoll fotografierten "A Cure for Wellness" die Abgründe der menschlichen Seele aus.
2024