Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Gedeon Burkhard
Phantasievoller Schauspieler
Interview: Menschliche Extremsituationen
Die Dreharbeiten zu "Der letzte Zug" gestalteten sich selbst für Vater und Schauspieler Gedeon Burkhard schwierig. Zuerst die Verzögerungen des Drehstarts, dann die beinahe dokumentationsartige Herangehensweise der Regisseure Dana Vávrová und Joseph Vilsmaier. Selbst ein ehemaliger Kommissar hat es da nicht leicht. Aber die Knochenarbeit hat sich gelohnt. Nach Drehschluss kann der neue Held an Semirs Seite sichtlich gelassen seine Zigaretten rauchen. Von Tabak- und Kaffeegeruch umgeben, erzählt der neue "Alarm für Cobra 11"-Star seine Sicht der Dinge über den "letzten Zug".
erschienen am 15. 11. 2006
Concorde Filmverleih
Gedeon Burkhard als Boxer Henry kämpft ums Überleben ("Der letzte Zug", 2006)
Ricore: Das Thema von "Der letzte Zug" hat ein schwer verdauliches Thema. Wie wurden sie mit dem psychischen Druck fertig? Konnten Sie am Abend von den Dreharbeiten abschalten?

Gedeon Burkhard: Nein, abschalten war nicht möglich. Die Arbeit an dem Film war für mich sehr lange. Der Drehbeginn wurde immer wieder verschoben. Dies ist auf der einen Seite sehr unangenehm für einen Schauspieler, denn man will ein Projekt unbedingt machen und muss darauf warten. Auf der anderen Seite hat sich die Vorbereitungszeit verlängert, was im Nachhinein für mich von Vorteil war. Ab dem Moment, wo ich angefangen habe, mich auf diesen Film vorzubereiten, bis zu dem Tag, an dem wir in abgedreht hatten war er Lebensinhalt für mich.

Ricore: Gelang es Ihnen, eine Linie zwischen dem Film und ihrem privaten Leben zu ziehen?

Burkhard: Ich habe mich während der ganzen Zeit mit nichts anderem beschäftigt als mit dem Film. Wir haben endlose Stunden gedreht, danach miteinander die Zeit in der Gruppe verbracht, wir haben uns unterhalten und versucht uns gegenseitig zu inspirieren, uns anzutreiben. Natürlich lässt man auch irgendwann los, aber ich persönlich habe es nicht geschafft, etwas anderes zu machen und einen freien Kopf zu bekommen.

Ricore: Wie haben Sie die Enge des Zuges wahrgenommen?

Burkhard: Meine Figur setzt sich mit der Situation im Zug auseinander. Diese Enge darzustellen und sie selbst zu spüren ist Teil meines Berufes. Ich hoffe, es ist mir auch gelungen, das auch beim Zuseher auszulösen. Aber selbst als Schauspieler hat man sehr viel von dem gespürt, was unsere Figuren spüren, sonst kann man das gar nicht spielen.
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Auch Sibel Kekilli als Ruth ist am Rande ihrer Kräfte ("Der letzte Zug", 2006)
Ricore: Das Schicksal der Kinder im Film geht einem sehr nahe. Sie sind selbst Vater, hat sich an ihrem Verhältnis zu ihrer Tochter etwas geändert?

Burkhard: Wenn man selbst Kinder hat, besitzt man andere Möglichkeiten mit der Phantasie zu arbeiten. Zum Beispiel wie man sich als Familienvater in so einer Situation fühlt. Jeder der ein Kind hat kennt die Angstvorstellung, dass seinem Kind etwas passieren könnte, etwa dass es die Treppe hinunter fällt. Da gibt es endlose Horrorszenarien, die man sich als Eltern ausmalt. Wenn man dann die Figur eines Familienvaters in so einer Situation spielt, ist es natürlich von Vorteil, selbst Familienvater zu sein. Man kann grundsätzlich alles, was man im eigenen Leben hat benützen, um zu versuchen, über die Phantasie Brücken zu dieser unvorstellbaren Situation zu schlagen.

Ricore: Wie sind ihre Erwartungen in Bezug auf die Aufnahme des Films in der Öffentlichkeit?

Burkhard: Ich bin sehr gespannt zu sehen, wie der Film aufgenommen wird. Ich bin ja nur ein Teil dieser Produktion, von diesem großen Team und dem großen Ensemble. Gemacht hat den Film Josephina Vilsmaier und Dana Vávrová, und sie haben ihre Sicht dargestellt. Ich habe das Endprodukt noch gar nicht gesehen, nur eine Rohfassung. Der Film ist sehr schwierig, weil er einen realistischen Blick hat. Durch die realistische Erzählweise vermischten sich für mich fast die Grenzen zwischen Dramaturgie und Dokumentation. Teilweise weiß man nicht, schaut man sich einen Spielfilm an, oder ist es eine Dokumentation. Aber das ist die Art von Realismus in der Bildsprache, die Josef und Dana gewählt haben. Das ist einfach extrem. Und ob das für den Zuschauer funktioniert, kann ich nicht beurteilen. Deshalb bin ich auch unglaublich gespannt, was die Leute zu diesem Film sagen.

Ricore: Gab es Konflikte am Set?

Burkhard: Bei so einer intensiven Zusammenarbeit, treten natürlich psychische und physische Belastungen auf, wir haben Tag und Nacht miteinander verbracht. Wir waren mehreren Extremsituationen ausgesetzt, die dazu führten, dass man an seine Grenzen geht. So entstehen zwischenmenschliche Situationen, die außerhalb der normalen Arbeitsnorm sind. Aber wir hatten keine Streits in dem Sinne, es waren mehr Auseinandersetzungen mit den Figuren, mit dem Film und mit dem Thema des Films.
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
"Ich musste mich erst an den physischen und psychischen Zustand annähern"
Ricore: Haben sie sich auf diese Rolle anders vorbereitet?

Burkhard: Nein, meine Vorbereitung ist für jede Rolle relativ ähnlich, ich setze alles daran und nutze die Zeit, die ich habe. In diesem Fall hatte ich viel Zeit, weil der Film mehrfach verschoben wurde. Zu diesem Thema gibt es viel historisches Material, mit dem ich mich beschäftigen konnte. Ich lebe auch in Berlin und die Geschichte beginnt nun mal in Berlin. Da hatte ich sehr viel Zeit, um mich über die Literatur der Gesamtsituation in Berlin zu der Zeit anzunähern. Ich versuchte mir ein Bild zu schaffen, was die letzten zehn Jahren mit der Figur "Henry Neumann" passiert ist, bis zu dem Zeitpunkt wo der Film beginnt. Also bereits ab der Machtergreifung der Nazis, ab dem Moment wo Henry Neumann nicht mehr arbeiten kann und wo die Unterdrückung beginnt. Die Überlebenssituation für eine jüdische Familie in Berlin bis 1943 wurde immer schwieriger. Ich musste mich erst an den physischen und psychischen Zustand annähern.

Ricore: Gibt es in ihrer Familie Verwandte, die ein ähnliches Schicksal wie die Menschen in "Der letzte Zug" durchmachen mussten?

Burkhard: Mein Großvater ist der Deportation knapp entkommen. Er ist geflüchtet und hat sich in Frankreich versteckt. Dort wurde er aufgegriffen. Er hatte damals ein sehr schwieriges Schicksal, aber auch großes Glück. So hat er diese Zeit überlebt. Natürlich gibt es Geschichten aus der Vergangenheit. Mein Großvater kommt aus künstlerischen Kreisen und ist mit vielen Juden befreundet. Teilweise hat er ihnen auch geholfen, Wertsachen aus dem Land zu schaffen, solange dies noch möglich war. Familienangehörige von Freunden unserer Familie sind auch im Holocaust umgekommen. Das war immer ein großes Thema. Aber ich gehöre natürlich zu einer ganz anderen Generation und weiß das alles nur aus Erzählungen.

Ricore: Ihr Urgroßvater war der erste Jedermann in Salzburg...

Burkhard: Richtig. Alexander Moiss.
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"Ein Charakter der einer Extremsituation ausgesetzt ist, ist immer interessant"
Ricore: Könnten Sie sich das auch für Sich vorstellen? Durch ihre Rolle in "Kommissar Rex" haben sie bereits eine große Fangemeinde in Österreich.

Burkhard: Was ich mir vorstellen kann ist eine Sache, was andere Leute sich vorstellen können, ist eine ganz andere Sache. Man wird sehen was die Zukunft bringt.

Ricore: Eine Theaterrolle wäre doch mal eine Abwechslung zu Kino- und Fernsehfilmen?

Burkhard: Theater ist auch Schauspielerei und der Beruf bleibt derselbe. Aber in Berlin habe ich schon Theater gespielt. So hat's mich am Ende auch in die Hauptstadt verschlagen. Zweimal habe ich im Renaissance-Theater gearbeitet. Aber meine erste Liebe gilt dem Film. Ich werde ganz sicher wieder Theater spielen und möchte dies auf keinen Fall missen. Es ist auch etwas, das ich gerne ausbauen möchte.

Ricore: Gibt es eine Rolle, die sie gerne einmal spielen würden?

Burkhard: Eine Frage, die für einen Schauspieler eigentlich nicht zu beantworten ist. Wenn ich wüsste, was ich spielen will, dann würde ich mir einen Autor suchen und sagen, "Du, schreib doch!" Diesen Autor hab ich leider nicht, und kann deshalb diese Frage nicht beantworten. Als Schauspieler sind jegliche Art von Rollen, die vor allem eine Charakterentwicklung, oder einen Charakter der einer Extremsituation ausgesetzt ist, interessante Figuren. So kann man eine menschliche Entwicklung darstellen, oder eben Jemanden, der sich sehr intensiv mit dem Leben auseinandersetzt. Natürlich können auch bei anderen Rollen sehr reizvolle Charaktere dabei sein, weil sie vielleicht extrem in der einen oder anderen Richtung sind. Bei mir ist es so: ich lese etwas und dann ist es eine Herausforderung oder nicht - ich sage ir, so etwas habe ich noch nicht gespielt und ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Für mich ist immer das der Moment, wo ich es auch machen will.
erschienen am 15. November 2006
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Es ist einer der letzten Züge, die von Berlin nach Auschwitz rollen. Er ist voll beladen mit Juden, die in der deutschen Hauptstadt nicht mehr erwünscht sind. Im Zug befinden sich junge und alte Menschen, Künstler und Handwerker. Joseph Vilsmaier gelingt mit "Der letzte Zug" ein unter die Haut gehendes Drama über das Schicksal von Menschen, die den nahen Tod vor Augen einen unbändigen Lebenswillen entwickeln.
2024