Picture Tree International/epo-film
Martina Gedeck in "Wir töten Stella" (2017)
Fulminante Karriere:
Interview: Martina Gedeck zu "Wir töten Stella"
Martina Gedeck ist Ulrike Meinhof, spielt die Muse in "Das Leben der Anderen" und ist in "Tannbach - Geschichte eines Dorfes" zu sehen. Die an der Berliner Hochschule der Künste ausgebildete Schauspielerin beginnt ihre fulminante Karriere in den Achtzigern auf der Bühne und in kleinen Nebenrollen. Ihren Leinwanddurchbruch gelingt ihr mit "Bella Martha". Auf der Berlinale 2013 ist sie das Gesicht der Literaturverfilmung "Die Wand". Gedeck lebt bis zu dessen Tod mit ihrem Kollegen Ulrich Wildgruber zusammen, seit 2005 ist sie mit dem Schweizer Regisseur Markus Imboden liiert. In "Wir töten Stella" spielt sie die gut situierte Hausfrau Anna, die tatenlos zusieht, wie ihr Mann eine Affäre mit einer dem Paar anvertrauten Jugendlichen beginnt.
erschienen am 26. 01. 2018
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Martina Gedeck in "Wir töten Stella" (2017)
Unantastbarkeit des Lebens
Ricore Text: Der Deutsche Journalistenverband hat Ihnen im Zusammenhang mit der Ausstrahlung von "Terror - Ihr Urteil" vorgeworfen, unangemessene Bedingungen für die Autorisierung von Interviews zu stellen, die in der Branche aber üblich sind. Wie fühlten Sie sich in diesem Moment?

Martina Gedeck: Der Vorwurf hat mich überrascht und traurig gestimmt. Seit Jahren führe ich gute Gespräche mit Journalisten. Es gab viele großartige Interviews und Portraits und mir hat dieser Teil der Arbeit immer großen Spaß gemacht. Mich hat auch verwundert, dass vor der Veröffentlichung niemand mit mir gesprochen hatte. Dann hätte sich schnell klären lassen, dass ich nur bei bestimmten Medien auf Grund negativer Erfahrungen bitte, die Überschriften abnehmen zu dürfen.

Ricore Text: Ist es überhaupt möglich, sich eine dicke Haut gegenüber solchen Verletzungen zuzulegen?

Gedeck: Jeder Mensch leidet, wenn er angeprangert oder aus der Gesellschaft ausgeschlossen wird. Früher wurden Menschen verbannt, heute werden sie öffentlich an den Pranger gestellt. Oft zu Unrecht. Das wird dann leider kaum zur Kenntnis genommen, wie die Berichterstattung um Jörg Kachelmann zeigt. Während des Prozesses um die Vergewaltigungsvorwürfe war das Interesse groß, bei den Verhandlungen um seine Rehabilitierung war kaum ein Pressevertreter anwesend. Solch unangemessene Gewichtung beeinträchtigt so ein Leben immens.

Ricore Text: Ärgern Sie sich über negative Kritiken?

Gedeck: Mit ihnen kann ich mittlerweile gut umgehen. Nicht jedem kann gefallen, was ich mache. Bis zu einem gewissen Punkt ist es legitim, dies prononciert auf den Punkt zu bringen. Aber die üble Nachrede, das Wegmobben, das Ausschließen aus der Gesellschaft sind Unarten, die mir gegen den Strich gehen. Vor allem weil es bevorzugt Menschen trifft, die im Mittelpunkt stehen oder ein gutes Image haben.

Ricore Text: Kommen wir zu "Terror" zurück, nach dem Stück können die Zuschauer entscheiden, ob ein Pilot schuldig gesprochen werden soll, der ein von Terroristen gekapertes Flugzeug mit 164 Menschen abschießen ließ, dessen Ziel ein vollbesetztes Fußballstadion war. Wie würden Sie entscheiden?

Gedeck: Mit schuldig. Ein Pilot darf solche Entscheidung nicht alleine treffen und sich über Gesetze und Befehle hinwegsetzen.

Ricore Text: Der Film "Wir töten Stella" ist das Prequel der "Wand". War dies immer so geplant?

Gedeck: Diese kleine Novelle von Marlen Haushofer habe ich lange nicht in Verbindung mit der "Wand" gebracht. Während des Drehs von "Die Wand" habe ich mich oft gefragt, was liegt dieser Geschichte zugrunde? Warum kommt sie in diesen Zustand und zu dieser Geisteshaltung, dass sie von der Welt abgeschnitten ist? Die naheliegende Erklärung waren Schuldgefühle. Sie schreibt und denkt wie jemand, der wahrscheinlich jemanden umgebracht und sich mit dem Töten beschäftigt. In "Die Wand" lernt die Frau zu töten, obwohl ihr das wiederstrebt. Als Julian Pölsler dann mit diesem Drehbuch auf mich zukam, fiel es mir das wie Schuppen von den Augen. "Wir töten Stella" ist die Vorgeschichte zu "Die Wand". Deshalb führt Pölsler auch Motive aus "Die Wand" ein. Hier sehen wir die Frau, die in den Abgrund reingeht, in der "Wand" die Frau, die sich versucht aus dem Abgrund zu befreien.
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Martina Gedeck in "Wir töten Stella" (2017)
Martina Gedeck: Viele Paare werfen zu schnell hin
Ricore Text: Anna sagt im Film, jeder Mensch trage sein Gesetz in sich und es seien ihm Grenzen gesetzt, die er nicht übertreten kann, ohne sich zu zerstören. Teilen Sie diese Einschätzung?

Gedeck: "Mein Gesetz war die Unantastbarkeit des Lebens", sagt sie. Sie setzt sich für die Natur und das Leben ein, beides will sie schützen. Dieses Lebensprinzip hat sie verletzt. Als Stella in ihr Leben tritt, fühlt sich Anna an die eigene Jugend und ihre Träume erinnert und wird mit der fehlenden Lebendigkeit ihres eigenen Lebens konfrontiert. Der Beziehung zu ihrem Mann und ihren Kindern fehlen Wärme und Austausch. Nach Stellas Tod fühlt sie sich, als hätte sie selbst Hand angelegt. Sie hat nichts unternommen, um das Mädchen zu retten. Das bezeichne ich als Trägheit des Herzens, die unter den sieben Todsünden die schlimmste ist. Sie führt zum Grundübel unserer Gesellschaft. Trägheit heißt, dass man sich dem anderen nicht mehr zuwendet und ihm nicht mehr die Hand reicht. Das Herz schlägt solistisch.

Ricore Text: Nicht nur Annas Persönlichkeit strahlt eine ungeheure Kälte aus.

Gedeck: Diese unglaubliche Herzenskälte in dieser Familie hält Anna kaum aus. Ihre Persönlichkeit kann jederzeit implodieren, sie steht vor dem Zusammenbruch. Sie kommt nur schwer aus dem Zustand wieder heraus. Die Folgen beschreibt Marlen Haushofer in "Die Mansarde". Anna wird plötzlich taub. Ihre Psyche ist so angegriffen, das Nervenkostüm liegt so blank, dass sie nicht weiß, wohin mit sich.

Ricore Text: Warum lässt Sie die Affären Ihres Mannes überhaupt zu?

Gedeck: Vielleicht haben sie die Seitensprünge am Anfang gestört, aber nach 20 Jahren Ehe hat sie sich arrangiert. Das kann ich sogar nachvollziehen. Beide akzeptieren, dass sie ihr Eigenleben haben. Sie müssen nicht vollkommen symbiotisch sein und nicht alles voneinander wissen. Aber durch dieses Arrangement hat sie ihn und er sie verloren. Anna hat sich zu sehr abgekapselt. Sie frisst die Verletzungen in sich hinein, weil sie Streit vermeiden will. Sie hat Angst, alles zu verlieren, wenn sie ihn mit ihren Gefühlen konfrontiert.

Ricore Text: Verfallen Frauen heute noch immer in die alten Muster der Abhängigkeit von Mann und Ehe?

Gedeck: Keiner kann mit Bestimmtheit sagen, wie sich der Mensch entwickelt, in den ich mich verliebt habe. Viele Paare werfen zu schnell hin, wenn sie diesen Eindruck haben. Ich weiß aber nicht, ob es immer richtig ist, mit Mitte 40 eine zwanzigjährige Beziehung über Bord zu werfen. Anna ist ja zufrieden mit ihrem Leben. Sie lebt dieses Vertrautheitsmodell mit ihrem Partner, bei dem die sexuelle Begierde in den Hintergrund tritt. Ich persönlich schätze auch sehr, über längere Zeit einem Menschen verbunden zu sein und sich über Dinge, die einem nicht gefallen, auseinanderzusetzen.

Ricore Text: Dann ist die Ehe kein Auslaufmodell?

Gedeck: Das gute, alte Ehemodell, bei dem die Frau zu Hause und der Mann draußen das Geld verdiente und von dem ich sehr profitiert habe, verändert sich. Neue Beziehungsmodelle werden probiert. Man muss nicht mehr für immer auseinandergehen und sich spinnefeind sein. Ich erlebe in meiner Umgebung, dass die alten Partner die neuen akzeptieren und spannende Patchwork-Verbindungen entstehen.

Ricore Text: Ist die Vorbereitung für solch fiktiven Charakter einfacher als die auf den Part der Ulrike Meinhof?

Gedeck: Für die Anna brauchte ich schon eine lange, intensive Vorbereitungszeit. Ich musste eine Chronologie der Geschichte für mich finden, um zu wissen, wo bin ich emotional in der Geschichte bin und welche Entwicklung sie durchmacht. Das war bei Ulrike Meinhof wesentlich einfacher, bei ihr konnte ich mich auf umfassendes Material stützen. Das Spielen war bei der "Wand" einfacher. Die Strukturen sind sehr klar, es gibt keine Verlogenheiten und Fassaden. Der Schauspieler muss einen Blick in die Seele dieser Person ermöglichen. Bei Ulrike Meinhof muss ich dagegen in etwas hineingehen und mir eine Körpersprache aneignen, eine Diktion, eine Gedankenwelt, die mir fremd sind. Das ist eine andere Verantwortung, weil man einem Menschen nicht gerecht werden kann. Das kann nur eine Annäherung sein.

Ricore Text: Danke für das Gespräch.
erschienen am 26. Januar 2018
Zum Thema
Die in München geborene Schauspielerin Martina Gedeck schlug zunächst den klassischen Weg zum Schauspiel ein: Abitur, Schauspielunterricht an der Berliner Hölleisengretl" im gleichnamigen Film von Jo Baier. Das Leben der Anderen" als deutsche Hollywood-Diva. US-Regisseure wie Robert De Niro wurden auf die deutsche Schauspielerin aufmerksam und holten sie etwa für "Der gute Hirte" in die Traumfabrik. Einen Höhepunkt ihrer Karriere markiert Julian Pölslers künstlerisch anspruchsvolle..
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