André Weikard/Ricore Text
Henry Bean
Kreuzzug gegen Lärm
Interview: Henry Bean sieht rot
Henry Bean ist nicht nur Autor. Mit seinem Regie-Erstling "The Believer" realisiert er 2001 einen Film über einen Antisemiten, der seine eigene jüdische Herkunft verbirgt. "Noise" setzt seine Trilogie über den Fanatismus fort. Tim Robbins spielt darin einen Anwalt, der sich über den Lärm der New Yorker Autoalarmanlagen ärgert - und bald darauf Fahrzeuge demoliert. Dass Bean seine Ansichten selbst recht radikal vertritt, wird in unserem Gespräch mit dem Amerikaner deutlich. Er spricht über Lärm, seine eigene Wut, politischen Ungehorsam und eine krude Sex-Szene, die Tim Robbins lieber aus dem Film geschnitten hätte.
erschienen am 26. 11. 2012
MIG Filmgroup
Noise
Ricore: Wie gefällt es Ihnen hier auf dem Filmfest München?

Henry Bean: Ich war vor sieben Jahren mit meinem ersten Film "The Believer" schon einmal hier. Ich habe denselben Eindruck wie damals: es ist eine wundervolle, grüne Stadt. Als ich aus dem Flugzeug ausstieg, war ich überwältigt, wie sauber hier alles ist. Ich kam schließlich vom Kennedy-Airport in New York, der unglaublich schmutzig ist. Die Stadt wirkt auf eine angenehme Art nicht besonders groß, im Gegensatz zu New York. Auf dem Festival ist man sehr freundlich. Spannend sind natürlich die Filme, die eher unbekannt sind und vielleicht noch keinen Verleih haben. Auf dem New Yorker Filmfestival gehe ich nie zu Filmen, die schon einen Verleih haben. Die werde ich sowieso irgendwann sehen. Ich möchte die Filme sehen, die vielleicht gar nicht ins Kino kommen. Wenn ich selbst mit einem Film vertreten bin, finde ich es natürlich unglaublich spannend, mit den Zuschauern darüber zu reden, um zu erfahren, was ihnen an diesem Film gefallen hat.

Ricore: Wie reagieren die Zuschauer auf "Noise"?

Bean: Viele fragen mich, ob das ein Film über Lärm sei, oder einer, in dem es um Politik geht. Ich habe versucht, in diesem Film einen Mann zu zeigen, der von einer Sache besessen ist, die jedem anderen, ja sogar ihm selbst, nebensächlich erscheint. Lärm stört uns nicht so sehr, obwohl es uns jeden Tag betrifft. Wir diskutieren sehr viel über die globale Erwärmung, die niemand von uns spüren kann. Es erlebt auch keiner den Krieg im Irak. Aber der Alltagslärm, der betrifft uns sehr direkt. Ich wollte aber auch, dass dieser Mensch im Grunde gegen eine viel tiefere Angst ankämpft, nämlich die, keine Kontrolle über sein Leben zu haben. Es gibt da diese Szene in der seine Frau ihn fragt, warum er so wütend ist. Er antwortet, er fühle sich machtlos, impotent. Das ist es, was ihn eigentlich rasend macht: dass andere Menschen sein Leben kontrollieren. Das können laute Alarmanlagen sein oder George Bush, vielleicht sind es auch die großen Konzerne oder Gott. Aber es gibt immer etwas, das ihn bestimmt. Es ist so, als ob man ihm seine Freiheit nimmt.

Ricore: Warum reagiert er so fanatisch?

Bean: Er zeigt eine sehr primitive Reaktion, die vielleicht sogar kindisch ist. Er versucht nicht wirklich, etwas zu erreichen, sondern reagiert aus seiner Wut heraus. Als er die junge Russin kennen lernt, die ihm vorschlägt, eine Bürgerinitiative zu starten, interessiert ihn das nicht besonders. Denn dann müsste er ruhig sein und sich diszipliniert verhalten.

Ricore: Sie selbst sind verhaftet worden, weil der Lärm einer Autoalarmanlage Sie verrückt gemacht hat?

Bean: Ja. Ich wurde verhaftet und verbrachte eine Nacht im Gefängnis. Es hat mich 5.000 Dollar gekostet, ich werde das also nicht wieder tun. Aber ich dachte darüber nach, was wäre, wenn jemand das immer wieder täte.

Ricore: Stimmt es, dass dies der zweite Teil der Trilogie zur Wut ist?

Bean: Mein erster Film ist ein Drama über einen religiösen Fanatiker. Dieser zweite Teil ist eine Komödie über einen politischen Fanatiker. Der letzte Teil wird von einem Menschen handeln, der als Künstler eine Besessenheit entwickelt. Das wird vermutlich weder ein Drama, noch eine Komödie werden.
André Weikard/Ricore Text
Henry Bean
Ricore: Was macht Sie wütend?

Bean: In Wahrheit weiß ich das nicht so genau. Ich glaube die Wut kommt, bevor wir sie an etwas auslassen. Die Dinge, über die wir uns aufregen, sind beinahe beliebig. Ein Psychoanalytiker würde mich fragen, was mich wirklich wütend macht. Wenn ich die Antwort wüsste, wäre ich vielleicht nicht mehr so leicht in Wut zu versetzen.

Ricore: Sie sind also nicht besonders empfindlich gegenüber Lärm?

Bean: Nein, ich gehöre nicht zu denen, die bei jedem kleinen Geräusch verrückt werden. So bin ich nicht. Was mich aufregt, ist nicht der Lärm selbst, sondern der Gedanke, dass jemand diesen Lärm macht und mich dabei ignoriert. In den letzten Tagen stand in der New York Times, dass es den großen Ölfirmen erlaubt wird, in den Irak zurückzukehren und Öl zu fördern. Es hat kein Bieterverfahren gegeben, sie habe einfach den Zuschlag von der US-Regierung bekommen. Wenn ich so etwas lese, wird mir völlig klar, dass dieser Krieg im Irak nur geführt wurde, um den Konzernen den Zugang zum Öl zu ermöglichen. Mehr als 4.000 amerikanische Soldaten sind in diesem Krieg gestorben, zehntausende von Irakern wurden getötet, die Infrastruktur dieses Landes wurde zerstört und Amerika gab Billionen Dollar dafür aus. Wir haben all das nur für einige Konzerne getan. Dass Amerikaner dafür sterben müssen, hat niemanden interessiert, dass die Steuern steigen war egal und die Menschen im Irak waren es sowieso. Wie sollte ich darüber nicht wütend werden?

Ricore: Ist ihr Film also eine Aufforderung, sich zu widersetzen und politisch aktiv zu werden?

Bean: Die letzten beiden Sätze im Film sprechen zwei Polizisten. Es kommt eine Rückblende auf die Szene, als er das erste Mal im Gefängnis sitzt und man hört den einen Polizisten zum anderen sagen: "Warum sitzt er hier ein?" Der andere erklärt, dass er in ein Auto aufgebrochen hat, um den Alarm auszustellen. Und der erste fragt: "Was wäre denn los, wenn das jeder machen würde?" Dann würden sie diese Alarmanlagen ausschalten. Ich habe dieses Gespräch genau so gehört, während ich im Gefängnis saß. Es ist sehr einfach, Dinge zu verändern. Wenn jeder Autos beschädigen würde, bei denen ein Alarm minutenlang geht, gäbe es solche Alarmanlagen innerhalb von zehn Tagen nicht mehr.

Ricore: Andererseits liegt eine große Gefahr darin, mit Gewalt auf Umstände zu reagieren, die man nicht für gut heißt. Haben Sie das Porträt eines Terroristen gezeichnet?

Bean: Mir gefällt die Vorstellung, dass der Zuschauer sich nie im Klaren darüber ist, ob er einen Helden oder einen Terroristen vor sich hat. Es ist sehr schwer außerhalb des Rechtssystems Veränderungen zu bewirken. In Fritz Langs Film "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" gibt es zwei Arten von Gerechtigkeit. Die Polizisten sind alle korrupt. Wir wissen, dass das politische System von den Kriminellen kontrolliert wird. Aber in der letzten Szene kommt eine Hand, fasst den Mörder und sagt: "Im Namen der Gerechtigkeit". Lang beschreibt eine reale Gerechtigkeit und eine ideale. Wir befinden uns dazwischen. Menschen, die versucht hätten, Hitler zu töten, wären im Recht gewesen und andere, die gegen den Vietnam krieg protestierten, taten das Richtige, obwohl sie dafür ins Gefängnis mussten.

Ricore: Sie haben davon gesprochen, dass die Hauptfigur im Film ein Gefühl von Ohnmacht gegenüber ihrer Situation verspürt. Ist das der Grund, warum sie impotent ist und gibt es deshalb diese befremdliche Sex-Szene?

Bean: Natürlich fragt mich jeder was diese Szene im Film zu suchen hat. Eine Freundin erzählte mir, dass sie einmal im Schwimmbad von einer ihrer Freundinnen gefragt worden sei, wie ihre Scheide aussieht. Sie wollte es einfach wissen. Ich fand das spannend, weil da Menschen über etwas reden, über das man sie sonst nicht sprechen hört. Im Film konstruierte ich eine Parallelsituation, in der ein spanisches Mädchen offenbar von ihrer Scheide so besessen ist, wie die Hauptfigur vom Lärm der Autoalarmanlagen. Mir gefällt diese Idee sehr gut. Tim Robbins wollte, dass ich die Szene herausschneide. Auch der Verleih bat mich darum. Ich liebe diese Szene, weil sie klar macht, dass es in diesem Film nicht allein um Lärm geht. Der Augenblick, in dem diese drei Menschen so offen miteinander reden, ist wie ein Ausblick auf eine freiere Zukunft, auf ein Leben nach der Revolution.
erschienen am 26. November 2012
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Noise (Kinofilm)
Henry Bean setzt seine Trilogie über den Fanatismus mit einer Komödie um einen Mann (Tim Robbins) fort, der aus Wut über den Lärm der zahllosen Autoalarmanlagen randaliert. Erst die Einsicht, dass eine politische Initiative der richtige Weg ist, dem Problem beizukommen, gibt der verfahrenen Situation eine Wende. Beans bittere Satire fordert politisches Engagement und wirkt zuweilen wie Schulunterricht in Staatsbürgerkunde. Leider ist der Plot zu einfallslos und taugt wegen stilistischer..
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