Marco Mittelstaedt
Marco Mittelstaedt
Marco Mittelstaedt nach der Wende
Interview: Vater und Sohn
Es gibt viele Geschichten, die erzählt werden wollen. Eine ist die Geschichte von Marco Mittelstaedts Vater. In der DDR als ADN-Fotograf tätig, arbeitet dieser nach der Wende als Polizeireporter beim Axel-Springer-Verlag. Für seinen Sohn ein Desaster. Diese Erinnerungen verarbeitet der Regisseur in seinem Spielfilm "Im nächsten Leben". Mit uns sprach Marco Mittelstaedt über die Zeit vor und nach der Wende und seinem heutigen Verhältnis zum Vater.
erschienen am 28. 05. 2009
Filmwelt Verleihagentur
Im nächsten Leben
Ricore: Die Filmfigur Wolfgang Kerber ist an Ihren Vater angelehnt. Haben Sie mit "Im nächsten Leben" Ihre eigene Familiengeschichte verarbeitet?

Marco Mittelstaedt: Eher weniger. Die Figur ist aber tatsächlich an meinen Vater angelehnt. Es gibt biografische Eckdaten, die wahr sind.

Ricore: Welche sind das?

Mittelstaedt: Mein Vater war ADN-Reporter in der DDR und arbeitet auch heute noch als Polizeireporter. Die Figur hat sich im Verlauf der Drehbucharbeit aber sehr verändert. Ihnen wird nicht entgangen sein, dass wir eine Vater-Tochter-Geschichte erzählen. So ist die Familienkonstellation anders, als in meiner Familie. Zusammen mit dem Drehbuchautor Sven Poser haben wir die Geschichte verfremdet und stark dramatisiert.

Ricore: Finden Sie sich in Kerbers Tochter Margitta wieder?

Mittelstaedt: Ja, natürlich. Ich war genauso wie Margitta Kerber 17 oder 18 Jahre alt, als die Mauer fiel. Ich hatte auch Schwierigkeiten mit dem Schritt, den mein Vater damals ging. Er wechselte vom ADN-Reporter zum Springer-Verlag. Das habe ich nicht verstanden und es gab viele Diskussionen zwischen uns. Anders als im Film haben wir aber das Gespräch gesucht. Im Film herrscht durch den Tod der Mutter eine extreme Familienkonstellation vor. So war das bei uns nicht. Die Parallelen finden sich vor allem in der Nach-Wende-Zeit. Ich denke aber, ich hätte den Film nicht machen können, wenn ich nicht in abgeklärten Verhältnissen der damaligen Zeit aufgewachsen wäre.
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Im nächsten Leben
Ricore: Können Sie sich noch daran erinnern, wie die Wende Ihre Familie, insbesondere aber Ihren Vater beeinflusst hat?

Mittelstaedt: Ja, es herrschte viel Angst und Unsicherheit vor. Für mich und meiner Generation stand die Welt offen. Die Mauer ging auf und ich bin viel gereist. Für die Generation meines Vaters war es aber schwierig. Er war weder Oppositioneller noch Parteifunktionär, weder Opfer noch Täter. Er war irgendwo dazwischen, hat sich eine Nische gesucht, wie viele Menschen damals in der DDR. In der Wendezeit hatte er Angst um seine Zukunft und entschied sich für diesen Schritt. Rückblickend würde ich sagen, das war pragmatisch, da er als Journalist weiter arbeiten wollte. Beim ADN (Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst, Anm. d. Red.) hat er aber keine Zukunft gesehen, als der von der ddp ("Deutscher Depeschendienst", Anm. d. Red.) übernommen wurde. Als junger Mensch habe ich das damals überhaupt nicht verstanden. Das hat natürlich auch zu Explosionen innerhalb der Familie geführt.

Ricore: Wie sehen Sie die Entscheidung Ihres Vaters heute?

Mittelstaedt: Ich als Sohn hätte das natürlich anders gemacht.

Ricore: Was hätten Sie anders gemacht?

Mittelstaedt: Ich will mir nicht anmaßen zu sagen, was ich anders oder besser gemacht hätte. Das kann ich nicht sagen. Im Nachhinein würde ich aber sagen, er hat für sich die richtige Entscheidung getroffen. Er wollte als Reporter arbeiten und hat sich durchgekämpft. Es gab sehr viele Anfeindungen in allen Richtungen, von ehemaligen und neuen Kollegen. Er hatte glücklicherweise das dicke Fell, sich durchzusetzen. Meine Mutter, mein Bruder und ich hätten uns natürlich gewünscht, dass er nicht diesen stressigen Beruf des Polizei-Boulevardreporters gewählt hat. Denn das dies auf Dauer auf die Gesundheit schlägt, ist auch klar.
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Anja Schneider als Tochter von Edgar Selge in "Im nächsten Leben"
Ricore: Wusste er von Ihren Plänen zu diesem Film?

Mittelstaedt: Ja. Er hat die Arbeit am Drehbuch und am Film intensiv begleitet. Ich habe ihn im Vorfeld der Dreharbeiten auch einige Male bei seiner Arbeit begleitet, mit ihm recherchiert und bekam dadurch einen etwas anderen Blick auf die Arbeit eines Polizeireporters. Bei der Premiere auf den Hofer Filmfestspielen feierte der Film seine Premiere. Er und meine Mutter waren natürlich eingeladen. Das war sehr schön, vor allem, da wir viel über die damalige Zeit geredet haben.

Ricore: Wie hat er den Film aufgefasst?

Mittelstaedt: Er war sehr neugierig. Er hat gefragt, worum es geht. Wie anderen Vätern dieser Generation fiel es ihm natürlich nicht leicht, über emotionale Aspekte zu reden. Er hat mir eher Tipps gegeben zum Alltag eines Polizeireporters. Er hat oft nachgefragt und mir die Daumen gedrückt, beispielsweise was die Finanzierung betrifft. Mein Vater hat sich sogar mehrmals mit Edgar Selge getroffen, auf dessen Wunsch hin, da er nicht im Osten aufgewachsen ist und dementsprechend Hilfe benötigte. Edgar Selge war sehr neugierig, ebenso wie mein Vater. Wir haben uns oft zu dritt getroffen.

Ricore: Findet sich Ihr Vater in der Figur von Wolfgang Kerber wieder?

Mittelstaedt: Sie sind natürlich nicht identisch. Allein schon physisch gibt es große Unterschiede zwischen Edgar Selge und meinem Vater. Die Ausgangssituation ist die gleiche, nur ab der Wende haben wir die Figuren fiktiv weiterverarbeitet. Einmal fällt im Film der Satz: "Setz dich in den Panzer und verschwinde!" Ich glaube, dass man in diesem Beruf eine gewisse Schutzschicht um sich herum hat. Im Film geht es darum, diese bröckeln zu lassen und dem Vater und der Tochter für die Zukunft eine Chance zu geben. Ich denke schon, dass sich mein Vater in einigen Sachen wiedererkennt.

Ricore: Setzt sich Ihr Vater mit der Vergangenheit auseinander?

Mittelstaedt: Nun ja, er setzt sich sehr vorsichtig mit bestimmten Punkten in der Vergangenheit auseinander. Es kommt nur sehr wenig von ihm. Aber es ist nicht so, dass er blockt. Es sind eher mein Bruder und ich, die Fragen stellen.
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Edgar Selge und Anja Schneider in "Im nächsten Leben"
Ricore: Besteht Ihrer Meinung nach Aufholbedarf bezüglich der Aufarbeitung?

Mittelstaedt: Was meine Familie betrifft?

Ricore: Ja.

Mittelstaedt: Was meine Familie betrifft, glaube ich nicht. Es gibt aber viele Filme, die sich mit der DDR beschäftigen. Allerdings nehmen diese oft eine Täter-Opfer-Perspektive ein. Es gab aber auch sehr viel dazwischen. Unser Film geht von der heutigen Situation aus und erhält erst durch die Gespräche mit der Tochter den rückblickenden Aspekt. Gerade was diese Dazwischen betrifft, gibt es noch sehr viele Geschichten zu erzählen. Genauso gibt es ja immer noch Geschichten, die bis ins Dritte Reich zurückreichen und die Menschen auch daran noch Interesse zeigen. Ohne beides vergleichen zu wollen.

Ricore: In "Im nächsten Leben" setzen Sie sich nicht zum ersten Mal mit der DDR-Problematik auseinander. Bereits in "Jena Paradies" gibt es eine Nebenfigur, welche aus der DDR stammt und mit dem neuen Leben kämpft. Wie geht es weiter?

Mittelstaedt: Das halte ich mir offen. Mich interessieren Gegenwartsstoffe, die müssen nicht immer mit der DDR oder mit Biografien zu tun haben. Bei "Jena Paradies" interessierte diese Nebenfigur viele Zuschauer. Bei Kinovorstellungen wurde über diesen Menschen sehr viel diskutiert. Ich habe mich dann mit dem Redakteur Jörg Schneider vom ZDF hingesetzt und wir haben über den nächsten Film diskutiert. Er war es, der mich ermutigt hat, auf meine Familiengeschichte zu schauen. So haben wir dieses Projekt gemeinsam entwickelt. Das hat schon eine gewisse Kontinuität, aber ich will das nicht mein ganzes Leben machen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 28. Mai 2009
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2024