Constantin Film
Regisseur Ben Verbong bei Dreharbeiten zu "Sams in Gefahr"
"Die Freiheit des Menschen"
Interview: Ben Verbong über Sterbehilfe
Ben Verbongs "Ob ihr wollt oder nicht!" handelt von einer jungen, krebskranken Frau, die genau weiß, dass sie nicht mehr lange zu leben hat. Der Film nähert sich in Form einer ironischen Komödie dem heiklen Thema Sterbehilfe an. Wir sprachen mit dem niederländischen Regisseur über die unterschiedlichsten Haltungen zu Euthanasie, über Freiheit, Leben und darüber, das Sterben selbst zu bestimmen.
erschienen am 29. 04. 2009
3L Filmverleih
Ob ihr wollt oder nicht!
Ricore: Warum betrachten Sie das Sterbens mit so viel Ironie?

Ben Verbong: Ich finde, dass man Dramen grundsätzlich leicht und Komödien ernst inszenieren sollte. Das Thema Sterbehilfe ist in Deutschland sehr negativ besetzt, man sollte ihm deshalb die Leichtigkeit geben, die es verdient. Es geht zwar um Sterben und Sterbehilfe, es geht aber auch um die Frage 'Was ist Freiheit?' Das war für mich ganz wichtig. Die Freiheit, das Leben und den Tod so zu gestalten, wie man es selbst möchte, das ist für mich eine Frage von Freiheit. Diese Ironie dabei ist sehr wichtig. Leben und Tod sind zwar schwere Themen, doch man kann sie auch auf leichte und natürliche Art und Weise betrachten.

Ricore: Wie sollte die Politik in Deutschland mit dem Thema Sterbehilfe umgehen?

Verbong: Ich kann nur sagen, wie ich selbst darüber denke. Ich komme aus Holland, wo Sterbehilfe eine andere Vergangenheit hat. Es geht um die Frage, ob man den Leuten zutraut, selbst Entscheidungen treffen zu können. Das ist in Holland anders als in Deutschland. Aus der deutschen Politik spricht ein Misstrauen. Man hält Menschen für unfähig, selbst zu entscheiden. Warum sollen wir nicht selbst entscheiden können, wenn man beispielsweise in einer ausweglosen Situation ist und nicht mehr leben will. Ich habe Sterbehilfe in Holland hautnah erlebt, in meiner direkten Umgebung. Eigentlich ist die Frage, wenn sie dann gestellt wird, relativ einfach zu beantworten.

Ricore: Inwiefern einfach?

Verbong: Wenn man sich in einer konkreten Situation befindet, wird alles einfacher. Zumindest nach meiner Erfahrung. Außerdem finde ich, dass jeder darüber denken kann, wie er möchte. Man sollte keine Regeln aufstellen, wie man sich zu verhalten hat. Man soll auch keine Haltung verbieten.

Ricore: Der Fall der Komapatientin Eluana Englaro sorgte kürzlich auch in Italien für Kontroversen. Hier hat sich die Politik in ein sehr privates Thema eingemischt…

Verbong: Das ist furchtbar, was da passiert ist. Alle, die mit dem Thema jemals in Berührung gekommen sind, haben eine komplett andere Haltung als die Politik. Die ist nur dazu da, um Leute zu beherrschen und zu lenken. Ich finde, Politik sollte versuchen, die Menschen zu verstehen, auf ihre Ängste und ihre Leiden eingehen. Das ist etwas anderes als zu sagen "Wir akzeptieren oder tolerieren so etwas nicht". Deutschland ist durch seine Vergangenheit noch sehr belastet, wird allerdings diesbezüglich eine Entwicklung machen müssen. Das ist eine Gegenentwicklung der medizinischen Allmacht, wie ich es nenne. Dadurch, dass die Medizin heutzutage Menschen so lang am Leben halten kann, wird das Leiden unverhältnismäßig größer. Insofern muss eine ethische Antwort gegeben werden. Eine solche Antwort wird durch die medizinische Allmacht geradezu verlangt.
3L Filmverleih
Drei Schwestern endlich wieder vereint
Ricore: Während der Dreharbeiten starb Ihre Schwester an Krebs. Spielte diese Erfahrung eine Rolle für die Filmarbeit?

Verbong: Nicht direkt. Als ich mit dem Projekt begann, hatte ich noch keinen näheren Bezug zum Thema Sterbehilfe. Es war für mich zwar nichts Abstraktes, aber ich beschäftigte mich nicht näher damit. Dadurch, dass meine Schwester innerhalb von sieben Monaten gestorben ist, hat bei mir eine direkte, emotionale Entwicklung stattgefunden. Meine Schwester ist damit anders umgegangen. Sie hat ihren Tod geleugnet und gesagt "Ich sterbe nicht". Wahrscheinlich konnte sie nicht damit umgehen und wollte sich nicht dieser Tatsache stellen. Deshalb kam auch die Frage nach Sterbehilfe oder Euthanasie nicht auf.

Ricore: Haben Sie emotionale Erfahrungen in den Film einfließen lassen?

Verbong: Ja, ich habe natürlich durch diese Erlebnisse mitbekommen, was es heißt, wenn ein Bruder oder eine Schwester sterben muss. Wie man damit umgehen kann, die Unausweichlichkeit, welche Stufen der Ungläubigkeit und Machtlosigkeit man durchläuft. Diese Emotionen habe ich so gut wie möglich einfließen lassen. Ich glaube, dass die Figuren dadurch eine gewisse Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit erhalten haben. Das wäre mir ohne diese Erlebnisse nicht gelungen.

Ricore: Kann man sagen, der Film ist Ihr persönliches Statement zum Thema Sterbehilfe?

Verbong: Ja. Ich stehe Hundertprozent hinter dem, was der Film behauptet. Ich habe die Aussage des Drehbuchs sogar noch verschärft. Ich finde es wichtig, dass dieses Thema diskutiert wird. Man muss sich darüber klar werden: Es geht nicht darum, dass gesunde Menschen darüber diskutieren, sondern um die Freiheit von leidenden Menschen. Es geht um Menschen, die nicht mehr gesund sind. Dann kommt ein großes Leiden auf dich zu, große Schmerzen. Wenn man soweit ist, ergibt sich eine andere Haltung zur Problematik. Das ist etwas anderes, als wenn man sich gesund zurücklehnt und mal eben eine ethische Frage diskutiert.
Laurent Trümper
Ben Verbong
Ricore: Wurde das Thema Sterbehilfe am Set diskutiert?

Verbong: Sie werden erstaunt sein, wie viele Leute die im Film geäußerte Meinung teilen. Ich glaube, dass vornehmlich die Politik versucht, das Thema negativ und mit Ängsten zu besetzten. Sofort entsteht eine Verbindung zu Mord oder Totschlag. Das deutsche Bild von Holland ist zudem völlig falsch. Es ist erstaunlich, was ich hier oftmals in Zeitungen lese. Mein Land ist ein völlig anderes. (lacht) Es werden Sachen behauptet, die völlig unglaubwürdig sind. Aber das ist eben auch eine Haltung, um mit dem Thema umzugehen.

Ricore: Mit welchen Schwierigkeiten wurden Sie in Zusammenhang mit Ihrem Film konfrontiert?

Verbong: Eigentlich wurde ich gar nicht mit Schwierigkeiten konfrontiert. Wir haben am Set auch nicht die Frage diskutiert, ob man für oder gegen Euthanasie ist. Ich glaube, die meisten Leute, die in Freiheit ihre Entscheidung treffen möchten, sind dafür, dass es Entscheidungsfreiheit gibt. Ich bin auch kein Befürworter von Sterbehilfe, ich bin nur dafür, dass es eine Freiheit gibt.

Ricore: Wobei sich jeder mit dieser schwierigen Frage persönlich auseinandersetzen muss.

Verbong: Absolut. Ich finde, dass jeder seine eigene Meinung bilden sollte, bilden muss. Ich respektiere auch jede andere Meinung, wohingegen Menschen mit einer anderen Meinung wiederum nicht meine Meinung respektieren. Das ist das Problem.
Constantin
Herr Bello
Ricore: Blicken Sie mit gemischten Gefühlen auf den Kinostart in Deutschland?

Verbong: Nun, wenn man den Film allein auf Sterbehilfe oder Tod fokussiert, ist das unfair. Es geht auch um die Frage: "Wie verhält sich eine Familie heutzutage?" In Zeiten des Wohlstands und des Glücks brauchen wir die Familie nicht so sehr. Wenn es aber hart auf hart kommt - der drohende Tod dient hier nur als Beispiel - spürt man plötzlich, welche Kraft die Familie haben kann, welchen Trost sie spenden kann.

Ricore: Sie haben geschafft, was vielen Regisseuren vor Ihnen nicht gelungen ist: Sie holten Senta Berger auf die Leinwand zurück. Auch andere deutsche Schauspielerinnen wirken mit, wobei es Ihnen wichtig war, dass alle über Theatererfahrung verfügen. Warum legen Sie darauf Wert?

Verbong: Nun, weil man bei Theaterschauspielern emotional tiefer gehen kann. Sie haben eine größere Erfahrung mit starker Emotionalität, was bei reinen Kino- oder Fernsehschauspielern weniger der Fall ist. Bei diesem Film konnte ich keine Proben ohne Kamera machen. Das funktioniert nur, wenn du erfahrene Theaterschauspieler hast. Weiter hat diese Entscheidung mit meiner Vergangenheit zu tun. Ich habe viele Theaterstücke inszeniert und weiß, wie die Vorgänge dort laufen.

Ricore: Mussten Sie Senta Berger überzeugen?

Verbong: Sie hat zunächst gezögert, war sich unsicher, ob sie die Richtige für diese Rolle sei. Dann hat sie sich doch überzeugen lassen. Man muss nicht ein ähnliches Leben führen, um eine Rolle spielen zu können. Senta ist eine erfahrene Schauspielerin und hat die Rolle als eine Herausforderung gesehen. Sie hat sich dann, wie ich das erwartet habe, richtig fallen lassen. Wie die anderen Schauspielerinnen übrigens auch. Das sieht man und das ist auch das, was man genießt, wenn man sie spielen sieht.
Constantin Film
Ben Verbong
Ricore: In Deutschland kennt man Sie eher als Regisseur von Familienfilmen. Sehen Sie sich selbst auch so?

Verbong: Ich bin zufällig in diese Familienfilme geraten. "Ob Ihr wollt oder nicht" ist ein Drama um eine Familie, doch kein Familiendrama wie man das als Genre bezeichnen würde. Ich werde auch keine Familienfilme mehr machen, mein nächstes Projekt ist wieder was anderes, hat überhaupt nichts mit Familie zu tun. Ich bin mit dem Thema irgendwie durch, habe nicht das Gefühl, dass ich noch etwas machen kann, was ich nicht schon gemacht habe. Das sagt jedoch mehr über mich als über diese Filme, die ich mit sehr viel Liebe gemacht habe. Es ist ein unglaublich schwieriges, aber dankbares Publikum, das sich Familienfilme ansieht. Doch ich bin mit dem Thema durch, kann nicht mehr.

Ricore: Können Sie uns etwas über Ihr nächstes Projekt erzählen?

Verbong: Das steht schon an, ich bin bereits beim Casting. Es heißt "Meine Freundin Anne Frank" und erzählt eine Geschichte, die noch nie erzählt wurde. Es geht nämlich um das Jahr, bevor Anne Frank untergetaucht ist. Ich habe die Memoiren einer Freundin adaptiert, ein Drehbuch geschrieben. Wir werden in Amsterdam und in Köln drehen.

Ricore: Danke für das Gespräch.
erschienen am 29. April 2009
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Wie geht man mit den nahen Tod eines geliebten Familienmitgliedes um? Regisseur Ben Verbong zeigt in seinem Familiendrama "Ob ihr wollt oder nicht" unterschiedliche Wege auf, damit fertig zu werden. Streckenweise gelingt ihm eine heitere Komödie voller Leichtigkeit und Ironie. Es macht Spaß den vielen, höchst unterschiedlichen Charakteren auf ihrem Lebensweg und bei ihrer Entwicklung zuzusehen.
2024