Ricore
Bela B. Felsenheimer über Anarchie auf Raten
Interview: Offenen Auges hier und jetzt
Bela B. Felsenheimer (42) wird nicht leiser: Nicht mit seiner Band "Die Ärzte" und auch nicht mit der Schauspielerei, mit der er zunehmend selbst hart gesottene Kritiker überzeugt. Und erst recht nicht im dem dänische Animationsfilm "Terkel in Trouble", für den er nicht nur die Songs gesungen hat, sondern auch noch sämtliche Charaktere synchronisierte. In der politisch absolut unkorrekten Action-Komödie gerät ein 13-jähriger Zahnspangen-Teenager in den Focus eines Psychokillers. Wir erinnern uns mit Bela an seine Jugend, suchten nach Gründen für die Lebenshaltung "Punk" und diskutierten aktuelle Tendenzen heutiger Jugendkultur.
erschienen am 27. 12. 2005
Szenenbild aus: Terkel in Trouble
Ricore: Bela, an was erinnern Sie sich beim Gedanken an Ihre Schulzeit?

Bela B. Felsenheimer: Dass es nicht so toll war. Ich hatte nach meinem Abschluss mit keinem meiner Schulkameraden mehr Kontakt, und, ehrlich gesagt, hatte ich darauf auch gar keine Lust mehr. Für mich war das Kapitel mit dem Gong meiner letzten Stunde abgeschlossen.

Ricore: Waren Sie vom Typ her eher der Denker oder ein extrovertierter Rabauke?

Felsenheimer: Ich war das, was man in der siebten Klasse den Klassenclown nannte, und was ich rückblickend lieber als Entertainer bezeichnen würde. Weil ich lauter als viele Mitschüler war, gab es deshalb auch durchaus Zeiten, in denen ich weniger beliebt war. Mein Ansehen verlief in Stufen. Im einen Jahr war ich stellvertretender Schülersprecher, im nächsten plötzlich einer der Klassen-Buhmänner.

Ricore: Können Sie sich an den genauen Moment erinnern, in dem Sie erwachsen wurden?

Felsenheimer: Meine Kindheit fand mit den Sommerferien nach der zehnten Klasse ihr Ende. Es war ein ganz klarer Schnitt. Zum einen durfte ich meine Entscheidungen selbst fällen, zum anderen musste ich plötzlich Verantwortung übernehmen. Meine Mutter war allein erziehend, der konnte und wollte ich auch nicht länger auf der Tasche liegen. Während der Schulzeit war alles "easy", plötzlich musste ich mir Gedanken machen.

Ricore: Was war früher für Sie cool?

Felsenheimer: In erster Linie Musik. Speziell ab der neunten Klasse wurde es wichtig, die "richtigen" Bands zu hören, und als ich den Punk-Rock für mich entdeckte, war das für mich extrem aufregend. Ich bin im eher konservativen Westberliner Randbezirk Spandau groß geworden, diese neue Musikrichtung war dort exotisch. Es gab nur eine Handvoll Punks, und die wurden von den Klassenschlägern bedroht.
Terkel in Trouble (Szenenbild)
Ricore: Haben Sie sich jemals für Ihre Wertvorstellungen geprügelt?

Felsenheimer: Eigentlich bin ich eher ein Mann der Worte, aber ich war auch in Schlägereien verwickelt, bei denen ordentlich die Fetzen flogen. Einmal wurde ich beim Rauchen erwischt und musste gemeinsam mit einem rechtsradikalen Schüler den Hof fegen. Als der mich mit Parolen auf seine Seite ziehen wollte, konnte ich nicht mehr an mich halten. Allerdings war ich diplomatisch genug, mich nie einem der Schlägergangs in meinem Viertel anzuschließen.

Ricore: Punk-Rocker sind Sie bekanntlich bis heute geblieben. Was verbinden Sie heute mit dem Begriff Coolheit?

Felsenheimer: Wer sich seiner und seiner Umwelt bewusst ist und selbst was auf die Beine stellt auch gegen allgemeine Trends und Meinungen. Zivilcourage, Mut ist letztendlich auch cool. Es heißt immer, die heutige Jugend wäre unpolitisch, aber als Mitglied der Ärzte will ich daran nicht glauben. Ich stehe in ständigem Kontakt mit Fans, und ihre E-Mails beweisen mir das Gegenteil. Es gibt durchaus junge Menschen, die eine politische Meinung haben. Die sich dagegen wehren, dass z.B. Rechtsradikalismus zunimmt oder Schwule noch immer gedisst werden.

Ricore: Welcher Song steht in Ihren Top-20 ganz oben?

Felsenheimer: Weiß nicht genau, aber ganz weit vorne steht mit Sicherheit eine meiner absoluten Lieblingsplatten: Das 1996 erschienene Album "White Light, White Heat, White Trash" der US-Punk Band Social Distortion. Ich höre diese CD ständig während Dreharbeiten, das hebt meine Stimmung ungemein. In Sachen Portabilität ist er unschlagbar. Das war auch letztlich der Grund, warum ich mir so ein Ding zugelegt habe, obwohl ich mich als Musiker dagegen sträube, Musik via Internet herunter zu laden.

Ricore: Weil dadurch das Konzeptalbum ein für allemal ausgedient hat?

Felsenheimer: Als Künstler verstehe ich ein Album als Ganzes. Die richtige Reihenfolge der Songs, das Cover, das Booklet - all das spielt für mich eine wichtige Rolle. Durch das simple Downloaden von einzelnen Songs wird Musik entmystifiziert, zur Ware, die man beliebig zusammenstellen kann und damit letztlich auch wertloser. Diese technische Weiterentwicklung wurde von derselben Industrie gefördert, die zuerst den Anschluss verpasst hat und nun herumjammert, dass Leute sich illegal Songs aus dem Internet herunterladen.
Jim Rakete
Bela B. Felsenheimer
Ricore: Spüren Sie die Auswirkungen illegaler Downloads am eigenen Leib?

Felsenheimer: Natürlich merke ich das! Es nervt mich, dass es inzwischen sogar so weit geht, dass sich Fans gebrannte CD's unterschreiben lassen wollen und mir stolz erzählen, sie hätten es endlich geschafft, sich alle Songs der Ärzte von anderen Fans zu kopieren. Wir verkaufen immer noch ziemlich viel, obwohl wir prinzipiell keinen Kopierschutz auf unsere CDs tun, was wohl daran liegt dass wir uns bei Inhalt und Cover viel Mühe geben.

Ricore: Wie reagieren Sie auf diese direkte Konfrontation mit illegalen Kopien?

Felsenheimer: Ich diskutiere mit den Leuten. Ich versuche ihnen klarzumachen, dass es ihre Lieblingsband bald nicht mehr geben wird, wenn sie in diesem Stil weitermachen. Ich erkläre ihnen, dass Musik auch etwas mit der richtigen Einstellung und mit Wertbewusstsein zu tun hat. Die meisten tun das ja nicht, weil sie sich die Musik sonst nicht leisten könnten, sondern einfach nur, weil es für sie billiger ist. Inzwischen laden ja sogar Erwachsene herunter. Das Phänomen beschränkt sich nicht mehr nur auf die Jugend. Geiz ist geil, das ist der aktuelle Spirit.

Ricore: Warum ergreifen Sie dann nicht selbst die Initiative und unterstützen Projekte wie den Music Store? Zwar findet man in dem kostenpflichtigen Downloadprogramm Soloplatten wie Ihr Hörbuchprojekt mit Thomas D., nach den Ärzten dagegen sucht man vergeblich...

Felsenheimer: Als Band haben wir immer versucht, so autark wie möglich zu sein. Natürlich mussten wir zu Beginn mit großen Plattenfirmen zusammenarbeiten, um unsere Musik überhaupt vertreiben und bekannter machen zu können, aber seit 1999 haben wir unser eigenes Label. Diese Selbstständigkeit beinhaltet natürlich auch, dass wir unsere Songs über unsere eigene Website www.bademeister.com vertreiben. Um uns selbst keine Konkurrenz zu machen, haben wir die Ärzte-Songs deshalb für alle anderen Online-Anbieter gesperrt.

Ricore: Stößt Ihr autarker Online-Vertrieb auf Resonanz?

Felsenheimer: Uns gehen mit Sicherheit Käufer verloren, weil wir nicht bei den großen Anbietern gelistet sind, aber wer nach uns in normalen Suchmaschinen wie Google recherchiert, der stößt relativ schnell auf unser Angebot. Wer sucht, der findet.
Lehrer in: Terkel in Trouble
Ricore: Für den dänischen Animationsfilm "Terkel in Trouble" haben Sie nun im Alleingang nicht nur alle Lieder gesungen, sondern auch alle Stimmen synchronisiert...

Felsenheimer: Was eine Riesenherausforderung war. Es müssen inklusive der Hintergrundcharaktere so um die vierzig Stimmen gewesen sein.

Ricore: Auffallend ist bei der unterhaltsamen Story vor allem das politisch Unkorrekte. Ist das eine Geisteshaltung, mit der Sie als Punk-Rocker auch gerne kokettieren?

Felsenheimer: Mich hat diese Komponente natürlich gereizt, auch wenn ich sie eher "moralisch unkorrekt" nennen würde. Sie stellt Dinge auf den Kopf, provoziert und lässt die Charaktere Dinge tun, die sie eigentlich lieber bleiben lassen sollten. Im Grunde thematisiert der Film nämlich das, was in der Gesellschaft ohnehin bereits vorhanden ist: Einen moralischen Defekt.

Ricore: Sie werden offenbar nie müde, das anzuprangern, was Sie an der Gesellschaft stört...

Felsenheimer: Ich bin Künstler, mache Musik - und stehe damit seit 23 Jahren in der Öffentlichkeit. Ich stehe unter einer anderen Beobachtung als früher. Klar, dass ich mich dann nicht nur in Interviews zu Dingen äußere, mit denen ich nicht einverstanden bin. Das ist keine Masche, noch in den Achtzigern wäre mir das echt egal gewesen. Da habe ich in Interviews "Rock'n'Roll" gebrüllt und nach Whiskey und Bier verlangt. Heute maße ich mir an, eine Meinung zu gewissen Dingen öffentlich kundzutun, manchmal auch ohne gefragt zu werden.

Ricore: Mit Ihrem Erfolg kam schließlich auch das Geld, wenn nicht sogar Reichtum. Spürten Sie nie die schleichende Gefahr, durch diesen finanziellen Wohlstand ins Establishment abzurutschen?

Felsenheimer: Geld ändert immer alles. Das ist so. Bei den Ärzten ging das aber zum Glück nicht so schnell. Wir ironisieren uns selbst gern als die sympathischen Punk-Millionäre aus Berlin. Ich sammle keine Ferraris und hab erst einmal in einem Porsche gesessen.

Ricore: Und? Das Röhren des Motors hat Sie nicht schwach gemacht?

Felsenheimer: Scheiße nein. Ich bin einfach nicht der Typ dafür. Interessiert mich nicht. Mein Reichtum dient mir zu anderem infantilem Quatsch, Ich nutze ihn dazu meine Kinderträume zu verwirklichen, deshalb passt Terkel ja auch so gut zu mir. (lacht)
erschienen am 27. Dezember 2005
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Er ist das Multitalent im deutschen Showbiz. Bela B. Felsenheimer ist Schlagzeuger, Liedermacher und Sänger der deutschen Punk-Band Die Ärzte. Nebenbei betätigt er sich als Synchronsprecher und Schauspieler. Vor seiner beachtlichen Musik-Karriere versucht er sich in zahlreichen anderen Bereichen. So bricht er seine Polizeiausbildung vorzeitig ab. Von der Verkaufskette Dracula-Darsteller Bela Lugosi und Comicheld Barney Geröllheimer.
"Terkel in Trouble" ist eine provokative Komödie, die den Zuschauer mit allerlei Unerhörtem und Ungehörigem überhäuft. Es fließt viel Blut, Schimpfwörter sind beständig zu hören und der Humor ist schwärzer als die Nacht. Unübersehbar ist die Nähe zu "South Park". Das 3-D animierte Zeichentrickprojekt entwickelte sich in Dänemark zum erfolgreichsten Kinostart des Jahres 2004 und erhielt den Robert, den wichtigsten dänischen Filmpreises, als bester Familienfilm, für den Ton, die Musik und..
2024