ZDF/Caro von Saurma
Christian Berkel als Priester in "Das dunkle Nest"
Allmächtiger Vater?
Interview: Christian Berkels Grenzen
In "Das Experiment" und "Der Untergang - Hitler und das Ende des 3. Reichs" stößt Christian Berkel an moralische Grenzen. So auch in "Das dunkle Nest", in dem der Charakterdarsteller einen des Kindesmissbrauchs verdächtigen Priester verkörpert. Im Interview mit Filmreporter.de spricht der gebürtige Berliner über das Eros der Macht und die Vorverurteilung von Personen in öffentlichen Ämtern. Außerdem erklärt uns Berkel, weshalb er selten in Komödien mitspielt und unter welchen Umständen er Lebensgefährtin Andrea Sawatzki heiraten würde.
erschienen am 28. 11. 2011
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Peter Lerchbaumer und Petra Schmitd-Schaller spielen Vater und Tochter in in "Das dunkle Nest"
Ricore: Hätten Sie Dr. Gabriel Reinberg auch dann gespielt, wenn es beim ursprünglich geplanten klassischen Krimi-Plot geblieben wäre?

Christian Berkel: Ich kenne die ursprüngliche Fassung des Drehbuchs gar nicht. Aber vermutlich wäre ich an dem Projekt weit weniger interessiert gewesen. Da ich für das ZDF bei "Der Kriminalist" mitspiele, versuche ich in anderen Projekten immer ganz andere Figuren zu verkörpern. Wenn ein Buch daher käme, dass unglaublich gut geschrieben ist und mir die Rolle wahnsinnig gut gefällt, könnte ich mich vielleicht doch noch überzeugen lassen, einen weiteren Kommissar zu spielen. Aber in der Regel lehne ich so etwas ab. Das habe ich erst vor kurzem wieder getan, obwohl es eine internationale Produktion war. Ich möchte einfach nicht in eine Schublade gesteckt werden. Ich bin Schauspieler und mir macht es Freude, möglichst unterschiedliche Sachen zu machen.

Ricore: Haben Sie bei der Vorbereitung auf die Rolle mit vielen Priestern gesprochen?

Berkel: Ja.

Ricore: Was haben diese Ihnen mitgegeben?

Berkel: Zum Beispiel, dass sie tatsächlich oft mit Vorurteilen in Sachen Missbrauchsfällen zu kämpfen haben. Das ist ein sehr sensibles Thema. Verständlicherweise hatten einige Priester Probleme, sich zu diesem Thema zu öffnen. Aber es gab auch welche, die sehr offen und direkt über Missbrauchsfälle gesprochen haben. Die unterschiedlichen Meinungen innerhalb der katholischen Kirche versucht "Das dunkle Nest" ja auch deutlich zu machen.
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Johann von Bülow und Petra Schmidt-Schaller in "Das dunkle Nest"
Ricore: Kommissarin Esther Fromm spricht mehrfach vom Eros der Macht im Priesteramt. Inwieweit haben Sie dies beim Tragen der Kutte wahrgenommen?

Berkel: Ein wenig habe ich dies schon wahrgenommen. Ich bin mir aber relativ sicher, dass von Uniformen für viele Menschen generell eine Faszination ausgeht. Inwieweit eine Person dieser Faszination erliegt oder nicht, steht auf einem ganz anderen Blatt. Auf jeden Fall ist man aber mehr, als man individuell ist, wenn man eine Uniform trägt. Das ist genau das Dilemma in dem diese Personen stecken. Wir haben sehr viel mehr Missbrauch in Familien, so dass die Täter meist Väter oder Onkel sind. Nicht Priester oder Lehrer. Trotzdem würden wir nie sagen: 'Alle Väter sind Täter'. Bei öffentlichen Personen wie Lehrern, wird immer gleich der gesamte Berufsstand unter Generalverdacht gestellt. Das Problem ist auch, dass sich viele Institutionen in solchen Fällen nicht klar positionieren.

Ricore: Wie erklären Sie sich, dass angesehene Berufsstände wie das Priesteramt in Missbrauchsfällen sofort unter Generalverdacht gestellt werden?

Berkel: Das ist recht leicht zu erklären. Sowohl als Gesellschaft, als auch als Individuum können wir nicht verstehen, weshalb eine Person das Vertrauen eines Kindes so brutal missbraucht, um seine Triebe zu befriedigen. Diese Menschen zerstören im vollen Bewusstsein die Seele einer anderen Person. Bei allen Therapiemöglichkeiten die es gibt, wird so ein Geschehen eine solche Person für immer begleiten. Das ist seelischer Mord, der da stattfindet. Wir stehen völlig ratlos vor dem Geschehen und wünschen uns mehr Eindeutigkeit. Weil die Menschen Unklarheit nicht ertragen können, werden beispielsweise Lehrer und Priester in solchen Fällen häufig generell verdächtigt.

Ricore: Der Kirche kann man auch Positives abgewinnen: Sie spendet vielen Trost. Wie geht es Ihnen damit?

Berkel: Eine Gesellschaft ohne Religion kann und möchte ich mir nicht vorstellen. Religion hat eine ganz entscheidende Funktion für die Gesellschaft, die heute vielleicht mehr in den Hintergrund getreten ist, aber nicht sollte.
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Chiara Feldberger und Christian Berkel in "Das dunkle Nest"
Ricore: Welche meinen Sie konkret?

Berkel: Religion sollte dazu dienen, gegen den derzeit herrschenden Glauben an die Fähigkeit der Wirtschaft anzukämpfen. Wir benötigen eine geistige Haltung und die bekommen wir nicht übers Geld. Zudem kommt jetzt die Zeit, wo es wirtschaftlich noch schlechter gehen wird, als früher. Da zählen Dinge, die einen im Inneren zusammenhalten. Diese Funktion könnte die Kirche übernehmen. Aber bis dahin hat sie noch einen langen Weg vor sich.

Ricore: Wie vermitteln Sie Ihren Kindern möglichst unabhängig vom Wirtschaftsglauben zu denken und zu leben?

Berkel: Das ist heutzutage gar nicht so einfach. Spätestens wenn ein Kind in die Schule kommt, erlebt es eine Gruppe und wird von dieser geprägt. Der Einfluss des Elternhauses wird relativiert. Der Gruppendruck ist heute wesentlich höher, als bei mir früher. Du bist, was du oder deine Eltern haben. Das ist viel entscheidender, als früher. Ich versuche meinen Kindern außerdem zu vermitteln, dass Eltern nicht so allmächtig sind, wie sie es sich meist wünschen. Sie sollen nicht denken, dass sie alles von ihren Eltern bekommen können, weil diese auch nicht immer alles haben. Wenn ich manchmal zu meinem Kind sage, dass ich ihm eine bestimmte Sache nicht kaufen kann, weil ich es mir nicht leisten kann, sehe ich im ersten Moment einen Ausdruck des Schrecks. Diesem folgt eine Phase der Enttäuschung. Denn der Vater soll schließlich alles können. Ich sage zu meinen Kindern: 'Lerne deine Möglichkeiten kennen. Dann kannst du deine Grenzen eventuell ausweiten. Wenn du sie aber verleugnest, werden sie immer enger werden.'

Ricore: Wo liegen Ihre Grenzen?

Berkel: Ich würde nie einen Kinderschänder spielen. Ansonsten habe ich keine Grenzen. Ich wäre generell auch dazu bereit, Figuren zu verkörpern, wo ich in tiefe Abgründe blicken müsste. Damit eine Figur für den Zuschauer interessant wird, darf ich sie nicht nur kritisieren, sondern muss sie bis zu einem gewissen Punkt mögen. Ich muss neben den negativen Seiten, auch nach dem Positiven in der Figur suchen. Kein Mensch ist nur gut, oder schlecht. Das Gute in einem Kinderschänder würde ich nicht finden wollen, obwohl es meine Aufgabe wäre.
20th Century Fox
Andrea Sawatzki und Christian Berkel bei der Premiere von "Operation Walküre" in Berlin
Ricore: Haben Ihre Kinder schon mal danach gefragt, wann Mama und Papa heiraten?

Berkel: Ja, aber das ist schon eine Weile her. Heutzutage ist es nicht mehr ungewöhnlich, wenn ein unverheiratetes Paar Kinder hat. Da manche Eltern es aber doch sind, haben uns unsere Kinder gefragt, weshalb wir noch nicht verheiratet sind. Als wir dann versucht haben, ihnen das zu erklären, waren sie nur zur Hälfte befriedigt.

Ricore: Was haben Sie Ihnen gesagt?

Berkel: Wir sagten, dass man normalerweise heiratet, um eine Familie zu gründen. Bei uns hätte es sich aber so ergeben, dass die Kinder schon unterwegs waren, bevor es zu einer Eheschließung gekommen ist. Deswegen sei es für uns nicht mehr wichtig gewesen, zu heiraten. Es kann aber sein, dass die Erklärung für sie zu theoretisch war.

Ricore: Welche Vorteile hat es, ohne Trauschein zu leben?

Berkel: Ich glaube es gibt weder für den einen, noch den anderen Fall entscheidende Vor- oder Nachteile. In den meisten Fällen wird der Entschluss zu heiraten sehr emotional und letztlich irrational getroffen. Das ist auch das Gute daran. Ich denke nicht, dass man seine Beweggründe benennen muss, wenn man sich entschließt, zu heiraten. Bei mir und meiner Frau hat es sich bisher einfach nicht richtig angefühlt, zu heiraten. Viel besser kann ich das gar nicht beschreiben.
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Christian Berkel als Priester in "Das dunkle Nest"
Ricore: Sie sind schon mehrfach für Ihre Schauspielerei ausgezeichnet worden. Was bedeuten Ihnen Preise?

Berkel: Natürlich bedeuten sie mir etwas. Ich freue mich insofern, da es die Anerkennung eigener Arbeit durch eine Jury ist, die vor allem aus Filmkennern und -liebhabern besteht. Auch über die Anerkennung durch das Publikum freue ich mich sehr. Schließlich sind es diese Personen, für die ich meine Arbeit mache. Aber wenn ein Kritiker oder eine Fachjury deine Arbeit lobpreist, ist das schon etwas Besonderes. Da freue ich mich ehrlich gesagt auch schon über eine Nominierung.

Ricore: Sie spielen oft ernste Rollen und historische Persönlichkeiten. Wie muss ein Drehbuch aussehen, damit Sie für eine Komödie zusagen?

Berkel: Ich hätte absolut Lust dazu, in einer Komödie mitzuwirken. Aber in der Tat mache ich das sehr selten. Auf der Theaterbühne war ich früher öfters in humorvollen Rollen zu sehen. Leider gibt es sehr wenige Regisseure und Autoren, die die Art von Komödien machen, die ich mag. Das sind meist Gesellschafts- und Beziehungskomödien. Die Grundlage der Geschichte müsste man genauso gut auch für ein Drama nutzen können. Erst durch den Perspektivwechsel kommt das Komödiantische. So sind die frühen Filme von Howard Hawks, Billy Wilder und Ernst Lubitsch. Deren Geschichten sind Sozialkomödien, die wirklich brillant sind, tolle Dialoge haben und von der Figurenkonstellation her ungewöhnlich sind. Mich würde zum Beispiel sehr reizen, in einer Komödie mitzuspielen, die sich unter einem humoristischen Aspekt mit Menschen in meinem Alter beschäftigt. Diese haben auf der einen Seite schon viel im Leben erlebt, auf der anderen Seite haben sie jedoch noch viele Jahre vor sich. Die Midlifecrisis könnte da auch ein Thema sein.

Ricore: Welche Gesellschaftskomödien haben Ihnen in den letzten Jahren am besten gefallen?

Berkel: [Überlegt lange] Das ist wirklich sehr schwer zu beantworten. Das Thema Beziehung als Komödie gibt es manchmal im Fernsehen. Aber etwas auf wirklich höherem Niveau mit gelungenen Schlagabtauschs zwischen den Charakteren, fällt mir auf Deutschland bezogen nicht wirklich ein. So gut wie Woody Allen sind wir leider nicht.
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Christian Berkel als Priester in "Das dunkle Nest"
Ricore: Eine der nächsten beiden Komödien von Woody Allen soll in München spielen. Vielleicht fragt er Sie ja an.

Berkel: [Lacht] Ich hätte nichts dagegen.

Ricore: Ist es schwieriger, reale oder fiktionale Figuren darzustellen?

Berkel: Ein kleiner Unterschied ist da schon. Der liegt vor allem im Bereich der Verantwortung. In dem Moment wo ich eine Person spiele, die noch lebt, bin ich beschränkt in meiner Fantasie. Ich kann dann nicht machen was ich will. So auch bei Helmut Schmidt. Aber selbst wenn ich jemanden spiele, der nicht mehr lebt, den aber noch einige gekannt haben die noch leben, hat man die Verantwortung, dass die Betroffenen sich nicht abwenden und sagen: 'Um Gottes willen!'

Ricore: Wie reagieren die von Ihnen dargestellten noch lebenden Persönlichkeiten?

Berkel: In den wenigen Fällen wo ich eine noch lebende historische Persönlichkeit gespielt habe, waren die Reaktionen durchweg positiv. Mein Erfolg liegt vielleicht darin, dass ich bislang nie versucht habe eine bestimmte Person zu kopieren. Ich habe beispielsweise nicht versucht, Helmut Schmidt nachzumachen. Was ich gespielt habe, ist meine Interpretation der Figur Helmut Schmidt. Und das ist ja nicht Helmut Schmidt selbst. Ich habe bei der Konzeption der Rolle Wert auf einige Aspekte seiner Person gelegt, die der Allgemeinheit bisher eventuell noch nicht so aufgefallen sind.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 28. November 2011
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2024