Weltkino Filmverleih/Carole Bethuel
Sigrid Bouaziz in "Personal Shopper" (2015)
Filmfest Zürich
Interview: Olivier Assayas zu "Personal Shopper"
Olivier Assayas, Jahrgang 1955, will sich zunächst von seinem Vater absetzen, Regisseur Jacques Rémy, und schlägt eine technische Laufbahn ein. Mit dem Schreiben über Filme kommt er zum Filmemachen. Seit den 1990ern ist er Stammgast auf den internationalen Festivals, in Cannes feiern "Carlos, der Schakal", "Die Wolken von Sils Maria" und "Personal Shopper" Premiere. "Twilight"-Star Kristen Stewart spielt in "Personal Shopper" eine junge Frau, die sich in Paris als Einkäuferin einer reichen Russin verdingt. Sie finanziert mit dem Geld die Suche nach dem Geist ihres verschwundenen Zwillingsbruders. Wir befragen den französischen Regisseur zu "Personal Shopper" auf dem Filmfest von Zürich.
erschienen am 29. 01. 2017
Weltkino Filmverleih/Carole Bethuel
Regisseur Olivier Assayas mit Kristen Stewart am SET von "Personal Shopper" (2015)
Festivals sind wichtig
Ricore Text: Ihr Film wurde in Cannes gefeiert. Haben Ihre Filme nur mit diesem Bonus eine Chance?

Olivier Assayas: Festivals sind für meine Filme wichtig. Cannes spielt in einer eigenen Liga, weil alle Regisseure dorthin drängen. Das Schicksal jedes Films entscheidet sich dort durch die Reaktion der Presse und des Premierenpublikums. Dieses System ist extrem brutal, aber auch eine Herausforderung.

Ricore: Glauben Sie an Geister?

Assayas: In unserer rationalen Welt klingt das natürlich verrückt. Geister sind ein Spiegelbild unserer inneren Befindlichkeit. Um mit den Bildern in unserem Kopf umgehen, mit unseren Träumen und Phantasien, Ängsten und Phobien, brauchen wir eine metaphysische Ebene, die neben der physischen Welt oft nur für uns existiert.

Ricore: Sehen Sie sich als spirituelle Persönlichkeit?

Assayas: Wir alle müssen mit der materiellen Welt zurechtkommen, und inwieweit wir der spirituellen Welt in uns Raum geben, hängt von unserem Job ab. Als Filmemacher bin ich in einer guten Position. Ich sehe einen Zusammenhang zwischen Spiritualismus und modernem Naturalismus, zwischen Glauben und Realität, oder zusammen gefasst um das Verhältnis zwischen materieller und spiritueller Welt.

Ricore: Ist der Horrorfilm dafür das ideale Genre?

Assayas: Ich mag Horrorfilme. Gute Genrefilme schaffen eine psychische Verbindung zum Zuschauer und bescheren ihm einschneidende Erlebnisse. Mein Wunsch Regisseur zu werden, wurde von John Carpenter, Wes Craven und David Cronenberg geweckt. Ihre vom Science-Fiction-Genre inspirierten Horror-Geschichten erzählen mehr über die Realität ihrer Zeit als viele andere Werke.

Ricore: Sie waren damals Filmkritiker, als die Filme entstanden?

Assayas: Ich sah mich nie als Kritiker, ich schrieb über Film, habe Cronenberg und Carpenter interviewt. Das Nachdenken über ihre Filme war meine Schule, es erschloss mir neue Dimensionen des Filmemachens. Ich komme ja von der visuellen Kunst. Ich war lange äußerst skeptisch gegenüber allen anderen Medien. Aber ich habe über das Filmschauen gelernt, zu schreiben und zu inszenieren. Man muss sich letztlich nur bewusst sein, was man tut.
Weltkino Filmverleih/Carole Bethuel
Regisseur Olivier am SET von "Personal Shopper" (2015)
Olivier Assayas: für den Film entdeckt
Ricore: Warum beziehen Sie die Malerin Hilma af Klingt in die Handlung ein, deren Werk vom Okkultismus beeinflusst wurde?

Assayas: Ich habe sie für den Film entdeckt. Sie war überzeugt, dass ihre Arbeit von der Verbindung zu einer unsichtbaren und abstrakten Welt bestimmt wurde, die neben der realen existiert. Mit diesem Glauben war sie damals nicht alleine, denken sie nur an Mondrian. Die Malerei, die Literatur oder die Filme der Frühphase der modernen Kunst wurden von der Philosophie der Verbindung zwischen Abstraktion im Denken und Spiritualismus geprägt. Außerdem war sie eine der wichtigsten weiblichen Künstlerinnen, die aber vergessen wurde. Ihre Kunst hatte ungeheuren Einfluss auf den frühen Feminismus und umgekehrt.

Ricore: Sie schätzen den Feminismus?

Assayas: Ich bin Feminist. Der Feminismus ist die bedeutendste Errungenschaft der modernen Geschichte, und der Kampf von Frauen um Gleichberechtigung ein idealer Ausgangspunkt für das fiktionale Erzählen. Generell denke ich, dass der Macho im Mann die Quelle des Übels in der Welt ist. Der Verlust der Kontrolle und der Gewissheit von der Überlegenheit der männlichen Identität hat Gewalt und Brutalität in der modernen Welt ausgelöst.

Ricore: Viele Kritiker sehen in "Personal Shopper" eine lose Fortsetzung von "Die Wolken von Sils Maria"?

Assayas: Ich habe mich in "Sils Maria" neuen Themen gestellt, der Existenz einer metaphysischen Dimension, der Verbindungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Diese Themen mich schon lange beeinflusst ohne das es mir bewusst war. Zudem entsteht der Eindruck durch meine Verehrung für Kristen Stewart. Ich konnte mir vor den Dreharbeiten zu "Sils Maria" nicht vorstellen, wie stark ich mich ihr verbunden fühlen werde. Ich spürte, dass ich gerne weiter mit ihr arbeiten möchte.

Ricore: Waren Sie mir Ihr während des Schreibens dieses Buches in Kontakt?

Assayas: Der kreative Prozess verlagerte sich an den Set. In vielen Szenen ist Kristen alleine, sie entwickelte die Stimmung ihrer Figur und gab damit den Rhythmus vor. In jeder Szene ging sie einen Schritt weiter, als ich dachte. Sie genoss die Freiheit. Sie war überrascht, dass ich für "Sils Maria" alle gedrehten Szenen verwandt hatte. In Hollywood wird die Hälfte des Materials weg geschmissen.
Weltkino Filmverleih/Carole Bethuel
Kristen Stewart in "Personal Shopper" (2015)
Paris aus Blickwinkel einer Ausländerin
Ricore: Warum haben Sie überhaupt eine amerikanische Schauspielerin besetzt?

Assayas: Um mich nicht zu isolieren und mich herauszufordern. Ich habe oft in Paris gedreht, daher wollte ich die Stadt durch den Blickwinkel einer Ausländerin sehen. Zudem bin ich neugierig, wie die Globalisierung die moderne Gesellschaft und das Filmemachen beeinflussen. Das spiegelt sich in einem internationalen Cast wieder.

Ricore: Was auch bedeutet, in Frankreich ein Sakrileg zu begehen und in Englisch zu drehen?

Assayas: Das war unausweichlich und eine Bereicherung. Die Finanziers bevorzugen immer die gleichen Namen, das limitiert die künstlerische Freiheit. Aber nur wenn man das französische Starsystem umgeht, kann man andere Geschichten erzählen. "Personal Shopper" hätte ich so nicht mit französischen Schauspielern drehen können.

Ricore: Haben Sie Lars Eidinger nur für eine Szene geholt?

Assayas: Mehr haben wir nicht gedreht. Ich liebe sein Spiel, obwohl ich ihn nie auf der Bühne gesehen habe. Für "Carlos" habe ich viele gute deutsche Schauspieler getroffen, die besetze ich nach und nach.

Ricore: Das Ende des Films bleibt offen, bleibt Raum für eine Fortsetzung?

Assayas: Ein zweiter Teil ist nicht angedacht. Aber Filme sollten offene Enden haben und neue Horizonte eröffnen. Sie hat ihr Schicksal verstanden.

Ricore: Warum haben Sie für Roman Polanski "D'après une histoire vraie" von Delphine de Vigan adaptiert?

Assayas: Er hat mich gebeten und ich fühlte mich geschmeichelt. Ich hatte keine Ahnung, ob ich es noch für andere schreiben kann und ob es mir nicht zu langweilig wird. Ich bin auch ungerne an eine Vorlage gebunden, ich folge lieber meinen Vorstellungen und meinem Unterbewusstsein. Und ich hatte Angst vor der technischen Seite. Aber letztlich hat es funktioniert. Nach einigen Vorgesprächen in Paris fuhr Polanski nach Gstaad und ich in die Toskana. Wir hatten nur Kontakt über Skype. Jetzt dreht er mit Eva Green, Vincent Pérez und Emmanuelle Seigner.

Ricore: Danke für das Gespräch.
erschienen am 29. Januar 2017
Zum Thema
Olivier Assayas gehört zu den renommierten Autorenfilmern des französischen Kinos. Als Regisseur steht er in doppelter Hinsicht in der Tradition der Nouvelle Vague. Wie François Truffaut und Jean-Luc Godard beginnt auch Assayas als Kritiker beim renommierten "Les Cahiers du Cinéma". Als Regisseur ist Assayas am Puls der Zeit. Seine Filme haben stets aktuelle Themen, Assayas deckt ein breites Spektrum ab. Clean" (2004) und dem epischen Meisterwerk "Carlos, der Schakal" (2010) erfindet er sich..
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