Max Kirchbauer/BMW AG
Veit Helmer
Veit Helmer über die Dreharbeiten zu Absurdistan
Interview: Die Welt soll mich umarmen
Veit Helmer ist Weltbürger. Das beweist der deutsche Regisseur mit allen seinen Filmen. So auch in "Absurdistan". Cast und Crew kommen aus über 20 Nationen. Für das Casting ist Helmer monatelang durch 25 Länder gejettet. Wie bei seinem Debüterfolg "Tuvalu" spielt auch die Handlung seiner Geschichte nicht einem konkreten Land, was das phantastische Moment seiner Geschichte betont. Auch privat reist Helmer gerne, so hat er acht Länder besucht, um den perfekten Drehort zu finden. Wir trafen den Regisseur während der Dreharbeiten am Set in Aserbaidschan.
erschienen am 18. 03. 2008
Ricore Text
Darsteller und Filmteam von "Absurdistan"
Ricore: Schauspieler aus so vielen Ländern zu engagieren, hat das einen besonderen Hintergrund?

Veit Helmer: Der Film spielt in einem nicht definierten Land irgendwo zwischen Europa und Asien. Ich habe vornehmlich in Süd- und Osteuropa meine Schauspieler gesucht. Ich wollte besonders dickköpfige Männer haben und Frauen, die so sexy wie Spanierinnen sind. So kann man den Film nicht zuordnen. Es gibt nur wenig Dialog und der wird von den Schauspielern in der Sprache gesprochen, die sie am besten beherrschen. Mal georgisch, mal tschechisch. Mein Land ist so eine Art Villa Kunterbunt.

Ricore: Wie sind Sie auf diesen Ort (Lahic) gekommen?

Helmer: Das Dorf ist eine verrückte Mischung aus Sowjetunion und Orient. Das ist einzigartig. In der hiesigen Schule hängt ein Bild, wie eine Straße gebaut wird und alle feiern. Die Straße wurde erst zur Zeit der Sowjetunion gebaut. Die Geschichte basiert zudem auf einer wahren Begebenheit.

Ricore: Ihr Drehbuchautor hat auch "Time of the Gypsies" geschrieben.

Helmer: Ich habe drei Autoren gehabt. Der erste Autor ist Gordan Mihic, mit dem ich auch schon an meinem letzten Film zusammen gearbeitet habe. Dann habe ich mit Zaza Buadze gearbeitet, der hier aus der Gegend kommt. Die letzte Fassung habe ich mit Gordan Mihic geschrieben, der mir vor allem geholfen hat, das Drehbuch für die Schauspieler interessant zu machen. Aya und Temelko sind sicherlich interessante Rollen. Aber am Anfang gab es nur die Männer und die Frauen und da ich namhafte Schauspieler für die Nebenrollen besetzen wollte, musste ich denen nicht nur Namen, Alter und Berufe geben. Sie brauchten alle eine eigene Geschichte. Aufgrund vom Drehplan ließen wir erst einmal wenig Leute kommen und dann immer mehr. Das war günstiger und hatte psychologisch einen Vorteil, weil die Schauspieler hier Masse spielen, das sind alles Nationalschauspieler, sie sind Helden.
Ricore Text
Veit Helmer
Ricore: Viele der Darsteller kommen von der Bühne. Ist das ein Zufall?

Helmer: Viele kommen aus Ländern, wo es überhaupt kein Kino mehr gibt. Es gibt sechs aserbaidschanische Schauspieler, aber hier gibt es überhaupt keine Kinoindustrie mehr. Es passiert mir immer wieder, dass ich manchen Schauspielern sagen muss, sie sollen nicht mit den Händen spielen. Sie sind es nicht gewohnt, vor einer Kamera zu spielen. Aber ich muss sie nicht wirklich unterrichten oder coachen. Aya und Temelko haben zum Glück viele Filme gedreht. Die haben keine Allüren. Bei den Frauen gibt es manchmal solche Probleme. Manche versuchen sich, in den Vordergrund zu spielen.

Ricore: Ihr Film spielt weder in Deutschland noch einem anderen konkreten Land. Ist Reisen eine Konstante in Ihrem Leben?

Helmer: Ich reise gerne. Wenn ich sage ich war in elf Ländern zur Motivsuche dann beklage ich mich nicht. Ich betrachte das als einer meiner größten Annehmlichkeiten meines Berufs. Ich liebe es auf Motivsuche zu gehen. Castings sind manchmal anstrengender, weil Castings auch mit menschlichen Enttäuschungen verbunden sind. Man trifft sehr viele Schauspieler, die begeistert sind. Ich bekomme Geschenke und die Leute versuchen einen zum Essen einzuladen. Ich halte mich immer von Schauspielern fern. Schauspieler sind nicht meine Freunde, aus Angst, dass ich in die Verlegenheit komme, ihnen absagen zu müssen.

Ricore: Haben Sie eine Heimat, sind Sie irgendwo verwurzelt?

Helmer: Ich komme aus Deutschland. Meine Vorfahren kommen aus Niedersachsen und aus Schlesien. Meine Eltern waren nie außerhalb Europas. Meine Mutter habe ich einmal mit nach Amerika genommen und sie war in Aserbaidschan. Mein Vater ist jemand, der viel herumfährt. Fernreisen interessieren mich nicht. Ich war noch nie in Australien. Meine größten Enttäuschungen habe ich in Brasilien und Japan erlebt. Meine interessantesten Reisen waren 1988 nach Osteuropa, weil ich mich da in einer unbekannten und fremden Welt gefühlt habe.
Ricore Text
Veit Helmer
Ricore: Wie lebt Veit Helmer zwischen den Filmen?

Helmer: Ich schneide den letzten Film und schreibe den Neuen.

Ricore: Vor Ort oder reisend? Wie findet das Leben dann statt?

Helmer: Berlin ist meine Heimat. In Berlin lebe ich, da habe ich meine Zweimann-Firma. Ein Film ist für mich nicht fertig, wenn ich ihn fertig gedreht habe. Wenn der letzte Vorführer sagt, "Ich habe es satt", und der letzte Zuschauer sagt, "Nerv mich nicht", dann höre ich auf, für den Film zu kämpfen. Ich biete meine Filme allen Festivals an, ich reise viel, verlange von meinen Schauspielern, wenn sie einen Vertrag unterschreiben, bei der Promotion mitzuhelfen. Mir ist der Erfolg an der deutschen Kinokasse nicht wichtiger, als der Erfolg an der französischen oder an der bulgarischen. Mir geht es bei der Vermarktung nicht darum, dass ich reich werde, sondern dass ich das Gefühl habe, eine tolle Kritik zu bekommen.

Ricore: Für "Tuvalu" ist das gnadenlos gelungen. Er wurde sehr euphorisch aufgenommen. Bei "Tor zum Himmel" war die Reaktion verhaltener.

Helmer: Man hat natürlich höhere Erwartung. Man macht einen Film, der kommt super an und gewinnt 30 Preise. Mein zweiter Film hat nicht so viele Preise bekommen, aber ich bin auch gut um die Welt gekommen. Ich würde den Film heute nicht anders machen. Er war wichtig für mich und jetzt ist "Absurdistan" das Wichtigste für mich.

Ricore: "Absurdistan" hat wieder mehr mit "Tuvalu" zu tun.

Helmer: Ich habe das Gefühl, das ich mich immer verbessere. "Tuvalu" war ein dunkler Film, wo es um viel Angst ging. Ich finde, er hat viele dramaturgische Unfertigkeiten. Ich könnte ihn mir heute gar nicht mehr angucken. Er ist in schwarzweiß gedreht, in einer Welt, wo es immer regnet. Er hat viel mit diesem Film zu tun: Es geht auch um Wasser, um eine Liebe und zwei Menschen, die zusammen kommen. "Absurdistan" wendet sich lebensfroheren Aspekten zu. Es geht um die Liebe, es geht um Sex. Es scheint die Sonne, zumindest auf der Leinwand. Trotzdem ist er auch ein ernsthafter Film. Ich will Filme drehen, die eine gewisse Tiefe haben. Ich glaube nicht, dass das nur ein Schenkelklopfer ist. Ich denke, dass er eine Tiefe, poetische Ebene hat und dafür sind die alten Schauspieler zuständig.

Ricore: Das ist jetzt ihr dritter Spielfilm. Dazwischen war noch ein Dokumentarfilm. Haben Sie schon alle Kontakte die man braucht, um einen internationalen Film zu drehen?

Helmer: Jedes meiner Projekte bedarf einer eigenen Infrastruktur. Die muss man für jeden Film komplett neu Maß schneidern lassen. Die Kontakte kann man sich machen. Für jeden Film brauche ich neue Finanzierungsfirmen und ein neues Casting. Ich bin nicht so einer, der immer nur mit einer Familie dreht, weil ich nicht jedes Jahr in Berlin drehe. Vorrangig würde ich gerne mit Leuten vor Ort arbeiten. Die kennen ihr Land und die Bedingungen. In Aserbaidschan war das nicht möglich.
erschienen am 18. März 2008
Zum Thema
Nach dem Studium an der Wim Wenders "Die Gebrüder Skladanowsky" mit. Das Regiedebut des gebürtigen Hannoveraners sorgt gleich für großes für Aufsehen: "Tuvalu" läuft auf 62 Filmfestivals! Generell zeichnet sich sein Werk durch eine fantastische, gänzlich undeutsch empfundene Erzählweise aus.

Helmer sucht und findet in seinen Protagonisten stets das Widersprüchliche, Absurde und Komische. Daraus resultieren zarte, märchenhafte Komödien, die das Herz berühren. 2002 wird Veit Helmer..
Absurdistan (Kinofilm)
Während sich die Männer im Teehaus amüsieren, stehen die Frauen im kleinen Absurdistan um Wasser an. Als dieses endgültig versiegt, entschließen sich die Frauen zum Streik: Solange die Männer die gebrochene Leitung nicht reparieren, gibt es keinen Sex! Veit Helmer inszeniert eine Dialogarme Liebeskomödie über das Verhältnis der Geschlechter. Ihren Charme entwickelt die phantasievolle Komödie aus den zahlreichen komischen Einfällen und seiner poetischen Bildsprache.
2024