Jean-François Martin/Ricore Text
Daniel Brühl
"Man muss sich dem Grusel aussetzen"
Interview: Daniel Brühls Ängste
Daniel Brühl wird als Melancholiker des deutschen Kinos wahrgenommen. Diesen Ruf hat er ausgezeichneten Dramen wie "Das weiße Rauschen" und "Good Bye, Lenin!" zu verdanken. Im wahren Leben ist er alles andere als traurig gestimmt. Als Frohnatur zeigte sich der 33-Jährige auch beim Interview, das Filmreporter.de anlässlich seines Horrorfilms "Intruders" führte. Im Gespräch offenbart Brühl die Ängste, denen er sich seit seiner Kindheit stellen muss sowie die Selbstzweifel, die der Schauspielberuf mit sich bringt. Gute Nachrichten ereilten ihn während des Interviews aus Spanien. Brühl erfuhr, dass er für den spanischen Filmpreis Goya nominiert ist.
erschienen am 19. 01. 2012
Universal Pictures International
Intruders
Ricore: In "Intruders" geht es um die Angst von Kindern vor Monstern. Hatten Sie als Kind auch Ängste, die Sie bis heute beeinflussen?

Daniel Brühl: Ja, ich war Feuer und Flamme für dieses Projekt, weil ich mich darin in meinen Kindheitsängsten wiedergesehen habe. Ich hatte als Kind ständig das Gefühl, dass irgendjemand unter meinem Bett liegt oder in mein Zimmer eingedrungen ist. Außerdem verbrachte ich früher jeden Urlaub in einem Landhaus in einem spanischen Dorf. Es gibt einen Roman von dem katalanischen Autor Joan Perucho mit dem Titel "Der Nachtkauz". Laut diesem Buch soll es in dem Dorf einen Vampir gegeben haben. Für uns Kinder war es daher eine Mutprobe, alleine auf den Friedhof zu gehen oder auf die Burg, die sich in der Nähe des Dorfes befindet. Diese Erlebnisse und die vielen Gruselgeschichten, die wir uns gegenseitig erzählten, waren immer Teil meiner Kindheit.

Ricore: Und wie sieht es mit diesen Ängsten heute aus?

Brühl: Das Erschreckende ist, dass ich sie heute mit über 30 noch immer habe. Ich weiß zwar, dass das albern ist. Immerhin ist in dem Dorf noch nie etwas Ungewöhnliches passiert. Trotzdem mache ich allen Ernstes immer wieder das Licht an und singe ganz laut, wenn ich heute allein in diesem Landhaus bin. Das ist peinlich, aber die Kindheitsängste haben sich nun mal festgesetzt.

Ricore: Die Kinder in "Intruders" scheinen tatsächlich ein Monster zu sehen. Haben Sie auch irgendwelche Gestalten gesehen?

Brühl: Nein, so weit ging es bei mir nicht. Auch wenn ich im Nachhinein gerne etwas gesehen hätte. Die Angst hat ja schließlich was Belebendes. Man will sich dem Grusel aussetzen und sich der Angst stellen. Insofern wünschte ich mir vielleicht, dass meine Angst eine Form bekommt. In meiner Fantasie habe ich mir immer vorgestellt, wie der Dorfvampir ausgesehen haben mochte. Das Dorf heißt übersetzt übrigens "Wiese des blutrünstigen Schakals" und sein Wappen zeigt einen dreibeinigen Köter. Ich habe den Schakal nie gesehen, sondern immer nur irgendwelche Gerüchte von ihm gehört. Aber das reichte schon, um irrsinnige Angst zu bekommen.
Universal Pictures International
Daniel Brühl in "Intruders"
Ricore: Sie haben in letzter Zeit oft in internationalen Projekten mitgewirkt. Reizen Sie derzeit ausländische Regisseure mehr als deutsche?

Brühl: Ja, im Moment schon. Ich denke aber, dass das bloß ein aktueller Trend in meiner Karriere ist und dass es auch wieder anders kommen wird. Ich habe großen Respekt vor dem deutschen Kino, nur hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass hier vor allem Komödien gut funktionieren. Weil das aber nicht mein Lieblingsgenre ist, war ich glücklich über die Möglichkeit, im Ausland zu arbeiten. Die Schauspielerei ist nicht der leichteste Beruf. Es gibt oft Frustrationen, weil bestimmte Sachen nicht so laufen, wie man sich das gewünscht hat. Letztendlich sollte man der eigenen Linie treu bleiben. Letztes Jahr erlebte ich eine Phase, in der ich kein einziges interessantes Projekt auf dem Tisch hatte. Weder aus Deutschland, noch aus Spanien kamen tolle Angebote. Zum ersten Mal erlaubte ich mir eine gewisse Entspanntheit. Ich sagte mir, dass ich lieber gar nichts spiele, bevor ich etwas mache, von dem ich nicht überzeugt bin.

Ricore: Nun spielen Sie demnächst unter der Regie von Ron Howard.

Brühl: Ja, manchmal geschehen Dinge, die man niemals für möglich gehalten hat. Vor ein paar Jahren hätte ich mir niemals erträumen lassen, die Hauptrolle in einem Film von Ron Howard zu spielen.

Ricore: Wie kam es dazu?

Brühl: Ich erhielt irgendwann von Ron Howard einen Anruf, wurde zum Casting eingeladen und es klappte. Ich hätte mir total in den Arsch gebissen, wenn ich aus Angst etwas anderes angenommen und diese Chance verpasst hätte. Das hat mir gezeigt, dass man sich als Schauspieler nicht zu sehr unter Druck setzen darf. Man sollte sich entspannen und einfach auf die richtigen Sachen warten.
Verleih
Hannah Herzsprung und Daniel Brühl in Alain Gsponers "Lila, Lila"
Ricore: Mit Howard drehen Sie demnächst also "Rush", ein Biopic über Niki Lauda. Auch das ist wieder ein Film über Angst und Kontrollverlust.

Brühl: Ja, es geht tatsächlich um Ängste und deren Überwindung. Ich saß bereits in einem Formel-3-Auto. Die sind zwar nicht viel schneller als ein normaler Pkw und es ist ein Riesenschritt von einem Formel-3- zu einem Formel-1-Wagen. Für Normalsterbliche ist eine Fahrt mit diesen Autos trotzdem etwas ganz anderes, als mit normalem Auto auf der Autobahn zu rasen. Man muss schon große Ängste überwinden, bis man merkt, dass es großen Spaß macht. Das liebe ich so an meinem Beruf. Man gerät in Situationen, die man sonst kaum erleben würde. Für die Rolle in "Intruders" habe ich in einem Vorort von Madrid ein paar Tage mit Jesuiten verbracht. Es war eine großartige Erfahrung. Mit einem von ihnen stehe ich heute noch in E-Mail-Kontakt. Er ist in meinem Alter und überzeugter Jesuit. Allein dafür hat sich die kleine Nebenrolle gelohnt.

Ricore: Für welche Phasen Ihres Berufs brauchten Sie besonders viel Mut?

Brühl: Mut braucht man als Schauspieler permanent. Am Anfang meiner Karriere bin ich relativ naiv an den Beruf rangegangen. In Wirklichkeit muss man sich nicht nur ständig der Kritik aussetzen, man wird auch immer wieder mit Selbstzweifeln konfrontiert.

Ricore: Was empfanden Sie, als sie das Angebot bekamen, in Ron Howards "Rush" Niki Lauda zu spielen?

Brühl: Mein erster Gedanke war: absurd. Als ich jedoch das Drehbuch von Peter Morgan las, wusste ich, dass das eine super Sache ist. Als ich in London war und Ron Howard, Peter Morgan und den Produzenten begegnete, war ich sehr beeindruckt. Da brauchte ich erst mal eine Tasse Earl Grey, bevor ich machen konnte, was ich mir vorgenommen hatte. Zum Glück traf ich zuvor auf einen Taxi-Fahrer, der mich erkannte und mir ein gutes Gefühl gab. Er fragte mich, ob ich ein Casting hätte, weil ich so nervös aussähe. Er empfahl mir, vor dem Casting in seinen Lieblingspub zu gehen. Nach einem Bier würde ich mich besser fühlen. Ich sage jetzt nicht, ob ich es gemacht habe oder nicht. Nach dieser Begegnung ging es mir jedenfalls besser (lacht). Ich hoffe, dass ich den Fahrer mal wieder treffen werde (lacht).
Ottfilm
Daniel Brühl mit viel Wut in "Elefantenherz"
Ricore: Müssen Sie sich für die Rennszenen überwinden?

Brühl: Ich mag zwar nicht so wirken, aber ich fahre sehr gerne Auto. Ich mag vor allem alte Autos. Ich habe selbst zwei Oldtimer, die ich über alles liebe. Auch was den Rennsport angeht, mag ich eher die alte Zeit, weil sie einen bestimmten Sexappeal ausstrahlt. Alte Autos sind schöner, das ist einfach so. Nicht selten fahre ich durchaus auch mal schnell.

Ricore: Waren Sie mit Niki Lauda auch an der Stelle, wo sich sein spektakulärer Unfall ereignete?

Brühl: An der Unfallstelle am Nürburgring war ich im Rahmen der Vordrehs. Niki Lauda war da nicht dabei. Nach dem Unfall saß er kurze Zeit später wieder im Rennauto. Das finde ich faszinierend. Um dieses Thema kreisten denn auch die meisten Fragen, die ich ihm stellte. Ich traf ihn in Wien und habe mich mit ihm sofort gut verstanden. Kurze Zeit später nahm er mich mit zum Grand Prix nach Brasilien. Es war eine tolle Erfahrung, nicht nur mit ihm dort zu sein, sondern auch die anderen Fahrer seiner Generation zu sehen.

Ricore: Ist man als Schauspieler einem größeren Druck ausgesetzt als sonst, wenn man nicht nur eine bedeutende historische, sondern gleichzeitig eine lebende Persönlichkeit verkörpert?

Brühl: Das ist in der Tat sehr bizarr. Es ist das erste Mal, dass ich jemand Bekanntes spiele, der lebt. Andererseits ist es so gelaufen, wie ich mir das erhofft habe. Wir sind sehr gut miteinander klargekommen. Auch wenn ich beim ersten Treffen sehr nervös war. Niki ist sehr direkt und wenn er einen nicht mag, dann gibt er einem das auch zu verstehen. Ich bin mit Handgepäck nach Wien geflogen, damit ich im Notfall am selben Tag wieder hätte zurück fliegen können (lacht). Er meinte zu mir: "Du bist so nett, komm' mit mir nach São Paulo". Ich bin vor Freude fast ausgeflippt.
Delphi Filmverleih
Daniel Brühl in "Die fetten Jahre sind vorbei"
Ricore: Ein gutes Verhältnis tut in diesem Fall letztlich auch dem Film gut.

Brühl: Ja, das ist sehr zum Vorteil für den Film. Wir hätten keine bessere Quelle für den Stoff haben können als Niki. Was er mir schon an Details verraten hat, hätten wir unmöglich aus Dokumentationen oder anderen Quellen beziehen können.

Ricore: Was sagt Ihre Freundin dazu, dass sie demnächst Formel 1 fahren werden - wenn auch nur für einen Film?

Brühl: Sie ist beruhigt, dass ich vom Filmteam nicht allein gelassen werde. Schließlich macht man sich nicht nur um mich, sondern auch um die Autos Sorgen. Die Gefahr wird sich also in Grenzen halten. Das wird so abgesichert sein, dass sicher nichts passieren kann.

Ricore: Wann werden die Dreharbeiten beginnen und wo wird gedreht?

Brühl: Ende Februar 2012. Der Großteil davon wird in England stattfinden. Zehn Wochen werde ich in London verbringen. Auch in Deutschland finden einige Drehtage statt. Wie viele und wo genau, weiß ich noch nicht.

Ricore: Um einen Bogen zur deutschen Filmindustrie zu schlagen: Studio Babelsberg wird diese Tage 100 Jahre alt. Wie oft haben Sie in Babelsberg gedreht?

Brühl: "Inglourious Basterds" entstand in Babelsberg. Ansonsten kann ich mich nicht daran erinnern, dort davor einen Film gedreht zu haben. Ich habe selten in Studiofilmen mitgespielt. Vielleicht war ich mal wegen Kostümproben oder irgendwelchen Meetings in Babelsberg. Wenn ich außer "Basterds" dort einen Film gedreht habe, dann war das höchstens ein kleiner. Ich finde es aber schön, dass viele ausländische Produktionsfirmen Babelsberg zu schätzen wissen und hier gerne ihre Filme drehen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 19. Januar 2012
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