Concorde Filmverleih
Regisseur Jacques Audiard mit Romain Duris (2005)
Es ist alles fremdbestimmt
Interview: Das Spiel mit Emotionen
Mit "Der wilde Schlag meines Herzens" schildert Cannes-Preisträger Jacques Audiard (53) die Selbstfindung eines jungen Mannes, der durch die zarten Klänge eines Klaviers auf den rechten Weg zurückgeführt wird. Romain Duris (31) - spätestens seit "L'auberge espagnole" einer von Frankreichs heißesten Shootingstars - tritt in dem packenden Remake in die Fußstapfen von Harvey Keitel. Dabei beweist er bei der Gratwanderung zwischen Klassik und Kanonen ein Höchstmaß an Authentizität. Während der Filmfestspiele in Cannes 2005 trafen wir Regisseur und Hauptdarsteller auf einer Dachterrasse zum Gespräch.
erschienen am 21. 09. 2005
Etablierter Shootingstar des französischen Kinos: Romain Duris
Ricore: Mr. Audiard, wie kam es zu dem Remake von James Tobacks Filmklassiker "Finger - Zärtlich und brutal"?

Jacques Audiard: Mich interessiert der Stoff, seit ich ihn 1978 zum ersten Mal im Kino gesehen habe. Er markiert das Ende einer Ära, einer Zeit in den 70er-Jahren, in denen die goldenen Jahre des Autorenkinos Hochkonjunktur hatten. Auf vielen Ebenen bewegt sich die Thematik der Story: Was bedeuteten Vater und Mutter für einen jungen Mann? Wie kann ich als Sohn meinen richtigen Lebensweg finden? Was kann ich tun, wenn ich davon abgedriftet bin? Wie vollzieht sich der kleine aber entscheidende Übergang vom bereits Erwachsenen zum wirklichen Mann?

Ricore: Immobilienmakler Tom tritt in die Fußstapfen seines Vaters und liebäugelt zwischen Schlägertrupps und Straßenkämpfen heimlich, den musikalischen Spuren seiner verstorbenen Mutter zu folgen. Mr. Duris, wie kamen Sie zu dieser Rolle?

Romain Duris: Durch das Angebot von Jacques. Da ich alle seine bisherigen Filme kenne, hatte ich schon vor unserem ersten Treffen das Gefühl, ihn zu kennen. Die Entscheidung fiel da nicht schwer.

Audiard: Mir ging es ganz ähnlich. Ich verfolgte Romains Karriere von Anfang an, und er wirkte auf mich wie ein alter Bekannter. Er inspiriert mich durch seine Art, wie er sich bewegt, durch die Art, wie er spielt. Er wurde über die Jahre besser und besser und war nun genau der Typ, den ich für das Schwanken zwischen Kriminalität und musischer Begabung benötigte.

Ricore: Musik wirkt auf die düsteren Facetten des Hauptdarstellers wie ein ruhender Gegenpol. Welchen Stellenwert hat Musik in Ihrem wirklichen Leben?

Duris: Einen sehr großen. In meiner Umgebung läuft ständig Musik, ich bin immer auf der Suche nach neuem Material. Nur Klavier konnte ich vor den Dreharbeiten leider noch nicht spielen. Aber da brachte mir meine Schwester die Grundkenntnisse bei.

Audiard: Was Romain im wirklichen Leben macht, können wir auch bei Tom im Film erkennen. Musik begleitet ihn ständig, egal ob Klassik, Pop, Elektro oder Techno. Es war uns wichtig, dass die verschiedenen Musikstile keiner Hierarchie unterstellt sind. Denn es ist völlig egal, was er hört. Wichtig ist die Musik an sich.

Ricore: Wie viel Freiheit darf ein Schauspieler haben?

Duris: Nicht zuviel und nicht zuwenig. Jacques wusste sehr genau, was er vorhatte. Aber innerhalb dieses Grobgerüsts konnte ich tun und lassen, was ich wollte. Wir drehten keine einzige Szene zweimal auf dieselbe Art und Weise. Wir spielten mit den Nuancen.
Romain Duris: Roile an der Schnittstelle von Künstler und primitivem Schläger
Ricore: Die Story wirkt sehr authentisch. Steckt auch Persönliches dahinter?

Audiard: Anfangs war die Story für mich nicht mehr als ein interessantes Remake. Umso verstörender wurde es, als ich während der Dreharbeiten erkennen musste, dass durch die Vater-Sohn-Geschichte bei mir mehr Erinnerungen wachgerüttelt wurden, als mich eigentlich lieb war.

Ricore: Die Beziehung zwischen den beiden ist geprägt von einer Hassliebe...

Audiard: ...und der Unfähigkeit, wirklich miteinander reden zu können. Für mich ist der Film eine Art Metapher, wie komplex Vater und Sohn oft zueinander stehen und wie stark sich das auf das eigentliche Leben auswirken kann. Eine wirkliche Aussage hat der Film jedoch nicht. Er bespricht Themen und Sachverhalte, mehr aber nicht. Meiner Meinung nach müssen Geschichten nicht zwangsläufig eine Message vermitteln. Dafür gibt es die Post. (lacht)

Ricore: Ihr Film war in Frankreich ein Publikumserfolg. Wie schwierig war Finanzierung?

Audiard: Eigentlich war es ziemlich einfach. Das Schöne an den Franzosen ist, dass sie eine Filmnation sind und diese Kunst regelrecht verehren. Sie verschlingen die unterschiedlichsten Filme und sind immer offen für Neues. Wenn Sie eines dieser neuen Multiplexkinos betreten, werden Sie in den meisten Ländern die üblichen Blockbuster im Programm finden. Bei uns in Frankreich gibt es die natürlich auch, nur laufen sie auf gleichwertigen Schienen mit kleineren Produktionen aus der ganzen Welt. Die Folge: Charakterfilme können dank des Publikumsinteresses hierzulande leichter finanziert werden als anderenorts.

Ricore: Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf Ihren Beruf, Mr. Duris?

Duris: Ich bin vielleicht gelassener als andere. Für meinen ersten Film wurde ich auf der Straße gecastet, hatte mit Schauspielerei nicht das Geringste am Hut. Ich war Kunststudent und versuchte mich an erotischen Bildern, die den Geschlechtsakt portraitieren. Auf einmal wollte man mich vor der Kamera sehen und ich probierte es aus. Ich habe diesen Job immer als eine Art Hobby betrachtet und war nie so verbissen, Rollen anzunehmen, nur um beschäftigt zu sein. Ich habe gespielt, wann ich wollte, sonst eben nicht. Vor ein paar Wochen bin ich nun endlich zu dem Entschluss gekommen, dass mein Job eigentlich gar nicht so übel ist. Vielleicht bleibe ich nun wirklich dabei.

Ricore: Sie, Mr. Audiard, wollten eigentlich auch nie Regisseur werden...

Audiard: Mein Vater war ein anerkannter Drehbuchautor und Regisseur, und ich wollte lieber alles andere machen, als in seine Fußstapfen zu treten. Aber irgendwann konnte ich meine Faszination für das Kino nicht mehr bändigen. Ich konnte sprichwörtlich nicht anders. Ich war gepackt von diesem Spiel mit den Emotionen, bei dem ich die Fäden in der Hand halten konnte. Ich wurde Regisseur - und tat das, was ich immer vermeiden wollte. Wie ich eingangs sagte: Vater-Sohn-Beziehungen sind eben komplex.
erschienen am 21. September 2005
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