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Sarah Polley am Set von "An ihrer Seite"
Sarah Polley über ihr Regiedebüt
Interview: "Jeder hat einen Bezug zu Alzheimer"
Die Kanadierin Sarah Polley (28) ist seit Jahren eine erfolgreiche Hollywood-Schauspielerin. Sie fiel schon 1999 in David Cronenbergs düsterem Film "eXistenZ" auf und brillierte in Wim Wenders' "Don't Come Knocking". Doch die Schauspielerei war ihr nicht genug. Nun überzeugt sie mit einem bewegenden Regiedebüt "An ihrer Seite", in dem sie von einem alten Ehepaar erzählt, das gegen die Krankheit Alzheimer kämpft. Wir wollten mehr wissen und trafen das Multitalent in ihrer Heimat.
erschienen am 9. 12. 2007
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Gordon Pinsent mit Julie Christie in "An ihrer Seite"
Ricore: Mrs. Polley, warum drehen Sie in so jungen Jahren einen Film über die Leiden des Alters?

Sarah Polley: Meine Großmutter litt an Alzheimer, ich habe viel Zeit in Pflegeheimen verbracht. Die Stimmung in solchen Institutionen hat mich derartig geprägt, dass ich sie auf Film festhalten wollte. Auch weil ich der Meinung bin, dass sich im heutigen Kino meistens auf den langweiligsten und oberflächlichsten Aspekt der Liebe konzentriert wird.

Ricore: Junge trifft Mädchen, erste Liebe, erste Küsse, Streit und Versöhnung...

Polley: Genau, das emotionsgeladene Aufeinandertreffen zweier junger Leute spielt in Hollywood die erste Geige. Ich hielt es für wesentlich interessanter, zwei Menschen zu beleuchten, die über Jahrzehnte hinweg ihre Zeit miteinander verbringen und immer noch diese gewisse Verbindung zu einander haben.

Ricore: War es emotional schwierig für Sie, diesen Film zu drehen?

Polley: Es war eine sehr bewegender Prozess. Ich habe viele familiäre Erinnerungen in den Film eingebaut.

Ricore: Wie sah Ihre Recherchearbeit aus?

Polley: Ich habe erneut viel Zeit in Altersheimen verbracht, etliche Interviews geführt und jede Menge Bücher über die Krankheit gelesen. Vor allem die Internetseiten, auf denen sich die Alzheimer-Patienten untereinander austauschen, waren mir eine große Hilfe.

Ricore: In Ihrem Film verliert eine gebildete Frau allmähliche Ihre Erinnerung, vergisst sogar die Liebe zu Ihrem Lebensgefährten. Trotz dieser grundtragischen Ausgangslage bringen Sie den Zuschauer zeitweise zum Lachen. Wieso?

Polley: Oft passiert in den tragischsten Momenten etwas Dummes oder Absurdes, über das man einfach lachen muss. Ich finde, dass die Stimmung zu melodramatisch wird, wenn man diese Momente einfach ignoriert.
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An ihrer Seite
Ricore: Diese Art von Humor ist auch in einigen Ihrer früheren Filme zu erkennen, für die sie vor der Kamera standen. Ich denke da zum Beispiel an "Don't Come Knocking".

Polley: Das stimmt, ich stehe auf komische Momente in tragischer Umgebung.

Ricore: Diente Ihre Schauspielerfahrung als Inspiration für Ihre erste Regiearbeit?

Polley: Ich hatte mir vorgenommen, mich bei "An ihrer Seite" auf keine anderen Filme zu beziehen. Wenn man jedoch das Ergebnis betrachtet, merkt man deutlich, wie viele Bergman-Filme ich im Laufe meines Lebens gesehen habe. Auch wenn ich ihn in keinster Weise zu imitieren versuche, hat mich seine Arbeit doch unglaublich beeinflusst. Gleiches gilt für Terrence Malick. Im Bezug auf Leute, mit denen ich selber gedreht habe, muss ich natürlich Wim Wenders und vor allem Atom Egoyan nennen. Er hat mir beigebracht, dass Menschen erst ihr Bestes geben, wenn die Stimmung am Set stimmt. Wenn man andere gut behandelt, erntet man auch selbst mehr Respekt.

Ricore: Empfanden Sie Ihre Arbeit als Regisseurin in mancher Hinsicht schwieriger, weil Sie die Arbeit als Schauspielerin selbst so gut kennen?

Polley: Auf jeden Fall. Es ist sehr schwer, etwas, das man so gut kennt, beim Schopf zu packen und komplett umzudrehen. Vielleicht wäre es sogar einfacher gewesen, wenn ich den Prozess nicht schon aus der entgegen gesetzten Perspektive gekannt hätte. Auf der anderen Seite war es die beste Erfahrung meines Lebens, bei diesem Film Regie zu führen.

Ricore: Hatten Sie Versagensängste?

Polley: Manchmal zweifele ich schon an meiner eigenen Arbeit. Schließlich hatte ich vorher noch nie einen Film gedreht und konnte nicht genau sagen, ob ich nicht vielleicht doch alles falsch mache. Es war mir oft nicht klar, ob das Ergebnis der Szenen gut oder schlecht war. Ich wusste nur, dass es das beste Resultat war, dass ich zu diesem Zeitpunkt meines Lebens erreichen konnte. Ich weiß genau, dass ich als Regisseurin noch unendlich viel zu lernen habe, ich stehe schließlich noch ganz am Anfang meiner Karriere. Ich bin mir auch sicher, dass ich in zehn Jahren Fehler in diesem Film finde, mit denen ich nicht zufrieden sein werde. Aber ich habe mein Bestes gegeben.

Ricore: Margarethe von Trotta hat nach ihrem Regiedebüt 1979 nie wieder als Schauspielerin gearbeitet. Können Sie das nachvollziehen?

Polley: In gewisser Hinsicht schon. Hinter der Kamera hatte ich viel mehr das Gefühl, ich selbst zu sein. Andererseits habe ich durch die Arbeit mit den Schauspielern selber so viel gelernt, dass ich das nun gerne in der Praxis umsetzten möchte. Wenn ich mir Regieikonen wie Wim Wenders arbeiten und ihnen bei der Arbeit zusehen und auch etwas lernen kann, werde ich definitiv weiter als Schauspielerin arbeiten. Wenn das nicht der Fall ist, wäre ich auch als Regisseurin sehr glücklich.
erschienen am 9. Dezember 2007
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