Ann-Catherin Karg/Ricore Text
Hauptdarsteller Oliver Stokowski
Oliver Stokowski mag es friedlich
Interview: "Ich neige zur Verdrängung"
Auf den ersten Blick ist Oliver Stokowski der nette Typ von nebenan. Dabei gehört er zu den vielseitigsten deutschen Schauspielern. Er ist nach wie vor am Theater aktiv, nimmt sogar feste Engagements an. Fernsehzuschauer kennen ihn aus Serien wie "Der Ermittler" und "Polizeiruf 110". Auch dem Kinopublikum ist der 46-Jährige aus "Echte Kerle" oder "Das Experiment" bekannt. In Neele Vollmars Familiendrama "Friedliche Zeiten" gibt der Schauspieler einen Familienvater, der die zahlreichen Neurosen seiner Frau liebevoll erträgt. Wir sprachen über verdrängte Probleme und das Geheimnis der Liebe.
erschienen am 14. 09. 2008
Senator Film Verleih
Das Experiment
Filmreporter.de: Warum fällt es Dieter aus "Friedliche Zeiten" so viel leichter im Westen Fuß zu fassen als seiner Frau Irene?

Oliver Stokowski: Der hat sich das schon immer gewünscht. Der wollte immer in den Westen, nach Amerika, frei sein und sich einfach die Welt anschauen. Als er merkt, dass die Mauer gebaut wird, versucht er da noch schnell raus zu kommen bevor es überhaupt nicht mehr geht. Der Freiheitsdrang im Menschen ist ja ein stark ausgeprägter Instinkt. Aber bei Irene funktioniert der nicht, was ja fast schon krankhaft ist.

Filmreporter.de: Warum liebt Dieter Irene trotz ihrer überaus anstrengenden Persönlichkeit?

Stokowski: Das ist einfach so. Man verliebt sich und weiß im Grunde nicht warum und was da mit einem passiert. Der Dieter hat es mit seiner Art bei Frauen immer leicht gehabt. Immer einen Spruch auf den Lippen und nur nicht so in die Tiefe gehen. Und bei Irene ist er zum ersten Mal auf Granit gestoßen. Das Geheimnis dieser introvertierten, traurig wirkenden Frau hat ihn unglaublich fasziniert. Weil sie das komplette Gegenteil von ihm ist. Diese Festung zu erobern hat ihn gereizt. Aus dieser Unterschiedlichkeit ist dann eine ganz tiefe Liebe entstanden. Wahrscheinlich besteht darin der Reiz: Dass man immer kämpfen muss weil man das ganze Geheimnis noch nicht gelüftet hat, weil bei der Frau noch nicht alle Türen geöffnet sind. Das kann natürlich auch unheimlich ermüdend sein, das ist klar. Aber abgesehen davon: Wenn man sich einmal die Katharina Schubert ankuckt mit ihrer ganzen Art und wie sie das macht…Man bringt ja immer viel von sich selbst ein und überlegt, in welchen Punkten man sich mit der Figur identifizieren kann. Das fiel mir in dem Fall gar nicht schwer, weil die Katharina eine Frau ist, in deren Augen man geradezu ertrinken kann.
Tzveta Bozadjieva/Ricore Text
Oliver Stokowski
Filmreporter.de: In welchen Aspekten gleichen Sie dem Dieter denn noch?

Stokowski: Ich kann sehr gut verstehen, dass er bei dieser Frau zwischendurch erlahmt und irgendwann sagt: "Ich muss raus, ich werde wahnsinnig!". Sie versucht ja den Osten weiter zu leben, in dem sie die Berliner Mauer durch die Türkette ersetzt. Sie will immer drinnen bleiben vor lauter Angst vor dem was draußen passieren könnte. Dieter hat diesen natürlichen Freiheitsdrang, ist neugierig und will alles ausprobieren. Mit seiner "Was kostet die Welt"-Mentalität konnte ich mich leicht identifizieren. Aber Dieter ist ja auch ein Verdränger, ignoriert viele Dinge oder versucht sie sich schön zu reden oder Witze darüber zu machen. Er geht den Weg des geringsten Widerstands und hofft einfach, dass sich die Probleme schon irgendwie lösen werden. Die anderen Frauen benutzt er auch nur als Blitzableiter, um von seinen eigenen Problemen abzulenken. Das sind alles Charaktereigenschaften die ich nachvollziehen kann. Ich habe an mir auch schon entdeckt, dass ich dazu neige Dinge weg zu schieben und dann denke: "Komm, das wird schon." Irgendwann habe ich dann aber glücklicherweise entdeckt, dass sich nicht alle Dinge ignorieren lassen und man die Probleme beim Schopf packen muss. Aber ich kann diesen Mechanismus nach wie vor verstehen.

Filmreporter.de: Aber ist es für Sie auch nachvollziehbar, dass er all ihre Macken aushält und ohne sie nicht glücklich werden kann?

Stokowski: Wo die Liebe hinfällt. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass man das trotz großer Probleme auch innerhalb der Partnerschaft durchzieht. Man kann Liebe ja so schwer erklären. Über 2000 Jahre Weltliteratur haben sich damit befasst und es gibt kein schlüssiges Ergebnis. Ich kann sehr gut verstehen, dass man lange an einer Liebe fest hält, weil es einfach aus der Seele und dem Herzen kommt. Ich habe das auch alles in vielen verschiedenen Facetten selbst erlebt, die Liebe ist einfach unergründlich.
Kinowelt
Friedliche Zeiten
Filmreporter.de: Es haben sich ja schon einige deutsche Komödien mit der DDR auseinandergesetzt, aber bei "Friedliche Zeiten" bildet sie nur den Hintergrund für die Familiengeschichte. Hat sich da der Blickwinkel geändert?

Stokowski: Die Leute sehnen sich nach normalen Vorgängen. Diese ganzen politischen Dinge haben wir alle schon hoch und runter durch gekaut. Wenn man sich die Nachrichten anschaut und sieht, dass wieder an irgendeinem Ort Bomben gefallen sind, dass nach einem Erdbeben oder Tsunami Zigtausende tot sind, das sind so abstrakte Dinge, da steht man da und müsste eigentlich aus den Tränen gar nicht mehr heraus kommen. Es sind aber die Einzelschicksale die einen bewegen. Weil man da einen Zugang findet, das andere ist zu abstrakt. Der bewegende Moment liegt in den kleinen Problemen die man selber auch hat und deshalb einen Zugang findet. In dem Fall ist es durch die Kinder ja noch die raffiniertere Version. Das geht in der emotionalen Ebene noch ein Stück weiter. Es ist nicht nur der Mikrokosmos Familie, sondern auch noch die Sicht der Kinder. Die Sicht der Kinder ist viel ehrlicher, die sehen die Dinge ohne Umwege ganz direkt. Diese kindliche Naivität, die man versuchen sollte sich so weit wie möglich zu bewahren, stellt das Ganze emotionaler dar, weil es so schonungslos ehrlich ist. Die wollen einfach friedliche Zeiten, die wollen Harmonie und Wärme und Liebe. Hier verkehrt sich das soweit, dass sich die Kinder noch um die Eltern kümmern müssen. Wie sagt man: "Kinder und Tiere auf der Bühne, dann ist sowieso Feierabend."

Filmreporter.de: Wie war des denn mit den Dreien zu drehen?

Stokowski: Einerseits ist es das was ich eben beschrieben habe. Wenn man sich denkt: "Ach wie schön, wenn ich nur auch so sein könnte." Weil man im Laufe der Zeit ja immer verschrobener wird und dann versucht, sich das zurück zu holen. Andererseits ist es natürlich auch sehr anstrengend, wenn da drei Kinder am Set herumwuseln. Das viele Warten und Funktionieren und Diszipliniert-Sein sind die ja noch nicht so gewöhnt. Aber das haben die drei toll gemacht, das sind ja schon richtige Profis. Da kann ich nur das größte Kompliment aussprechen, wie die das hingekriegt haben. Dennoch staut man in diesen Wartezeiten zwischendurch eine unglaubliche Energie auf. Und wenn man dann nicht vor jeder Szene einen hundert-Meter-Lauf machen kann ist klar, dass drei Kinder da schon ein bisschen in Bewegung sind. Und auch Geräusche und alles machen, das ist dann hin- und wieder schon eine Zerreißprobe. Aber wir haben uns wirklich alle sehr gemocht, und das war der große Vorteil. Es gibt auch Leute bei denen man sagt: "Ich weiß nicht warum - so wie mit der Liebe - aber mit diesem Menschen kann ich nicht." So etwas gibt's ja, und das ist dann bei den Proben oder auf der Bühne oder wo auch immer schrecklich. Da muss dann doppelt spielen. Aber in dem Fall war das nicht nötig. Wir haben uns ja getroffen und da schon gemerkt, dass wir da so eine Chemie haben.
Ann-Catherin Karg/Ricore Text
Oliver Stokowski
Filmreporter.de: Ist Ihnen das schon öfter passiert, dass sie beim Arbeiten auf Leute getroffen sind, mit denen sie eigentlich nicht richtig arbeiten können?

Stokowski: Das passiert immer wieder und da kann man gar nichts machen. Es ist ja normal, dass man nicht mit allen zurechtkommen kann. Da muss man dann eben noch professioneller sein als sonst.

Filmreporter.de: Was war das Besondere an der Arbeit mit einer so jungen Regisseurin?

Stokowski: Ich kann da jetzt gar keinen Unterschied machen zwischen jung und alt, Mann und Frau oder so, da habe ich eigentlich schon alles erlebt. Da habe ich gar nicht drüber nachgedacht. Aber daran, dass Sie gerade das jung so betont haben, merkt man ja auch, dass man schon älter geworden ist. Neulich traf ich einen am Set, habe den normal gegrüßt und gefragt was er so macht. Da sagt er: "Ich spiele deinen Sohn". Da dachte ich mir: "Aha, kuck mal an, könnte sein wenn ich früher angefangen hätte." Mit Neele war es klasse, aber das lag wahrscheinlich nicht am Alter.

Filmreporter.de: Sind junge Regisseure vielleicht offener für andere Vorschläge?

Stokowski: Oftmals sind die älteren offener, weil sie sich wieder geöffnet haben. Das habe ich auch am Theater schon gemerkt, dass Leute, nachdem sie durch alle Höhen und Tiefen gegangen sind dann wieder aufgegangen sind. Da besteht eigentlich kein Unterschied zwischen jung und alt. Die Neele sprüht vor Begeisterung für ihr Projekt, ich glaube, die strahlt für alles was sie macht so. Man merkt ihr die Leidenschaft an. Auch die Produzentin Caroline Daube war ein Glücksfall. Vielleicht war es ein Vorteil, dass Frauen diesen Film über ein sehr sensibles Thema gemacht haben. In dem Film gibt es überhaupt unglaublich viele Frauen. Ich glaube, das war schon richtig.

Filmreporter.de: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 14. September 2008
Zum Thema
Oliver Stokowski beginnt seine Karriere an der Schauspielschule in Graz. Als er den Magister in der Tasche hat, spielt er an renommierten Theaterhäusern in Hannover, München und Wien. Dem Theater bleibt er auch treu, nachdem er sich einen Namen mit Fernseh- und Kinofilmen gemacht hat. Krimifreunde kennen ihn als Hauptkommissar Paul Zorn in "Der Ermittler" oder aus diversen "Tatort"- und "Polizeiruf 110"-Folgen. Das Kinopublikum wird durch "Echte Kerle" und "Das Experiment" auf Stokowski..
Die meisten Kinder wollen, dass ihre Eltern für immer zusammen bleiben. Im Fall der Geschwister Striesow sieht das anders aus. Ständig streiten sich die Eltern über die vorgelegte Türkette und mögliche Affären von Vater Dieter (Oliver Stokowski). Schuld am ewigen Zoff ist die traumatisierte und neurotische Mutter Irene (Katharina Schubert), die sich nach der Flucht aus der DDR nie im Westen eingelebt hat. Von der neu gewonnen Freiheit fühlt sie sich bedroht, stündlich rechnet sie mit dem..
2024