Ventura
Jasmila Žbanić
Jasmila Žbanić über Esmas Geheimnis
Interview: Der Krieg endet nicht mit der Kapitulation!
Jasmila Žbanić hat mit "Esmas Geheimnis - Grbavica" einen schwierigen und wichtigen Film geschaffen. Sie erzählt die Geschichte einer Frau, die jeden Tag an die Schandtaten der serbischen Soldaten während dem Jugoslawienkrieg erinnert. Tochter Sara ist das Ergebnis einer Vergewaltigung. Wir trafen uns mit der bosnischen Filmemacherin in München und unterhielten uns mit ihr über das eindrückliche Drama.
erschienen am 5. 07. 2006
Ventura
Mirjana Karanovic in: Esmas Geheimnis - Grbavica
Ricore: Sehen Sie sich als Video Künstlerin oder als Filmemacherin?

Jasmila Žbanić: Ich drücke mich durch verschiedene mediale Formen aus. Ich denke ich bin nicht nur eine Filmemacherin. Ich schreibe Geschichten, ich drehe Videos und ich bin am Theater tätig. Mir gefällt es diese Medien miteinander zu verbinden und mich mit verschiedenen Dingen zu beschäftigen. Aber eigentlich mache ich immer das Gleiche, weil der innere Prozess immer ähnlich verläuft. Nur die Mittel, die ich benutze mit dem Publikum zu kommunizieren sind unterschiedlich.

Ricore: Womit können Sie sich am besten ausdrücken: Film, Schreiben oder Theater?

Žbanić: Alle drei haben ihre Vorteile. Das hängt vom Thema und meinem emotionalen und geistigen Zustand ab. Es ist mir bewusst, dass ich mit einem Film ein breiteres Publikum erreiche. Das könnte ich mit einer Theaterproduktion oder Kurzgeschichten nie schaffen. Abgesehen davon bietet das Theater eine erfüllende Erfahrung. Ab und zu muss ich einfach im Theater arbeiten, weil etwas besonders ist. Der Film gefällt mir, weil ich mit sehr vielen Menschen zu tun habe. Es herrscht oft eine Partyatmosphäre. Menschen verbreiten viel Energie. Als Regisseur muss ich diese Energie in Kreativität umwandeln. Aber wenn ich alleine sein will schreibe ich Kurzgeschichten.
Ventura
Esmas Geheimnis - Grbavica
Ricore: Schreiben Sie für eine Leserschaft oder nur für sich selbst?

Žbanić: Der Schreibprozess ist immer eine persönliche Angelegenheit. Ich habe eine paar Kurzgeschichten veröffentlicht. Ich schreibe nur gelegentlich und meistens konzentriere ich mich auf das Filmemachen. Ich habe meine eigene Produktionsfirma und ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit Filmen. Ich habe es noch nie ernsthaft in Erwägung gezogen ein Buch zu veröffentlichen. Der Film ist mein liebstes Kind aber ab und zu probiere ich etwas anderes aus, weil man aus solchen Erfahrungen immer lernen kann.

Ricore: Was fasziniert Sie an der Bildersprache?

Žbanić: Ich bin von Bildern fasziniert wie jeder andere auch. Es ist selbstverständlich, dass Menschen durch Bilder kommunizieren. Das gehört zu unserer natürlichen Art zu kommunizieren. Der Augenblick in dem wir nach der Geburt zum ersten Mal die Augen öffnen ist ein sehr wichtiger Moment im Leben eines Menschen. Bilder sind eine entscheidende Form der Kommunikation. Für mich sind Bilder wichtig, weil sie emotional sind. Ich liebe Filme, weil Bilder Lichtwellen aussenden, die sich in unserem Gehirn Emotionen auslösen. Mein gesamter Körper reagiert auf Bilder. Ich verspüre den Drang mich durch Bilder auszudrücken

Ricore: Verwenden Sie Aspekte des Theaters in ihren Filmen?

Žbanić: Für diesen Film waren meine Erfahrungen im Theater äußerst nützlich. Vor allem was die Schauspieler anbetrifft. Ich versuche immer Schauspielkurse zu besuchen, um Schauspieltechniken zu verinnerlichen. Ich versuche diese Techniken selbst zu erlernen. Es war mir bewusst, dass dieser Film sehr stark von den Leistungen der Schauspieler abhängt. Wenn die Schauspieler überzeugend sind, werden die Zuschauer ihnen glauben. Dann wird der Film auch funktionieren. Wenn aber die Schauspieler schlecht sind, egal wie gut die Kameraarbeit oder der Schnitt ist, dann wird aus dem Film auch nichts. Deshalb habe ich im Vorfeld der Dreharbeiten mit Schauspielern viel geprobt, um die ideale Paarung zu finden. Das ist für einen Regisseur ungewöhnlich, weil das Budget für solche Proben nicht reicht. Als Student wurde mir beigebracht, dass Du nur eine Woche Zeit hast die Schauspieler auf ihre Rollen vorzubereiten. Aber so musste ich zum Glück nicht arbeiten und ich hoffe so auch niemals arbeiten zu müssen. Ich denke es ist wichtig, dass die Schauspieler ausreichend proben, um sich gut vorbereiten zu können. Sie sollen sich ihrer Sache sicher fühlen wenn sie auf das Set kommen. Dann wissen sie ganz genau wie sie sich vor der Kamera verhalten müssen. So haben sie mehr Zeit zu improvisieren und ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen.
Ventura
Sara (Luna Mijovic) will die Wahrheit wissen.
Ricore: Wie haben Sie den Krieg persönlich erfahren.

Žbanić: Das ist eine schwierige Frage, weil ich meine Erfahrungen nicht in Worte fassen kann. Ich würde einen Therapeuten benötigen, der mir hilft mich zu öffnen.

Ricore: Ist dieser Film für Sie auch eine Therapie?

Žbanić: Ich bin nicht mehr so wütend wie früher. Jetzt kann ich mit der Realität besser umgehen. Teilweise hat der Film schon eine therapeutische Wirkung auf mich. Der Film hilft mir Menschen von einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Weil ich den Krieg überlebt habe, ist meine Grundeinstellung gegenüber den Menschen eine andere. Der Krieg hat mich einschneidend als Künstler und Mensch verändert.

Ricore: Was hat sich an ihrer Karriere nach dem Gewinn des Goldenen Bären geändert?

Žbanić: Es ist noch zu früh darüber zu reden. Im Moment besteht meine Aufgabe darin, für den Film zu werben. Ich weiß nicht wie sich der Erfolg auf mein nächstes Projekt auswirken wird. Ich denke es wird einfacher, Produzenten anzusprechen und die Finanzierung wird sicherlich auch unproblematischer. Aber ich erwarte nicht, dass mir alle Türen offen stehen. Schließlich lebe ich nicht in einer Traumwelt. In Sarajewo hat sich einiges verändert. Viele Leute haben mir gratuliert. So etwas habe ich noch nicht erlebt. Die Menschen waren so stolz, dass sie den Goldenen Bären wie eine gewonnene Fußballweltmeisterschaft gefeiert haben.

Ricore: Wie haben Sie die Schauspieler auf ihre schwierigen Rollen vorbereitet?

Žbanić: Mirjana Karanovic hat viele Berichte und Zeugenaussagen der Frauen gelesen. Wir haben uns mit einigen der Frauen und deren Therapeuten unterhalten. Dadurch hat sie sich viel Hintergrundwissen angeeignet. Wir haben viel mit Luna Mijovic geprobt. Das war wichtig. Nur so konnte sie ihre Rolle genau definieren.
Ventura
Nicht die Hoffnung verlieren!
Ricore: Wie war die Arbeit mit den jüngeren Schauspielern?

Žbanić: Ich hatte Glück, weil die Kinder ernst bei der Sache waren. Sie haben sich sehr gut mit den Erwachsenen verstanden. Luna und Mirjana hatten eine sehr gute Beziehung und das war sehr wichtig. Mirjana ist auf dem Balkan eine sehr bekannte Schauspielerin und hat in über 30 Filmen gespielt. Sie hat viel von ihrer Erfahrung an die Kinder weitergereicht. Wir haben mit den Kindern ein Workshop gemacht und ihnen gezeigt wie man auf Anweisungen am Set hört.

Ricore: Warum haben Sie Grbavica als den Haupthandlungsort ausgewählt?

Žbanić: Grbavica ist ein Stadtteil von Sarajewo, der von der serbischen Armee besetzt wurde. Das war für mich persönlich sehr schmerzvoll. Ich wollte das Wort Sarajewo nicht benutzen, weil es zu kommerzialisiert ist. Ich wollte an den Film von einem ganz bestimmten Gesichtspunkt herangehen. Der Stadtteil hat während dem Krieg sehr schwere Zeiten durchgemacht, ist jetzt aber voll integriert. Das ist wie eine Metapher. Du bist wieder Teil eines normalen Lebens. Übersetzt bedeutet Grbavica Frau mit einem Buckel. Das hat irgendwie gepasst und ich wollte den Film auch so nennen. Man würde sofort merken, dass es sich hier nicht um eine romantische Komödie handelt, sonder um etwas mit dem man sich auseinandersetzen muss. Andererseits fällt es jemanden, der nicht meine Sprach spricht, schwer das Wort auszusprechen. Ich betrachtet das als eine Art Spiel zwischen mir und dem internationalen Publikum. Mir taten immer Leute leid, die den Krieg in Bosnien nicht verstehen. Eigentlich brauchen sie nur drei Minuten, um den Krieg zu verstehen. Wenn sie sich Zeit lassen, Grbavica auszusprechen, werden sie auch den Krieg verstehen

Ricore: Glauben Sie, dass "Esmas Geheimnis - Grbavica" für mehr Aufmerksamkeit sorgen wird?

Žbanić: Ich hoffe es. In Bosnien hat der Film jedenfalls viel verändert. Die Frauen waren in den Medien jahrelang kaum präsent. Die Behörden haben sie nicht als zivile Opfer des Krieges angesehen und das versuchen wir jetzt zu ändern. Parallel zum Film haben wir eine Kampagne gestartet. Wir haben das bosnische Parlament dazu gebracht die Gesetze zu ändern. Mit uns meine ich Frauenorganisationen und meine Produktionsfirma. Die Situation der Frauen bekommt jetzt mehr Gehör. In Deutschland arbeiten wir mit der Medica Mundiale zusammen. Die haben eine Schwesterorganisation aufgebaut, die viel Unterstützung leistet. Ich bin mir sicher, dass der Film die Aufmerksamkeit noch weiter wecken wird. Ich nutze jede Gelegenheit zu verdeutlichen, dass viele der Kriegsverbrecher immer noch frei herumlaufen. Das macht unser Leben sehr schwer. Es ist frustrierend in Europa zu leben und zu wissen, dass sich niemand um diese Verbrecher kümmert. Die Europäische Union könnte etwas dagegen unternehmen, scheint aber kein Interesse daran zu haben. Es ist mir nicht klar warum das so ist.

Ricore: Wie sollte die EU gegen die Kriegsverbrecher vorgehen?

Žbanić: Die EU übt in Bosnien durch seinen Vertreter eine enorme Macht aus. Sie hat die Nationalisten unterstützt und nichts dazu beigetragen, Bosnien zu einem gesunden und normalen Land zu machen. Eine derartige Einstellung kann zu nichts Gutem führen. Jetzt gibt es aber einen Vertreter aus Deutschland und ich hoffe, dass sich die Lage verbessern wird. Die EU gibt viel Geld aus, das nützt aber nichts bis der Krieg fair beendet wird. Ein Krieg ist niemals zu Ende wenn Kriegsverbrecher frei herumlaufen. Das ist für die Opfer frustrierend. Die Menschen haben Angst, also wählen sie die Nationalisten. Wir können nicht über die Zukunft Bosniens reden, bis die EU diese Kriminellen zur Strecke gebracht hat. Meiner Meinung nach hat die EU aus verschiedenen Gründen kein Interesse daran. Aber belassen wir es dabei.
erschienen am 5. Juli 2006
Zum Thema
Während dem jugoslawischen Bürgerkrieg Anafang der Neunziger Jahre wurden über 20.000 bosnische Frauen von serbischen Soldaten systematisch vergewaltigt. Den Massenvergewaltigungen als Kriegsmittel wurde ab 2001 in ersten Prozessen juristisch verfolgt. Doch diese bieten den Opfern kaum Genugtuung. Sie müssen mit den traumatischen Erfahrungen leben und werden durch die Kinder, die aus den Gräueltaten resultieren, täglich an sie erinnert. Auch Esma (Mirjana Karanovic) erträgt seit zwölf Jahren..
2024