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Heino Ferch in "Meine schöne Bescherung"
Heino Ferch geht ins Kloster
Interview: "In der Kapuze verstecken"
In Margarethe von Trottas "Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen" schlüpft Heino Ferch in eine Mönchskutte und versetzt sich zurück ins Mittelalter. Mit großer Begeisterung erzählt er von seinen Erfahrungen beim Dreh in den alten Gemäuern und von Rückenschmerzen vom Schönschreiben. Genauso angetan ist er auch von seinem nächsten Projekt, der Biografie über den deutschen Boxer Max Schmeling.
erschienen am 23. 09. 2009
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Heino Ferch als Priester zur Zeit von Hildegard von Bingen
Ricore: Wie steht es denn um Ihren persönlichen Glauben?

Heino Ferch: Um meinen Glauben? Religiös in der Form, dass ich sonntags in die Kirche gehe, bin ich nicht. Ich glaube an ein paar Sachen, aber ich bin kein praktizierender gläubiger Mensch.

Ricore: An was glauben Sie denn?

Ferch: An gewisse Grundwerte wie Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und an Vorbild sein müssen für den kleinen Bereich, in dem man das sein kann. Und ich glaube an die Liebe.

Ricore: Metaphysische Werte dann eher weniger?

Ferch: Kommt drauf an. Es gibt viele Sachen, die interessant sind, es gibt aber auch viele Sachen, wo ich denke, naja...

Ricore: Nächstenliebe zum Beispiel?

Ferch: Ja natürlich, aber nicht für jeden. Wenn ich eine ins Gesicht kriege, dann ist es mit der Nächstenliebe vorbei. Da ist es dann schwer zu sagen, du armer Sohn, du bist so provoziert worden, dass du mir jetzt eine reinhauen musst.
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Heino Ferch in "Meine schöne Bescherung"
Ricore: Sie halten also nicht die andere Wange hin?

Ferch: Nein, selbstverständlich halte ich nicht die andere Wange hin.

Ricore: Was hat Sie an diesem Thema gereizt? Der Glaube, das 12. Jahrhundert?

Ferch: Dass Margarethe von Trotta einen Film macht, in dem ich spielen soll. Dass Barbara Sukowa die Hauptrolle spielt, und dass jene fünf CDs, die ich von Hildegard von Bingen habe, mir schon vor Jahren manchen Sonntag Vormittag mit gregorianischen Gesängen, Chören und ähnlichem versüßt haben. Das fand ich ganz spannend und habe ich eine Zeitlang gerne gehört. Das ist aber schon lange her - 15 Jahre glaube ich. Und dass das Mittelalter ein Terrain ist, auf dem ich mich noch gar nicht bewegt habe. Ich glaube, mit so einer Regisseurin ist so ein Stoff an der richtigen Adresse und es ist per se ein Vergnügen, mit ihr zu arbeiten.

Ricore: Jenseits der Musik, wie präsent war Hildegard von Bingen für Sie, was wussten Sie über diese Frau?

Ferch: Ich wusste etwas über alternative Medizin, also heute alternativ, damals war Medizin ausschließlich aus der Natur geboren. Ich hab auch dann erst begriffen, dass überall diese Hildegard-Apotheken nicht von einer Frau Hildegard waren, sondern dass es Hildegard von Bingen Apotheken sind. Es gibt einen gigantischen Markt für Produkte, die aus ihren Thesen heraus entwickelt wurden und die über den Namen Hildegard von Bingen vertrieben werden. Ich wusste vorher nicht, dass das so massiv ist.

Ricore: Jetzt, wo Sie mehr über Hildegard von Bingen wissen, würden Sie eine medizinische Behandlung anhand ihrer Heilmethoden bei sich selbst versuchen oder anwenden lassen?

Ferch: (lacht) Das kommt drauf an, was ich habe. Ich denke immer, dass der Weg ganzheitlich ist. Dass Rückenschmerzen nicht nur mit einem kaputten Wirbel sondern auch mit Belastung von außen zu tun haben und dass man dazu sowohl psychisch als auch klassisch rangehen muss. Das ist die einzige weise und realistische Art, damit umzugehen, denke ich.
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Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen
Ricore: Haben Sie das bei sich selbst bemerkt, dass das eine und das andere zusammenhängen?

Ferch: Es weiß doch jeder, dass viel Stress einen Bandscheibenvorfall produzieren kann. Nicht nur, weil man sich verrenkt, sondern weil sich über lange Zeit die Muskeln verspannen, weil der Druck zu massiv ist. Druck, Stress, schlechte Zeit. Das hat alles miteinander zu tun. Und es gibt Sprichworte wie "Das sitzt dir im Nacken" oder "Ich hab die Nase voll". Schnupfen hat man nicht nur, weil man sich erkältet hat. Manchmal hat man Schnupfen, wenn eigentlich was anderes da ist.

Ricore: Was würden Sie sagen, wenn eine Ihrer Töchter zu Ihnen sagt, ich gehe ins Kloster?

Ferch: Dann würde ich fragen, warum, und dann werde ich eine Erklärung bekommen. Wenn das ihr absolute Wille ist, würde ich sagen, na gut. Man ist ja nicht wie in einem Gefängnis auf Lebenszeit verdammt, drin zu bleiben, wenn man nach einiger Zeit merkt, das ist doch nicht meins. Ich denke, man sollte das, was einen glücklich macht, unterstützen.

Ricore: Wie war es für Sie, eine Mönchskutte anzuziehen?

Ferch: Ganz ehrlich? Als wir im Kloster Eberbach und in Maulbronn gedreht haben, war das wunderbar, es war so arschkalt in diesen dicken Mauern, dass diese Kutte wahnsinnig gewärmt hat. Wir haben einige Räume im Studio in Köln nachgebaut, da war es das genaue Gegenteil. Es war so heiß, da war die Kutte ein Tritt in den Arsch. Abgesehen davon, dass man sich wirklich erst damit beschäftigen muss. Sonst liegt man bei einem schnellen Schritt sofort auf der Klappe, wenn man unten drauftritt. Das ist nicht umsonst ne Kutte, weil sie nämlich warm hält. Bei den Heizungsausfällen, die es damals gab, war das ganz angebracht.
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Heino Ferch ist vielseitig. Hier in "Meine schöne Bescherung"
Ricore: Bewirkt es noch was anderes als kuschelig/nichtkuschelig zu sein?

Ferch: Ja, keiner zieht den Bauch ein, weil ein Bauch nicht zu sehen ist, zum Beispiel, um an die Eitelkeit von Schauspielern zu appellieren. In der Kapuze kann man sich schön verstecken, man kann für sich sein. Dieses Gewand verursacht eine unheimliche Zentrierung. Es ist auch eine gewisse Demut und einen Appell an die Eitelkeit des Menschen, da alle gleich aussehen. Keiner kann mit Nike-Turnschuhen aufmarschieren, wenn die anderen keine haben. Das finde ich schön. Die Kutte ist wie eine Uniform. Genauso wie für die Damen das verschleierte Haupt. Es macht einen klareren Blick auf das Wesentliche.

Ricore: Was bewirkt das Drehen in einem echten Kloster, in alten Gemäuern, unterscheidet sich das von der Arbeit im Studio?

Ferch: Es ist einfacher, wenn man die Vergangenheit riecht. Allein wenn man mitbekommt, wie kalt es ist. Durch das Warten von einer Szene auf die nächste sitzt man zu 90 Prozent im Zug, weil irgendwo immer was offen ist. Ich finde, dass sich die Atmosphäre und die Stimmen, vermehrt durch Echo und durch Schall in diesen Räumen, anders wahrnehmen lassen. Das Sein in gigantischen Räumen, aber auch in gigantischer Nässe, weil es ja immer feucht ist, treibt einen dazu, schneller von A nach B zu gehen. Man reagiert ganzkörperlich auf das, was diese Architektur mit sich bringt. Die Kirche hats clever gemacht, die haben hohe Häuser gebaut, damit der Mensch klein wirkt. Sie haben alle unter dem Joch des Christentums mehr oder weniger gut gehütet, das hat Sinn und Zweck gehabt. Da ist es einfacher, wenn man ein paar Wochen zuerst in den beiden großen Klöstern gedreht hat und dann ins Studio geht.

Ricore: Wenn man abends nach so einer Rolle nach Hause geht, ist man dann ein anderer?

Ferch: Ich war sanft wie ein Lamm in dem Monat. (lacht) Konnte aber nicht über Nacht lateinisch.
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Meine schöne Bescherung
Ricore: Waren am Set die Bewohner der Klöster anwesend und haben beratend zugesehen?

Ferch: Ja. Für die Schriften hatte ich in München eine Art Schriftsetzer, jemanden der sich mit historischen und altertümlichen Schriften auskannte. Das musste ich üben. Das Halten der Feder und auch das Pergament. Dass da, wenn ich aufsetze, nicht erst mal so ein schwarzer Kleks ist. Wie die Feder gedreht und wie die Buchstaben gemalt wurden, die dünnen und breiten Balken, das war nicht einfach. Im Kloster Maulbronn ist ein Internat, und da gab's für Latein Spezialisten, die Fremdenführungen gemacht haben, die sich auskannten und uns zur Seite standen.

Ricore: Wünscht man sich, wenn man so ein haptisches Erlebnis hat wie ein Pergament, dass sowas wie das eBook nie erfunden worden wäre?

Ferch: Ich bin mit einer Rückenverrenkung aus den Drehtagen rausgegangen. Wenn man sich vorstellt, dass sie ganze Bibliotheken geschrieben haben im Kerzenlicht. Diese Ausdauer, so ein Blatt zu schreiben. Ich hab an zwei Zeilen vier Minuten geschrieben. Das waren vielleicht 20 Worte oder 100 Buchstaben. Das ist unheimlich anstrengend. Klar, wenn man trainiert ist, geht das schneller. Aber was die Mönche und die Gelehrten alles in die Bibliotheken gestellt haben, was alles geschrieben wurde, ist ein unglaublicher Zeit- und Kraftaufwand. Ganze Leben von Menschen sind nebenbei vorbei gegangen.

Ricore: Waren Sie mal Messdiener oder haben Sie irgendwas an Erfahrung mitgebracht?

Ferch: Nein, ich war nie Messdiener. Ich bin vor den Dreharbeiten in ein Benediktinerkloster gegangen und habe mir Messen und Schweigerituale angesehen. Hab mich rein gesetzt und organisiert, dass ich für den Film ein paar Sachen sehen kann und Gespräche führen kann. Ich hab Filme angeschaut, Literatur gelesen, mit Frau von Trotta ausgiebig gesprochen und versucht, so viel wie möglich zu erfassen. Damit man im Film nicht aussieht, wie wenn man grad von der Espressomaschine um die Ecke kommt.

Ricore: Waren die Brüder auch weltlich orientiert und hatten Interesse an Ihrem Beruf, an Ihrer Welt?

Ferch: Ja, aber nur bedingt. Sie fanden es schon interessant. Sie lesen ja auch Zeitung und schauen fern. Da müssen wir uns nichts vormachen, sie haben alle Laptops. Ich weiß nicht, ob sie bei Facebook sind (lacht). Es wird studiert, Menschen gehen ins Kloster, um eine gewisse Ausbildung zu bekommen. Letztlich leben sie im Jahr 2009, so wie wir.
Constantin Film
Heino Ferch in "Der Baader Meinhof Komplex"
Ricore: Sind sie hedonistischer, als man es für möglich hält?

Ferch: Wenn man sich in so eine Gemeinschaft begibt, muss man das ein Stück weit sein. Sonst hält man das nicht aus. Der Hang dazu muss da sein. Sonst funktioniert das nicht. Diese Form von Ruhe und Abgeschottet sein, von Einflüssen von außerhalb, die muss erwünscht sein. Man muss Lust, ein Bedürfnis danach haben.

Ricore: Wie oft haben Sie an den Schweigeritualen teilgenommen?

Ferch: Zwei Mal.

Ricore: Wie war es eine Stunde lang nichts zu sagen?

Ferch: Interessant. Nach einer Zeit ist man auch wirklich still, still von Gedanken. Die erste halbe Stunde beobachtet man, guckt und reflektiert und verarbeitet. Irgendwann ist man davon erschöpft. Man ist nur da mit sich und der Stille. Ich glaube, dass es eine gewisse Größe gibt, die man erst nach zehn Jahren oder so erreichen kann.

Ricore: Es heißt, Sie hätten die Rolle sehr intensiv mit Margarethe von Trotta zusammen erarbeitet. Gings da mehr um ein Einfinden in die Rolle oder haben Sie am Drehbuch selber gearbeitet?

Ferch: Nein, nicht am Drehbuch. Es ging um das Einfinden in die Rolle. Das Drehbuch hat sie selbst geschrieben. Sie steht da, und sagt, jetzt mach ich diesen Film, den ich schon seit Jahren im Kopf hab. Man ist mit ihr zusammen, kann Fragen stellen, ausprobieren, machen. Sie ist eine fantastische Regisseurin.

Ricore: Diese enge Zusammenarbeit mit dem Regisseur, ist das Ihre übliche Herangehensweise?

Ferch: Für mich ist das üblich, nur manchmal gibt es nicht den Raum, dies auch umzusetzen. Es gibt viele Regisseure und jeder ist anders. Margarethe ist jemand, der auf Schauspieler eingeht. Das liegt sicher daran, dass sie selbst lange als Schauspielerin gearbeitet hat. Sie ist auch eine Vertreterin der Autorenfilmer wie ihr ehemaliger Gatte Volker Schlöndorff, oder auch Wim Wenders und Reinhard Hauff. Es ist aber auch ihr Naturell, ihr Interesse, einzutauchen und zu versuchen, eine Flüchtigkeit oder Oberflächlichkeit nicht erst zuzulassen.

Ricore: Wenn Sie nun schon andere Regisseure erwähnen, wie ist denn Uwe Boll? Der hat einen ganz anderen Ruf als Frau von Trotta.

Ferch: Das ist richtig. Das Interesse, das von Ihnen und Ihren Kollegen an Uwe Boll, an mich und an den Film über Max Schmeling herangetragen wird, ist groß. Wenn die alle ins Kino gehen, wird das der Knaller des Jahres.
erschienen am 23. September 2009
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Äbtissin und Visionärin Hildegard von Bingen (Barbara Sukowa) lebte vor etwa eintausend Jahren. Ihre Bücher erleben seit langem eine Renaissance. Vor allem ihre Heilkunde ist sie heute wieder populär. Aber die Benediktinerin aus adeligem Geschlecht war nicht nur ihrem Kräutergarten zugewandt. Im Gegenteil, ihre vielfachen Interessen führten sie in Konflikt mit der kirchlichen Obrigkeit.
Der Sohn eines Kapitäns stand 15-jährig für "Can Can" zum ersten Mal auf der Bühne. Davor war er als Leistungsturner durch Europa gezogen. Sein Durchbruch im Filmgeschäft gelang Heino Ferch 1997 mit Hauptrollen in "Comedian Harmonists", "Das Leben ist eine Baustelle" und "Winterschläfer". Seitdem gilt Ferch als einer der vielseitigsten Charakterschauspieler des deutschen Kinos. Tom Tykwer beeindruckte er 1998 in der Rolle des Gangsters Ronnie in "Lola rennt". Ferch spielte mehrfach an der..
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