United International Pictures (UIP)
Tom Hanks in Catch Me If You Can
DiCaprio über Karriere, Frauen und Betrügereien
Interview: Leos Comeback
Seit ihn die "Titanic"-Welle vor fünf Jahren in den Schauspieler-Olymp beförderte, hat Leonardo DiCaprio nur den - zum Glück schnell vergessenen - Film "The Beach" gedreht. Eine doppelt eindrucksvolle Rückkehr auf die Kinoleinwand feiert der 28-Jährige nun mit "The Gangs of New York" von Martin Scorsese und Steven Spielbergs Hochstapler-Komödie "Catch Me If You Can". Leospielt darin den Scheckbetrüger Frank Abagnale Jr. - und schlüpft als solcher in mehr Rollen als die meisten Schauspieler in ihrer ganzen Karriere.
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erschienen am 26. 01. 2003
United International Pictures
Leonardo DiCaprio in Catch Me If You Can
Ricore Medien: Mr. DiCaprio, Frank Abagnale gab sich unter anderem als Pilot, Arzt und Rechtsanwalt aus - welche war Ihre Lieblingsverkleidung?

Leonardo DiCaprio: Ehrlich gesagt musste ich mich erst an meinen Look in diesem Film gewöhnen - vor allem an die gelben Pullis und den Jumpsuit, aus dem meine Hühnerbeine herausstanden. Bei den Kostümproben waren ein paar meiner Freunde dabei, und die brachen jedes Mal in hysterisches Gelächter aus, wenn ich aus der Garderobe kam. Ich brauchte ewig, bis ich mich in all den Klamotten wohl fühlte. Erst als ich kapierte, dass diese Verkleidungen der Schlüssel zu Frank Abagnales Psyche waren, verstand ich die Rolle wirklich. Mein Lieblingsoutfit war der graue James-Bond-Anzug, der sah cool aus.
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Leonardo DiCaprio in Catch Me If You Can
Ricore: Welchen Eindruck hatten Sie bei Ihrem ersten Treffen mit dem echten Frank Abagnale?

DiCaprio: Ich hätte in einer Million Jahren nicht geglaubt, dass dieser Mann auch nur eine Briefmarke stehlen könnte. Er sieht aus wie der unschuldigste Volkschullehrer! Er ist so ein Genie, solch ein Riesentalent in dem was er tut, dass er die meiste Zeit vergisst, wie leicht es für ihn ist, Menschen in seinen Bann zu ziehen. Ich bin ihm einige Tage mit einem Notizblock hinterhergelaufen. Er behält immer Augenkontakt. Ich fragte ihn: "Hast du je deine Stimme verändert, irgendetwas mit Ausnahme der Kleider geändert?" Und er meinte: "Nein, ich hab im Grunde gar nichts gemacht." Ich bat ihn, mir ein Beispiel zu geben, etwa wie man einen gefälschten PanAm-Scheck einlöst. Und er sprach plötzlich mit Südstaatenakzent, aber ohne zu wissen, dass er es tut! Er machte das völlig instinktiv: Er verkörpert einen Piloten, die NASA ist im Süden, der texanische Dialekt war mit der Autorität dieser Organisation verbunden. Er wusste das, aber es war ihm im Moment der Handlung gar nicht bewusst, er fiel ganz automatisch in die Rolle hinein. Er kam zum Drehort und erzählte Geschichten - die gesamte Crew folgte mit offenem Mund jedem seiner Worte. Er besitzt eine magnetische Anziehungskraft und ist eine ungeheure Persönlichkeit.

Ricore: Haben Sie ihn nie gefragt, wieso er mit seinem Talent nicht ein Leben gewählt hat, das nichts mit Verbrechen zu tun hat?

DiCaprio: Er war ganz eindeutig ein fehlgeleiteter Jugendlicher. Von klein auf erzählte ihm sein Vater von den großen Konzernen, der Steuerbehörde und der Regierung, die dem kleinen Mann das Geld nur aus der Nase zögen. Sein Vater arbeitete sein ganzes Leben lang hart und brachte trotzdem kaum das Essen auf den Tisch. Unterbewusst wollte Frank sicherlich Rache nehmen, denn er fand nichts dabei, große Firmen zu betrügen. Er hätte nie einen kleinen Geschäftsmann um sein Geld gebracht. Und er war ein völlig gewaltloser Verbrecher. Er trug nie eine Waffe.
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Leonardo DiCaprio in Catch Me If You Can
Ricore: Politisch korrekte Medien behaupten dennoch, der Film stelle Verbrechen glamourös dar. Was halten Sie davon?

DiCaprio: Ist doch Schwachsinn. Wir zeigen ja auch, dass Frank im Gefängnis landete und für seine Betrügereien bezahlte. Und letztlich unentgeltlich für das FBI arbeitete, weil die erkannten, welche große Erfahrung er mit Scheckbetrug hat. Und heute benützt er sein Wissen, um für diverse Firmen Anti-Betrugstechniken zu entwickeln.

Ricore: Steven Spielberg sieht die Wurzeln von Franks Verbrecherlaufbahn bei der Scheidung seiner Eltern. Stimmen Sie dem zu?

DiCaprio: Das hat sicher was. Tief in ihm drin steckte der Wunsch, seine Eltern wieder zusammen zu bringen. Er wollte mit viel Geld heimkommen und sagen: "Hier Dad, hier ist ein Cadillac, warum holst du nicht Mom damit ab?" Er wünschte sich eine heile Familie.

Ricore: Auch Ihre Eltern sind geschieden. Können Sie sich in Franks Situation hineinversetzen?

DiCaprio: Nein, denn obwohl meine Eltern geschieden sind, kommen sie vorzüglich miteinander aus und waren immer gemeinsam für mich da. Auch als ich mein erstes eigenes Haus kaufte, wohnte ich von jedem der beiden nur einen Block weit weg. Ich konnte durch meinen Garten auf der einen Seite ins Haus meines Vaters und auf der andern ins Haus meiner Mutter rennen. Es war fantastisch, ich hatte stets das Beste von beiden. Und ich trug auch nie das Stigma einer zerbrochenen Familie in mir. Ich werde das meinen Eltern nie vergessen. Eine Zeitlang lebten wir in einer sehr schlechten Gegend von Los Angeles, und meine Mutter brachte mich jeden Tag stundenlang zu einer guten Schule, die leider weit entfernt lag. Ich höre bis heute auf meinen Vater, wenn er mir einen Rat gibt. Er ist der ultimative Buddha. Er hat die Ruhe weg, und er weiß über viele verschiedene Dinge Bescheid, ganz gleich ob es um Geschäfte, um Architektur, Kunst, Musik oder das Leben im Allgemeinen geht. Er ist der intelligenteste Mann, den ich kenne. Und zum Glück ist er mein Vater.
Warner Bros.
Leonardo DiCaprio in "Blood Diamond"
Ricore: Haben Sie schon mal jemanden übers Ohr gehauen?

DiCaprio: Ich hab nur in der Schule geschummelt, Mathe-Schularbeiten abgeschrieben. Ich hasste Mathe. Ich hab kein mathematisches Gehirn, deshalb kam ich immer mit Ausreden daher, um irgendetwas nicht machen müssen. Da war ich sehr erfinderisch.

Ricore: Als Schauspieler ist es Ihr Beruf, zu lügen - doch Sie kriegen dafür 20 Millionen Dollar. Sehen Sie die Ironie an der Sache?

DiCaprio: Klar! (lacht) Und dann sitzt du da und regst dich über die Paparazzi auf und darüber, dass du berühmt wirst. Und in lichten Momenten wird dir klar, dass du ohne Paparazzi und Berühmtsein kaum 20 Millionen kriegen würdest. In Wirklichkeit solltest du dankbar sein, dass du den großartigsten Job der Welt hast.

Ricore: "The Gangs of New York" kommt in den USA fast gleichzeitig mit " Catch Me If You Can" heraus: Nach fünf Jahren Sendepause nun also gleich der doppelte Leo?

DiCaprio: Das ist reiner Zufall. "The Gangs of New York" hätte ja schon letztes Jahr in die Kinos kommen sollen, aber dann wurde alles verschoben und deshalb kommt es jetzt zu diesem Leo-Overkill! (lacht) Ich bin nur froh, dass ich wieder arbeiten kann.
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Leonardo DiCaprio in Catch Me If You Can
Ricore: Wie fühlen Sie sich?

DiCaprio: Großartig. Ich bin sehr froh, wieder zurück zu sein. Es war ja definitiv eine Sendepause.

Ricore: Eine selbst gewählte?

DiCaprio: Nein, geplant hatte ich das nie. Ich war nur in einer Situation, in der ich ausschließlich gute Projekte machen wollte und nichts gefunden habe. Dabei wusste ich genau über "Gangs" Bescheid. Das Drehbuch liegt herum, seit ich 16 bin. Damals wechselte ich sogar den Agenten, nur um ein Meeting mit Martin Scorsese zu bekommen. Genau dasselbe mit "Catch Me": Ich las das Drehbuch und wollte sofort mitspielen, aber damals war nicht klar, wer Regie führen würde. Und so landete auch dieser Film erst mal im Regal.

Ricore: Was haben Sie in dieser Zeit über die Schattenseite des Ruhmes und über sich selbst und Ihre Freunde gelernt?

DiCaprio: Dass viele Leute Lügner sind. Nach "Titanic" war ich auf einmal von lauter Geiern umgeben. Das war ein Schock, denn ich brachte Leuten, die ich beruflich kennen lernte, immer dieselbe Offenheit entgegen wie meinen Freunden. Ich nahm immer an, dass Leute unschuldig sind, bis das Gegenteil bewiesen ist. Diese Phase meines Lebens war ein unglaublicher Lernprozess. Und er brachte mich den Menschen näher, die mich schon kannten, bevor ich irgendwer war. Inzwischen habe ich Erfahrung mit Leuten, die sich ganz anders geben als sie wirklich sind - um es mal milde auszudrücken.
Leonardo DiCaprio in Catch Me If You Can
Ricore: Sie sagten vor nicht allzu langer Zeit, dass es keine Möglichkeit gibt, mit Ruhm umzugehen. Wie bleiben Sie also normal?

DiCaprio: Mithilfe meiner Familie. Ich trage meine Arbeit und meinen Status nicht nach Hause. Daheim will ich gar nicht über Filme reden, denn sonst gibt es gar nichts anderes mehr. Dann nimmt der Job überhand, dann wirst du übersensibel und reagierst auf alles, was die Leute über dich sagen. Dann wirst du verletzt, weil du nicht mehr an dich selbst glaubst und veränderst dich menschlich.

Ricore: Wie sieht das mit Mädchen aus? Es kann ja auch in diesem Bereich nicht einfach sein, jemanden zu finden, der es nicht auf Ihr Geld und Ihren Ruhm abgesehen hat.

DiCaprio: Ich habe gelernt, dass man zunächst Freundschaft schließen muss. Wenn du nicht befreundest bist und die Person dich nicht so akzeptieren kann wie du wirklich bist und dir deine Fehler verzeiht, dann funktioniert es nicht. Ich habe beispielsweise keine coole Anmach-Routine, ich komme auch nicht mit Rosen und einer Flasche Champagner daher, wenn mir eine junge Lady gefällt. Ich bin ganz normal, mag Mädels mit gutem Humor und bin schon heilfroh, wenn eine bereit ist, mich wirklich kennen zu lernen und nicht schon automatisch eine vorgefasste Meinung hat. Aber was weiß ich schon über Frauen und Beziehungen, ich bin ja noch ein junger Hund.

Ricore: Und derzeit Single?

DiCaprio: Und derzeit Single, ja.
Ricore: Sie waren sehr jung, als Sie professionell mit der Schauspielerei begannen - wann wussten Sie, dass das Ihr Traumberuf ist?

DiCaprio: Ich habe da keine große Erinnerung. Ich weiß nur, dass meine Eltern es früh wussten. Denn jedes Mal, wenn sie Gäste hatten, verfiel ich, kaum dass sie gegangen waren, in stundenlange Imitationen. Keine Exzentrizität, kein Sprachfehler ist mir entgangen. Natürlich half dabei, dass meine Eltern viele verrückte Freunde hatten! (lacht) Erst mit 13 kapierte ich, dass man damit Geld verdienen kann. Dabei war von Vorteil, dass ich in Hollywood aufgewachsen bin, wo dir ohnehin jeder sagt: Nimm dir endlich einen verdammten Agenten.

Ricore: Wie sehen Sie Ihre bisherige Karriere?

DiCaprio: Ich bin überraschenderweise nun schon zwölf Jahre lang in diesem Geschäft. Ich erinnere mich an mein erstes Vorsprechen für "This Boys's Life". Ich war total ignorant, hatte keinen Schimmer, wie man einen Film macht und dass ich die Chance hatte, gleich zu Beginn mit jemandem wie Robert De Niro zu arbeiten. Ich hatte weder "Taxi Driver" noch "Wie ein wilder Stier" gesehen, und nur diese Ignoranz machte es mir möglich, ihm beim Vorsprechen Paroli zu bieten. Ich zeigte keinerlei Angst - weil ich keine hatte. Danach wurde ich langsam bekannter und durch "Titanic" übernacht sehr berühmt. Ich sehe eine ganze Menge Leute in meiner Position, die mit Ruhm ganz schlecht umgehen können. Und dann gibt es solche Menschen wie Steven Spielberg und Tom Hanks - der größte Regisseur und der größte Schauspieler unserer Zeit - und beide sind total professionell und die besten Beispiele dafür, wie man mit seinem Status umgehen sollte. Sie haben weder die Fähigkeit verlernt, völlig normal und nett mit Leuten umzugehen, noch sind sie verwöhnte Stars mit Riesenallüren.
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Leonardo DiCaprio in Catch Me If You Can
Ricore: Was ist das Geheimnis?

DiCaprio: Beide sind offen und bereit, noch immer etwas zu lernen, anstatt anderen ständig zu sagen, was sie tun sollen. Und beide lieben ihren Job. Ich glaube, wenn du das, was du machst, gern tust und hin und wieder auch mal "Danke" sagst für das Glück, das du im Leben hast, dann kannst du gar nicht verlieren.
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Seinen ersten Fernsehauftritt hat der nach dem italienischen Maler Leonardo Da Vinci benannte Schauspieler mit fünf Jahren. Seitdem ist er mit Unterbrechungen regelmäßig in TV-Serien und Spielfilmen zu sehen. Um seine Karriere voranzutreiben, schlägt ihm sein damaliger Agent vor, einen anderen Namen anzunehmen. Dies lehnt seine Familie jedoch ab. Den Durchbruch schafft Leonardo DiCaprio mit der Darstellung eines behinderten Teenagers in "Gilbert Grape - Irgendwo in Iowa". Diese Rolle bringt..
Leonardo DiCaprio und Tom Hanks stehen sich gegenüber. Zwei Gegner, die unterschiedlicher nicht sein könnten. DiCaprio als verzogener, dann größenwahnsinniger und schließlich verzweifelter Teenager - eine Paraderolle. Hanks der zunächst angestrengt engagierte, dann verzweifelt erfolglose Kriminalbeamter des FBI mutiert schließlich fast unmerklich zur väterlichen Figur - welch ein Szenario!
2024