20th Century Fox
James Cameron am Set von "Avatar"
Der analoge Film ist am Ende
Feature: Wird das Kino digital?
Vor uns liegt eine schöne, neue Welt voller exotischer Kreaturen und atemberaubender Landschaften. Blauhäutige Wesen führen uns durch die fluoreszierenden Wälder eines fremden Planeten. Man hat den Eindruck, als sei man nicht im Kinosaal, sondern wäre selbst Teil der atemberaubenden Welt von James Camerons "Avatar - Aufbruch nach Pandora". Der Film gilt als der nächste große Schritt der digitalen Filmkunst. Obwohl er im digitalen Format gedreht wurde, muss er in den meisten deutschen Kinos analog abgespielt werden. Grund dafür sind fehlende digitale Abspielmöglichkeiten. Das soll sich ändern.
erschienen am 29. 12. 2009
Internationales Filmfest von Locarno 2009
Internationales Filmfest von Locarno 2009
Hollywood gibt den Ton an
In Hollywood hat man sich bereits vor einigen Jahren auf die Digitalisierung des Kinos eingestellt. Entscheidend ist die Gründung der Digital Cinema Initiatives, LLC (DCI) im März 2002. Die Initiative ist ein Gemeinschaftsprojekt der großen Hollywood-Studios Disney, Fox, MGM, Paramount, Sony Pictures, Universal und Warner Bros. Zusammen mit dem US-Verband der Kinobetreiber, der National Association of Theater Owners, einigt man sich 2005 auf einheitliche digitale Standards. Der DCI-Norm zufolge sollen die entsprechenden Projektoren der Kinos in der Lage sein, die beiden Bildauflösungsformate 2K (2048 x 1080 Pixel) und/oder 4K (4096 x 2160 Pixel) wiedergeben zu können. Mittlerweile richtet sich nahezu die gesamte US-Filmwirtschaft nach diesen Normen.
Cinemaxx
Bald gähnende Leere in deutschen Kinos?
Digitalisierung in Europa
Während in den USA die Initiative zur Digitalisierung der Kinolandschaft von den großen Studios ausgeht, erkennen in Europa gerade kleinere Verleihe die Zeichen der Zeit. In Deutschland wird Salzgeber & Co. Medien schon sehr früh aktiv, ein Berliner Verleih, der sich auf Dokumentationen, Schwul-Lesbische Filme und andere Arthausproduktionen konzentriert. Gemeinsam mit sieben Verleihern aus Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Österreich, Portugal, der Slowakei und Spanien gründet man das Projekt European DocuZone (später in "CinemaNet Europe" umbenannt). Ziel ist, Kinos mit digitalen Abspielsystemen auszustatten, die aus DCI-konformen 2K-Projektoren, Servern und Satellitenempfangsanlagen bestehen. Auf diese Weise soll ein europaweites Netzwerk entstehen, durch das die teilnehmenden Kinos über einen einheitlichen Server per Satellit oder Festplatten mit Filmen beliefert werden können. Am 12. November 2004 beginnt das Projekt in 182 europäischen, davon 112 deutschen Kinos. Die Kosten der digitalen Umrüstung übernimmt zur Hälfte das Netzwerk, zur Hälfte die Lichtspielhäuser. Nach Rückzahlung der Filmleihmieten an die Kinos sparen diese im Durchschnitt wiederum die Hälfte der Eigeninvestition. Finanzielle Unterstützung erhält die Initiative unter anderem durch die Europäische Union. Dem Programm von Salzgeber entsprechend, liegt der Fokus der Initiative auf der Digitalisierung kleinerer Programmkinos. Im Gegenzug für die Ausrüstung kann European DocuZone einen Teil des Programms mitgestalten. An einem festgelegten Wochentag laufen in den teilnehmenden Kinos zeitgleich vom Netzwerk ausgewählte Filme, vorrangig Dokumentationen und Independent-Werke. Auch die Übertragung von Live-Events ist möglich. In Deutschland trägt die Reihe den Titel delicatessen Kino Kultur digital. Von dem vereinbarten Sendeplatz abgesehen, können die Kinobetreiber über die digitale Ausrüstung frei verfügen.
20th Century Fox
Avatar - Aufbruch nach Pandora
Eine Frage des Geldes
Mit der Digitalisierung der Kinos gehen erhebliche Sparpotentiale einher. Kleinere Filme etwa müssen sich aufgrund der hohen Kosten auf relativ wenige Kopien beschränken und gehen dadurch in der Masse großer Studioproduktionen unter. Zeitgleiche Vorführungen in über 100 Kinos in ganz Deutschland, wie sie durch Salzgeber ermöglicht werden, verschaffen Low-Budget Produktionen somit eine größere Reichweite. Viele dieser Filme, gerade Dokumentationen, werden im günstigeren Digitalverfahren gedreht und mussten bislang anschließend auf 35mm-Film kopiert werden. Auch dieser kostspielige Schritt, der zudem zu einer Verschlechterung der Bildqualität führt, entfällt durch digital ausgerüstete Kinos. Das gilt für unabhängige Produktionen ebenso, wie für aufwendige Hollywood-Blockbuster. Außerdem werden die Distributionsprozesse wesentlich unkomplizierter. Die schweren Filmrollen müssen quer durchs Land transportiert werden, bevor sie bei den Kinovorführern ankommen, zu Rollen zusammengeklebt und abgespielt werden können. Digitale Filme braucht man dagegen lediglich auf die entsprechende Festplatte zu überspielen. Denkbar ist dank der technischen Möglichkeiten des digitalen Kinos auch die Interaktivität mit dem Publikum. So könnte sich beispielsweise der Macher eines Films live zuschalten lassen, um sich mit Zuschauern aus verschiedenen Ländern über sein Werk auszutauschen. Die Vorteile für Filmemacher und Verleiher liegen auf der Hand. Eine flächendeckende Digitalisierung ist trotzdem noch nicht in Sicht. Was sind die Gründe?
Andrea Niederfriniger/Ricore Text
Arri Filmprojektor
Flächendeckende Digitalisierung
Die Filmverleiher können durch die Digitalisierung hohe Geldsummen einsparen. Für die Kinos bedeutet die Umrüstung jedoch nach wie vor ein hohes finanzielles Risiko, das nicht automatisch mehr Besucher verspricht. So sind digitale Projektoren erheblich teurer als 35mm-Projektoren. Es fehlt ein Finanzierungsmodell zur flächendeckenden Digitalisierung der deutschen Kinolandschaft. Dazu müssten sich der Verband der Filmverleiher (VdF) und der Verband der Filmkunst- und Programmkinos in Deutschland, die AG Kino-Gilde, einigen. Der Vdf erklärt sich 2008 bereit, sich mit etwa 15 Prozent an den anfallenden Kosten zu beteiligen. Allerdings erklärt der Verband in einer Pressemitteilung: "Die Verleiher können bei geschätzten Umrüstkosten für das digitale Equipment in einer Größenordnung von cirka 226 Millionen Euro für alle Filmtheater nicht als Mäzen auftreten, die jenseits aller betriebswirtschaftlicher Überlegungen die finanzielle Last tragen." Nicht nur die Geräte selbst, sondern auch der Umbau der Kinos treibt die Kosten in die Höhe. So schätzt die AG Kino-Gilde die nötigen Investitionen für eine bundesweite Digitalisierung noch höher ein: "Wenn man insgesamt alle Nebenkosten der Kinobetreiber zu den Finanzierungskosten dazu zählt, kommt man auf eine Summe zwischen 350 und 400 Millionen Euro", sagt Christian Bräuer, Vorstandsvorsitzender der AG Kino-Gilde. Auch staatliche Subventionen seien vonnöten. So begrüßt die AG Kino-Gilde im Juni 2009 eine geplante Initiative von Kulturstaatsminister Bernd Neumann, mit Zuschüssen des Staates die flächendeckende Digitalisierung der deutschen Kinoindustrie zu unterstützen. Verhandlungsgespräche führe man diesbezüglich auch weiterhin, weitere Details werde es Bräuer zufolge jedoch erst im Januar 2010 geben. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor, der für Bedenken seitens der Kinobetreiber sorgt, betrifft die digitale Technik selbst. Aufgrund mangelnder Erfahrungswerte ist nicht sicher, wie lange die digitalen Projektoren, ob die aktuellen technologischen Standards nicht nach relativ kurzer Zeit überholt sind, so dass eine weitere Umrüstung erforderlich ist.
Internationales Filmfest von Locarno 2009
Internationales Filmfest von Locarno 2009
Eine Frage der Zeit
Die Verdrängung der analogen durch die digitale Technik liegt trotz der Probleme in der Luft. Und das nicht erst in der Atmosphäre von Camerons Wunderwelten. Im kleinen Rahmen hat CinemaNet Europe bereits die Umrüstung der Programmkinos in Deutschland vorangetrieben. Der Filmförderungsanstalt (FFA) zufolge lassen die Angaben der Marktteilnehmer auf derzeit rund 200 Kinos mit digitaler Technik in Deutschland schließen. Bis zu einer Digitalisierung der insgesamt etwa 4.800 Säle könnte es also noch dauern. In erster Linie scheitert das Vorhaben der flächendeckenden Umrüstung an der Finanzierung. Zunächst müssten sich Filmverleiher, Förderinstitutionen und Kinobetreiber auf einen gemeinsamen Finanzierungsweg einigen. Bis dahin muss die digitale Welt von Pandora in vielen Kinos auch weiterhin über den 35mm-Umweg zum Leben erweckt werden.
erschienen am 29. Dezember 2009
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