Wild Bunch
Christian Ulmen in "Becks letzter Sommer"
'Ich brauche keinen Erfolg, um glücklich zu sein'
Interview: Christian Ulmens bester Sommer
Die Rolle ist maßgeschneidert für Christian Ulmen: Ein Musiker begräbt die Hoffnung auf eine Musikkarriere, um die sichere Karriere eines Lehrers einzuschlagen. Im Klassenzimmer findet er seine Erfüllung jedoch nicht. Als sich einer seiner Schüler als musikalisches Talent entpuppt, will er mit dessen Hilfe wieder Fuß in der Musikbranche fassen. Autor Benedict Wells soll Christian Ulmen für die Titelrolle seines Romandebüts "Becks letzter Sommer" vor seinem geistigen Auge gehabt haben. Der fühlt sich geschmeichelt und nimmt den Part an, bevor er das Buch liest. Im Interview mit Filmreporter.de spricht Ulmen über Frühreife, Lebensträume und die Strategie von Jugendlichen bei der Jobwahl.
erschienen am 21. 07. 2015
Wild Bunch
Christian Ulmen auf der Premiere von "Becks letzter Sommer" in Berlin
Man liest den Klappentext - er springt einen an
Ricore Text: Hallo Herr Ulmen, was hat Sie an der Rolle interessiert?

Christian Ulmen: Die Tatsache, dass sie mich angesprochen hat, mir nicht egal war. Ich wähle meine Rollen nicht nach einem bestimmten Raster aus. Es ist wie in Urlaub zu fahren und sich für ein Buch zu entscheiden, das man am Strand oder im Flugzeug lesen will. Man liest den Klappentext, er springt einen an. So ähnlich ist es mit Drehbüchern. Man liest es, und ohne dass man immer den besonderen Grund benennen kann, gefällt es einem - oder nicht.

Ricore: Gehen Sie auch an die Figuren so heran?

Ulmen: Ja, ich halte es gerne auf der Gefühlsebene. Das hilft mir mehr, als eine sachlich-analytische Herangehensweise an einen Charakter. Es geht mir darum, nicht zu hinterfragen. Am schönsten ist es, die Figur einfach zu sein - mit all ihrer Unwissenheit. Dazu gehört für mich auch, sich eine Naivität zu bewahren. Aber auch, dass der Schöpfungsprozess erst mit dem ersten Drehtag beginnt und nicht im Vorfeld. Das Proben und das Analysieren führt zu etwas Maschinellem.

Ricore: Hat die Tatsache, dass Autor Benedict Wells beim Schreiben des Romans angeblich Sie vor seinem geistigen Auge sah, Ihre Herangehensweise an die Rolle beeinflusst?

Ulmen: Nein, gar nicht. Ich fand das sehr nett von Benedict. Er sagte, dass er die Filmrechte nur dann verkauft, wenn ich mitspiele. Aus diesem Grund sagte ich zu, bevor ich das Buch überhaupt gelesen hatte. Dass ein 19-Jähriger es schafft, die Lebenskrise eines Erwachsenen so nachvollziehbar zu schildern, fand ich sehr beeindruckend.

Ricore: Das kann man auch als Frühreife sehen, was ja im Grunde auch auf Sie zutrifft. Sie waren auch schon in sehr jungen Jahren beim Fernsehen erfolgreich.

Ulmen: Nein, ich war nur früh dran, reif war ich nicht dabei (lacht). Ich habe früh angefangen, in dem Job zu arbeiten und mir die Fertigkeiten anzueignen. Ich habe mit 19 Jahren kein so reifes Debüt hingelegt wie Benedict Wells mit seinem Roman. Ich war eher alterstypisch 19.

Ricore: Wie Sie bereits sagten, arrangiert sich ihre Figur Beck aus Bequemlichkeit mit einem ungeliebten Job. Würden Sie auch aus einen Sicherheitsdenken heraus eine Arbeit annehmen? Angenommen, der WDR würde Ihnen einen festen Vertrag anbieten!

Ulmen: So etwas wie einen festen Vertrag gibt es in meiner Zunft ja eigentlich gar nicht. In meinem Job gibt es keinerlei Sicherheit. Null. Deshalb würde ich wohl nicht in eine Bredouille wie Beck geraten. In dieser Hinsicht habe ich Glück.
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Christian Ulmen am Set von "Becks letzter Sommer"
Christian Ulmen: keine Sicherheit
Ricore: Was ist mit einer dauerhaften Anstellung als Moderator?

Ulmen: Auch bietet keine Sicherheit. Sinken die Zuschauerquoten, ist man weg vom Fenster. Alle Show-Berufe sind kein Stückweit sicher.

Ricore: Wie geht man mit dieser Unsicherheit um?

Ulmen: In jungen Jahren war ich die meiste Zeit einfach extrem naiv. Ich dachte, wenn einer Konzernchef werden will, dann wird er Konzernchef. Wer Koch werden will, wird Koch und wer Fernsehen machen will, macht halt Fernsehen. Das war mein naives Weltbild, das ich nicht angezweifelt hatte. Für mich war klar: Das kannst du und das machst du. Erst mit Mitte, Ende 20 kam mir die Erkenntnis, dass ein Job nicht automatisch Sicherheit bedeutet. Morgen kann alles vorbei sein. Und so hab ich dann angefangen, messihaft diverse Versicherungen abzuschließen - Lebensversicherungen, Absicherungen gegen Krankheiten usw.

Ricore: Sicher ist sicher...

Ulmen: Obwohl ich doch alles in allem ein positiver Mensch bin. Ich komme eigentlich ganz gut damit klar, dass ich keinen sicheren Job habe. Ich bin auch nicht so erfolgsüchtig. Ich glaube fast, ich brauche keinen besonderen beruflichen Erfolg, um glücklich zu sein.

Ricore: Hat sich die Sache mit der Schauspielerei so ergeben oder stand das von Anfang an auf dem Plan?

Ulmen: Das hat sich so ergeben. Ich war von Leander Haußmann zum Vorsprechen für "Herr Lehmann" eingeladen worden und war sehr dankbar für die neue Spielwiese, die sich auftat. Ich hab für mich erkannt, dass die Schauspielerei mit der Moderation viel gemeinsam hat. Als Moderator musste ich auch vor der Kamera jemanden abbilden. Als Schauspieler fand ich es toll, nicht mehr als ich selber auftreten zu müssen, sondern immer den Schutz der Figur zu haben. Die Folge war, dass ich nach "Herr Lehmann" bei MTV aufgehört habe, um mich ganz der Schauspielerei zu widmen.
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Christian Ulmen in "Becks letzter Sommer"
Entscheidung für eine unsichere Existenz
Ricore: Womit wir wieder beim Thema Risiko wären...

Ulmen: Ja, das war auch Entscheidung für eine unsichere Existenz - zumal ich bereits Vater war. Ich bin nun mal überzeugt, dass nur erfolgreich sein kann, wenn man Dinge tut, die man mit Leidenschaft tut. Aus diesem Grund habe ich mich dafür entschieden, Schauspieler zu werden.

Ricore: Sind junge Menschen heute weniger risikobereit, wenn es um ihre berufliche Existenz geht?

Ulmen: Während der Arbeit n "Jonas", der in einer Schule spielte, hab ich sehr viele Schüler kennen gelernt. Ich habe festgestellt, dass viele von ihnen bereits mit 15, 16 Jahren große Existenzängste haben. Bei einer Sechs in Latein oder Chemie sitzen sie da und haben Angst vor der Zukunft.

Ricore: Was ja von Eltern und Lehrern forciert wird...

Ulmen: Ich hatte das große Glück, dass mich Erstens meine Eltern nicht unter Druck gesetzt haben und ich zweitens verständnisvolle Lehrer hatte. Sie plädierten dafür, dass wir uns Zeit lassen sollen. Irgendwann würden wir schon wissen, was wir werden wollen. Ich weiß nicht, ob das eine Generationsfrage ist oder ich ein Ausnahmefall war. Die Angst und der Druck führt jedenfalls dazu, dass es in Zukunft immer mehr Becks geben wird. Weil die sich im Zweifel für BWL entscheiden oder für sonst was, das ihnen keine Freude macht.

Ricore: Was haben Sie geantwortet, als Sie in der Schule gefragt wurden, was Sie in Zukunft arbeiten wollen?

Ulmen: Moderator und Schauspieler und vor allem Nachrichtensprecher. Letzteres hat bis heute nicht geklappt.

Ricore: Wie waren die Reaktionen?

Ulmen: Es gab Mütter von Freunden, die das belächelt haben. Nach dem Motto: ein unerfüllbarer Traum. Dann gab es Menschen, etwa mein Klassenlehrer, die das sehr ernst genommen haben. Irgendwann wollten wir Sybil Gräfin Schönfeldt in unsere Klasse zu einer Diskussion einladen, wobei der Klassenlehrer mir den Auftrag gegeben hat, ihr den Einladungsbrief zu schreiben. Er war davon ausgegangen, dass ich eines Tages Redakteur beim Fernsehen würde. Das wird schließlich eines Tages dein täglich Brot werden, sagte er. Dieser Satz hat mich sehr beflügelt. Das fand ich großartig.

Ricore: Danke für das Gespräch.
erschienen am 21. Juli 2015
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Er ist ein talentierter Querkopf, ein begabter Komiker und ein facettenreicher Schauspieler: Christian Ulmen wird am 22. September 1975 in Neuwied geboren und wächst in Hamburg auf. Von 1988 bis Juni 1994 verfasst er Radiobeiträge für verschiedene Radiostationen. Für den Verschwende deine Jugend". Seitdem dreht er jedes Jahr mehrere Filme, überwiegend leichte Komödien. Auch im Fernsehen ist Ulmen mit Sendungen wie "Mein neuer Freund" zu sehen, in der er seine Paraderolle des unbeholfenen..
"Becks letzter Sommer" handelt von einem gescheiterten Musiker (Christian Ulmen), der sich als Musiklehrer verdingt. Als sich ein Schüler als musikalisches Talent entpuppt, hofft Beck, mit dessen Hilfe in der Musikbranche Fuß fassen zu können. Die Ereignisse überstürzen sich und die zwei landen in der Türkei. Mit "Becks letzter Sommer" hat "13 Semester"-Regisseur Frieder Wittich eine uneinheitliche Melange aus Musikfilm, Road- und Buddy-Movie inszeniert, deren dramaturgische Schwächen durch..
2024