Film Revue
Vittorio de Sica als Dichter mit Charme
Charmante Komödie mit Witz
Feature: Vittorio de Sica heiratet italienisch!
Mit "Schuschia (Schuhputzer)" und "Fahrraddiebe" schaft er Meisterwerke der Filmkunst und festigt damit das ästhetische Programm des italienischen Neorealismus. Später wird Vittorio de Sica von der Kritik als Verräter bezeichnet, weil er die Prinzipien des veristischen Films verraten haben soll. Auch seine Komödien werden an seinem Frühwerk gemessen. So auch "Hochzeit auf italienisch", der nicht die sozialpolitische Haltung von "Umberto D." hat. Witzig und charmant ist die mit Sophia Loren und Marcello Mastroianni prominent besetzte Komödie allemal.
erschienen am 11. 12. 2012
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Accattone - Wer nie sein Brot mit Tränen aß
Programm des italienischen Neorealismus
Vittorio de Sica ist einer der Hauptvertreter des italienischen Neorealismus, jener Bewegung in den 1940er Jahren, die sich in Abgrenzung des eskapistischen Kinos des vorausgegangenen Jahrzehnts unter einfachsten Produktionsbedingungen und mit innovativen formalen Mitteln den sozialpolitischen Problemen des Landes zuwendet. Gemeinsam mit Filmemachern wie Giuseppe de Santis ("Bitterer Reis") Luchino Visconti ("Besessenheit") und Roberto Rossellini ("Rom, offene Stadt") setzt er mit Filmen wie "Schuschia (Schuhputzer)", "Fahrraddiebe" und "Umberto D." Maßstäbe und beeinflusst die nachfolgende Kinogeschichte nachhaltig. Das von formalen und thematischen Zwängen befreite Kino der Nouvelle Vague, des Neuen Deutschen Films und des britischen Free Cinema sowie der Autorenfilm im Allgemeinen wären ohne das innovative ästhetische Programm des neorealistischen Kinos kaum denkbar.

Mit Beginn der 1950er gelangt die Bewegung zum Stillstand, deren Regisseure bewegen sich fortan unter Ausprägung ihrer künstlerischen Identität in verschiedene Richtungen. Rossellini dreht weiterhin ambitionierte Filme ("Reise in Italien"), wobei er seine formalen Experimente auch auf Fernsehproduktionen ausweitet. Viscontis Werk ist von epischer Wucht, ohne sich der Wirklichkeit zu verschließen - auch wenn der Blick des Regisseurs schon mal die Grenze Italiens überschreitet - etwa in der sogenannten 'Deutschen Trilogie' mit "Die Verdammten", "Der Tod in Venedig" und "Ludwig II". Federico Fellini, der seine Karriere als neorealistischer Drehbuchautor beginnt - er ist Koautor bei Rossellinis "Rom, offene Stadt" und "Paisà" - schafft einen filmischen Kosmos zwischen poetischen-sentimentalen Märchen und beißender Zeitsatire. Pier Paolo Pasolini, dessen Frühwerk nicht selten dem Neorealismus zugeschrieben wird ("Accattone - Wer nie sein Brot mit Tränen aß") dreht philosophische Parabeln, die sich kritisch mit den Erscheinungsformen des Kapitalismus und der Sinnkrise des Menschen auseinandersetzen.
Film Revue
Verliebt in Monte Carlo: Marlene Dietrich und Vittorio de Sica
Schelte von der Kritik
Dennoch werden viele dieser Regisseure aufgrund ihrer künstlerischen Entwicklung heftig angegriffen. Kritiker monieren ihre Abkehr von den Ideen des Neorealismus und beklagen in ihren Filmen das Fehlen einer gesellschaftspolitischen Relevanz. Anlass dazu ist nicht nur Viscontis in den 1950er Jahren entstandenes Historien-Melodram "Sehnsucht" und die artifizielle Dostojewski-Verfilmung "Weiße Nächte". Vor allem Vittorio de Sica wird in diesem Zuge von der Kritik nicht verschont - sei es weil er gemeinsam mit Drehbuchautor Cesare Zavattini das Aushängeschild des Neorealismus ist oder weil seine späteren Filme den scheinbar weitesten Abstand zum engagierten politischen Kino des Neorealismus haben. Bereits für "Das Wunder von Mailand", der die Probleme der armen Bevölkerung zu einem poetischen Märchen verdichtet, wird er als Verräter geschimpft und auch seine Komödien werden immer wieder an seinem sozialkritischen Frühwerk gemessen. Kein Wunder, dass de Sica, der bereits vor seiner Regiekariere als Schauspieler tätig ist, in seiner späteren Laufbahn sich zunehmend der Schauspielerei verschreibt.

Sozialpolitische Relevanz ist jedoch ein Maßstab, an dem sich die Qualität eines Werks nicht messen lässt. De Sica und seine Kollegen werden Opfer einer nur noch politisch argumentierenden linksliberalen Kritik, die den Film als ästhetisches Gebilde außer Acht lassen. Auch wird oft übersehen, dass die angegriffenen Regisseure sich durchaus den Blick für die sozialen Probleme bewahrt haben. Gerade de Sica unternimmt in seinen späteren Filmen immer wieder den Versuch, das ästhetische Programm des Neorealismus zu wiederzubeleben ("...und dennoch leben sie", "Die Eingeschlossenen von Altona"). Selbst in den Komödien gilt sein Interesse neben den von 'Stars' gespielten Hauptfiguren auch den Sozialtypen.
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Hochzeit auf Italienisch
Sozialtypen in der Komödie
Nicht anders verhält es sich mit "Hochzeit auf Italienisch", Vittorio de Sicas viertem von insgesamt 14 Filmen mit seiner Muse Sophia Loren gedrehten Filmen. Die Komödie handelt von dem charmanten Schützenjäger Domenico (Marcello Mastroianni), der während des Krieges in einem Bordell die Dirne Filumena (Loren) kennenlernt. Obwohl sich die beiden ineinander verlieben, wagt es der Lebemann nicht, ihr Verhältnis zu legalisieren. Als er Jahre später eine Jüngere heiraten will, beschließt Filumena, die Heirat zu erzwingen. Dafür täuscht sie Domenico vor, tödlich erkrankt zu sein. In Erwartung ihres baldigen Ablebens, willigt er zur Heirat ein. Kaum hat er das Ja-Wort ausgesprochen, fühlt sich die Todkranke wieder quicklebendig.

Wenngleich die sozialkritischen Töne im Vergleich zu seinen früheren Arbeiten deutlich leiser sind, ist de Sicas Blick in "Hochzeit auf Italienisch" nicht nur auf seine Hauptprotagonisten gerichtet. Trotz der überpräsenten Ausstrahlung seiner Hauptdarsteller durchsetzt er die Geschichte einer amour fou immer wieder mit Bildern, die auf das Typische der verschiedenen Gesellschaftsschichten zielen. Angefangen mit dem Massenauflauf zu Beginn des Films, als die gesamte Nachbarschaft einem hysterischen Aufschrei angesichts der vermeintlich todkranken Filomena erliegt, bis hin zu den kleinsten Gesten einer klagenden Frau am Rande des Ereignisses fängt de Sica beiläufig und subtil das Wesen des einfachen Menschen ein.
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Marcello Mastroianni und Sophia Loren intim in "Hochzeit auf Italienisch"
Sexsymbole Mastroianni und Loren - Erotik zwischen den Zeilen
Ansonsten - man darf sich da nichts vormachen - dominiert in "Hochzeit auf Italienisch" das Moment des Unterhaltsamen. Während in seinen neorealistischen Filmen Laiendarsteller dem kleinen Mann eine Stimme leihen, ist die Kamera in "Hochzeit auf Italienisch" ganz und gar von den beiden Hauptdarstellern gefesselt. Mastroianni gibt als eitler Lebemann eine genüssliche Persiflage seines Images als Sexsymbol ab und Loren beweist einmal mehr unter der Regie des Sicas, dass sie mehr kann, als nur Sexsymbol zu sein. Sex ist schon das hervorstechendste Merkmal von "Hochzeit auf Italienisch". Dabei ist es erstaunlich, mit welcher Offenheit de Sica die Erotik ins Bild rückt, wozu nicht nur die sinnlichen Vorzüge Lorens gehören, sondern auch die selbstverständliche Art, wie das lockere Verhältnis der Figuren dargestellt wird.

Dennoch musste sich auch de Sica dem Moralkodex der damaligen Zeit beugen. Dabei erinnert seine Inszenierung zuweilen an den 'Lückenstil' eines Ernst Lubitsch, so etwa wenn er die pikantesten Momente zwischen den Bildern verschwinden lässt. Ein andermal erweist sich de Sica als gelehriger Schüler Charles Chaplin. Mastroiannis Domenico mag nicht so arm und verwahrlost sein wie dessen Tramp, seine Bewunderung für das schwache Geschlecht sowie sein Hang zum Romantischen und Schönen hat er mit jenem allemal gemein. Chaplinesque ist auch jene hinreißend komische Szene, in der Domenico niedergeschlagen vor dem Zimmer seiner todgeweihten Ex-Geliebten sitzt. Ob er denn einen Kaffee möchte, wird er von einem Mann gefragt. Aber bitte einen mit Zucker, ist die schelmische Antwort. Wunderbar, wie de Sica hier die Heuchelei des Bürgertums aufdeckt.

Dabei zielt der Regisseur mit seinen Attacken ein ums andere Mal auf den Zuschauer, wenn er dessen Blick auf das Nackte, dessen Einstellung zur Erotik immer wieder in die Inszenierung einbaut. Wenn Loren in einer Szene ihre Beine sehen lässt und ihren Gegenüber fragt, ob er auch alles gesehen habe, dann fühlt ist auch der Zuschauer angesprochen. Oder die Szene im Bordell: Als der Bombenalarm erklingt und allgemeines Chaos unter den Prostituierten und ihren Freiern losbricht, huscht ein verängstigter Kunde, ein Professor, wie man jemanden rufen hört, durchs Bild. Dabei hält er sich die Hände vor das Gesicht, um ja nicht vom Zuschauer erkannt zu werden. Ausgerechnet vor diesem Zuschauer, den de Sica doch schon längst entlarvt hat: auf der einen Seite ein Lüstling, der unter den Rock der Sexgöttin Loren schielt; auf der anderen Seite jemand, der einen Menschen aufgrund seines Bordell-Besuchs verurteilt. Soll einer sagen, der ehemalige Neorealist de Sica hätte seinen Biss verloren...
erschienen am 11. Dezember 2012
Zum Thema
Lebemann Domenico (Marcello Mastroianni) lernt während des Krieges in einem Bordell die Dirne Filumena (Sophia Loren) kennen. Obwohl sie ein Verhältnis eingehen, weigert sich Domenico, die Beziehung zu legalisieren. Als er Jahre später eine jüngere heiraten will, beschießt Filumena mit einem Trick, die Heirat zu erzwingen. Mit "Hochzeit auf Italienisch" ist Vittorio de Sica eine amüsante Komödie gelungen, die Ganz auf den Charme seiner beiden Hauptdarsteller ausgerichtet ist.
Zu Vittorio de Sicas bekanntesten Filmen gehören die neorealistischen Werke "Schuschia (Schuhputzer)" und "Fahrraddiebe", der mit einem Das Wunder von Mailand" und "Umberto D." festigte er seinen Ruf als einer der bedeutendsten Regisseure der Filmgeschichte. Die Anfänge seiner Regiearbeit sind durch die Zusammenarbeit mit Drehbuchautor Cesare Zavattini geprägt, dessen Drehbücher ebenso wie seine theoretischen Ausführungen den Neorealismus maßgeblich vorangetrieben haben. Federico Fellini..
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Geboren wurde der Mitbegründer des Neorealismus 1906 in Rom. Eine Laufbahn als Filmemacher schwebte dem jungen Rossellini zunächst nicht vor. Als leidenschaftlicher Autoliebhaber wurde er zunächst Autoverkäufer. Erste Schritte in Richtung künstlerischen Ausdrucks unternahm er als freier Bildhauer und Maler. Beim Film landete er im Jahre 1934 zunächst als Tontechniker, Cutter und dann als Drehbuchautor. Seinen großen Durchbruch schaffte Rossellini mit "Rom, offene Stadt", mit dem er den..
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