Tzveta Bozadjieva
Der deutsche Fernseh- und Kinostar Ulrich Noethen
Männer, die älter werden...
Interview: Hinsehen, auch wenn's weh tut
Mit Selbstironie und Humor erzählt Ulrich Noethen von den Dreharbeiten zu "Ein fliehendes Pferd". Die Antworten begleitet er mit einem leichten Lächeln, was ihn zu einem charmanten Gesprächspartner macht. Er lässt sich nicht einmal von seinem immer wieder klingenden Telefon aus der Ruhe bringen und setzt seine Rede da fort, wo er aufgehört hat. Ausführlich berichtet Noethen über die menschliche Neigung zur Verdrängung und den Reiz des Kinos.
erschienen am 23. 09. 2007
Concorde Filmverleih
Ein fliehendes Pferd
Ricore: Was hat Sie an der Rolle von "Helmut" gereizt?

Ulrich Noethen: Erstmals war es die Möglichkeit, mit Rainer Kaufmann zu drehen, dann die Vorlage von Martin Walser. Ich hatte den Roman schon früher gelesen, aber das ist schon lange her. Jetzt, wenn man auf die 50 zugeht, dann wird vieles klarer. Und die Rolle selbst hat mir auch zugesagt, ich finde "Helmut" ist eine sehr repräsentative deutsche Figur.

Ricore: Ist Helmut eine typisch deutsche Figur?

Noethen: Ich finde, er ist sehr repräsentativ, aber ich weiß nicht, ob ich soweit gehen würde zu sagen: "Er ist typisch deutsch." Die Rolle hat mich auch Überwindung gekostet. Es sind Sachen dabei, mit denen Männer eher nichts zu tun haben wollen. Sie sagen: "Ich bin so nicht".

Ricore: Ihr Charakter ist nicht immer sympathisch...

Noethen: Nein, überhaupt nicht. Aber der Klaus auch nicht.

Ricore: War die Rolle von Helmut kompliziert?

Noethen: Am Anfang der Dreharbeiten ging Ulli Tukur zu Rainer und sagte: "Kann ich Helmut spielen". Auch ich sprach mit Rainer und wollte Klaus spielen. Klaus wäre einfacher. Ich glaube, wenn man das Drehbuch gelesen und ein paar Sachen verstanden hat, dann geht es. Unsere Aufgabe war es, die richtigen Fragen zu stellen und die richtigen Sachen wegzulassen. Das, was Helmut darstellt, ist in jedem von uns. Nur schaut man nicht unbedingt hin.
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Die Arbeit am Set mit Regisseur Rainer Kaufmann.
Ricore: Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?

Noethen: Die Vorbereitung ist genau hinzusehen.

Ricore: Bei Romanverfilmungen hat das Publikum eine gewisse Erwartungshaltung...

Noethen: Ich als Konsument kann sagen, dass es ein erschütternder Verlust ist, wenn man ein gern gelesenes Buch verfilmt. Es ist naturgemäß jedes Mal eine Enttäuschung. Ein Buch hat, sagen wir mal 200 Seiten, ein Film geht eineinhalb Stunden. Im Buch kann ich viel mehr erzählen. Im Film habe ich einen ganz anderen Eindruck. Die Phantasiebilder, die ich beim Lesen entwickle, werden durch den Film unwiderruflich zerstört. Denn die Kraft der Bilder ist so groß, dass sie sich über die eigene Phantasie schieben. Andererseits hat das Kino die Möglichkeit, alles auf der visuellen Schiene zu erzählen. Dieser Film erzählt jedoch eine andere Geschichte als die Novelle von Walser. Diese dient nur als Vorlage. Jeder, der ins Kino geht, um Walsers Buch bebildert zu sehen, wird enttäuscht sein. Walser ist über diesen Umgang glücklich. Er hat bei der Entwicklung des Drehbuchs mitgewirkt.

Ricore: Gab es besonders schwierige Szenen?

Noethen: Ja, die technischen Schwierigkeiten entstanden bei den Dreharbeiten im Boot in Malta. Das Boot lag zwar in einem großen Becken, aber das war echt ein großer technischer Aufwand. Eine andere schwierige Szene ist die Traumsequenz, in der Helmut den morgendlichen Jogger mit Klaus verwechselt und ihm eine auf die Nase knallt.

Ricore: Es gab einige Komplikationen...

Noethen: Ja. Dank einer speziellen Apparatur kann man in Kampfszenen nun direkt auf die Nase des Gegenübers schlagen, ohne dass man ihn verletzt. Ich habe aber gelernt, dass man eine gewisse Distanz einhalten soll, da der Winkel der Kamera es nicht erlaubt, diese Distanz zu sehen. Naja, Ulrich Tukur hat sich bewegt und das Ding hat sich verschoben. Nun habe ich ja keine jahrelange Erfahrung in Kampfkunst. Im Rausch der Szene schlug ich zu weit und verletzte seine Nase. Dann dachte ich mir: "Warum bist du so blöd? Du weißt doch, dass man es so nicht macht". Es wird mir eine Lehre sein. Der Stunt-Koordinator kann mir 50 Mal was anderes erzählen. Es ist unnötig, Kollegen beim Drehen zu verletzen. Es ist einfach dumm. Es tat mir im Nachhinein sehr leid. Am selben Abend brachte ich Ulrich eine Kiste mit verschiedenen Bodenseeweinen als kläglicher Versuch einer Entschädigung. Er wurde später in Hamburg auf seine dicke Nase angesprochen. Er meinte dann: "Ach, die Kollegen!"
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Ulrich Noethen auf hoher See in "Ein fliehendes Pferd".
Ricore: Wie war Ihre erste Zusammenarbeit mit Rainer Kaufmann?

Noethen: Sehr angenehm. Er ist sehr positiv und strahlt Lebensfreude aus. Dazu ist er sehr gut vorbereitet und weiß ziemlich genau, was er will. Beim Drehen legte er es so an, dass man ohne Druck oder Nervosität an die Szenen herangeht. Das Bett ist vorbereitet, die Decke ist aufgeschlagen, die Matratze ist vorgewärmt. Man braucht sich nur hinlegen und spielen. Es ist toll.

Ricore: Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?

Noethen: Ja.

Ricore: Gibt es Arbeiten, mit denen Sie nicht wirklich zufrieden sind?

Noethen: Ja, aber ich versuche, nicht so viel in der Vergangenheit herum zu graben. Und auch nicht so viel in die Zukunft zu projizieren. Ich versuche das, was im Moment geschieht, zu behandeln. Es gibt Produktionen, mit denen ich gehadert habe, aber es gibt keinen Grund, alte Wunde aufzureißen.

Ricore: Sind Sie schon ein eingespieltes Team mit Katja Riemann...

Noethen: Eingespielt... Wir haben schon öfters zusammen gedreht. In dieser Zeit haben wir gelernt, einander zu vertrauen und wir können uns aufeinander verlassen. Sie ist eine tolle Schauspielerin. Und ist immer aufmerksam. Sie reagiert auf das, was drum herum ist. Es macht Spaß mit ihr zu spielen. Sehr professionell und voller Phantasie.
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Ulrich Noethen und Katja Riemann.
Ricore: Gibt es auch Nachteile einer so langen Zusammenarbeit? Vielleicht verfällt man in schon bekannte Schienen...

Noethen: Ja, aber nicht deswegen, weil man mit einem Partner lange gearbeitet hat. Die Schienen sind in einem selber, es hat nichts mit dem Partner zu tun. Wenn da kein Regisseur ist, der einem Denkanstösse gibt oder sagt: "Versuch mal über eine andere Kante zu denken", dann entsteht eine gewisse Ratlosigkeit. Und man denkt sich: "Na gut, ich mache es so, wie ich es gewohnt bin. Da kann ich mich darauf verlassen, dass der Zug irgendwo ankommt". Das ist eine Form von Eingefahrenheit und da ist der Regisseur gefordert, um den Zug zum Entgleisen zu bringen.

Ricore: Sie haben ihre Karriere auf der Bühne angefangen. Bekommen Sie immer noch Angebote vom Theater?

Noethen: Nein, da ist der Kontakt irgendwie abgerissen. In manchen Köpfen existiert diese Trennung zwischen Theater und Fernsehen. Diese Trennung wird von der Fernsehseite her viel lockerer gesehen. Aber ich empfinde nach wie vor bei den Leuten im Theater eine Art Bundmentalität. Man hat manchmal den Eindruck, Theaterleute sind sich nicht sicher, ob man Fernsehleute überhaupt noch Schauspieler nennen darf. Das ist jetzt sehr überspitzt. Ich schere nichts über einen Kamm, aber es gibt solche Leute und die sitzen im Theater. Mit aller Vorsicht gesagt. Lange Rede, kurzer Sinn. Ich habe den Kontakt zum Theater sträflich vernachlässigt. Ich kann jetzt nicht erwarten, dass jemand anruft und mich einlädt. Es gibt genug andere Schauspieler. Ich bin platt, was für eine junge Generation heranwächst. Wenn wir andere Produktionsverhältnisse wie zum Beispiel in Hollywood hätten, dann müssten wir uns überhaupt nicht verstecken.

Ricore: Ist das Theater eine gute Schauspielschule?

Noethen: Mir persönlich hat es sehr viel gebracht. Die Art und Weise wie mit Drehbüchern und Texten umgegangen wird, oder die technischen Abläufen beim Spielen - all das sind Sachen, die beim Theater Grundwerkzeug sind. Deswegen ist es für einen Schauspieler von großem Vorteil, wenn er auf der Bühne gearbeitet hat.

Ricore: Gibt es Unterschiede zwischen Kino- und Fernsehproduktionen?

Noethen: Die Stoffe sind unterschiedlich. Es ist natürlich ein Unterschied, ob ich auf dem kleinen Bildschirm zu sehen bin oder auf der großen Leinwand. Das eigene Ego wird mehr gestreichelt, wenn man sich auf der Leinwand sieht. Der Nimbus um das Kino wird noch größer gemacht. Das Fernsehen hingegen ist viel selbstverständlicher, tagtäglicher. Kino ist immer noch etwas besonderes, das über das Fernsehen hinausgeht.

Ricore: Sie sind mit einer Kollegin liiert. Gibt es da manchmal Probleme?

Noethen: Das ist nicht leicht. Aber das Problem ist im Moment kein Problem mehr, da sie Theater macht und ich nicht. Da bewegen wir uns in komplett verschiedenen Welten.

Ricore: Vielen Dank für das nette Gespräch!
erschienen am 23. September 2007
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2024