Szene aus Scardanelli

Scardanelli

Originaltitel
Scardanelli
Regie
Harald Bergmann
Darsteller
Günther Weinmann, John Chambers, Raimund Groß, Amalie Bizer, Rainer Sellien, Jürgen Lehmann
Kinostart:
Deutschland, am 04.07.2002 bei academy films
Genre
Drama
Land
Deutschland
Jahr
2000
FSK
ab 12 Jahren
Länge
112 min.
|0  katastrophal
brillant  10|
7,0 (Filmreporter)
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Der Dichter Friedrich Hölderlin kehrt von seinen Anstellungen in Frankfurt und Bordeaux erfolglos, verarmt und krank nach Tübingen zurück. Er wird für wahnsinnig erklärt und bei dem Schreinermeister Ernst Zimmer in Obhut gegeben. Dort lebt Hölderlin in einem armselig möblierten Turmzimmer mehr als 30 Jahre bis zu seinem Tod. Die Tochter des Schreinermeisters pflegt und umsorgt ihn wie ein unmündiges Kind. Der geistig umnachtete Dichter nennt sich "Scardanelli" und schreibt einen Großteil seiner Werke unter diesem Pseudonym. Seinen Namen Hölderlin verleugnet er. Die Stimmung des alten Mannes schwankt ständig und mit plötzlichen Wutausbrüchen versetzt er seine ohnehin seltenen Besucher in Angst. Hölderlins Tage sind ausgefüllt mit Dichten, Klavierspiel, Komponieren, Zeichnen und stetigem Umherirren. Die einzige Inspiration ist ihm die Natur, die Hölderlin vom Turmfenster aus genießt. Seine wahllos durch mehrere Jahrhunderte datierten und mit "Scardanelli" gezeichneten Werke verschenkt Hölderlin freigebig an Besucher. Niemand in der Umgebung weiß sein Genie zu schätzen.
Harald Bergmanns "Scardanelli" ist durch und durch Anspruch und Ambition. Für die Interpretation der hervorragend ausgewählten Kompositionen von Schubert, Mozart und Bach konnte das Alban Berg Quartett gewonnen werden. Die gelungene Biografie hält sich strikt an historisch belegbare Fakten. Sie kontrastiert düster-beklemmende Schwarz-Weiß-Aufnahmen mit Berichten von Zeugen in derer alltäglichen deutschen Wohnzimmergemütlichkeit. Für die eindrucksvollen Animationen zeichnet Thomas Dirsch verantwortlich. Walter Schmidinger spricht Hölderlin-Gedichte und wie jemand, der die Worte beim Niederschreiben vor sich hinsagt. Dazu werden Bleistiftzeichnungen kombiniert, die sich Stück für Stück, Strich für Strich, aufbauen. Diese Schaffensprozesse sind von kraftvoller Musik begleitet, mit dem Ergebnis, dass diese Szenen alle Sinne des Zuschauers ansprechen. Schöngeist Hölderlin, der mit Hegel und Schelling befreundet war und revolutionärem Gedankengut nahe stand, war ein überzeugter Humanist. Seiner vielleicht einzigen Liebe Susette Gontard, die er in Frankfurt kennen lernte, hat er sein "Hyperion" gewidmet, in dem er die Themen der Französischen Revolution und seiner Liebe zur griechischen Antike verarbeitete. Hölderlins Arbeit an der Übersetzung von Sophokles' König Ödipus floss ebenso in den Film ein, wie seine künstlerische Allroundbegabung. Bergmann erschließt dem gebildeten Publikum ein gutes Stück abendländischer Kultur. Einziger Kritikpunkt: Das dramaturgisch unverzichtbare Sprachen- und Dialektgewirr aus Schwäbisch, Französisch und Italienisch verlangt dem Zuschauer höchste Konzentration ab.
Julia Piu/Filmreporter.de
2024