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Die Känguru-Chroniken (2019)
Unbeeindruckt mit dem Fake-Känguru spielen
Interview: Rosalie Thomass zu "Die Känguru-Chroniken"
Rosalie Thomass lässt sich ungern auf ein Genre festlegen. Nun ist die Münchnerin nach ernsteren Filmen wie "Grüße aus Fukushima" und dem Fernsehfilm "Rufmord" in "Die Känguru-Chroniken" mal wieder in einer Komödie zu sehen. In der Adaption vom Marc-Uwe Klings gleichnamiger Vorlage spielt Gentrifizierung eine zentrale Rolle. Weshalb Thomass dieses Thema so beschäftigt, erläutert sie im Interview mit Filmreporter.de. Darin erfahren wir auch, weshalb die Schauspielerin nie wieder in einer WG wohnen wird.
erschienen am 5. 03. 2020
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Die Känguru-Chroniken (2019)
Unspektakuläres Fake-Känguru
Ricore Text: Wie war es für Sie in "Die Känguru-Chroniken" zusammen mit einem Fake-Känguru vor der Kamera zu stehen?

Rosalie Thomass: Das war recht unspektakulär, denn für mich war die Situation die Gleiche, wie mit allen anderen Schauspielern auch. Denn wir hatten mit Volker Zack einen echten Schauspieler, der heldenhaft die Aufgabe als Känguru gemeistert hat. Er trug einen speziellen Anzug, auf dem diverse digitale Messpunkte angebracht waren, sodass sein Spiel im Motion Capture-Verfahren auf den Computer übertragen werden konnte. Mich und meine Kollegen hat dieser technische Aspekt beim Spielen überhaupt nicht beeinflusst.

Ricore Text: Haben Sie wie Marc und das Känguru schon einmal in einer WG gelebt?


Rosalie Thomass: Ja, sicher. Ich habe früher in München in einer 6er-WG gewohnt, als man hierzulande als Normalsterblicher noch ein WG-Zimmer bezahlen konnte. Das war eine der schönsten Zeiten meines Lebens.

Ricore Text: Haben Sie auch mal außergewöhnliche Mitbewohner gehabt, oder in der WG Skurriles erlebt?


Rosalie Thomass: Ich hatte super Mitbewohner. Wir waren drei Jungs und drei Mädels. Die waren alle älter als ich, denn im Gegensatz zu den anderen ging ich noch zur Schule. Es war bei uns alles ein wenig wild. Gerne wurde bei uns nachts auch mal Schlagzeug geübt [lacht]. Wir hatten zudem einen Balkon, der eigentlich superschön war, aber stets mit Pfandflaschen vollgestellt war. Wenn dann bei uns jemand am Ende des Monats keiner mehr Geld hatte, haben wir zusammen das Pfand weggebracht und sind davon anschließend groß einkaufen gegangen. Nudeln mit Tomatensauce konnte bei uns durchaus ein Festessen sein. Wir hatten eine richtig, richtig gute Zeit und wir haben wirklich gute Partys gemacht. Dafür habe ich auch mal die Schule geschwänzt, wurde allerdings erwischt. Was soll ich sagen? Ich war jung! [lacht]

Ricore Text: Ist die WG-Zeit trotz der schönen Erinnerungen für Sie für immer vorbei?


Rosalie Thomass: Absolut. Ich möchte auf keinen Fall noch einmal in einer WG leben. Je älter die Menschen werden, desto spleeniger und verkrampfter werden sie. Wenn beispielsweise die Ordnungs- oder Sauberkeitsbedürfnisse nicht komplett übereinstimmen, wäre dies belastend. Ich bin zudem jemand, der wahnsinnig gern alleine schläft und krass lärmempfindlich ist. Beides wäre im WG-Leben von Nachteil.

Ricore Text: Eines der großen Themen in "Die Känguru-Chroniken" ist die zunehmende Gentrifizierung. Welche Position haben Sie hierzu?


Rosalie Thomass: Ich habe die Flucht angetreten und wohne nicht mehr in München. Denn ich bin nicht mehr bereit, die Mietpreise in dieser Stadt zu bezahlen. Neben der Frage des Könnens, ist so etwas immer auch eine Frage des Wollens. Ich möchte nicht in einer Stadt leben, in der solch übertriebene Mieten aufgerufen werden und ganz normale Wohnungen von irgendwelchen Investoren weg gekauft werden. Ich verstehe auch überhaupt nicht, weshalb so etwas zugelassen wird. Das ist ja keine Entwicklung, die einen Mehrwert in die Städte bringt. Gerade in Berlin, wo der Film ja spielt, ist das besonders deutlich zu erkennen. Das sind ja keine Menschen, die in den Kiez kommen, um diesen irgendwie zu bereichern, sondern sie zerstören einfach nur das Ökosystem, welches sich dort gebildet hat.

Ricore Text: Lässt sich die fortschreitende Gentrifizierung in den Großstädten denn überhaupt noch aufhalten?


Rosalie Thomass: Ich muss ehrlich sagen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass man das Ganze noch aufzuhalten ist. In München beispielsweise habe ich den Eindruck, dass das Ökosystem schon gekippt ist - so wie ein See, umkippt. Es ist ja so, dass nicht einfach nur die Mieten oder Kaufpreise stark in die Höhe gehen, sondern auch der Kaffee an der Ecke teurer wird, weil der Ladenbesitzer die hohe Pacht wieder reinbekommen muss. Die Preise sind so hoch, dass von vornherein ein großer Teil der Menschen ausgeschlossen werden. Dieses Ausgrenzen von Menschen finde ich falsch und passt mit meinem Weltbild nicht zusammen. Deshalb bin ich von München weggezogen.
X Verleih, Sven Hagolan
Marc-Uwe Kling ("Die Känguru-Chroniken", 2019)
Keinen Blick für Kultur?
Ricore Text: Weshalb haben Besitzer und Investoren keinen Blick für kulturelle Institutionen oder soziale Situationen?

Rosalie Thomass: Es ist eine große philosophische Frage, warum der Mensch immer von allem mehr will und nie mit dem zufrieden ist, was er hat. Vielleicht gibt es Forscher, die das auf darwinistische Ansichten herunterbrechen, dass dieses mehr, mehr, mehr wollen daher kommt, dass man das eigene Überleben sichern will. Mir ist das aber fremd, ich bin anders aufgewachsen. Ich fühle mich durch das Wie und Wo ich geboren bin per se privilegiert. Deshalb habe ich nie das Bedürfnis entwickelt, das große Geld zu scheffeln oder die Weltherrschaft an mich zu reißen. Was den Kapitalismus angeht, bin ich also eher auf der Seite des Kängurus [lacht].

Ricore Text: In München gibt es derzeit die Aktion '6 Jahre Mietenstopp'. Wäre so eine Maßnahme eine Lösung oder nur ein Tropfen auf den heißen Stein?


Rosalie Thomass: Ich finde unglaublich wichtig, dass dies stattfindet. Ehrlich muss ich aber auch sagen, dass ein Mietenstopp zwar schön und gut ist, ein 'Mietenzurück' jedoch viel nötiger wäre. Wir bräuchten ja nicht nur, dass es einfach nur nicht mehr teurer wird, sondern ein Zurückspulen, damit sich alles wieder normalisiert. Denn die Mieten sind schon jetzt so explodiert, dass sie überhaupt keinen realistischen Bezug mehr haben. Trotzdem wäre der Mietenstopp immerhin ein guter Anfang - eine gute Sache, die man unbedingt unterstützen sollte.

Ricore Text: In "Die Känguru-Chroniken" wird zur Lösung des Gentrifizierungsproblems zu unorthodoxen Mitteln gegriffen - im echten Leben ja manchmal auch. Halten Sie so ein, teilweise gewalttätiges, Vorgehen als letztes Mittel für angemessen?


Rosalie Thomass: Film und Realität muss man natürlich trennen. In "Die Känguru-Chroniken" ist alles erlaubt. Wie z.B. dem bösen Großinvestor mehrfach den Porsche kaputt machen. Das so etwas in echt hingegen keine zielführende Lösung ist, dürfte eigentlich auch allen klar sein. Das finde ich auch das Schöne an den Känguru-Geschichten und auch dem Film, dass es einfach gut tut, wenn man mal die Fantasie so frei laufen lassen darf, sodass man sich alles vorstellen kann. Es wäre natürlich zu schön, wenn die Lösung der Probleme im echten Leben so einfach wäre wie im Film. Ich bin da auch ein wenig zwiegespalten: Einerseits ist es wichtig, dass wir nicht ganz das Aufständische, dass anarchische in uns verlieren. Gefühlt werden wir ja immer bequemer. Wir erkennen zwar Missstände, sagen dann aber: Da können wir eh nichts machen. Es ist einfach wichtig, dass wir alle ein wenig aus unserer Komfortzone herauskommen und uns fragen, wo eigentlich der kleine Anarcho in uns ist. Übertreiben sollte man so etwas aber natürlich nicht. Dazu passend gibt es auch das Buch "Empört euch". Da steht eigentlich alles drin, was man wissen muss: Das wir uns empören und unseren Mund aufmachen sollen. Oder Unterschriften sammeln für ein Anliegen, auch wenn die Lage ausweglos erscheint.

Ricore Text: Wie waren Sie als Kind: Obenauf oder eher zurückhaltend und schüchtern?


Rosalie Thomass: Schüchtern bin ich nicht [lacht]. Dennoch habe ich beide Seiten erlebt und als Kind bzw. Jugendliche durchaus meinen Platz im Leben gesucht. Das war vielleicht auch nicht so schlecht, weil man dadurch nachdenkt und merkt, dass es Schwächere als dich gibt, welche deine Unterstützung benötigen. Als ich in der Grundschule war, war gerade Bosnien-Krieg. Damals wurde unserer Klasse einfach ein Mädchen aus Bosnien vorgestellt und neben die Klassenbeste gesetzt, welche ich war, da mir die Schule immer leicht fiel. Sie konnte kein Wort Deutsch, ich konnte kein Wort Bosnisch. Es war für mich trotzdem selbstverständlich, dass ich sie durch den Unterricht begleite. Es gab auch von niemandem irgendwelche Ressentiments. Wir waren vor allem in Angst und Schrecken, was dieses arme Mädchen erlebt haben muss. Es gab bei uns nur den Gedanken, dass wir ihr unbedingt helfen müssen.

Ricore Text: Ist der Umgang miteinander heute anders?


Rosalie Thomass: Ich weiß nicht, was in den letzten 20 Jahren passiert ist. Denn so ein Denken wurde enorm eingeschränkt. Es ist doch eigentlich klar, dass man jemanden hilft, der aus einem Kriegsgebiet flieht.

Ricore Text: Wie gut kennen Sie die Vorlage zu "Die Känguru-Chroniken"?


Rosalie Thomass: Auch auf die Gefahr hin, dass ich vom Fan-Mob gelyncht werde: Ich gestehe, dass ich "Die Känguru-Chroniken" vor dem Film absolut nicht kannte. Wenn überhaupt, habe ich mal was im Vorbeigehen wahrgenommen und gedacht, dass seien Bücher für Kinder. Da wurde ich inzwischen eines besseren belehrt. Die Chroniken sind quasi nur aus Versehen bei Kindern so erfolgreich geworden, denn die Bücher wurden nicht speziell für Kinder geschrieben. Jetzt kenne ich viele Kinder, welche die Bücher auswendig mitsprechen können und jeden Witz kennen.
X Verleih, Stephan Rabold
Die Känguru-Chroniken (2019)
Gemeinsamkeiten zur ökologisch-alternative Maria?
Ricore Text: Was macht "Die Känguru-Chroniken" besonders?

Rosalie Thomass: Das besondere ist, dass Autor Marc-Uwe Kling sich selbst eine hochkomische Figur geschaffen hat, die quasi nichts kann. Er ist ein Kleinkünstler, der nicht besonders begabt scheint, auch nicht so ein richtiger Macher ist und nicht recht aus dem Quark kommt. Das ist in sich schon eine komische Figur. All den Zunder, die Wut und den Ärger, den er vielleicht über die Welt und seine Zustände haben mag, hat Marc dann einem Tier zugeschrieben, welches absolut grenzüberschreitend, laut, hysterisch, übertrieben und unverschämt ist. Ich glaube, das ist ein Geniestreich, weil wir dadurch als Leser und Leserinnen, Zuschauer und Zuhörer einfach mitgehen können, ohne dass wir immer sofort darüber nachdenken müssen wie wir selbst zu den einzelnen Themen stehen. Es gibt einfach immer eine kleine Distanz dadurch, dass der Mitbewohner ein Tier ist.

Ricore Text: Sie spielen in "Die Känguru-Chroniken" die ökologisch-alternative Maria. Welche Gemeinsamkeiten konnten Sie zwischen sich und ihrer Figur entdecken?


Rosalie Thomass: Mir geht es beim Spielen vor allem darum, dass ich vielleicht auch einen Teil von mir entdecke, der zuvor noch nicht so ausgeprägt war. Maria hat extreme Angst vor Nähe und Bindung, weshalb sie gewisse Regeln aufgestellt hat, die eigentlich keinen wirklichen Sinn ergeben, sondern nur zu ihrem Schutz dienen. Vermutlich deshalb, weil sie in der Vergangenheit enorm verletzt wurde. Sie lässt Marc-Uwe mehrmals abblitzen, um sich zu schützen, weil sie so eine Bindungsangst hat. Das ist eine Seite, die ich sicher auch in mir habe, aber nicht besonders auslebe, weil ich so ein Verhalten nicht sonderlich höflich finde und ich privat auch überhaupt nicht jemand bin, der Angst vor Bindungen oder Kontakt mit anderen Menschen hat. Ich bin jemand, der sich gut auf andere einlassen kann und zu anderen Menschen Vertrauen entwickelt.

Ricore Text: Als Schauspieler kann man sich gar keine Berührungsängste leisten, oder? Denn ansonsten könnte man seinen Beruf doch auch gar nicht ausüben.


Rosalie Thomass: [Lacht] Ich sehe das genauso. Ich jedenfalls habe keine Berührungs- und Bindungsängste. In meiner Generation ist so etwas aber ein enorm verbreitetes Phänomen. Die haben alle enorme Bindungsängste. Wenn sie das erste Date haben, machen sie jedem sofort erst mal klar, dass sie nicht vorhaben sich zu binden und man sich ja nicht verlieben soll. Ich denke dann immer: "Ey Leute, was ist denn euer Problem?" Es ist doch nicht schlimm, wenn man nicht die ganze Zeit alleine ist.

Ricore Text: Sie haben bisher sehr viele, sehr unterschiedliche Figuren gespielt. Welche stellte für Sie eine besondere Herausforderung dar?


Rosalie Thomass: Jede Arbeit hat eine besondere Herausforderung, die man dann oft erst feststellt, wenn man sie ausübt. "Eine unerhörte Frau" beispielsweise, war emotional wirklich sehr herausfordernd, da es um eine Mutter geht, die um das Überleben ihres Kindes kämpft. Das war ein sechswöchiger Ausnahmezustand für mich, weil meine Figur wirklich nonstop Angst hat. Wenn man so eine Rolle verkörpert, bewegt man sich am Rande seiner Kapazitäten. Ich bekam einen richtigen Tunnelblick und habe am Wochenende keine Menschen mehr getroffen, weil ich hierzu einfach keine Kraft mehr hatte. Trotzdem würde ich sagen, dass ich diese Rolle wahnsinnig genossen habe. Es ist wie bei einem Sportler, der für einen Wettkampf gerne Spitzenleistungen aus sich herauskitzelt. Dafür trainiert der Sportler genau wie ich bei einer Rolle. Wenn man dann seine Anstrengungen zur Geltung bringen darf, ist man total froh.

Ricore Text: Gibt es eine Rolle, die Sie besonders gerne mal spielen würden oder wo Sie sagen: "Das mache ich auf keinen Fall"?


Rosalie Thomass: Per se ausschließen würde ich erst einmal nie eine Rolle, da mich alles Menschliche interessiert - also auch alle Abgründe. Was ich mir wünsche und woran ich auch gerade arbeite, ist eine richtig gute Komödie. "Die Känguru-Chroniken" ist schon mal ein guter Schritt in die richtige Richtung. Ich finde den Film sehr witzig und fühle mich gut unterhalten. Dennoch habe ich das Gefühl, die Komödie ist ein Bereich, wo wir noch viel Nachholbedarf haben. Die Amerikaner sind uns da viel zu sehr voraus. Es gibt in Deutschland zwar einige Komödien, aber noch fehlt die, welche ich wirklich richtig witzig finde.

Ricore Text: Wird es eine Fortsetzung von "Die Känguru-Chroniken" geben, wenn der Film gut läuft?


Rosalie Thomass: Ob es zu einer Fortsetzung kommt? Da möchte ich mich nur ungern aus dem Fenster lehnen, da ich "Die Känguru-Chroniken" ja nicht produziert habe. Ich kann mir aber vorstellen, dass wir intern mal darüber gesprochen haben, ob man sich eine erneute Teilnahme vorstellen könnte, falls eine Fortsetzung im Raum stehen würde, [lacht].

Ricore Text: Vielen Dank für das Gespräch!
erschienen am 5. März 2020
Zum Thema
Ihr Kinodebüt gab Rosalie Thomass in Marcus H. Rosenmüllers Film "Beste Zeit" von 2006. Doch schon vorher war das Schauspieltalent der 1987 geborene Münchnerin in einigen Hochschulfilmen und Fernsehproduktionen bemerkt worden. Für ihre Darstellung einer Prostituierten in Dominik Grafs "Polizeiruf 110 - Er sollte tot" wurde sie mit dem Thomas Schadts Doku-Drama "Der Mann aus der Pfalz" über Ex-Kanzler Helmut Kohl spielte sie dessen Frau Hannelore. Der vor allem in Bayern erfolgreiche Heimatfilm..
Erst fehlen die Eier, dann das Salz, das Fett, das Mehl und die Rührschüssel. Als der aufdringliche neue Nachbar den Vormittagsschlaf von Möchtegernkünstler und Langzeitphilosophiestudent Marc-Uwe (Dimitrij Schaad) erneut mit seinem Klingeln stört, hat der die Pfanne für die Rühreier bereits in der Hand. Selten wurde den Rechten und den Apologeten des rücksichtslosen Kapitalismus im deutschen Film mit so viel Witz und Einfallsreichtum der Spiegel vorgehalten. Schon jetzt die Komödie des Jahres!
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