TOBIS Film
Regisseur Steve McQueen am Set von "12 Years a Slave"
"Die Umgebung bestimmt die Perspektive"
Interview: Steve McQueen will Geschichten erzählen
"12 Years a Slave" ist Steve McQueens dritter Spielfilm. Der Filmemacher sieht sich als Geschichtenerzähler, der eine wahre Geschichte so realistisch wie möglich erzählen will. Dazu gehört für ihn beim Thema Sklaverei auch die explizite Darstellung von Gewalt. Michael Fassbender steht erneut ganz oben auf seiner Besetzungsliste. McQueen erklärt im Interview mit Filmreporter.de, was er an seinem Lieblingsschauspieler so schätzt. Auch wenn er vielseitig ist, sollte man von ihm keine Komödie erwarten, so der gefeierte Regisseur Steve McQueen.
erschienen am 17. 01. 2014
TOBIS Film
Regisseur Steve McQueen und Michael Fassbender am Set
Wir wollten die Realität zeigen!
Ricore Text: Herr McQueen, ein zentraler Satz ihres neuen Films lautet "Ich will nicht überleben, ich will leben!" Was wollen Sie damit sagen?

Steve McQueen: Als Solomon Northop das sagt, will er einfach nicht akzeptieren, dass er von nun an für immer als Sklave verdammt sein soll. Er war schließlich ein freier Mann. Ein anderer Sklave rät ihm, sich möglichst ruhig zu verhalten und ja niemandem zu verraten, dass er lesen und schreiben könne. Aber er will mehr sein als das, was ihn erwartet.

Ricore: In einigen Szenen werden die Figuren ausgepeitscht oder auf andere Art gequält. Die Schmerzen, die sie verspüren sind auch für die Zuschauer schwer zu ertragen. Wie geht man beim Dreh damit um?

McQueen: Wir sind Profis und wir wollen eine Geschichte erzählen. Ich finde auch nicht, dass diese Szenen kaum zu ertragen sind. Auch in Dramen, beispielsweise bei Shakespeare geschehen schreckliche Dinge. Aber wir wollten die Realität zeigen. Es ist schließlich eine wahre Geschichte.

Ricore: Ist die gezeigte Gewalt der Schlüssel, um den wahren Schrecken der Sklaverei zu verstehen?

McQueen: Entweder macht man einen Film über die Sklaverei oder nicht. Und ich habe mich entschieden, einen Film über dieses Thema zu machen. Daraus folgt, dass ich zeigen muss, unter welchen Umständen diese Menschen lebten. Sie mussten gleichermaßen physische und psychische Grausamkeit ertragen.

Ricore: Warum wollten Sie einen Film über Sklaverei machen?

McQueen: Für gab es zuvor noch keinen Film über das Thema, der die Geschichte wirklich erzählt hat und der uns auch nur ansatzweise einen Eindruck von der damaligen Zeit vermittelt hätte.

Ricore: Wie sind Sie auf Solomon Northups Geschichte gestoßen?

McQueen: Ich schrieb bereits an einem Drehbuch über einen freien Mann, der gekidnappt, in den Süden verschleppt und versklavt wird. Aber meine Erzählung stoppte schon bald und ich kam mit der Handlung nicht weiter. Meine Frau fragte schließlich, warum ich nicht nach einer wahren Begebenheit suchte, jemand, der genau diese Geschichte, die ich erzählen will, erlebt hat. Wir begannen also mit der Recherche und sie fand das Buch "12 Years a Slave". Ich las es und es war schlicht eine Offenbarung. Aber es war in Vergessenheit geraten, niemand den ich kenne, kannte dieses Buch. Ich finde, man könnte es Amerikas "Das Tagebuch der Anne Frank" nennen.

Ricore: Warum vergleichen Sie die Geschichte von Solomon Northup mit der Anne Franks?

McQueen: Das ist doch offensichtlich. Es handelt sich hier um zwei Menschen, die darüber schreiben, wie sie in einem Terrorregime versuchen, zu überleben.

Ricore: Warum ist Solomon Northups Geschichte in Vergessenheit geraten?

McQueen: Ich weiß es nicht. Bei Akademikern, die sich beruflich mit diesem Thema auseinander setzen, war sie bekannt. Aber ich bin sehr froh, dass es nun auf der Bestsellerliste der New York Times steht.
TOBIS Film
Steve McQueen am Set von "12 Years a Slave"
Steve McQueen: so realistisch wie möglich
Ricore: Wie viel Recherche mussten Sie betreiben, um Solomons Geschichte so detailliert erzählen zu können.

McQueen: Die Beschreibungen im Buch sind wahnsinnig genau. Ich sprach mit Experten der Epoche, besuchte Museen. Ich wollte alles so realistisch wie möglich darstellen, auch die Sprache.

Ricore: Wie wichtig war es Ihnen, dass der Film positive Reaktionen erhält?

McQueen: Natürlich ist das toll, denn ich habe für diesen wie auch meine anderen Filme sehr hart gearbeitet. Und man bekommt nicht immer solche Reaktionen, nur weil man sich bemüht.

Ricore: Haben Sie eine kontroversere Diskussion über den Film erwartet?

McQueen: Wieso? Die haben wir doch. Es gibt positive und negative Reaktionen auf den Film. Ich bin eher überrascht, dass der Film auch kommerziell funktioniert.

Ricore: Quentin Tarantinos "Django Unchained" nähert sich dem Thema von einer anderen, eher witzigen Seite. Finden Sie das in Ordnung.

McQueen: Natürlich. Die Filme unterstützen sich gegenseitig. Wir brauchen generell mehr Filme, die sich mit dem Thema beschäftigen.

Ricore: In einer Szene im letzten Drittel des Films wird ein Gospellied gesungen und Solomon stimmt mit ein. Hat er da die Hoffnung auf Rettung aufgegeben?

McQueen: Es kommt zu einem Moment, an dem er ganz am Boden ist. Alle Hoffnung scheint verloren, Epps hat seinen Brief entdeckt und beobachtet ihn argwöhnischer als je zuvor. Aber durch diesen Song findet er die Kraft wieder aufzustehen, der Song gibt ihm Hoffnung.

Ricore: Ihr Film richtet sich gegen die Sklaverei, für welches Publikum haben Sie ihn gemacht.

McQueen: Es ist kein Film gegen die Sklaverei, sondern darüber. Ich hoffe nicht, dass es irgendwo noch Befürworter gibt... Er richtet sich an kein spezielles Publikum. In Amerika wird er sowohl in Multiplexkinos als auch in Arthousekinos gezeigt. Das Thema geht alle an.

Ricore: Was ist das besondere an Michael Fassbender?

McQueen: Er ist ein großartiger Schauspieler. Wir haben jetzt drei Filme zusammen gemacht. "Hunger", "Shame" und jetzt "12 Years a Slave". Man glaubt ihm einfach was er spielt. Er hält den Zuschauer nicht auf Abstand, sondern zieht ihn in das Geschehen hinein. Er inspiriert mich. Genau wie auch mein Kameramann Sean Bobbitt und mein Cutter Joe Walker. Wir sind eine Band und der Film ist quasi unser Album.
TOBIS Film
Chiwetel Ejiofor in "12 Years a Slave"
Radikalste Form des Kapitalismus: die Sklaverei
Ricore: Sie verzichten im Film auf einen Zeitanker, man weiß nie genau wieviel Zeit bereits vergangen ist. Warum?

McQueen: Wenn man klare Zeiten einblendet, dass meinetwegen vier oder acht Jahre vergangen sind, birgt das die Gefahr, dass der Zuschauer denkt, oh, noch weitere vier Jahre. Solche Zeiteinblendungen treiben für mich die Handlung nicht voran. Mich interessierte mehr eine klare narrative Ebene.

Ricore: Denken Sie, Sklaverei ist die radikalste Form des Kapitalismus?

McQueen: Denken Sie das etwa nicht? Es ist ein globales Phänomen, das sich durch alle Zeiten zieht.

Ricore: Sie drehten im Cinemascope-Format. Dachten Sie darüber nach, den Film vielleicht sogar auf 70mm zu drehen?

McQueen: Wow, nein, ich denke, das wäre zu groß geworden. Als Filmemacher würde es mich natürlich reizen damit zu arbeiten, aber nicht bei diesem Thema.

Ricore: Werden Sie zu Ihren künstlerischen Wurzeln zurückkehren?

McQueen: Bestimmt. Kinofilme zu drehen, ist für mich wie einen Roman zu schreiben. Meine Kunst hat eher etwas von Poesie, sie ist fragmentarischer, abstrakter.

Ricore: Im Film steht die wunderschöne Landschaft der Südstaaten im Gegensatz zu der krassen Gewalt, die den Sklaven angetan wird...

McQueen: Die Südstaaten der USA sind wunderschön. Aber ich habe ja keinen Horrorfilm gedreht, sondern ein historisches Drama darüber, was zu jener Zeit in diesem Teil des Landes passierte, der eine sehr besondere Landschaft hat. Nur weil auf der Leinwand etwas Fürchterliches passiert, kann ich doch meinen Kameramann nicht bitten, in diesen Szenen eine dunkle Linse vor die Kamera zu setzen. Im wahren Leben kann man so etwas doch auch nicht filtern. Es ist leider einfach so, dass an den schönsten Orten die schrecklichsten Dinge passieren. Natürlich würden wir da gerne einen Filter drüberstülpen, damit es leichter zu ertragen ist, aber so funktioniert das Leben nicht.

Ricore: Können Sie sich vorstellen, mal eine Komödie zu drehen?

McQueen: Nein! (lacht). Jetzt sage ich nein, aber wer weiß, vielleicht denke ich eines Tages, warum nicht mal eine Komödie. Wer weiß...

Ricore: 2006 waren Sie im Irak offiziell als Kriegskünstler unterwegs. Wie kam es dazu?

McQueen: Das war etwas, was ich wirklich tun wollte. Es war eine unglaubliche Erfahrung. Ich war nicht beim Militär, nicht im Irak oder einem anderen Krieg. Wir bekommen unsere Informationen darüber was passiert doch nur im Internet oder in Zeitungen oder im Fernsehen. Aber wirklich zu sehen was da vorgeht, war für mich als Künstler unheimlich wichtig. Als Künstler kann man Dinge anders darstellen als beispielsweise in einem Kinofilm. Am Schluss stand meine Arbeit, in der ich die im Irak gefallenen britischen Soldaten auf Briefmarken porträtiere. Sie stehen jedoch für alle Menschen, die im Irakkrieg ihr Leben verloren.

Ricore: Hat dieses Erlebnis Ihre Filmsprache beeinflusst?

McQueen: Ich denke nicht. Als Künstler will ich vielfältig sein. Ich stürze mich immer wieder neu in ein Projekt, als nächstes möglicherweise ein Komödie (lacht).

Ricore: In "Hunger" inszenieren Sie die Gewalt völlig anders als in "12 Years a Slave"...

McQueen: Das wurde durch die Umgebung beeinflusst. Wenn man in einer engen Gefängniszelle filmt, ist der Platz für die Kamera sehr eingeschränkt. In Lousiana, in dieser wunderschönen Gegend, ist im Gegensatz dazu sehr viel Raum. Ja, die Umgebung bestimmt über die Perspektive.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch!
erschienen am 17. Januar 2014
Zum Thema
Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) führt 1841 in Saratoga/New York ein glückliches Leben mit seiner Frau und ihren zwei Kindern. Dass er Afro-Amerikaner ist, stört die Menschen in der Stadt nicht. Eines Tages wird Solomon jedoch von Fremden entführt und im Süden in die Sklaverei gezwungen. Für Solomon beginnt ein zwölfjähriger Horrortrip, bei dem er die Hölle auf Erden erlebt. Von Steve McQueen packend erzählt und mit großartigen Schauspielern besetzt, entführt "12 Years a Slave" den Zuschauer..
2024