Ricore

Einmal schwerelos und zurück

Originaltitel
Gagarine
Regie
Fanny Liatard, Jérémy Trouilh
Darsteller
Alseni Bathily, Lyna Khoudri, Jamil McCraven, Finnegan Oldfield, Farida Rahouadj, Denis Lavant
Kinostart:
Deutschland, am 01.12.2022 bei Film Kino Text
Kinostart:
Schweiz, am 09.12.2021 bei Filmcoopi
Genre
Drama
Land
Frankreich
Jahr
2020
FSK
ab 12 Jahren
Länge
98 min.
IMDB
IMDB
|0  katastrophal
brillant  10|
6,0 (Filmreporter)
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Coming-of-Age-Film über Kids und ihre Träume
Der 16-jährige schüchterne Yuri (Alseni Bathily) träumt, eines Tages die Weiten des Alls zu erkunden. Sein Zimmer hat der technisch begabte Junge mit einem billigen Teleskop und einem Orbitmodell, in dem die Planeten um einen gelben Tennisball kreisen, in ein Weltraumzentrum verwandelt. Zudem hält er das Hochhaus mit mehr als 370 Wohnungen, dessen Besitzer längst aufgegeben hat, mit vielen kleinen Reparaturen als eine Art Hausmeister in Schuss.

Sein Refugium ist bedroht, als der Abriss des maroden Hochhauses aus den 1960er Jahren angekündigt wird. Zunächst regt sich Widerstand gegen die Pläne der Stadtverwaltung. Doch nachdem die Nachbarn peu à peu umziehen, nimmt Yuris Mutter das Umsiedlungsangebot an. Auch die Roma, die in der Nähe ihr Lager aufgeschlagen haben, ziehen weiter. Jetzt bleibt nur noch Yuri, der wild entschlossen ist, seine Welt zu verteidigen und abzuheben.
Um den jungen Protagonisten setzen Fanny Liatard und Jérémy Trouilh in ihrem Coming-of-Age-Film einen Kosmos von Jugendlichen, die ebenfalls um ihre Träume ringen. Die junge Roma Diana (Lyna Khoudri), die sich an den ungeschrieben Regeln des Clans reibt. Der desillusionierte Drogendealer Dali (Finnegan Oldfield) oder Yuris bester Freund Haussam (Jamil McCraven). Der zieht mit seiner Familie ans andere Ende der Stadt.

Der sehenswerte Film führt in die Sozialbausiedlung Cité Gagarine in Ivry-sur-Seine im Südosten von Paris, die der erste Mensch im All 1963 besucht. Ein kurzer Rückblick mit jubelnden Menschenmassen und Konfettiregen erinnert an den Empfang sowie die Hoffnungen und das Versprechen, bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen, die längst begraben sind. Heute gehört die Cité zur berüchtigten Banlieue mit einem hohem Anteil von Zugewanderten aus aller Welt, hoher Kriminalitätsrate und systematischem Verfall. Die Stadt entschließt sich zum Abriss. Das Haus, in dem gedreht wird, gibt es seit zwei Jahren nicht mehr. Der nüchternen Realität setzen die Regie-Debütanten eine poetisch-magische Ebene entgegen, in die sich Yuri flüchtet. Der Kontrast wird durch die mystisch-sphärische Musik noch unterstrichen.
Katharina Dockhorn/Filmreporter.de
2024