Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Gregory Nava
Der Welt die Augen öffnen
Interview: Ein Kein-J.Lo-Film!
Die massenhafte Verschleppung und Ermordung von Frauen an der mexikanisch-amerikanischen Grenze ist nicht nur das Hauptthema von "Bordertown", sondern auch traurige Realität. In unserem Gespräch im Regents Hotel in Berlin, spricht Regisseur Gregory Nava nur über die schwierigen Dreharbeiten und die Probleme mit den mexikanischen Behören sowie die Zusammenarbeit mit Jennifer Lopez. Während der Berlinale kam der Film bei den Kritikern nicht gut weg, doch im Angesicht der Filmbotschaft spielt das für den Regisseur nur eine zweitrangige Rolle.
erschienen am 22. 02. 2007
Andrea Niederfringier/Ricore Text
Gregory Nava mit Hauptdarstellerin Maya Zapata auf der Berlinale 2007.
Ricore: Haben Sie keine Angst, mit Ihren Filmen anzuecken?

Gregory Nava: Nein, damit habe ich schon Erfahrung. In meiner Fernsehserie "American Family" kritisiere ich den Irak-Krieg. Der Kongress und die verantwortliche Fernsehstation wollten die Serie stoppen. Ich habe nichts verändert und wir haben sie so ausgestrahlt, wie sie geplant war. Daraufhin wurde die Serie abgesetzt.

Ricore: Sie kritisieren Bush und den Irak-Krieg?

Nava: Die meisten Soldaten unserer Armee sind mexikanischer, lateinamerikanischer oder afrikanischer Abstammung. Sie sind jene Gruppe, die in Amerika selbst unterdrückt werden, gleichzeitig aber die Interessen des Landes im Ausland verteidigen. Ich wollte diese Situation aufzeigen, denn diese Männer sterben für Amerika im Irak und in anderen Kriegsgebieten. Beerdigungen amerikanischen Soldaten werden im amerikanischen Fernsehen nie gezeigt.

Ricore: Wie würden Sie ihre Filme beschreiben?

Nava: Ich glaube es gibt zwei verschiedene Arten, Filme zu machen. Die erste ist jene, Mauern zwischen den Menschen aufzubauen. Ich jedoch bevorzuge es, genau diese Mauern einzureißen. Alle meine Filme sind von dieser zweiten Art. Ich fühle, dass die Menschen solche Geschichten brauchen. Vor allem jetzt. Wir leben in einer Welt, in der die Mauern zwischen den Menschen immer größer werden. Wir müssen diese wieder einreißen.
Falcom Medien
Gregory Nava am Set von "Bordertown".
Ricore: Viele Regisseure träumen davon, mit ihren Filmen die Welt zu verändern. Doch mit der Zeit werden sie desillusioniert. Bei Ihnen hat man das Gefühl, Sie sind nach wie vor enthusiastisch. Was brennt in Ihnen?

Nava: Ich nehme an, ich fühle meine Menschlichkeit. Meine Filme sind über Menschen und menschliche Erfahrungen. Das ist es was mich fasziniert und mich bewegt, mich motiviert und mich einfängt. Das möchte ich auf die Leinwand bringen. Aber natürlich habe ich mich auch verändert. Als junger Filmemacher habe ich viel mehr daran geglaubt, die Welt zu verändern. Dies wird auch in "Bordertown" reflektiert. Aber nach wie vor glaube ich daran, dass der Akt des Versuchs ausschlaggebend ist. Wenn man auch sieht, dass es hoffnungslos ist, man darf nicht aufhören, es zu versuchen. Aufgeben ist noch schlimmer.

Ricore: Mit großen Namen läuft man leicht Gefahr, die Botschaft des Films in den Hintergrund zu rücken? Hatten Sie keine Angst, dass aus "Bordertown" ein J.Lo-Film wird?

Nava: Nein, überhaupt nicht. Für mich ist Jennifer Lopez eine wunderbare Schauspielerin. Sie interessiert sich für die Dinge, die passieren. Sie glaubt an das was sie tut. Jennifer ist für mich außerdem ein guter Freund. Wenn ich an sie denke, dann sehe ich in ihr nicht den großen Star. Daher war ich auch von Anfang an überzeugt, dass sie für die Rolle perfekt ist. Ich kann mir niemand anderes vorstellen, der die Rolle ebenso gut spielen würde wie sie. Jennifer besitzt genau jene Qualitäten die ich für diese äußerst schwierige Rolle wollte.

Ricore: Am Ende ist sie aber wieder die Heldin...

Nava: Für mich ist Eva die Heldin und auch der wichtige Part in diesem Film. Ich wollte einen Charakter, der es ablehnt, diese Opferrolle anzunehmen. Wir sehen zu viele Opfer auf den Leinwänden. Ich wollte keinen Opferfilm drehen. Eva ist kein solches Opfer. Sie ist aus ihrem Grab entkommen, sie ist stark und bereit, etwas gegen diese Situation zu unternehmen. Was allerdings noch niemand angesprochen hat, ist die Tatsache, dass es meist weiße Menschen aus der ersten Welt sind, die arme schwarze oder braune Menschen aus der Dritten Welt retten. Ich nenne diese Leute "Die weißen Retter". Nein! Ich wollte das nicht. Ich wollte keine weiße Journalistin aus New York. Ich wollte eine Latina, die aus dieser Welt stammt.
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Jennifer Lopez und Antonio Banderas in "Bordertown".
Ricore: Wie ist derzeit die Situation in Juárez?

Nava: Es wird nicht besser. Vor kurzem erst wurden erneut drei Mädchen gefunden. Jeden Tag graben die Behörden neue Leichen aus, jeden Tag verschwinden aufs Neue Dutzende von Frauen und junge Mädchen. Die mexikanischen Behörden bestreiten das Problem. Sie behaupten, es sei nur eine große Stadt und wie in jeder großen Stadt werden Menschen umgebracht. Sie wollen das Problem nicht sehen.

Ricore: Worin glauben Sie liegt das Problem?

Nava: Ich glaube der Kern des Problems ist in der Entmenschlichung der Frauen. Sie sind wertlos, bedeuten nichts. Sie können getötet werden, und niemand stört es, es ist egal. Das Problem ist, wie die Welt diese Frauen sieht. Sie haben in unserer globalisierten Welt keinen Platz und keinen Wert. Mit diesem Film wollte ich Menschlichkeit in diese unmenschliche Situation bringen. Ich persönlich glaube, dass viele Leute an den Verbrechen beteiligt sind. Ich gehe so weit, dass ich sage, das ist organisiertes Verbrechen, mit Organ- und Menschenhandel, wahrscheinlich werden auch Snuff-Filme gedreht. Wir beschuldigen im Film ganz bewusst reiche Leute die von der Polizei geschützt werden.

Ricore: War es schwierig für Sie, mexikanische Schauspieler zu finden, die bereit sind, die Polizei samt der Korruption darzustellen?

Nava: Nein, alle Schauspieler waren äußerst kooperativ. Wir erhielten auch sehr viel Unterstützung in Mexiko, auch von den Behörden. Wir haben beispielsweise in Sonora, einer andere Grenzstadt gedreht. Dort hat sogar die Polizei mitgearbeitet. Sie wollten uns helfen. Auch sie sind von den Vorgängen in Juárez traumatisiert. Wir sind zu den Maquilladoras gefahren, und durften dort drehen, was noch niemand gelungen ist. Die Menschen glaubten an uns und haben uns daher in allen Belangen unterstützt. Die Probleme kamen, als wir nach Juárez zum Dreh fuhren. Dort konnte nur die zweite Crew hin, für die anderen wäre es zu gefährlich gewesen. Filmmaterial und Kameras wurden gestohlen und im Hotelzimmer eingebrochen.
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Gregory Nava mit Hauptdarsteller Antonio Banderas in Berlin 2007.
Ricore: Was kann man tun, um die Frauen in Juárez zu schützen?

Nava: Jeder kann etwas tun. Es hilft schon, sich darüber bewusst zu sein. Darüber hinaus kann man mit Amnesty International in Kontakt treten, über ihre Homepage. Es gibt eine ganze Liste die man tun kann, einfache Dinge. Jeder, der auch nur einige Kleinigkeiten macht, hilft dabei, Gerechtigkeit walten zu lassen.

Ricore: Sie haben vorhin die Entmenschlichung von Frauen angesprochen. Wie denken sie über Filme wie beispielsweise "Hostel", wo es nur darum geht, Frauen zu töten?

Nava: Erstens fühle ich mich unwohl, über anderer Leute Filme zu reden. Ich führe Interviews, weil ich über mich und meine Arbeit reden will. Die Antwort darauf habe ich aber schon gegeben: Erinnern Sie sich an die zwei Arten, Filme zu machen? Mauern aufzubauen und Mauern einzureißen? Ich nehme an, solche Filme gehören zu der ersten Art.

Ricore: Wie gehen Sie mit Jennifer Lopez als Schauspielerin um? Ich frage Sie jetzt nicht als Freund von Frau Lopez sondern als Arbeitgeber.

Nava: Ich kenne sie sehr gut. Die Arbeit mit ihr ist sehr leicht. In New Mexiko hatten wir keine Probleme, die Bewohner waren sehr respektvoll. Als wir aber nach Sonora kamen, um die Straßenszenen zu drehen, waren ungefähr 10.000 Neugierige auf der Straße um einen Blick auf sie zu werfen. Wir brauchten den ganzen Tag um die Zuschauer loszuwerden. Haben wir das auf der einen Seite geschafft, so tauchten sie auf der Anderen wieder auf. Dieser eine Tag war wirklich ein logistischer Alptraum. Jennifer selbst ist beim Dreh unkompliziert, auch mit anderen Schauspielerin, sie ist immer pünktlich und man kommt mit ihr sehr schnell voran. Gerade bei diesem Film hat sie selbst sehr viel riskiert. Sie hat sich in die Schusslinie gestellt. Der Film ist kein Karrieresprung, sie hat ihn aus Überzeugung und Leidenschaft gemacht. Daher glaube ich auch, dass sie den Amnesty International Award mehr als verdient hat.

Ricore: Vielen Dank für das angenehme Gespräch.
erschienen am 22. Februar 2007
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Bordertown (Kinofilm)
Gregory Navas Geschichte basiert lose auf der bis heute ungeklärten Mordserie mittelamerikanischer Frauen in Ciudad Juárez Anfang der 1990er Jahre. Alle Frauen arbeiteten in Fabriken, die für die USA Elektrogeräte produzierten. Für seinen Krimi-Thriller verpflichtete Nava zahlreiche namhafte Darsteller. Unter ihnen Antonio Banderas, Jennifer Lopez und Martin Sheen. Gedreht wurde in Mexiko und Albuquerque.
2024