Jean-François Martin/Ricore Text
Ethan Hawke in Venedig (2006)
Ethan Hawke über Ideale, Sorgen und Wünsche
Interview: Unberechenbare Zeiten
Ethan Hawke ist einer der coolen Typen, den Frauen als Lover und Männer als Kumpel haben wollen. Kein Wunder bei einer so guten Filmauswahl: Trotz Kitsch prägte er mit "Wolfsblut" nachhaltig, mit "Before Sunrise" lieferte er ein Musterbeispiel für Romantik und mit "Der Club der toten Dichter" eines der besten Filmwerke überhaupt. Und dann sein Benehmen: Er ist ein grundehrlicher Typ, sehr umgänglich, hochintelligent. Statt pompöser Stargeschichten erzählt er lieber von seiner Mutter und seinem Versuch, das Übel in der Welt am Schopfe zu packen. Ein erster Versuch in diese Richtung ist die bittere Satire "Fast Food Nation", mit der sich Hawke durch die düsteren Seiten der amerikanischen Burger-Industrie wurstelt.
erschienen am 17. 03. 2007
Jean-François Martin/Ricore Text
Ethan Hawke veränderte die Welt, um Mädchen herumzubekommen
Ricore: Mr. Hawke, haben Sie jemals versucht, gemeinsam in einer Gruppe die Welt zu verändern? Ethan

Hawke: Auf der Highschool, aber nur um Mädchen herumzubekommen. Wenn man wie ich nicht brillant Fußball spielen kann, versucht man eben mit intellektuellem Geschwafel zu beeindrucken. (lacht)

Ricore: Hat es wenigstens funktioniert?

Hawke: Nein, ich war nicht smart genug. Jetzt versuche ich mein Glück als Schauspieler. Man hat mir gesagt, mit diesem Job wirkt man schnell intelligenter als man ist. (lacht)

Ricore: In "Fast Food Nation" spielen Sie einen Idealisten. Können Sie sich mit dieser Lebenshaltung identifizieren?

Hawke: Es ist doch so: Viele Menschen verhalten sich gleichgültig, weil sie der Meinung sind, dass sie die Welt sowieso nicht ändern können. Es mag vielleicht stimmen, dass nicht jeder ein Martin Luther King sein kann, aber Veränderung beginnt vor allem im Kleinen. Ein Beispiel: Wenn ich eine Person kenne, die nie lügt und immer ehrlich zu mir ist, sage ich beim nächsten Mal, wenn jemand behauptet, dass jeder lügt: "nein, ich kenne da jemand, bei dem ist es anders!" Der Punkt ist doch, dass wir mit unserem Verhalten immer einen Effekt auf andere ausüben. Wie ich mein Leben lebe, ist deswegen ganz entscheidend!

Ricore: Gerade als Schauspieler sind Sie ja ein beliebtes Vorbild Ihrer Fans.

Hawke: Und auch ich nehme mir wiederum Vorbilder. Wenn ich einen alten Schauspieler treffe, der seinen Job nicht nur wegen des Geldes macht, sondern jungen Schriftstellern und Regisseuren hilft, nehme ich mir daran ein Beispiel. So wird der alte Schauspieler - ohne dass er es weiß oder ohne dass ich mir der Tatsache wirklich bewusst bin - zu einer Art Mentor. So kamen wir auf Onkel Pete, meine Rolle in "Fast Food Nation". Er ist das Gewissen, das dir sagt, dass du nicht bei Burger King arbeiten musst, dass du nicht sein musst wie jeder andere. Meine Lieblingssatz in diesem Zusammenhang: "Wenn du sein willst, wie jeder andere, brauchst du nur das zu tun, was dir jeder sagt." Lang Rede, kurzer Sinn: Ja, es spielt eine Rolle, wie du dein Leben lebst, denn andere werden sich dein Beispiel vielleicht als Vorbild nehmen und ihr Leben nach deinem modellieren.
Senator Film
Ethan Hawke in "Fast Food Nation"
Ricore: Wie kommen Sie damitzurecht, dass Sie für das, was Sie privat und auf der Leinwand tun, angehimmelt werden?

Hawke: Ich habe mich davon gedanklich bereits vor langer Zeit losgesagt. Es kann ziemlich ermüdend sein, wenn du für alles, was du im Stillen tust, immer Verantwortung übernehmen musst. Bei dieser ständigen Überwachung fällt es dann auch sehr schwer, sein Leben mustergültig zu leben. Wenn ich mich mit meinen Kumpels bis sechs Uhr früh in einem Strip-Schuppen betrinke, wird darüber geschrieben. Ständig Rechenschaft ablegen zu müssen - das ist nichts für mich.

Ricore: Haben Sie denn schon öfter unwahre Artikel über sich gelesen, wo Sie sich dachten: Wie bitte? Das bin ich doch gar nicht!

Hawke: Klar, ständig. Ein Bericht hat den Vogel abgeschossen: Da wurde behauptet, ich hätte auf einem Flug nach London zuerst sturzbetrunken Naomi Campbell angebaggert, bis mir schließlich kotzübel wurde. Der Bericht klang so wahr, war so gespickt mit Details, dass der Vorfall wirklich echt zu sein schein: Nur ich wusste, dass ich zum damaligen Zeitpunkt seit fünf Jahren nicht mehr in London war, geschweige denn jemals Naomi Campbell getroffen hatte.

Ricore: Haben Sie je diesem Klatschgeflüster je mit Verleumdungsklagen Einhalt geboten? Damit lässt sich bekanntlich gutes Geld verdienen...

Hawke: Ich würde so etwas niemals tun. Eine Reaktion meinerseits würde dem ganzen doch nur zusätzliches Aufsehen verleihen. Der Mensch tratscht von Natur aus eben gerne. Ob über einen Promi oder über die kleinen Sünden von Tante Susi - das nimmt sich nicht viel. Ich bin inzwischen abgehärtet: Was über die Trennung von mir und meiner Ex-Frau Uma Thurman alles geschrieben wurde, war nicht mehr feierlich. Mich kann nichts mehr erschüttern.

Ricore: Was tun Sie in dieser Welt der Unwahrheiten, um selbst nicht wie ein flatterhafter Mensch zu wirken?

Hawke: Die Antwort ist: Mit Sicherheit noch nicht genug. Ich habe außerdem eine Abneigung gegen politische Aussagen in Kunst. Ich bin der Meinung, dass man nicht politischer sein muss als "Before Sunset".

Ricore: Das war eine Liebesgeschichte, in der sich ein junger Mann und eine Frau nach Jahren in Paris wieder treffen. Was bitte ist daran politisch?

Hawke: Das meine ich damit: Wenn man einen Film über das reale Leben macht, ist das schon politisch genug. In meinem Land haben sich die Dinge ziemlich seltsam entwickelt. Wir leben in unberechenbaren Zeiten. Darüber Filme zu machen ist spannend genug. Wenn man sich als Künstler immer zu allem noch zusätzlich äußert, kann das auch schnell unangenehm wirken. Ich bin eher dafür, sich seine Zeit zu nehmen und nur dann aufzuschreien, wenn es wirklich angebracht ist. Ich habe meine Auftritte in "Lord of War - Händler des Todes" und "Fast Food Nation" - meine letzten beiden wirklich politischen Filme - deshalb sehr genau überlegt.
Senator Film
Szene aus "Fast Food Nation"
Ricore: Hat sich Ihre Einstellung zur Fast Food-Industrie durch die Dreharbeiten verändert?

Hawke: Ich habe jetzt sechs Filme unter der Regie von Richard Linklater gedreht und habe immer noch das Gefühl, von ihm etwas lernen zu können. Jeder von uns hat doch ab und an diese flüchtige Vermutung, dass Fastfood eigentlich von Grund auf schlecht ist, in jeder Beziehung. Für mich war es also spannend, von jemandem die Hintergründe zu erfahren, warum das so ist. Plötzlich begreift man, dass die Probleme nicht unbedingt bei den Fast Food-Unternehmen anfangen, sondern bereits bei der unternehmenspolitischen Gesamthaltung unserer Zeit. Wir leben in einer Kultur, die Geld vergöttert, und die mit großen Firmenzusammenschlüssen bereit ist, zum Schaden von wichtigen Dingen den Profit weiter zu erhöhen. Wir beurteilen andere Mitmenschen heutzutage gerne danach, wie mächtig sie sind und was sie sich alles leisten können. In meinen Augen schmälern wir mit dieser Einstellung genau das, was Menschsein wirklich bedeutet. Wenn wir nur noch die Extreme interessant finden, wissen wir das Normale nicht mehr zu schätzen.

Ricore: Sie treffen Kraft Ihres Jobs andauernd auf neue Menschen. Wen finden Sie interessant?

Hawke: Ich versuche da unvoreingenommen zu sein. Linklater ist einer der interessantesten Menschen, die ich kenne. Meiner Mutter kann ich ewig zuhören. Auch wenn die mich immer fragt, ob ich schon Vegetarier bin. (lacht)

Ricore: Und, sind Sie?

Hawke: Ich esse kein Fast Food mehr und versuche seit etwa fünf Jahren, so wenig Fleisch wie möglich zu essen. In New York fällt mir das nicht schwer, mit dem nötigen Kleingeld in der Tasche bekomme ich das beste vegetarische Essen in großer Vielfalt serviert. Manchmal werde ich trotzdem noch schwach. Aber diese gelegentlichen Ausnahmen sind ja gar nicht der Punkt. Unsere Gesellschaft sollte sich dahingehend entwickeln, dass jeder nur noch gelegentlich Fleisch und Fisch ist. Dann würde sich die ganze Industrie umstellen müssen und die ganzen Massenschlachtungen und Tablettenzüchtungen würden ein Ende nehmen. Müsste jeder seine Tiere selbst schlachten, würden die meisten entweder ganz auf Fleisch verzichten oder nur noch ein bis zweimal pro Jahr zum Messer greifen, das garantiere ich.

Ricore: Fühlen Sie sich in New York noch wohl?

Hawke: Ja, bis auf die Tatsache, dass ich auch hier langsam das Gefühl bekomme, dass die Stadt einer Handvoll Leuten gehört. Starbucks, H & M und GAP an jeder Ecke sind nur wenige Beispiele eines Trends, der mir echt Sorgen bereitet: Die zunehmende Homogenisierung der amerikanischen Bevölkerung. Dieser Entwicklung reicht inzwischen bis in die Filmindustrie: Wenn einer der drei großen Firmen dein Film nicht gefällt, hast du als Filmemacher wenig Chancen, dass eine breite Öffentlichkeit deine Arbeit auch wirklich zu sehen bekommt. Aber wie auch immer: Ich kann ja noch nicht einmal verstehen, dass ein Typ wie Bush wieder gewählt werden konnte. Es gibt in meinem Land so einiges, das ich nicht mehrbegreife.

Ricore: Trotzdem bezeichnen Sie New York nach wie vor als Ihre Heimat?

Hawke: Es ist meine Stadt! Ich habe meinen letzten Film dort gedreht und realisiert, dass ich trotz allem noch immer schwer verliebt in diese Stadt bin. Der Geschmack von Heimat lässt sich schwer woanders schmecken. Allem voran die hervorragende Theaterlandschaft, der meine tiefste Zuneigunggehört.
Jean-François Martin/Ricore Text
New York ist Ethans Stadt!
Ricore: Was ist in Ihren Augen der Grund, warum Sie und Richard Linklater sich so gut ergänzen?

Hawke: Ich schätze zum Beispiel seine langen Proben. Viele Regisseure kommen heutzutage aus der Werbung, und versuchen deshalb Tests zu vermeiden, weil sie in ihren Augen nur Zeit und Geld kosten. Richard ist einer der Regisseure, der noch wirklich an Schauspielerei interessiert ist. Aber eigentlich kann ich diese Frage nicht beantworten, weil sich unsere Zusammenarbeit mehr oder weniger ergeben hat. Wir wissen auch nie, ob das aktuelle Projekt unser letztes ist, oder ob vielleicht noch zehn weitere folgen werden. Ich weiß nur, dass wir schon einiges zusammen durchgemacht haben und dass seine Art des Regieführens auch Einfluss darauf hat, wie ich mein Arbeit als Filmemacher strukturieren möchte.

Ricore: Sie führen derzeit Regie bei der filmischen Umsetzung Ihres Debütromans "Hin und weg", und das, obwohl viele Schriftsteller doch eigentlich der Meinung sind, eine filmische Umsetzung würde ihrem Werk nur schaden.

Hawke: Kann ich natürlich verstehen, aber andererseits merkt man einem guten Drehbuch an, wenn es auf einem Buch basiert. Die Rollen sind dann wesentlich differenzierter, feiner ausgearbeitet, voller Details.

Ricore: Sie schildern in Ihrem Roman die frische Liebesbeziehung eines jungen Pärchens. Wie war es für Sie, nach über einem Jahrzehnt wieder in die Story einzutauchen?

Hawke: Ich hatte während des Filmens ständig das Gefühl, dass es gar nicht meine Geschichte ist. Aber gerade deswegen wollte ich diesen Film drehen, ich wollte als gereifter junger Mann zurückblicken auf diese Sturm- und Drangzeit, auf diese sehr persönliche Geschichte. Ich habe das Buch geschrieben, als ich 21 Jahre alt war. Mit zunehmendem Alter wollte ich die Geschichte immer wieder überarbeiten, sie kam mir immer unvollständig vor. Ich denke, dieser Film ist der unbewusste Versuch, einen reiferen Blick auf die Geschichte zu werfen.

Ricore: Warum spielen Sie nichts selbst?

Hawke: Das wollte ich lieber jemand anderem überlassen. Mit dem 25-jährigen Nachwuchstalent Mark Webber habe ich einen Glücksgriff getan. Er hat mich inspiriert, diesen Film zu verfolgen. Heutzutage wollen so viele junge Schauspieler einfach nur berühmt werden, dass ich diese Gier nach Ruhm regelrecht widerlich finde. Als ich Schauspieler wurde, zählte das Talent. Ruhm hast du geerntet, weil du gut warst, nicht weil du es auf Teufel komm raus wolltest. Die Vorbilder meiner Generation waren die Robert De Niros, die es gerade wegen ihres herausragenden Talents nicht nötig hatten, Interviews zu geben. Das fanden wir cool! Die meisten jungen Schauspieler heutzutage spielen dagegen Rollen, um auf der Titelseite von Magazinen zu landen. Mark Webber ist das genaue Gegenteil - und das fand ich erfrischend.

Ricore: Sie haben "Fast Food Nation" bei den Filmfestspielen in Cannes vorgestellt. Wie kommen Sie mit dieser Einstellung mit all dem Promizirkus zurecht?

Hawke: Aus irgendwelchen Gründen freue ich mich immer wie ein kleines Kind darauf. Vermutlich, weil es schon eine große Ehre ist, seinen Film in diesem illustren Kreise zeigen zu dürfen. Doch dann, nach einem Tag, bin ich des ganzen Zirkus überdrüssig, und möchte nur noch nach Hause. So launisch sind Schauspieler eben manchmal... (lacht)
erschienen am 17. März 2007
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2024