Falcom Media
Stine Fischer Christensen ist "Die Unsichtbare"
Christian Schwochow hinter den Kulissen
Feature: Zerstörerische Kraft der Kunst
Nach seinem Debüt "Novemberkind" bringt Christian Schwochow mit "Die Unsichtbare" seinen zweiten Spielfilm in die Kinos. Wieder gelingt ihm ein komplexes, eindringlich gespieltes Drama. Der Regisseur blickt hinter die Kulissen einer Theateraufführung und zeigt das zerstörerische Potenzial der Kunst.
erschienen am 6. 01. 2012
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Die Unsichtbare
Mehr als drei Jahre nach seinem von der Kritik gefeierten Debüt "Novemberkind" legt Nachwuchsregisseur Christian Schwochow mit "Die Unsichtbare" seinen zweiten Spielfilm vor. Dabei stellt er erneut eine junge Frau in den Mittelpunkt einer Odyssee, wobei er sie diesmal nicht in die Weite eines immer noch unter dem Eindruck der deutsch-deutschen Teilung stehenden Landes schickt, sondern in das Chaos der eigenen Psyche.

Die zweite gemeinsame Konstante ist die erneute Zusammenarbeit Schwochows mit seiner Mutter Heide, mit der er das Drehbuch verfasst hat. Diese, wie auch die Kollaboration mit den Schauspielern Anna Maria Mühe, Ulrich Matthes und Christina Drechsler sowie Kameramann Frank Lamm bestätigen, was seit dem Debüt viele ahnten: dass sich mit Schwochow ein neuer Autorenfilmer im deutschen Film zu etablieren scheint.
Schwarz-Weiss Filmverleih
Novemberkind
Wie in "Novemberkind" beweist Schwochow auch in "Die Unsichtbare", dass er komplexe inhaltliche und thematische Vorgaben dramaturgisch zu verdichten weiß. Während er dort geschickt verschiedene Zeitebenen mit der Suche einer Frau nach ihrer vermeintlich verstorbenen Mutter zu einem feinfühligen Drama verband, schafft er in "Die Unsichtbare" den schwierigen Balanceakt zwischen dem Blick hinter die Kulisse einer Theateraufführung und einer vielschichtigen Charakterstudie. Im Mittelpunkt steht dabei die von Stine Fischer Christensen gespielte Fine. Sie ist eine junge Schauspielaspirantin, der es jedoch an Entscheidendem mangelt, um sich in der Branche zu behaupten: Extrovertiertheit sowie ein sicheres und selbstbewusstes Auftreten.

Der schüchternen Frau gelingt es nicht, über ihren Schatten zu springen und so die Aufmerksamkeit der Theatermacher auf ihr Talent zu lenken. In ihrer selbstlosen Art opfert sie sich eher für ihre Mitmenschen, als sich selbst in den Vordergrund zu drängen. Liebevoll kümmert sie sich um ihre geistig behinderte Schwester Jule (Christina Drechsler), unterstützt ihre überforderte alleinerziehende Mutter (Dagmar Manzel) im Haushalt, während sie auf der Bühne das Nachsehen hat.

Als Fine und ihre Mitstudenten beim renommierten Theaterregisseur Kaspar Friedmann (Ulrich Noethen) für ein Stück vorsprechen, rechnet sie sich nicht viele Chancen aus. Zur Überraschung aller wird sie für die Hauptrolle besetzt. Die Freude über ihr Glück wechselt mit Phasen starker Selbstzweifel. Zudem stellt das Regiegenie Friedmann mehr als hohe Anforderungen an die unerfahrene Schauspielerin. Um diesen gerecht zu werden, muss Fine tief in die Abgründe ihrer Persönlichkeit blicken.
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Stine Fischer Christensen ("Die Unsichtbare") muss die Tiefen Ihrer Seele erforschen
Es ist ein zwiespältiges Bild, das Schwochow vom Theater zeichnet. Einerseits versteht er "Die Unsichtbare" als Hommage an die Welt der Bühne, andererseits ist sein Blick hinter ihre Kulissen mehr als nüchtern. Er zeigt die große Anstrengung, die dahinter steckt, um so etwas wie Wahrhaftigkeit zu erzielen, das Leben in seiner Essenz auf die Bühne zu bringen, Emotionen zu erzeugen.

Dabei streift er mitunter das Wesen der Schauspiel- und Bühnenästhetik. Schauspielerei, das ist es, was der Theaterexzentriker Friedmann seiner Schauspielschülerin vermittelt, ist nicht nur die Reproduktion von Emotionen. Der Schauspieler soll nicht so tun, als sei er ein anderer Charakter, er muss ganz und gar der Charakter werden, muss fühlen und denken wie dieser.
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Szene aus "Die Unsichtbare"
Es ist unschwer zu erkennen, worauf Schwochow mit solchen Ansichten hinaus will. Es ist das Method Acting, an das er rührt, jene von Lee Strasberg mitinitiierte Schauspiellehre, die auf das innere Erleben des Dargestellten und dessen Reproduktion auf der Bühne oder vor der Kamera zielt. Dabei macht er auch vor manchem Mythos dieser Methode keinen Halt. Marlon Brando, erzählt Friedman Fine, ging regelmäßig in den Zoo, um das Verhalten der Tiere zu studieren. Das macht die naive Nachwuchsdarstellerin denn auch prompt nach. Im Fernsehen schaut sie sich eine Tierdokumentation an, um sich die Gebärden einer Raubkatze einzuprägen.

Später geht sie einen Schritt weiter. Um das Innenleben ihrer Figur einer verschlingenden Femme Fatale, für die 'Sex wie Kuchen essen' ist, zu empfinden, verwischt sie mehr und mehr die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit. In der Aufmachung ihrer Figur samt blonder Perücke geht sie auf die Straße, um Männer anzumachen. Dabei fällt ihre Wahl auf ihren attraktiven Nachbarn Joachim (Ronald Zehrfeld). Als Fine hatte sie sich nie getraut, ihn anzusprechen, beobachtete ihn nur aus der Distanz ihrer Wohnung, grüßte ihn allenfalls flüchtig auf dem Treppenhaus. Als Camille verführt sie ihn jedoch hemmungslos.
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Szene aus "Die Unsichtbare"
Dabei ist ihr die Gefahr bewusst, die in der Lehrmethode ihres Mentors lauert. Nicht nur stößt sie mit ihrem Experiment an moralische Grenzen - was für sie Spiel ist, wird für Joachim, der sich in sie verliebt, bitterer Ernst. Sie erkennt auch dessen selbstzerstörerisches Potenzial. Um der Darstellung den letzten Rest Wahrhaftigkeit abzugewinnen, muss sie tief Verborgenes an die Oberfläche kehren.

Spätestens hier zeigt sich, dass auch Schwochow nicht uneingeschränkt der Faszination des Theaters erliegt. So sehr er die hohe Kunst des Schauspieles zu schätzen weiß, ist er sich auch des großen Opfers bewusst, das mit dem Erzielen von Wahrhaftigkeit einhergeht. In eindringlichen, von seiner Darstellerriege großartig gespielten Szenen zeigt er das Ausbeuterische des Theaters, wie Schauspieler an Grenzen stoßen und Theaterregisseure dies um der Kunst willen provozieren. 'Hast du mich ausgewählt, weil ich gut oder weil ich kaputt bin', fragt Fine an einer Stelle den Theatermacher. Friedmann geht es nicht um das Talent, das Können seiner Schauspieler, sondern um die Emotionen, die sie prägten. Er, der selbst vom Leben gezeichnet ist, sucht nach dem Leben, das er aus seinen Schülern auspresst. Die Rücksichtslosigkeit ist dabei seine Methode. Die Unvereinbarkeit von Kunst und Moral - auch das ist ein Thema von "Die Unsichtbare".
erschienen am 6. Januar 2012
Zum Thema
Die Unsichtbare (Kinofilm)
Fine (Stine Fischer Christensen) wünscht sich nichts sehnlicher, als den großen Durchbruch auf der Bühne. Der schüchternen Frau mangelt es jedoch an Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen. Als sie für ein Theaterstück vorspricht, wird sie zur Überraschung aller für die Hauptrolle besetzt. Bald merkt sie, welches Opfer sie für die Kunst bringen muss. Um ihre Rolle authentisch zu gestalten, muss sie in die Abgründe ihrer eigenen Persönlichkeit blicken. Mit "Die Unsichtbare" gelingt..
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