ARD Degeto/Erika Hauri
Anna Brüggemann im ARD-Film "Eine Nonne zum Verlieben"
Inspirierende Bruder-Schwester-Beziehung
Interview: Unabhängige Anna Brüggemann
Im deutschen Filmbusiness gibt es selten ein so gut harmonierendes Geschwisterpaar wie Dietrich ("Warum läuft Herr V. Amok?") und Anna Brüggemann ("Kleinruppin forever"): Er ist Drehbuchautor und Regisseur, sie Drehbuchautorin und Schauspielerin. Zusammen entwickelten sie das Skript zu "Neun Szenen". Nun folgt mit "Renn, wenn Du kannst" eine einfühlsame Charakterstudie über die Ziellosigkeit der heutigen Gesellschaft. Mit uns spricht die 29-jährige Aktrice über die Zusammenarbeit mit ihrem Bruder am Set und ihrem Plan B.
erschienen am 27. 07. 2010
Zorro Filmverleih
Robert Gwisdek und Anna Brüggemann in: Renn, wenn du kannst
Ricore: Wie wählen Sie Ihre Rollen aus?

Anna Brüggemann: Das ist nicht ganz einfach zu beantworten. Ich gucke, ob die Figuren eine Reise machen, die mich interessiert. Ich schaue, ob sie etwas durchleben, von dem ich denke, dass es auch mir gefallen könnte. Ich achte auf Ecken und Kanten der Figuren. Manchmal kommt es aber auch auf das Projekt an.

Ricore: Ist in dem Sinne die Schauspielerei eine Bereicherung für Ihr Leben?

Brüggemann: Ich finde, dass die Schauspielerei das Leben durchaus bereichern kann. Wenn man allerdings eine sehr ernste Rolle spielt, kann sie das Leben auch limitieren. Wenn alle um dich herum fröhlich sind, du selbst aber durch deine Figur etwas ganz Trauriges erlebst, ist das nicht immer schön.

Ricore: Sehen Sie Ihren Beruf auch als Flucht?

Brüggemann: Ich mag mein normales Leben zu gerne, als dass ich daraus fliehen wollen würde. Es ist eher eine Möglichkeit, Emotionen auszuleben, die man in seinem eigenen Leben vielleicht nicht ausleben kann.

Ricore: Leben Sie Ihre Figuren?

Brüggemann: Ich muss sie verstehen. Aber ich muss sie nicht sein. Bei manchen Figuren nehme ich eine winzige Facette von mir und baue diese dann total aus. Das ist manchmal ganz reizvoll.

Ricore: Bei "Renn, wenn Du kannst" arbeiten Sie schon zum zweiten Mal mit Ihrem Bruder Dietrich Brüggemann zusammen. Gibt es da auch Streit?

Brüggemann: Nein, wir streiten uns kaum. Das Ganze läuft ziemlich harmonisch ab. Wir haben meist eine ähnliche Vision, daraus ergibt sich eine ähnliche Sprache. Dadurch kommt es nicht zu Missverständnissen, jedenfalls nicht zu fundamentalen. Bei unserer Zusammenarbeit habe ich eher das Gefühl, dass wir 'best buddys' sind. Wir arbeiten Seite an Seite und verteidigen unsere Geschichte gegen alle, die etwas anderes damit machen wollen.
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Anna Brüggemann in: Renn, wenn du kannst
Ricore: Spürt man diese Geschwisterverbundenheit auch am Set?

Brüggemann: Am Set arbeiten wir wesentlich distanzierter als bei der Arbeit am Drehbuch.

Ricore: Warum?

Brüggemann: Nun ja, am Set ist jeder auf seine Arbeit konzentriert, die hat Vorrang und die Abläufe sind klar verteilt und strukturiert. Beim Drehbuch sind wir eher Kompagnons. Beim Drehen muss ich mich sehr auf meine Rolle konzentrieren. Beispielsweise musste ich erst lernen, bei meiner Figur zu bleiben und mich nicht einzumischen, wenn die Jungs mal sagen, "Hey, ich verstehe den Text nicht."

Ricore: Haben Sie sich dennoch untereinander verständigt?

Brüggemann: Klar sind wir aufeinander zugegangen, aber meist nur wegen kleiner Dinge. Dietrich war der Chef, er musste das Team leiten, da kann ich ihm schlecht rein pfuschen. Manchmal bin ich zu ihm hin und sagte, "eigentlich wolltest du die Szene doch ganz anders haben." Ansonsten haben sich am Set während der Zeit der Dreharbeiten unsere Wege geteilt. Danach sind sie wieder zusammengeflossen (lacht).

Ricore: Fiel es Ihnen schwer, vom Buch loszulassen?

Brüggemann: Zu Beginn hatte ich natürlich Angst, weil ich mich für alles, was am Set passierte, verantwortlich fühlte. Vorher war ich noch bei einem Schauspielcoach und habe mich beraten lassen. Er fragte mich, ob ich meinem Bruder vertraue. Das war der Schlüssel. Ich musste ihm einfach vertrauen. Bei den Proben aber habe ich gemerkt, wie sehr ich ihm vertrauen kann. Er ist mit den anderen einfach toll umgegangen und man hat gesehen, dass sie sich im Laufe der Zeit sehr steigerten. Da habe ich dann gemerkt, dass ich ihm echt vertrauen kann. Das war der Zeitpunkt, wo ich wirklich losgelassen habe.
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Renn, wenn du kannst


Ricore: Kann so eine berufliche Zusammenarbeit auch eine Bereicherung für die Geschwister-Beziehung sein?

Brüggemann: Das kann ich gar nicht richtig trennen. Denn alles läuft irgendwie auf einem Weg. Wir fahren auch mal gemeinsam in Urlaub, was durchaus eine Bereicherung ist, danach drehen wir einen Film zusammen.

Ricore: Sie schreiben auch Drehbücher. Können Sie sich vorstellen, dies ausschließlich zu machen?

Brüggemann: Nein, auf keinen Fall. Dafür liebe ich die Schauspielerei zu sehr. Darauf könnte ich nicht verzichten. Was ich beim Drehbuchschreiben liebe, man kann seine eigene Geschichte erzählen. Ich mag den Umgang mit der Sprache. Ich finde es toll, einen Film zu machen, den man sich vorher ausgedacht hat, den man verändern kann.

Ricore: Stimmt es, dass das Schreiben eine einsame Angelegenheit ist?

Brüggemann: Bei mir nicht. Da mein Bruder und ich gemeinsam schreiben, ist das eine sehr gesellige Angelegenheit. Wir haben auch Schreibräume mit anderen Regisseuren. Das heißt wir gehen ganz normal zur Arbeit und sehen dabei unsere Freunde. Insofern finde ich das Schreiben manchmal sogar geselliger, da es regelmäßig ist. Beim Spielen bin ich so sehr in meiner eigenen Welt, tauche total in diese mir fremde Welt ab, sodass ich mich dabei oft als ungeselliger als beim Schreiben empfinde.

Ricore: Sie haben keine klassische Schauspielausbildung...

Brüggemann: Ich habe bislang noch keine Situation erlebt, wo ich plötzlich nicht mehr weiter wusste. Bei diversen Schauspiel-Workshops habe ich Kollegen von der Schauspielschule erlebt, die an denselben Punkten wie ich gescheitert sind und ihre liebe Not hatten. Wir kämpfen alle die gleiche Schlacht.
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Anna Brüggemann in: Renn, wenn du kannst
Ricore: Es fehlt Ihnen also nichts...

Brüggemann: Ich würde gerne Theater machen. Das fehlt mir tatsächlich. Auf der Bühne kann man in einem anderen Maße Schauspieler sein, man kann ein größeres Rollenspektrum durcharbeiten. Und genau aus diesem Grund wählt man diesen Beruf. Dieser Teil fehlt mir tatsächlich.

Ricore: Gab es einen Punkt, an dem Sie wussten, Sie wollen Schauspielerin werden?

Brüggemann: Ja, so mit 13 Jahren.

Ricore: Da waren Sie noch sehr jung!

Brüggemann: Ja, aber ich wollte schon immer Theater spielen und vor die Kamera. Aber ich redete mir immer ein, dass das doch kein richtiger Beruf sei. Eine ältere Freundin hat mir aber davon vorgeschwärmt. In Regensburg gab es ein Casting, bei dem ich unter die letzten vier kam. Letztlich habe ich die Rolle nicht erhalten, aber plötzlich war der Beruf für mich in greifbarer Nähe - nicht mehr so utopisch.

Ricore: Sie haben es auch nie bereut?

Brüggemann: Nun ja, ich habe ja meinen Plan B: das Schreiben. Als Schauspieler befindet man sich in einer großen Abhängigkeit. Ich will mein Leben nicht von etwas abhängig sein lassen. Das finde ich ungesund.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 27. Juli 2010
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