Kathrin Haas
Stephan Grossmann
Sicherheit hat Grenzen
Interview: Freiheitsliebender Stephan Grossmann
Stephan Grossmann ist kein Mann großer Worte. Bei öffentlichen Auftritten agiert er stets zurückhaltend. Trotz, oder gerade wegen seiner dezenten Art beeindruckt Grossmann als junger Helmut Kohl im Biopic "Der Mann aus der Pfalz". Nun verkörpert er Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher in "München 72 - Das Attentat". Im Interview mit Ricore Text erläutert Grossmann, was ihn mit dem beliebten Staatsmann verbindet. Außerdem spricht er über die Entwicklung des internationalen Terrorismus und die Einschränkung der persönlichen Freiheit.
erschienen am 19. 03. 2012
ZDF/Heike Ulrich
Heino Ferch und Stephan Grossmann in "München '72 - Das Attentat"
Ricore: Weshalb dauerte es fast 40 Jahre, bevor die tragischen Ereignisse von München '72 aus deutscher Sicht beleuchtet wurden?

Stephan Grossmann: Vielleicht brauchte es seine Zeit, den passenden Regisseur zu finden, sowie eine Produktionsfirma, die sagt: "Wir müssen mit einer neuen Perspektive einen Film zu diesem Thema machen!". Mit Werken wie "München" von Steven Spielberg und der Dokumentation "Ein Tag im September" gab es zu diesem Thema bereits sehr interessante Stoffe. Vielleicht ist man deshalb erst jetzt darauf gekommen, die Ereignisse aus der deutschen, der Krisenstabsicht zu schildern.

Ricore: Wann wurden Sie erstmals mit den Geschehnissen von München konfrontiert?

Grossmann: Dazu muss ich sagen, dass ich 1972 in Dresden geboren wurde und da aufgewachsen bin. Liebevolle Zungen bezeichneten uns immer, als im Tal der Ahnungslosen. Nicht nur, weil wir kein Westfernsehen hatten, die Störsender der Russen waren zu stark. Deshalb ist mir ein Großteil der westdeutschen Geschichte erst nach dem Fall der Mauer begegnet. Mit 18 begann damals für mich eine ganz neue persönliche Freiheit. Und dazu gehört eben auch, die Geschichte nicht einseitig zu sehen, sondern aus vielen Blickwinkeln zu betrachten. Und es war, das muss ich gestehen, zu allererst ein Film, der mich auf die Geschehnisse von 72 in München brachte.

Ricore: Haben Sie Herrn Genscher im Zuge Ihrer Vorbereitung auf die Rolle kennengelernt?

Grossmann: Leider nicht. Jetzt nach den Dreharbeiten wäre es schon interessant mit ihm über meine Rolle zu sprechen. Vorher hätte mich ein solches Gespräch vielleicht auch ein wenig eingeschüchtert. Ich hätte nicht mehr so viel Platz für eigene Kreativität gehabt. Deswegen ist es mir generell lieber eine reale Person die ich spiele, erst nach den Dreharbeiten kennen zu lernen. Das setzt natürlich voraus, dass ich im Vorfeld, genügend Material über die betreffende Person finde.
ZDF/Heike Ulrich
Stephan Grossmann als Hans-Dietrich Genscher in "München '72 - Das Attentat"
Ricore: Hatten Sie Angst, der Person Genscher möglicherweise nicht gerecht zu werden?

Grossmann: Als Schauspieler bin ich komischerweise nie der Meinung, jemanden nicht darstellen zu können. Man ist neugierig und versucht immer einen persönlichen Zugang zur Figur zu finden. Ich entwickelte relativ schnell den Ehrgeiz wissen zu wollen, wie sich die Situationen anfühlten, in denen sich Genscher befand. Dabei hat natürlich das Drehbuch geholfen. Anhand des detaillierten Skripts, der starken Grundsituation und der jeweiligen Szenen konnte man sich insgesamt schnell einfühlen.

Ricore: Wie hat man in der ehemaligen DDR das Attentat von 1972 wahrgenommen?

Grossmann: In unserer Schule in den Fächern Staatsbürgerkunde und politische Bildung war die Sympathie eher auf der Seite der PLO [Palästinensische Befreiungsorganisation]. Aber ich muss wirklich sagen, dass ich mich in dieser Zeit Null für die Politik des DDR-Staates interessiert habe. Ich habe auf Durchgang geschaltet, weil ich schon damals den ganzen Quatsch nicht ernst nehmen konnte. Insofern war 1989 für mich wirklich ein Segen. Die Grenzöffnung war schon deswegen eine der schönsten Stunden in meinem Leben, weil ich auch meinem Berufswunsch sofort nachgehen konnte. Nämlich Schauspiel zu studieren ohne dafür gleich drei Jahre zur Armee zu gehen usw. Das führt jetzt zu weit. Aber was doch wirklich ganz toll ist, dass ich durch den Verlauf der Geschichte nun auch noch die Chance hatte, zwei Politiker zu spielen, die ja maßgeblich an 1989 beteiligt waren, Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher.

Ricore: Sind Sie heute politisch interessiert?

Grossmann: Ich interessiere mich wie vielleicht viele andere auch für Politik, nach dem Motto: "Was will diese Partei erreichen?" und was erreicht sie tatsächlich. Wenn ich mich jetzt, wie in dem vorliegenden Fall, mit einer Person beschäftige, die konkret einer Partei angehört, also einem Politiker, ist ganz klar, dass ich mich intensiver damit befasse.

Ricore: Können Sie sich mit Genschers Politik und seiner Art identifizieren?

Grossmann: Über Genscher wurde geschrieben, dass er neben seinem professionellen politischen Umgang, immer wieder die Harmonie sucht. Dass er eben 'Mauern abbauen' und 'ein schönes Klima schaffen' kann. Da finde ich für mich persönlich einen Zugang. Ich vermute, dass er dadurch mit seinem Gegenüber immer eine unglaublich gute Kommunikation hatte, Distanz abbaute, dem Partner Handlungsraum gab und so zum Ziel kam. Das war für mich in unserem Film in den konkreten Situationen des Krisenstabes wegweisend.
Kathrin Haas
Stephan Grossmann
Ricore: In "München 72 - Das Attentat" ist Genschers Telefonat mit Frau Spitzer eine Schlüsselszene. Ist dieses Gespräch historisch belegt?

Grossmann: Das Telefonat gab es so nicht. Es gab kein Gespräch zwischen Herrn Genscher und Frau Spitzer. Und trotzdem war ich sehr dankbar über diese Szene, da man vielleicht einen Einblick in Genschers Innenleben bekommen kann. Ich glaube, dem Regisseur und dem Drehbuchautoren war mit solch einer Situation wichtig, die emotionale Seite zu zeigen. Die Szene von Genscher bei den israelischen Geiseln, die er selbst als die schlimmsten Stunden seines Lebens bezeichnet, gehört ebenso dazu. Aber diese traurigen und menschlichen Momente haben mich in der Darstellung des Menschen Genscher interessiert. Ich war sehr dankbar, dass es diese Momente im Drehbuch gab.

Ricore: Glauben Sie, dass der palästinensisch-israelische Konflikt irgendwann ein Ende haben wird?

Grossmann: Das wäre sehr zu wünschen. Ich hatte einmal die Möglichkeit, in Jerusalem zu drehen und muss leider sagen, dass ich es sehr bezweifle, dass da irgendjemand je von seiner Position abrücken wird. Es wirkt so festgefahren.

Ricore: Das Attentat von München wird immer wieder als Geburtsstunde des internationalen Terrorismus bezeichnet. Hat dieser seitdem wirklich zugenommen, oder wird einfach nur mehr darüber berichtet?

Grossmann: [Überlegt lange] Mein Eindruck ist, dass der Terrorismus zugenommen hat, wobei ich nicht so weit gehen würde zu behaupten, dass München an nachfolgenden Terrorattentaten Schuld ist. Aber was sich wirklich verändert hat, ist der Umgang mit Terrorismus. Heute würde man nicht mehr so einseitig auf Vermittlung setzen, auf 'es wird alles gut' und 'wir werden das lösen'. Stattdessen, und das hat mir Ulrich Wegener [1972 Offizier des Bundesgrenzschutzes] nochmals bestätigt, würde man heute viel schneller eine Einsatztruppe hinschicken und nicht so konfliktscheu reagieren.

Ricore: Trotz verbesserter Sicherheitsvorkehrungen besteht immer eine Restgefahr, oder?

Grossmann: Ja, man kann nie genau vorhersehen, was passieren wird. Nur ich möchte mich dagegen wehren, sich aus Angst wieder so persönlich einzuschränken.
Kathrin Haas
Stephan Grossmann
Ricore: Eine engmaschigere Sicherheitsüberwachung hat einen großen Nachteil: Persönlichkeitsrechte werden oft übers Maß hinaus eingeschränkt.

Grossmann: Definitiv. Ich bedauere sehr, was diesbezüglich in letzter Zeit passiert ist. Wobei ich damit nicht die Überwachung in der U-Bahn meine. Mir geht es eher um das Misstrauen. Also das, was sich in unseren Köpfen abspielt.

Ricore: Weshalb sind Sie vom Kaufmannsberuf zur Schauspielerei gewechselt?

Grossmann: Na ja, ich musste eine Ausbildung machen. Das war bei uns in der DDR so. Ich fand das gar nicht so schlecht. Ich sagte mir: "Jetzt machst du zwei Jahre Kaufmann und dabei lernst du ja auch ein wenig." Die Firmen sind nach der Wende allerdings alle Pleite gegangen. Ich bin daran aber nicht schuld! [lacht] Dann konnte ich endlich 1990 zur Schauspielschule, was perfekt für mich war.

Ricore: Wie fanden es Ihre Eltern, dass Sie den vermeintlich unsicheren Schauspielberuf ergriffen?

Grossmann: Sie wollten, dass ich Schauspieler werde, weil sie gesehen haben, dass das meine Leidenschaft ist. Sie meinten: "Wenn du dafür 140 Prozent brennst, dann ist es das Richtige für dich."

Ricore: Wann haben Sie gemerkt, dass die Schauspielerei Ihr Ding ist?

Grossmann: Ich war mit meinem Vater früher oft im Theater. An allen möglichen Bühnen, von Oper, Operette bis zum Schauspiel. Ich habe gespürt, dass mich der Ort magisch anzieht. Als eines Tages auch noch ein Fernsehteam in unseren Ort kam, war ich 'verloren'. Zunächst bin ich den Weg übers Theater gegangen und habe dort zehn Jahre in einem festen Engagement gespielt. Dann kam die schöne Verführung des Films und des Fernsehens, ja...und das lebe ich jetzt.

Ricore: Wie wichtig ist Ihnen die Bandbreite zwischen Stoffen wie "Der Mann aus der Pfalz" und "Männerherzen ... und die ganz, ganz große Liebe"?

Grossmann: Ich bin froh, dass man mir diese Bandbreite zugesteht. Ich finde es ungeheuer spannend, zwischen den Genres zu springen. An eine Komödie wie "Männerherzen" gehe ich genauso euphorisch, ernsthaft und neugierig heran wie an "München 72 - Das Attentat". Letztendlich sind es aber immer die Rollen, die uns Schauspieler voranbringen und glücklich machen.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 19. März 2012
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2024