ARD Degeto
Die bitteren Tränen der Petra von Kant

Die bitteren Tränen der Petra von Kant

Originaltitel
Die bitteren Tränen der Petra von Kant
Regie
Rainer Werner Fassbinder
Darsteller
Margit Carstensen, Hanna Schygulla, Katrin Schaake, Eva Mattes, Gisela Fackeldey, Irm Hermann
Kinostart:
Deutschland, am 05.10.1972 bei Filmverlag der Autoren und Futura Film-Verleih
Genre
Drama
Land
Bundesrepublik Deutschland (BRD)
Jahr
1972
FSK
ab 16 Jahren
Länge
124 min.
IMDB
IMDB
|0  katastrophal
brillant  10|
8,0 (1 User)
Meinungen
gunkl (gelöscht) 
Die Psychopathologie einer Beziehung
"Die bitteren Tränen der Petra von Kant" ist ein laut Ulrich Gregor: "...eine Studie in Dekadenz, gegenseitiger Abhängigkeit, Leidenschaft, Raserei und Verzweiflung, in seinem Hang zum Exzess vielleicht das am weitesten vorgetriebene, in der Gestaltung virtuoseste Melodram Fassbinders." Vordergründig geht es um eine lesbische Liebesbeziehung. Der Film setzt sich aber nicht nur kritisch mit dem Thema der gleichgeschlechtlichen Liebe auseinander, sondern allgemein mit den Abgründen menschlicher Liebesbeziehungen. Die dargestellte Beziehung zwischen Petra und seiner Geliebten ist eine "amour fou". Dieses zeigt sich, wenn es um Macht- und Besitzverhältnisse geht. Von Kant will ihre Mitmenschen auf teils sehr subtile Art und Weise gefügig machen, um ihrem krankhaften Drang zum Machtmissbrauch Geltung zu verschaffen. Dieser Missbrauch wird am Ende des Films letztlich auf sie selbst zurückfallen und Petra wird sich von sich selbst entfremden. Petra von Kant befindet sich in der Schwebe zwischen natürlichem und pathologischem Verhalten Die reiche Modeschöpferin lebt mit ihrer Sekretärin Marlene in einer luxuriösen Bremer Dachwohnung zusammen. Von Respekt für ihre "Untergebene" ist aber nichts zu spüren. Sie behandelt ihre Sekretärin Marlene wie eine Sklavin und demütigt sie permanent. Marlene ist für Petra ein devotes Objekt, an dem sie ihren sadistischen Drang auslebt. Abhängigkeit und Unterdrückung prägen die sadomasochistische Beziehung. Dies kommt deutlich in der unterwürfigen Körperhaltung Marlenes gegenüber Petra zum Ausdruck. Durch ihre Freundin Sidonie Baronin von Grasenabb (Katrin Schaake) lernt Petra das australische Model Karin Thimm (Hanna Schygulla) kennen. Karin will sich in Deutschland eine neue Existenz aufbauen. Petra von Kant verliebt sich auf den ersten Blick in sie und lädt sie unter dem Vorwand, mit ihr über eine Model-Tätigkeit sprechen zu wollen, für den nächsten Abend ein. Schamlos nutzt sie die Schwächen der jungen Frau aus und zwingt sie, mit ihr eine Beziehung anzufangen. Karin nimmt sich, was Petra von Kant ihr bietet – Luxus und Beziehungen, bleibt aber ehrlich und gesteht ihr die Beziehungen zu anderen Männern. Das promiskuitive Verhalten Karins zeigt klar die Komplementarität der grenzwertigen Beziehung. Petra ist wütend für Eifersucht. Die Spirale der negativen Gefühle und des Misstrauens beginnt sich zu drehen. Verlustängste nagen an Petra. Das manipulative Verhalten und das Bedürfnis, die Beziehungen zu Karin zu kontrollieren haben den Sinn, diese Verlustangst zu unterdrücken. Petra projiziert nun in Karin ihre Sehnsüchte einbezogen, um das eigene innere Gleichgewicht zu stabilisieren. Das kann sich belastend auf Beziehungen auswirke Eines Tages bekommt Karin einen Anruf von ihrem Mann. Er will sich mit ihr treffen. Petra von Kant, obwohl der Verzweiflung nahe, lässt Karin widerwillig gehen. Zu diesem Zeitpunkt ist ihre Persönlichkeit schon gestört. Beim Abschied wird Petra hysterisch, bezeichnet Karin als "kleine, miese Hure" und spuckt ihr ins Gesicht. Gleich darauf beteuert sie, dass sie Karin liebe. Dieses „Schwarz-Weiß-Denken“ entwertet einerseits die Geliebte, idealisiert sie aber auf der anderen Seite. Es gelingt ihr nicht mehr von emotional bedeutsamen Menschen eine konstante Vorstellung zu behalten. Wir beobachten eine Instabilität von Petras Gefühlen. Sie wird zunehmend impulsiv, hat Probleme sich zu kontrollieren, wirft sich Karin um den Hals. Die Fragilität ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen, insbesondere zu Karin macht die Situation für sie unerträglich. Es fällt ihr schwer, Nähe und Distanz zu regulieren. Die Angst vor zu großer Nähe und vor dem Alleinsein nehmen sie ganz in Besitz. Es kommt vor, dass sie Karin du damit auch sich selbst unbewusst kränkt. Letztlich kann dieser Weg nur in die Autoaggression führen. Die Teufelsspirale beginnt sich zu drehen. Karin erkennt den Ernst der Lage und zieht die Notbremse. Sie zeigt Petra die kalte Schulter und verlässt sie für immer. Nach der Trennung von Karin zeigt sich das ganze Ausmaß der ungesunden Beziehung. Petra hat Existenzängste, fürchtet sich davor, verlassen zu werden, ist einsam und hat Stimmungsschwankungen. Die pathologische Abhängigkeit von Karin zeigt sich in ihrem suchtartigen Verhalten. Jedes Mal, wenn das Telefon klingelt, hofft sie, dass ihre Geliebte sie anruft. Jedes Mal wird sie enttäuscht. Sie hat deutlich Probleme, ihre Wut und Enttäuschung zu kontrollieren. Wie auch in anderen Filmen beschäftigt Rainer Werner Fassbinder sich in "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" mit Menschen, die Beziehungen nach ihrer Nützlichkeit und ihrem Tauschwert beurteilen.
geschrieben am 29.06.2012 um 17:52 Uhr
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