Ventura
Jasmila Žbanić
Jasmila Žbanić liebt Berlin
Interview: Jeder Filmschaffende ist politisch
Es war der Überraschungscoup der Berlinale 2006. Als krasse Außenseiterin gewann die bosnische Filmmacherin Jasmila Žbanić mit ihrem Nachkriegsdrama "Esmas Geheimnis - Grbavica" den Goldenen Bären. Sie thematisierte die Nachwirkungen der Massenvergewaltigungen bosnischer Frauen während des Balkankrieges. Beim Berlinale Talent Campus 2007 versucht sie Nachwuchsregisseuren Hilfestellung zu geben. Zum Gesprächstermin im vierten Stock der Berliner Kinemathek stellt sie sich gelassen und entspannt unseren Fragen.
erschienen am 13. 02. 2007
Berlinale Talent Campus/Ventura
Jasmila Zbanic beim Berlinale Talent Campus 2007
Ricore: Wie war das Gefühl den Goldenen Bären zu gewinnen?

Jasmila Žbanić: Es war ein Schockmoment. Für mich war es schon eine große Sache bei so einem wichtigen Festival überhaupt dabei gewesen zu sein, aber das ich den Wettbewerb gewinnen könnte hätte ich niemals gedacht.

Ricore: Hat sie das verändert?

Žbanić: Ich hätte nicht gedacht, dass man soviel Kraft braucht, um Filme zu bewerben und vorzustellen. Davon macht man sich am Anfang eines kreativen Prozesses keine Gedanken. Ich dachte wenn man einen Film macht, dann sagt man darin alles was man zu sagen hat, aber danach wartet noch eine Menge arbeit. Mit dem Erfolg steigt die Anstrengung. All das Drumherum ist neu. Ich musste lernen auch auf anderen Kanälen zu kommunizieren. Insgesamt hat die Promotiontour zu "Esmas Geheimnis - Grbavica" fast zwei Jahre gedauert.

Ricore: Was war es für ein Gefühl wieder zur Berlinale zu kommen?

Žbanić: Es war das erste Mal, dass ich den Triumph von vor einem Jahr realisiert habe. Direkt danach sprang ich auf einen verrückten Zug der mit mir davonraste, ohne dass ich verarbeiten konnte was passiert war. Jeden Tag seit dem Triumph gebe ich Interviews oder habe andere Veranstaltungen. Jetzt kommen die Glücksgefühle zurück von damals.
Berlinale Talent Campus/Ventura
Jasmila Zbanic (l.) mit dem Gewinner des Goldenen Löwen von Venedig 2006, Jia Zhangke
Ricore: Waren Sie seitdem wieder in Berlin?

Žbanić: Ich war einmal hier im Sommer, aber das war nicht das Gleiche. Erst jetzt mit dem schlechten Wetter hat Berlin wieder das Gesicht mit dem ich meinen Triumph verbinde.

Ricore: Haben Sie einen Lieblingsplatz in der Stadt?

Žbanić: Ich mag die Häkischen Höfe in Berlin-Mitte sehr gerne. Dahin kehre ich immer wieder zurück. Meine Kamerafrau lebt hier und ich kenne viele Leute in der Stadt. Ich liebe Berlin, weil es so lebendig ist und einfach zu meinem Charakter passt. Berlin ist groß und die Menschen trotzdem sehr warmherzig.

Ricore: Wie ist die Resonanz in Bosnien gewesen?

Žbanić: Die Leute mochten den Film und waren glücklich über meinen Erfolg, bis auf die serbische Minderheit im Land. Die haben den Film aus politischen Gründen nicht gezeigt. Wir hatten insgesamt 200.000 Zuschauer, was für ein Land mit vier Millionen Einwohnern ein gutes Ergebnis ist.
Berlinale Talent Campus/Ventura
Jasmila Zbanic beim Berlinale Talent Campus 2007
Ricore: Hat eine bosnische Filmemacherin eine besondere Verantwortung?

Žbanić: Generell hat jeder Filmschaffende eine Verantwortung. Nur weil ich aus Bosnien stamme habe ich keine spezielle Verantwortung. Man ist immer für das verantwortlich, was man tut. Ein Künstler will mit vielen Menschen kommunizieren und das impliziert automatisch eine Verantwortung. In dem Moment, wo man ein Massenmedium nutzt, sollte man sich dessen noch stärker bewusst sein. Ich lebe aber in einem Land, in dem vor 15 Jahren ein zerstörerischer Krieg getobt hat, der noch nicht beendet ist, denn noch sind nicht alle Verantwortlichen verhaftet worden. Das ist ein großes Problem für die bosnische Gesellschaft und hindert sie daran, voranzukommen. Über diese Umstände habe ich einen Film gemacht um Dinge sichtbar zu machen. Ich kann die Realität nicht ausblenden.

Ricore: Sind Sie eine politische Regisseurin?

Žbanić: Jeder Filmschaffende ist politisch, es gibt keine unpolitischen Filmemacher. In dem Moment wo jemand einen antipolitischen Film macht, hat er damit genau das Gegenteil erreicht.

Ricore: Was ist das besondere am Berlinale Talent Campus?

Žbanić: Es ist wichtig das Filmemacher untereinander kommunizieren können und die Möglichkeit haben Netzwerke zu bilden. Der Talent Campus unterstützt angehende Filmemacher auf ihrem Weg zur Professionalität. Für Filmemacher auf der Berlinale ist es ein tolles Forum, sich auszutauschen. Das macht die Berlinale unter anderem aus. Es ist eine Hilfestellung, allerdings muss jeder seinen individuellen Weg einschlagen. Netzwerke alleine drehen nämlich keine Filme.
Berlinale Talent Campus/Ventura
Jasmila Zbanic (r.) mit der Direktorin des Berlinale Talent Campus 2007 Dorothee Wenner (l.) und Komponist Jan Kaczmarek
Ricore: Kann ein Film die Welt verändern?

Žbanić: Ich bin nicht blauäugig genug zu behaupten, Filme können eine Menge verändern. Allerdings denke ich schon, dass Filme die Möglichkeit haben Individuen in eineinhalb Stunden Filmdauer emotional zu verändern. Das ist eine kleine Einheit, die sich aber gewinnbringend auswirken kann.

Ricore: Hat Ihr Film etwas verändert?

Žbanić: Wir haben eine Änderung des bosnischen Gesetzes erreicht. Vergewaltigte Frauen werden jetzt auch vor Gericht als Opfer gesehen. Der Erfolg des Films und die mediale Kampagne zur Gesetzesänderung haben sich bezahlt gemacht. Eigentlich war es nicht die Absicht die hinter dem Film steckte, aber durch den Erfolg haben sich die Dinge dann dementsprechend entwickelt, so dass er für viele Bosnier hilfreich war. Im Grunde ist es aber eine überfällige Konsequenz der Nachkriegszeit auf dem Balkan.

Ricore: Sind sie in Bosnien eine Berühmtheit?

Žbanić: Oh ja. Direkt nach der Berlinale 2006 konnte ich nicht auf die Straße gehen. Einen Monat lang musste ich für keine Taxifahrt oder Restaurantbesuch bezahlen. Heute ist es auch noch extrem. Die Leute kommen zu mir, umarmen mich und geben mit Küsse. Sie sind sehr stolz. Für mich ist es eine interessante Erfahrung. Ich freue mich mit meinen Landsleuten. Allerdings beeinträchtigt es mich auch in meinen künstlerischen Prozess. Ich lebe davon unauffällig in Cafe zu sitzen und die Leute stundenlang zu beobachten. Das ist mittlerweile fast unmöglich geworden. In Bosnien ist Anonymität zu einem Fremdwort für mich geworden. Durch den Erfolg wurde es mir aber auch ermöglicht, mich politisch zu engagieren und Dinge in meiner Heimat zu bewegen, von daher ist Popularität ein zweischneidiges Schwert.

Ricore: Haben Sie aktuell ein neues Projekt in Arbeit?

Žbanić: Ich schreibe an etwas, aber es ist noch sehr unfertig.

Ricore: Frau Žbanić , wir bedanken uns für das Gespräch.
erschienen am 13. Februar 2007
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