StudioCanal Germany
Das Kapital im 21. Jahrhundert ("Capital in the Twenty-First Century", 2019)

Das Kapital im 21. Jahrhundert

Originaltitel
Capital in the Twenty-First Century
Regie
Justin Pemberton
Kinostart:
Deutschland, am 17.10.2019 bei StudioCanal Germany
Genre
Dokumentarfilm
Land
Frankreich, Neuseeland
Jahr
2019
FSK
ab 12 Jahren
Länge
103 min.
IMDB
IMDB
|0  katastrophal
brillant  10|
8,0 (Filmreporter)
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Zeitreise durch 300 Jahre Wirtschaftsgeschichte
"Make America great again" - spätestens bei diesem Statement erkennt der Zuschauer eine Methode dieses faszinierenden Dokumentarfilms von Justin Pemberton. Beim Gang durch die Ökonomiegeschichte der vergangenen 300 Jahre schwingt stets ein Bezug zur Gegenwart mit. Denn das Zitat stammt von George W. Bush, Ende der 1980er Präsident der USA, in dessen Ägide die Mauer fiel und die hemmungslose Expansion des amerikanischen Kapitals begann, die zur Globalisierung führte.

Der Regisseur nimmt den Zuschauer auf Grundlage von Thomas Pikettys bahnbrechender Analyse des modernen Kapitalismus in seinem Wälzer "Das Kapital im 21. Jahrhundert" mit auf eine leicht verständliche Zeitreise durch drei Jahrhunderte ökonomischer Prozesse. Den ewigen Historikerstreit um das Primat von Ökonomie und dem Gestaltungswillen von Individuen beantwortet der Regisseur wie der französische Wirtschaftswissenschaftler. Die Ökonomie bestimmt Denken, Sein und Gesellschaft.

Der Regisseur beginnt mit einem Blick auf die spätfeudale Gesellschaft Frankreichs und Großbritanniens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der Adel hatte maßlosen Reichtum angehäuft und stellte ihn hemmungslos zur Schau. Diese Elite bestimmte die Geschicke des Landes. Die Armen hungerten. Und auch der Sturm auf die Bastille änderte ihre Situation nicht grundlegend. Die Bourgeoisie übernahm die Macht und verteilte den Reichtum langsam zu ihren Gunsten um.

Wer reich geboren wurde, blieb es. Sozialen Aufstieg gab es nur in Jane Austens schwärmerischen Romanen, wie Pemberton anmerkt. Mitgefühl nur im Weihnachtsklassiker "Der kleine Lord". Der Zorn der Armen über ihre Situation wurde geschickt auf fremde Mächte gelenkt. Wer denkt nicht sofort an die feindselige Stimmung gegenüber Geflüchteten.
Der Film schließt sich mit dieser These im Historikerstreit um die Gründe für den Ausbruch des 1. Weltkrieges jenen an, die eine Kriegsbereitschaft auf allen Seiten ausmachten. Die Deutschland nach der Niederlage auferlegten Reparationen und die Weltwirtschaftskrise begünstigten die Machtübernahme Hitlers. Um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, setzte Deutschland wie auch die USA auf Staatsaufträge, eine starke Regulierung sowie die Rüstungsindustrie. Starke Gewerkschaften entstanden in den USA während des Krieges und später im Wirtschaftswunderland Deutschland. Ihre Macht wurde in Deutschland ausgerechnet von dem Sozialdemokraten Gerhard Schröder gebrochen, in den USA setzte Bill Clinton lachend seine Unterschrift unter das Gesetz zur Aufhebung der letzten Regulierungsgesetze. Sein Nachfolger schaffte es nicht, nach der Krise 2008 einschneidende Gesetze zur Regulierung der Macht des Bankensektors zu erlassen. Gute Aussichten für Trumps Wiederwahl.

Die Drei, vier Dekaden, in denen auch die Arbeiter und die Mittelschicht von den Profiten profitierten, waren Anfang der 1990er vorbei. Sie endeten, wie der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama erklärt, weil das sozialistische Lager zerbrach. Dessen These vom Ende der Geschichte sorgte 1992 für polarisierende Diskussionen und führt bis heute zu einem gravierenden Missverständnis. Die Demokratie breitet sich nicht von selbst aus. Sie hat nur eine Chance, wo ein breites Bürgertum als Träger dieser Idee und mit ökonomischer Macht existiert. Die massenhafte Verlagerung von Arbeitsplätzen nach Asien und die Expansion des Kapitals führte jedoch im Zusammenspiel mit dem Freihandel zu neokolonialen und neofeudalen Strukturen. Oligarchen bereicherten sich maßlos. Autokratische Regierungen übernahmen die Macht, die jedes zarte Pflänzchen mit dem Wunsch nach demokratischen Reformen im Keim ersticken.

Im Westen steigt wieder die Ungleichheit, wie Faiza Shaheen, Gillian Tett und Joseph Stiglitz feststellen. Der Reichtum konzentriert sich wider in den Händen weniger. Die Elite bestimmt die Politik, egal ob über Eliteschulen wie in Frankreich und Großbritannien oder Lobbyismus. Es entstand ein Finanzsystem, das sich von der realen Wirtschaft abgekoppelt hat und nur der Vermehrung des eigenen Reichtums dient. Den demonstrieren sie heute nicht in Versailles, als vielmehr weltweit hemmungslos auf ihren überdimensionalen Yachten und in ihren Villen. Der Kreis schließt sich, der Kapitalismus und die Demokratie mit ihrem 'Anspruch auf Glück' haben ihre Versprechen nicht eingehalten.

Piketty kommt zum gleichen Schluss wie einst Karl Marx. Der Name des Philosophen fällt nie, und das wohl aus gutem Grund. Zu groß sind die Vorurteile gegenüber seiner Theorie, die von Stalin pervertiert wurde, in dem er alle bürgerlichen Freiheiten strich und einen Kommunismus mit feudalen Strukturen aufbaute. So bezeichnete Der Spiegel (38/19) in einem Artikel über Theodor W. Adorno den Marxismus als toten Hund auf dem Friedhof der Ideengeschichte.

Dies alles bringt Justin Pemberton nachvollziehbar auf den Punkt. Zur visuellen Bebilderung nutzt er Dokumentarfilmschnipsel aus zahlreichen Archiven und sorgfältig ausgesuchte Spielfilmsequenzen, die er mit Expertenstatements kombiniert. So entsteht ein intelligenter Lehrfilm, der niemals didaktisch wirkt, sondern die Lust weckt, weiter in die Materie einzutauchen. Und die Welt nicht nur neu zu interpretieren.
Katharina Dockhorn/Filmreporter.de
"Make America great again" - spätestens bei diesem Statement erkennt der Zuschauer eine Methode dieses faszinierenden Dokumentarfilms.
 
Justin Pemberton nimmt den Zuschauer mit auf eine leicht verständliche Zeitreise durch drei Jahrhunderte ökonomischer Prozesse.
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