Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Gianni Zanasi
Strikte Trennung von Politik und Kunst
Interview: Gianni Zanasis Sicht der Dinge
Sieben lange Jahre sind seit "Fuori di me" vergangen, bevor Gianni Zanasi erneut ein Film fürs Kinos gedreht hat. Beim Filmfest München 2008 präsentierte er "Nicht dran denken", eine leichte Komödie, die vor allem durch seinen Hauptdarsteller Valerio Mastandrea und das ausgearbeitete Drehbuch lebt. Zanasi kommt leger gekleidet in das luxuriöse Münchner Hotel zum Gespräch. Aber irgendwie will diese betont noble Atmosphäre des Hotelcafés so gar nicht zu dem schmal gebauten Römer passen. Er erklärt mir, welchem Druck er bei der Entstehung von "Nicht dran denken" ausgesetzt war und warum ihn ein römischer Barmann für einen Rumänen hielt.
erschienen am 16. 08. 2008
Kool
Nicht dran denken
Ricore: Sind Sie das erste Mal in München?

Gianni Zanasi: Ja.

Ricore: Sind Sie vor der Premiere immer noch etwas aufgeregt?

Zanasi: Ein bisschen schon. Man kann vorher nie wissen, wie das Publikum den Film aufnimmt. Aber es ist nun schon ein Jahr her, seit wir "Nicht dran denken" fertig gestellt haben. Ich habe den Film schon so oft gesehen, dass es für mich nun auch etwas langweilig ist.

Ricore: Wie entstand die Idee zu diesem Film?

Zanasi: Es war ein Zufall, so wie die meisten Ideen aus Zufällen entspringen. Kleine, alltägliche Funken sind für mich ausschlaggebend. Es verhält sich ungefähr wie mit einem Raum, das voller Gas ist und dann explodiert. Gibt es kein Gas, kann nichts explodieren. Mit den Ideen verhält es sich ebenso. In meinem Fall, war der Raum voller Gas. Es war nur ein kleiner Funken.

Ricore: Was war dieser Funke?

Zanasi: Eines Morgens, in Rom, saß ich in meinem kleinen Produktionsbüro neben dem Vatikan...

Ricore: ...dient Ihnen der Papst manchmal als Inspirationsquelle?

Zanasi: In gewissem Sinne, schon. Aber ich wollte Ihnen eigentlich die Geschichte vom Funken erzählen...
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In der Falle: Die Familie
Ricore: Ja, schießen Sie los!

Zanasi: Es war ein sehr heißer Sommer, außergewöhnlich heiß. Ich stand unter großem Druck, da es Jahre her ist, seit ich meinen letzten Film gedreht habe. Ich bin dann in eine Bar und habe einen Espresso bestellt. Der Barista hat mich hochkantig hinausgeschmissen und mir nachgerufen, dass man in seiner Bar italienisch spräche. Er dachte, ich sei Rumäne.

Ricore: Sie sehen aber doch wie ein Italiener aus?

Zanasi: Danke, aber tatsächlich habe ich slawische Gesichtszüge. Ich war damals nicht gerade mit Sakko und Krawatte unterwegs und daher dachte er, ich sei aus Rumänien. Ich bin also zurück in mein Büro, hab mich vor den Computer gesetzt und habe meine Wand angestarrt. Dort stand meine Bass-Gitarre, da ich in einer Band spiele. Und dann kam mir die Idee: Die Geschichte eines gefallenen Musikers, der nach Hause zu seiner Familie zurückkehrt. Diese besitzt eine Kirschkonservenfabrik. Dieser Konflikt zwischen einem Punk-Rocker und einem Mann, der unter der Fuchtel seiner Familie steht, brachte mich zum Lachen. Und so fing das an.

Ricore: Hatten Sie während der Dreharbeiten Raum für Improvisationen? Manche Szenen wirken nämlich improvisiert.

Zanasi: Manchmal rufen mich die Schauspieler selbst an und fragen mich: "Hör mal, diese Szene, ist sie improvisiert?" Ich antworte ihnen dann, dass diese bereits im Drehbuch stand. Auch jene Schauspieler, die in meinem Film mitspielen, haben manchmal, bei einigen Szenen zumindest, den Eindruck, es sei improvisiert worden. Aber nein. Ich muss sie alle enttäuschen. Es ist nichts improvisiert.
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Valerio Mastandrea in "Nicht dran denken"
Ricore: Wie erklären Sie sich solche Eindrücke?

Zanasi: Nun ja, wir versuchen in einer Art zu arbeiten, die nicht den konventionell ist. Für mich ist es nicht notwendig, präzise nach dem Drehbuch zu arbeiten. Was aber nicht bedeutet, dass wir uns nicht daran halten. Das Drehbuch von "Nicht dran denken" stand schon vor Produktionsbeginn fest. Für mich spielt es eine große Rolle, was zwischen den Schauspielern geschieht. Sie müssen sich innerhalb einer festen Struktur frei fühlen, frei um zu interpretieren. So entstehen unterschiedliche und neue Charakterzüge, welche die Figurenzeichnung sehr bereichert. In diesem Sinne gibt es natürlich Raum für Improvisationen.

Ricore: Können Sie uns eine solche Szene beschreiben?

Zanasi: Beispielsweise jene Szene zwischen Mutter und Sohn. Wo sie ihm ihr großes Geheimnis beichtet. Hier war seine gesamte Reaktion im Drehbuch niedergeschrieben, Wort für Wort. Er macht aber dann plötzlich eine Pause und sagt nur: "Ich fühlte mich sehr viel besser, als ich das noch nicht gewusst habe." Und das war es. Dieser eine Satz kam von Valerio Mastandrea. Uns hat das so gut gefallen, dass wir diesen Satz aufgenommen haben.

Ricore: Es gibt in Ihrem Film einige solche Pausen, die mehr der Realität entsprechen, als wortgewaltige Dialoge in anderen Filmen.

Zanasi: Richtig. Und genau deshalb konnten wir Mastandrea für die Hauptrolle gewinnen. Es gefiel ihm, dass in einem Film die Sprachlosigkeit thematisiert wird. Dieses Keine-Angst-Vor-Stille haben zu müssen. Ich glaube, diese ständigen Zweikämpfe und Dialogabfolgen sind ein typisches Phänomen des Fernsehens. In den meisten Serien folgt ein Gespräch dem nächsten, ein Sprachaustausch dem anderen. Man steht in der Küche, kocht das Abendessen, im Hintergrund wird mit Worten gekämpft. In einem Film funktioniert das meistens nicht. Es gibt intensivere Dialoge. Wie im wahren Leben wollten wir mit unseren Worten unseren Gefühlen Ausdruck verleihen. Aber genauso gibt es auch Momente der Stille, wo einem einfach die Worte fehlen. Man findet nicht auf alles eine Antwort. Und das ist das Interessante an "Nicht dran denken", finde ich zumindest.
Ricore: Valerio Mastandrea macht seinen Job auch wirklich sehr gut…

Zanasi: Ja, vor allem sein Gesichtsausdruck war perfekt für unseren Film. Die Atmosphäre unter den Schauspielern war beinahe wie bei einer Rockgruppe.

Ricore: Sie sind der Rockmusik sehr zugetan, merke ich...

Zanasi: Ach ja? Ich spiele ja auch in einer Rockgruppe, aber keiner von uns kann wirklich spielen. Wir machen Musik lediglich, um uns zu therapieren, um uns die Analyse zu ersparen. Man spart sich so viel Geld.

Ricore: Ist das Filmemachen für Sie auch eine Art Therapie?

Zanasi: Ja, ich denke schon. Das Gute dabei ist, dass man nicht in einem Zimmer mit sich alleine eingeschlossen ist. Bei einem Film hängen viele andere Menschen und ihre Schicksale mit drinnen, daher haben diese Probleme Vorrang vor deinen eigenen.
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Szene aus "Nicht dran denken"
Ricore: Woran liegt es, dass dies Ihr erster Film seit sieben Jahren ist?

Zanasi: In Italien hat sich in diesen Jahren ein Block gebildet. All jene Regisseure, die keine finanziellen Erfolge an internationalen Kinokassen feierten, wurden gewissermaßen bestraft. Ausnahmen waren jene, die über 70 Jahre alt waren, Söhne und Freunde berühmter Leute. Hatte man als Regisseur nicht diese entsprechenden Kontakte oder war man erst Mitte 30, hatte man eine Möglichkeit, einen Film zu drehen. Mir erging es so und vielen anderen auch. Dieser Block hat meiner Meinung nach das italienische Kino stark ausgebremst. Es gab keine neuen Ideen mehr. Aber jetzt habe ich das Gefühl, dass sich die Situation ändert. Endlich tut sich auch was in der jüngeren Generation von Filmemachern.

Ricore: Gibt es einen politischen Wandel, was die Kultur betrifft?

Zanasi: Ich persönlich habe nicht das Gefühl, dass sich politisch etwas verändert. Bei den Parlamentswahlen, die am 13. und 14. April 2008 stattfanden, kamen erneut jene an die Macht, die schon von 2001 bis 2006 Italien regieren. Schon damals waren sie kulturfeindlich und der Kultur abgeneigt. Jegliche Ausdrucksform, die nicht traditionell oder konservativ war, wollten sie unterbinden. Ich versuche mein Urteil nicht zu schnell zu fällen, sondern abzuwarten und zu sehen, was passiert. Ich hoffe, dass sich die Regierung verändert hat. Man muss der Politik weniger Wichtigkeit zusprechen. Wenn die Politik bestimmte Dinge blockiert, muss man als Künstler und Filmemacher flexibel sein und Alternativen finden. Man darf sich nicht der Politik verschreiben, damit man frei bleibt.

Ricore: Hat sich auch das italienische Publikum verändert?

Zanasi: Ich glaube schon. Ich denke, die Menschen haben sich an den alten Formen und Geschichten satt gesehen. Sie wollen neue, spritzigere Ideen. In den vergangen Jahren gab es einen deutlichen Unterschied zwischen dem Autorenkino und dem kommerziellen Kino. Ich glaube, ein lebendiger Film ist freier. Ich unterscheide ja grundsätzlich nur zwischen schönen und hässlichen Filmen.
Ricore: Aber das ist manchmal gar nicht so einfach...

Zanasi: Nein, aber an erster Stelle sollte immer der persönliche Geschmack und das eigene Gefallen kommen, wenngleich diese nicht immer mit der Ideologie, die man hat, korrespondieren. So finde ich Filme von Manoel de Oliveira tödlich langweilig, obwohl ich sehr großen Respekt vor ihm habe. Mit derselben Freiheit soll und will ich sagen, dass ich so manch einen kommerziellen Film wunderbar finde. Zuerst soll das Gefühl kommen, erst danach der Kopf.

Ricore: Wie sehen Sie jetzt die Zukunft des italienischen Films?

Zanasi: Dazu muss ich sagen, dass es keine italienische Filmindustrie gibt. Sie hat keine Zukunft, weil es auch keine Gegenwart gibt. Gehen wir doch vom Fernsehsystem aus. Hier gibt es nur zwei Arten: das private Mediaset und das öffentliche RAI. Aber in einigen Bereichen ist auch die RAI privatisiert worden. Dennoch gibt es auch Positives zu berichten. So haben einzelne Personen immer wieder den Mut, ihre eigene Sache durchzuziehen, aufzustehen und zu sagen, was sie denken?

Ricore: Was wird Ihr nächster Film?

Zanasi: Das weiß ich noch nicht. Wenn ich das wüsste, wäre ich jetzt ruhiger und es ginge mir besser.

Ricore: Bisher haben Sie immer eigene Drehbücher verfilmt.

Zanasi: Nun ja, es würde mir schon gefallen, auch mal fremde Drehbücher zu lesen und zu verfilmen. Da ich mir dadurch viel Arbeit sparen könnte. Und wenn das Drehbuch schlecht ist, der Film aber gut, ist es dann auch nicht mehr meine Schuld. Aber es gefällt mir, zu schreiben.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 16. August 2008
Zum Thema
Einen mittel- und erfolglosen Rockgitarristen verschlägt es nach Jahren der Abwesenheit zu seiner Familie nach Rimini. Dort wird er zwar mit offenen Armen empfangen, unter der Familienidylle brodelt es jedoch gewaltig. Gianni Zanasi Familienkomödie versprüht aufgrund der ruhig dahinplätschernden Handlung jede Menge gute Laune. Es sind gerade die fehlenden Dialoge sowie die ausdrucksstarken Gesten der Hauptdarsteller, welche den Film so einzigartig machen.
Gianni Zanasi wird in der Nähe von Modena geboren. In Bologna studiert er Philosophie und schreibt sich später in Theater- und Schauspielkurse ein, die unter anderem von Nanni Moretti abgehalten werden. 1992 macht er seinen Abschluss im Fach Regie. Nur drei Jahre später präsentiert er sein Regiedebüt "Nella Mischia" bei den Filmfestspielen von Cannes. 1999 folgen weitere zwei Filme. Danach dauert es sieben Jahre, bis sein nächstes Werk in die Kinos kommt. "Nicht dran denken" handelt von einem..
2024