Jean-François Martin/Ricore Text
Sebastian Koch (Venedig 2006)
Sebastian Koch über seine Rolle als guter Nazi
Interview: Nicht an den Deutschen hängen bleiben
Mit zwei Grimmepreisen gehört Sebastian Koch zu Deutschlands renommierten Schauspielern. In Paul Verhoevens grandiosem Kriegsdrama "Zwartboek" wagt sich der 44-jährige nun als humaner Nazi bewusst an eine gewagte Rolle. Privat hatte der Film für den Charaktermimen bereits erste Konsequenzen: Seit den Dreharbeiten sind er und Hauptdarstellerin Carice van Houten ein Paar.
erschienen am 3. 09. 2006
Jean-François Martin/Ricore Text
Carice van Houten und Sebastian Koch sind auch privat ein Paar
Ricore: Herr Koch, gestern feierte Ihr neuer Film "Zwartboek" auf dem Filmfestival in Venedig seine Weltpremiere. Was war das für eine Erfahrung?

Sebastian Koch: Wir waren auf die ersten Reaktionen natürlich wie versessen, vor allem wegen der ungewöhnlichen Machart unseres Films.

Ricore: Was ist daran so speziell?

Koch: Ich habe schon in mehreren Filmen über den Zweiten Weltkrieg mitgespielt, die allesamt auf intensiven Recherchen aufbauten. Dieses Mal wagen wir uns mehr in das Reich der Fiktionen - und mischen teils wahre Geschehnisse mit Spannung, Erotik und Sex. So ein Projekt kann auch schnell in die Hosen gehen. Ich bin froh, dass das nicht der Fall war. Aber ich finde Kontroversen auch wichtig. Seit ich arbeite, versuche ich meine Jobs nicht nur herunterzuspulen, sondern auch Projekte einzugehen, die schief gehen können.

Ricore: Im Falle von "Zwartboek" spielen Sie einen "guten" Nazi.

Koch: Der Deutsche als blauäugig blonder Bösewicht - dieses Bild gibt es bis in die heutige Zeit. Ich muss als Schauspieler massig Rollen ablehnen, in denen irgendwelche Nazis gespielt werden sollen, die einfach nur blöd sind.
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Zwartboek
Ricore: Diese Rolle war also die Ausnahme?

Koch: Zum ersten Mal erzählt eine internationale Produktion von einem Nazi auf menschliche und normale Weise. Ein SS-Führer, der sich in eine Jüdin verliebt - das ist etwas Besonderes. Vor allem fand ich auch gut, dass er auch beleuchtet, dass die anderen Länder um Deutschland nicht nur die Guten waren, sondern auch im Krieg mitgemischt haben. Es kann ja nicht immer alles an den Deutschen hängen bleiben.

Ricore: Der Film "basiert auf wahren Begebenheiten." Was heißt das?

Koch: Meine Rolle basiert auf einem Chef des Sicherheitsdiensts, der sich trotz allem wohl sehr menschlich verhalten hat. Man spricht in seinem Zusammenhang vom "guten Nazi". Das war die Grundidee, die wir Thrillerelementen ausgestattet haben. Fast alles andere ist erfunden und konstruiert.

Ricore: Viele Schauspieler haben generell ein Problem damit, einen Schergen des Dritten Reichs zu spielen, Sie dagegen scheinen nach "Speer und er" und "Stauffenberg" allmählich Gefallen daran zu finden.

Koch: Es geht mir letztlich nur darum, ob eine Rolle gut geschrieben ist, ob das Buch sich interessant liest und wer hinter dem Projekt steht. Ich wollte nach diesen beiden Filmen eigentlich gar keine Uniform mehr anziehen. Aber bei einem Film von Paul Verhoeven wollte ich nicht absagen.
Verleih
Sebastian Koch als mitfühlender Nazi in "Zwartboek"
Ricore: Was mögen Sie an seiner Arbeit?

Koch: "Basic Instinct" und "RoboCop" fand ich nie wirklich toll, aber als ich seine früheren Filme sah, war ich völlig hin und weg. Er hat eine Begabung, aus wenig Geld unglaublich viel zu machen. Man sieht das auch an seinem Film "Soldier of Orange", dessen Thematik wir mit "Zwartboek" in gewisser Weise weiter verdichten. Nach Jahren im Business bezieht er sehr deutlich Stellung, auch was die Kritik an seinen Landsleuten betrifft. Er macht eigenwillige und starke Filme mit einer enormen Wucht. Dieser Mann ist ein Energiewunder. Alles, was er tut, ist sehr authentisch. Zwischen ihm und Holland gibt es eine Hassliebe, weil er das Land damals verlassen hat, um nach Hollywood zu gehen. All das spiegelt sich auch in diesem Film wieder.

Ricore: Nun gibt es inzwischen recht viele Filme über den Zweiten Weltkrieg und das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen...

Koch: Stoffe über den zweiten Weltkrieg haben meist so eine Dichte, dass man nach sechzig Jahren noch immer etwas Neues darüber erzählen kann. Wie sich etwas so ins Bewusstsein der Bevölkerung brennt, hat das eine gewisse Kraft. Wie ein Konzentrat, über das man berichten muss.

Ricore: Müssen sich Deutsche im Jahr 2006 noch schuldig fühlen, oder verjährt die Verantwortung eines Volkes nach mehr als einem halben Jahrhundert?

Koch: Ich glaube nicht, dass man das so sagen kann. Schuld hat nichts mit müssen zu tun, man empfindet sie oder eben nicht. Natürlich entspringt man als Nachfolgegeneration dieser Zeit, auch wenn man nicht beteiligt war. Wir sind die Kinder dieser Verbrechen - aber indem man die Thematik totschweigt, wird man sie auch nicht los. Auch ich spüre nach wie vor Unsicherheit, wenn es um das Thema und unsere Rolle im Zweiten Weltkrieg geht. Aber ich spreche das auch offen aus. Nur durch den gemeinsamen Diskurs kann man diese Knoten lösen.
Zwartboek (holländisches Poster)
Ricore: Hauptdarstellerin Carice van Houten und Sie sind seit den Dreharbeiten ein Paar. Wie kam es dazu?

Koch: Wie das eben so passiert. Wir haben sofort einen gemeinsamen Draht zueinander gefunden, weil wir beide die gemeinsamen Sexszenen mit Humor und Leichtigkeit gespielt haben. Die Chemie hat einfach gestimmt. Aus dieser großen Sympathie wurde schließlich irgendwann mehr.

Ricore: Warum verlieben sich Schauspieler so oft bei Dreharbeiten?

Koch: Mir ist es in dieser Form zum ersten Mal passiert. Deswegen habe ich mich auch anfangs dagegen gewehrt, weil ich Beruf und Privatleben eigentlich nicht vermischen wollte. Aber gerade weil wir uns über das Medium kennen gelernt haben, empfanden wir die Dreharbeiten nicht als seltsam. Für uns war es total natürlich, dass wir privat und beruflich ein Liebespaar spielen konnten.

Ricore: Sie wohnen in Berlin, Carice in Amsterdam. Wie lösen Sie dieses Distanzproblem?

Koch: Das wird sich zeigen. Bislang hatte ich sehr viel Glück, weil ich direkt im Anschluss zu "Zwartboek" in Bochum Theater gespielt habe und somit nur einen Katzensprung von ihr entfernt war. Auch bei den Dreharbeiten zur Fortsetzung von "Rennschwein Rudi Rüssel" konnte ich von Köln immer schnell nach Amsterdam düsen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das auch in Zukunft gut hinbekommen werden.

Ricore: Carice feiert mit dem Film ihre erste große Hauptrolle. Steigt mit einer derartigen Produktionen auch das internationale Interesse an Ihrer Person?

Koch: Mein Erfolg ist nicht über Nacht gekommen, sondern hat sich über die Jahre so ergeben. Für mich gibt es keine Paukenschläge wie etwa bei Carice. Bei ihr bin ich sehr gespannt, was nun alles passieren wird. Ich bin in meinem Fall nicht unfroh darüber, in meinen Erfolg hineingewachsen zu sein. So konnte ich immer bei mir selbst bleiben. Ich habe nie etwas nur wegen des Geldes gemacht und merke, dass ich mit dieser Einstellung eine persönliche Marke hinterlassen habe, die auch vielen Menschen etwas zu geben scheint. Mir wird generell sehr viel Zuneigung entgegengebracht, und das ist ein sehr befriedigendes Gefühl.
erschienen am 3. September 2006
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