Jean-François Martin/Ricore Text
Wang Xiaoshuai (Berlinale 2008)
Wang Xiaoshuai: China im Umbruch
Interview: Das Ende der Rationalität?
Ist die Liebe das Ende der chinesischen Rationalität? Das Drama des chinesischen Regisseurs Wang Xiaoshuai stellt seine Figuren vor ein Dilemma. Quälende Gefühle hinter der kühler Oberfläche, seelische Verwirrung hinter erstarrtem Gesicht. "Zuo you" ist nach "Beijing Bicycle" (Silberner Bär 2001) der zweite Wettbewerbsbeitrag Xiaoshuais in Berlin. Der Filmemacher und seine Darsteller Liu Weiwei und Zhang Jiayu sprachen mit uns über Liebe und Rationalität.
erschienen am 10. 02. 2008
Jean-François Martin/Ricore Text
Liu Weiwei, Regisseur Wang Xiaoshuai und Darsteller Zhang Jiayu
Ricore: Herr Xiaoshuai, wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?

Wang Xiaoshuai: Bevor ich angefangen habe, diesen Film zu realisieren, habe ich im chinesischen Fernsehen und in Zeitungen immer wieder von ähnlichen Fällen gehört. Es wurde viel über diese Krankheit berichtet, auch wie man damit umgehen solle. Die Gesellschaft war aufgerufen, zu helfen. Insofern denke ich, dass meine Geschichte sehr einfach ist. Es geht darum, ein Kind zu retten. Tatsächlich hat mich mehr interessiert, was das für die Erwachsenen bedeutet.

Ricore: Sie skizzieren die Verwestlichung Chinas. Welchen Einfluss hat diese auf die zwischenmenschlichen Beziehungen?

Xiaoshuai: China und speziell Peking entwickeln sich sehr schnell. Viele Traditionen sind nur noch in den Geschichtsbüchern zu finden. Peking ist eine internationale, moderne Stadt geworden. Das Neue legt sich über das Traditionelle, das wollte ich mit meinem Film zeigen.

Ricore: Sie haben mehrere alternative Enden gedreht. Wieso haben Sie sich ausgerechnet für diesen Schluss entschieden?

Xiaoshuai: Das war ein Problem. Wir wollten es so machen, dass alle vier Personen mit dem Ende konfrontiert sind, dass es ein Ergebnis gibt. Aber sie wissen ja, wie wir Chinesen mit Sexszenen umgehen... mit Bettszenen und allem, was mit Sex zu tun hat. Das ist etwas, was wir nicht auf die Leinwand bringen wollen. Ich habe viel nachgedacht, wie ich dieses Ende gestalten könnte. Ich musste einen Stil finden, der mit den Stil des Films harmoniert, der aber cool und rational und vielleicht ein bisschen hart ist. Deswegen ist die Sexszene so geworden, dass keine Lust aufkommt. Es ist eine kühle Szene, wo keine Emotionen aufkommen.
Jean-François Martin/Ricore Text
Liu Weiwei (Berlinale 2008)
Ricore: Sie sind ein Regisseur der sechsten Generation und haben bislang Filme über junge Leute gedreht. Nun geht es um die Elterngeneration. Sind Sie an einem Wendepunkt?

Xiaoshuai: Ja es stimmt, dass ich früher Filme über junge Leute gedreht habe. Ich denke eigentlich nicht, dass das jetzt ein Wendepunkt ist. Es ist nur eine andere Altersgruppe, über die ich jetzt drehe. Aber ich denke, dass der ganze Film von seiner Machart her doch meine Handschrift hat, auch wenn er von älteren Leuten handelt. Es ist etwas Hartes in diesem Film. Die Protagonisten stehen unter hohem Druck. Die Jugendlichen sind nun mal lockerer und machen sich nicht so viele Sorgen.

Ricore: Frau Weiwei, Sie haben sich ein Jahr auf die Rolle vorbereitet...

Liu Weiwei: Ich habe bisher TV-Serien gemacht, das ist mein erster Spielfilm. Ich hatte das Gefühl, ich komme nach Hause! Es war sehr positiv. Ich denke, dass ich sehr hartnäckig bin - wie auch mein Charakter Mei. Es gibt einen chinesischen Ausdruck: "Beim ersten Mal muss es genau so sein, wie ich es will. Wenn es nicht so geht, dann gebe ich nicht auf und bin hartnäckig, bis ich meinen Willen durchgesetzt habe."

Ricore: Herr Jiayu, wie stehen sie zu dem Liebesdreieck? Sie stehen im Film zwischen zwei Frauen.

Zhang Jiayu: Meine Figur steckt tatsächlich in der Zwickmühle zwischen den beiden Frauen. Aber vielleicht ist es gar nicht so kompliziert. Denn wenn man traditionell chinesisch erzogen wird, ist die Menschlichkeit eine wichtige Tugend. Man muss aufrichtig sein und sich an die Sitten halten. Das Problem in diesem Film war, wie man die Liebe retten kann.
erschienen am 10. Februar 2008
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