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Claude Chabrol
Geistige Umnachtung der Mächtigen
Interview: Chabrol über die Vorzüge des Matriarchats
Er wirkt wie der perfekte Großvater - gemütlich, intelligent, lustig und herzlich. Doch Claude Chabrol ist nicht nur ein Familienmensch, sondern vor allem einer der bekanntesten, erfolgreichsten und produktivsten Regisseure Frankreichs. Mit seinen über 75 Jahren kann er auf beinahe 70 Filme zurückblicken - und ein Ende ist nicht in Sicht. In Berlin spricht Chabrol über "Geheime Staatsaffären", Isabelle Huppert, die Macht der Frauen und die Liebe zur Arbeit.
erschienen am 23. 07. 2006
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Claude Chabrol am Set mit Isabelle Huppert
Claude Chabrol: Ich weiß nicht mehr wo und warum ich hier bin, aber ich stehe jetzt zu Ihrer Verfügung.

Ricore: Betrachten Sie "Geheime Staatsaffären" als einen politischen Film?

Chabrol: Der Film hat durchaus ein politisches Element. Es thematisiert immerhin ein Staatsunternehmen. Aber über meine politische Intention bin ich mir gar nicht sicher.

Ricore: Wollten Sie eine Komödie über Machtmissbrauch drehen?

Chabrol: Auf der einen Seite geht es um Leute, für die Macht Geld und Entscheidungsbefugnis bedeutet. Doch letztendlich sind es nur Trickser und Betrüger, die ihr Vermögen zu mehren versuchen. Viele von ihnen verbringen soviel Zeit wie möglich auf ihren Insel-Anwesen. Deswegen sind sie auch alle so wunderbar braun gebrannt. Auf der anderen Seite gibt es eine normale Person, die jedoch auch in den Einfluss der Macht gerät. Sie greift die Mächtigen an und wird von ihnen angegriffen. Am Ende zerbricht sie daran.

Ricore: Was ist daran komisch?

Chabrol: Unter anderem der reelle politische Hintergrund, der in Frankreich vielen Menschen und letztendlich auch dem Film geholfen hat. Dieser hat wie ein Gag funktioniert. Die Leute versuchten herauszufinden, wer sich hinter welcher Figur verbergen könnte.

Ricore: Was bedeutet Macht für Sie?

Chabrol: Macht wie ich sie um mich herum erlebe, gefällt mir nicht sehr gut. Ich habe das Gefühl, dass sie den Menschen ihre geistige Klarheit nimmt. Macht bedeutet, Druck auf andere auszuüben. Daher erlebe ich Mächtige meist als sehr niveaulos und eben überhaupt nicht geistig klar.
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Geheime Staatsaffären
Ricore: Wie würde eine positive Form von Macht aussehen?

Chabrol: Ideal wäre für mich eine unabhängige Macht. Es ist natürlich nötig, gewissen Leuten Macht zu übertragen, um die Maschinerie am Laufen zu halten. Es ist jedoch sehr schwierig, die richtigen Personen zu finden. Wenn Sie jemanden kennen, der ein Bewusstsein von den Problemen hat und trotzdem klar denken und handeln kann, dann würde ich Sie bitten, mir diese Person vorzustellen. Ich schaue sie mir dann genauer an.

Ricore: Das heißt, Sie kennen niemanden, der dazu fähig wäre?

Chabrol: Bislang nicht, aber das kann sich von heute auf morgen ändern.

Ricore: Vielleicht der eine oder andere Regisseur?

Chabrol: Die Macht des Kinos amüsiert mich, da es letztendlich eine absolute ist. Man hat als Regisseur mehr Macht als ein Diktator und kann machen, was man will. Aber es handelt sich um einen sehr begrenzten Raum und eine sehr begrenzte Zeit. Zudem besteht immer die Gefahr, vom einen auf den anderen Tag von seinem Posten als Regisseur verjagt zu werden. Daher ist es gleichzeitig eine sehr relative Macht, die einem nur für kurze Zeit übereignet wird. Außerdem kann man auch ohne Machtausübung Filme drehen.

Ricore: Hat sich Ihre Arbeitsweise im Laufe Ihres langen schöpferischen Lebens verändert?

Chabrol: Nein, ich glaube nicht, dass ich mich als Filmemacher in den letzten Jahren sehr verändert habe. Ich bin kein Charakter, der Konflikte mag. Ich habe es gern, wenn die Dinge angenehm vor sich gehen. Acht bis neun Stunden Dreh am Tag, sollten schon in einer freundlichen Atmosphäre stattfinden. Das ist anstrengend genug. Es gibt allerdings auch Regisseure oder Schauspieler, denen Stress großen Spaß macht. Sie brauchen ihn und stellen ihn sich her. Das ist absolut nicht meine Art. Im Gegenteil, für mich ist eine familiäre Arbeitsatmosphäre wichtig. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb ich immer mit meiner Familie zusammenarbeite und warum jene, die eigentlich nicht zu meiner direkten Familie gehören, dann auch in diese eintreten.
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Szene mit Patrick Bruel
Ricore: Wie schaffen Sie es, eine so angenehme und familiäre Atmosphäre herzustellen?

Chabrol: Indem ich meine Macht nicht ausübe. Ich bin immer völlig verzaubert, von diesen vielen Leuten, die alles tun, um meine Phantasie und was ich davon zu Papier gebracht habe, in Bilder umzusetzen. Von den Menschen, die sich wirklich ein Bein ausreißen, um mich glücklich zu machen und diesen Text in einen Film umzusetzen. Diese Leute werde ich doch nicht an ihrer Arbeit hindern oder sie anbrüllen. Meistens sind sie auch sehr gut, weil ich mich in ihnen nicht getäuscht habe. Ich wenn ich mich doch getäuscht habe, darf ich sie auch nicht anbrüllen, denn dann ist es mein Fehler. Es passiert allerdings sehr häufig, dass sich Leute einen Sündenbock für ihre eigenen Schwächen suchen.

Ricore: Hegen Sie keine Ruhestandsgedanken?

Chabrol: Das ist eine gute Frage. Nein, ich denke nicht wirklich daran, weil ich das Drehen liebe. Und wenn man etwas gerne tut und anerkannt ist, gibt es eigentlich keinen Grund Aufzuhören. Ich denke auch, dass ich kräftig genug bin. Man muss schon eine gewisse Power haben, um einen Dreh durchzustehen. Und solange ich diese Kraft habe und solange sich mein Hirn nicht verändert, so dass es etwa plötzlich langsamer läuft und ich ein komischer, tattriger Mensch werde, solange werde ich weitermachen. Natürlich vorausgesetzt ich merke das mit dem Gehirn rechtzeitig. Es gibt immer gute Geister um mich herum, die sagen, ich solle aufhören, weil ich einfach zu alt werde. Aber es macht mir einfach so eine große Freude, deshalb drehe ich noch so viel.

Ricore: Sie drehen immer wieder mit Isabelle Huppert - müssen Sie ihr überhaupt noch Regieanweisungen geben?

Chabrol: Sie ist nicht unabhängiger als es andere Schauspielerinnen am Set, aber sie versteht sehr schnell, was ich meine und sie versteht meine Anweisungen bis aufs Komma genau. Außerdem ist sie außergewöhnlich vielseitig. Sie hat bereits eine große Bandbreite an Charakteren gespielt. Hier in diesem Film ist sie sehr stark sie selbst. Man sagt ja häufig, dass der Unterschied zwischen Schauspielern und Komödianten der sei, dass Schauspieler immer aus sich selbst heraus arbeiten, während Komödianten an einem ganz anderen Punkt ansetzen. Und Isabelle ist hier eine unglaublich Mischung aus sehr stark sich selbst und eben einer Komödiantin, die der Figur, die sie darstellt, sehr nahe kommt. Es ist interessant mit ihr zu arbeiten, da sie eine sehr differenzierte Art des Spiels hat und sehr intelligent ist.

Ricore: Sie sagten, dass sie sehr genau umsetzt, was Sie möchten. Inwieweit nimmt Frau Huppert Einfluss auf die Rolle, die sie spielt?

Chabrol: Gar keinen (lacht). Wir schreiben das Drehbuch nicht für sie, sondern einfach so gut wie möglich. Wir geben die Texte vor, die dann die Schauspieler interpretieren und sprechen. Mein Co-Autor und ich stellen beim Schreiben manchmal sehr schnell fest, dass eine bestimmte Rolle für Isabelle Huppert passen würde. Dann ruf ich sie schon mal an und erzähl ihr von dem Projekt. Meistens sagt sie auch ja, nur gestern hat sie mir leider abgesagt, als ich ihr die Rolle einer fetten Frau angeboten habe. Aber das war natürlich nur der Versuch, sie zum Essen zu bringen.
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Isabelle Huppert und Robin Renucci
Ricore: Warum thematisieren Sie starke Frauengestalten so gern?

Chabrol: Ich mag Frauen einfach sehr gerne. Ich finde sie häufig viel mutiger als Männer. Und um ehrlich zu sein, träume ich vom Matriarchat. Da stelle ich mir wahrscheinlich selbst kein sehr gutes Zeugnis aus, denn das bedeutet vielleicht auch, dass ich mir nur wünsche, in die Arme der Mutter zurückzukehren - aber das ist ein anderes Thema. Ich denke, dass es besser wäre, wenn sich Frauen um das Vaterland und die Angelegenheiten der Allgemeinheit kümmerten. Männer können dafür viel besser den Haushalt erledigen. Wenn Frauen die Politik übernähmen, wäre die Welt besser. Jetzt gibt es ja auch eine Kanzlerin in Deutschland.

Ricore: Wird es eine Nachfolgerin von Jacques Chirac geben?

Chabrol: "Madame Le Président" hieße es dann in Frankreich, wenn es denn einmal passieren sollte - da ist die Sprache noch hinterher. Ich denke schon, dass die Entwicklung dahin geht, denn zufällig sind viele Länder in letzter Zeit nicht mehr mit der nötigen Ernsthaftigkeit regiert worden und die Regierenden waren immer Männer. Nach 2.000 Jahren der Diktatur des Mannes, ist es Zeit, die virile Diktatur zu beenden, und etwas Neues zu versuchen. Denn die Ergebnisse sind, mit Verlaub, nicht wirklich berühmt. Wir können das mal 100 Jahre versuchen. Die Männer sind sowieso stärker, die können die Frauen dann auch wieder an den Rand drücken.

Ricore: Sie haben gerade Angela Merkel angesprochen. Inwieweit beobachten Sie die Politik außerhalb Frankreichs?

Chabrol: Sehr aufmerksam. Ich verfolge die Politik in vielen anderen Ländern. In Deutschland war ja die Wahlsituation für alle Beteiligten äußerst unkomfortabel. In Frankreich hätte das ein großes Chaos ausgelöst. Ich finde es sehr bewundernswert, dass es in Deutschland eine so gute Lösung gab, bei welcher der klare Menschenverstand siegte. Ihr Deutschen habt offensichtlich einen größeren Menschenverstand, während Ihr dafür vielleicht weniger poetisch seid.

Ricore: Gibt es eine tiefere Wahrheit übers Filmemachen, die sie gelernt haben?

Chabrol: Man muss die nötige Knete dazu auftreiben.

Ricore: Noch eine einfache Frage zum Schluss: Sind sie Kaffee- oder Teetrinker?

Chabrol: Ich bin der Kaffeetyp. Ich bereite ihn jeden Tag selbst nach einem strikt geheimen Rezept zu. Jeder liebt diesen Kaffe, aber ich werde das Rezept niemandem verraten.

Ricore: Herr Chabrol, vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 23. Juli 2006
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Richterin Jeanne Charmant-Killman (Isabelle Huppert) wird mit einem komplexen Fall beauftragt, der sich um die Veruntreuung und Zweckentfremdung öffentlicher Finanzmittel dreht. Je tiefer sie in die Materie eindringt, desto stärker wird sie mit der macht höherer Dienststellen konfrontiert. Altmeister Claude Chabrol widmet sich in seinem Drama der hoch gehaltenen Justitia - und dem Bild von ihr.
2024