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Marko Doringer
"Man braucht heute einfach mehr Mut"
Interview: Marko Doringer in der Lebenskrise
Mit 30 ist das Leben noch nicht vorbei, das weiß Marko Doringereinige Jahre nach seiner großen Krise selbst. Dennoch schildert er in seiner autobiografischen Doku "Mein halbes Leben" seine Orientierungslosigkeit zu einer Zeit, als er von heute auf morgen mit Zukunftssorgen geplagt wurde. Inzwischen kann er darüber lächeln, sagt er im persönlichen Gespräch. Und doch weiß er, dass die Krise sehr real war und nicht nur er davon betroffen ist.
erschienen am 9. 10. 2009
Polyfilm
Mein halbes Leben
Ricore: Wie hat sich Ihr Leben seit dem Film verändert?

Marko Doringer: Grundlegend (lacht). Beruflich gesehen sehr positiv, weil der Film bisher sehr positiven Anklang gefunden hat. Die Frage ist trotzdem schwierig zu beantworten, aber ich versuch's mal auf diese Art: Die Krise, die ich mit 30 hatte, habe ich zum Glück überwunden. Es war mir auch wichtig, einen ironischen Film zu machen. Bei dieser Krise mit 30 geht's nicht um Krieg oder Hungerleiden, sondern es ist ein Problem der westlichen Mittelschicht, der Gesellschaft. Solche Fragen und Probleme können sich viele Menschen auf dieser Welt gar nicht leisten. Gott sei Dank können wir das, aber trotzdem geht es nicht um Leben und Tod. Aber für die Person, die diese Krise hat, sind das schon sehr entscheidende Fragen, die sich für die meisten nach ein paar Wochen, Monaten, Jahren hoffentlich wieder auflösen. Heute kann ich über meine Krise lächeln. Ich weiß aber, wenn ich mich zurück erinnere, dass sie real und in dem Moment ein wirklich tiefer Einschnitt in meinem Leben war.

Ricore: Also ist für Sie aus heutiger Sicht das Leben mit 30 nicht vorbei?

Doringer: Es geht doch weiter, ich bin überrascht (lacht).

Ricore: Kamen nach dem ausgefallenen Backenzahn noch weitere Alterserscheinungen dazu?

Doringer: Also, meine Zähne werden nicht besser, meine Haare werden auch nicht mehr. Es ist natürlich so. Hinter dem ironischen Ansatz steckt natürlich auch bitterer Ernst. Man wird nicht jünger, das Leben wird nicht länger. Es stellt sich glaub ich für viele im Laufe des fortschreitenden Lebens die Frage: Was mache ich hier, für was bin ich da? Was ist meine Aufgabe oder mein Schicksal? Fragen, die man sich vielleicht als 20-Jähriger noch nicht stellt. In meinem Fall hab ich sie mir mit 30 das erste Mal gestellt. Und ich bin mir sicher, dass ich sie mir mit 40, 50, 60 wieder stellen werde.
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Marko Doringer
Ricore: Dann kommt mit jedem neuen Lebensabschnitt vielleicht wieder eine neue Krise?

Doringer: Mit 30 wurde ich mir zum ersten Mal des Faktors Zeit bewusst. Mit 20 lebt man in den Tag hinein, macht mal Urlaub oder Reisen und denkt sich, da komm ich nächstes Jahr oder irgendwann eh wieder hin. Mit 30 beginnt man zu realisieren, dass man zu vielen Plätzen nicht mehr zurück kehren wird. Weil die Zeit eben limitiert ist, was ja auch positive Faktoren hat. Aber in meinem Fall war das einer der Punkte, die ich um die 30 realisiert habe, dass Zeit endlich ist. Und so bin es auch ich.

Ricore: Was hat sich im Leben ihrer Freunde seitdem getan? Gab es große Veränderungen?

Doringer: Es gibt im Leben der Protagonisten große Umbrüche. Ich bin mir immer nicht sicher, ob ich die fürs Publikum verraten soll oder nicht. Bei Katha ist ja eine große Frage, ob sie sich zwischen ihrer kreativen Karriere als Modedesignerin entscheiden soll oder eben Mutter zu werden und eine Familie zu gründen. Manche Fragen löst das Leben in dem Fall selbst (lacht). Martin träumt von der großen Kündigung und von einem selbständig Leben. Er ist der Angestellte, der sein fixes Gehalt pro Monat bekommt und träumt eben von einem Leben ohne Chef, um sich kreativ verwirklichen zu können. Er startete einige Versuche und ist auch nach wie vor dran, seinen Weg zu finden. Tom, der Manager, der seine Karriere ganz gezielt plant, kommt mit großen Schritten voran. Natürlich stellt sich bei ihm nach wie vor die Frage, wie viel von seinem privaten Leben er für die Karriere verkauft. Wie viel Zeit bleibt noch für ihn selbst?

Ricore: Zu dem Zeitpunkt als Sie den Film gedreht haben, hätten Sie da gerne mit einem Ihrer Freunde das Leben tauschen wollen? Waren Sie ein bisschen neidisch?

Doringer: Das war ja der Ausgangspunkt des Films. So quasi, ich hab die Krise mit 30 und bin mir unsicher, wo ich im Leben stehe. Ich weiß, dass ich noch nicht sehr viele erreicht hab, keinen festen Job, keine finanziellen Rücklagen, keine Familie, kein Haus, kein Kind und so weiter. Da war natürlich schon so ein neidischer Blick auf andere Leben oder ein interessierter Blick auf was die anderen denn besser machen. Natürlich scheinen in der Krise viele Sachen, die die anderen machen, besser als die eigenen, weil man ja mit den eigenen unzufrieden ist. Was ich als persönliches Resultat für mich im Laufe des Films gefunden hab ist: Wenn ich es mir eingestehe und mir überlegen muss, was ich in meinem Leben ändern würde, bin ich für mich persönlich drauf gekommen, dass ich eigentlich mit dem Leben, das ich für mich gewählt habe, sehr zufrieden bin und mein Leben nicht gegen irgendein anderes tauschen will.
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Marko Doringer
Ricore: Hat sich die Problematik mit Ihrem Vater inzwischen ein bisschen gelegt, oder sieht er das immer noch so wie im Film, dass Sie noch etwas seiner Ansicht nach Vernünftiges machen sollten?

Doringer: Naja, was Vernünftiges ist ja für meinen Vater vor allem etwas, was Geld einbringt. Die Frage hat sich zum Glück mit diesem Film gelöst. Mein Vater hat inzwischen realisiert, dass Filmemacher auch ein Beruf sein kann, mit dem man auch finanziell über die Runden kommen kann. Das heißt, für die nächsten zehn Jahre wird dieses Thema mal kein Diskussionspunkt mehr sein. Natürlich ist der Vater-Sohn-Konflikt, der in diesem Film auch sehr stark angesprochen wird, noch immer da. Der Film hat schon geholfen, einige Sachen ins Rollen zu bringen, aber gelöst ist der Vater-Sohn-Konflikt noch lange nicht.

Ricore: Aber wenigstens akzeptiert er jetzt Ihre Berufswahl.

Doringer: Die findet er jetzt sogar super (lacht).

Ricore: Diese Lebensfindungskrise mit 30 ist ja ein Problem unserer Generation, Ihre Eltern wussten schon früh, was sie machen wollten. Sehen Sie die Tendenz, dass die nächste Generation erst mit 40 weiß, was sie will oder entscheidet man sich bald wieder früher?

Doringer: Es ist sicher so, dass der Leistungsdruck in unserer Gesellschaft weiter steigt. Das betrifft die 20-Jährigen genauso stark wie die heute 30-Jährigen. Es ist die Frage, ob unsere Eltern früher wussten, was sie wollen, oder einfach früher wissen mussten, was sie wollen würden oder sollen. Ich glaube, dass es sehr vielen in unserer Elterngeneration so gegangen ist, dass sie sich sehr früh für etwas entscheiden mussten und dann im Laufe ihres weiteren Lebens vielleicht drauf gekommen sind, dass das nicht unbedingt das ist, was sie eigentlich gerne wollen würden. So wie die Mutter von Katha ja auch im Film sagt, vielleicht sind wir ja neidisch auf eure Generation für die ganzen Freiheiten, die ihr habt. Ich glaube, viele unserer Elterngeneration wussten nicht schon früher, was sie wollten, sondern hatten einfach nicht die Möglichkeit sich zu entscheiden. Das ist bei meiner Generation ein großer Vorteil - nicht für alle, auch nur für eine bestimmte soziale Schicht - weil wir uns Zeit nehmen können uns zu überlegen, wie will ich mein Leben leben? Was einen großen Wert, aber auch wie alles zwei Seiten hat. Wenn ich aus 100 Sachen auswählen kann, ist es schwieriger mich zu entscheiden, als wenn ich zwei Sachen zur Wahl hab. Was ja auch heißt, ich muss auf 99 andere Sachen verzichten. Aufgrund der Möglichkeiten, die wir haben, fällt es uns sicher heute schwerer, zu entscheiden. Man braucht heute einfach mehr Mut.
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Marko Doringer
Ricore: Sie sind ja nach Berlin gezogen. Könnten Sie sich vorstellen, wie Ihr Leben ausgesehen hätte, wenn Sie in Österreich geblieben wären?

Doringer: Nee! Auf keinen Fall! Salzburg ist ja eine sehr kleine Stadt. Da gibt's den Unterschied, ob man aus der Bundeshauptstadt kommt. In Österreich gibt's ja nur eine große Stadt, und das ist Wien. Wenn man studiert, geht man unweigerlich nach dem Abitur nach Wien. Wenn ich Wiener wäre, wäre das vielleicht anders. Aber für mich hat sich schon alleine deshalb die Frage gar nicht gestellt. Ich glaube schon, dass es meistens die richtige Entscheidung ist, so um die zwanzig woanders hinzugehen, wo der Einfluss der Eltern geringer ist.

Ricore: Wollen Sie in Ihrem Leben den Schwerpunkt jetzt auf die Filmkarriere legen oder denken Sie doch darüber nach eine Familie zu gründen?

Doringer: Das eine schließt das andere ja nicht aus. Da kann ich nur von meiner persönlichen Sicht reden. Für mich ist der Beruf schon ein ganz wichtiger Teil meines Lebens. Das hängt zum Glück auch damit zusammen, dass es ein kreativer Beruf ist. Aber es ist natürlich auch eine sehr gute Ausrede. Mir ist durchaus bewusst, dass die neoliberale Gesellschaft auf mein Leben einen sehr starken Einfluss hat. Für mich ist Leistung im beruflichen Sinn schon ein ganz wichtiger Identitätsfaktor, kritisch gesehen. Aber natürlich fängt auch für einen Mann über 30 die biologische Uhr genauso zu ticken an wie für eine Frau. Es ist halt eher eine geistig biologische Uhr. Aber natürlich ist es anders, mit 35 Vater zu werden, als mit 50. Kann ich dann mit meinem Kind noch über die Wiese laufen und Fußballspielen oder nicht? Für mich wird die Frage immer wichtiger, sich dann wirklich der Verantwortung zu stellen und eine Familie zu gründen, was dann ja doch über ein Experiment hinausgeht, das man nach zwei Jahren wieder abstellen kann.

Ricore: Was wird Ihr nächstes Filmprojekt?

Doringer: Das nächste Projekt wird wieder ein Dokumentarfilm sein, wahrscheinlich auch wieder autobiografisch, wo ich mich selbst einbringe. Da geht's wahrscheinlich um partnerschaftliche Beziehungen und ums Kinderkriegen und so.
Polyfilm
Marko Doringer mit Helmkamera
Ricore: Wann kam Ihnen denn die Idee zu "Mein halbes Leben"? Erst während der Krise oder schon früher?

Doringer: Überhaupt nicht. Bis ich 30 war, war für mich das Leben leicht und unbeschwert. Über Fragen wie Sicherheiten hab ich gelacht. Das waren Gedanken, die von meinen Eltern kamen, die absurd sind. Es war ein paar Wochen nach meinem 30. Geburtstag wirklich von heute auf morgen. Ich bin eines Morgens aufgewacht und alles, was ich bisher gedacht hab, war weg. Wo steh ich? Wo bin ich? Ich hab mir plötzlich über Zeit Gedanken gemacht, über finanzielle Sicherheiten, Rücklagen. Wie wird das mal in 30 Jahren? Einfach so Gedanken, mit denen ich mich mit 25 null beschäftigt hab. Bei mir ist das wirklich in dem Alter in mein Leben getreten. Ich glaub, da geht's ganz vielen so. Das ist ja auch das Schöne, dass Dinge, an die man heute überhaupt nicht denkt, in fünf Jahren auf einmal eine ganz wichtige Rolle im Leben spielen. Probleme, die für mich heute unüberwindbar scheinen, lösen sich manchmal mit der Zeit einfach in Luft auf.

Ricore: Wie lange hat es dann gedauert bis zu dem Moment, wo Sie beschlossen haben, das als Film zu verarbeiten? Haben Sie das direkt angepackt oder schon erst mal ein Konzept entwickelt?

Doringer: Ja, natürlich habe ich ein Konzept entwickelt. Aber das ging Hand in Hand. Ich hatte irgendwann mal nach 30 die Krise, und die war bei mir so einschneidend, dass ich wirklich ein paar Wochen auf dem Sofa gelegen bin, was ich mir als freischaffender Filmemacher auch leisten kann. Es war wirklich sehr intensiv. Da dachte ich mir, wenn das für mich so ein einschneidendes Erlebnis ist, kann ich nicht der einzige sein aus meiner Generation. Da muss es doch mehreren so gehen. Aus dieser Erfahrung ist dann dieser sehr persönliche Film entstanden.

Ricore: Wie war bisher das Feedback vom Publikum?

Doringer: Es haben sich sehr viele Leute vom Film direkt angesprochen gefühlt. Vor allem die Leute, die ungefähr in diesem Alter sind, die auch vor Lebensentscheidungen stehen, haben sich sehr von dem Film angesprochen gefühlt. Was mich sehr erstaunt hat war, dass auch die Eltern unserer Generation sich von dem Film ganz stark angesprochen gefühlt haben. Die über 60-Jährigen. Teilweise sind deren Kinder, also die 30-Jährigen, mit ihnen nochmal in den Film gegangen, um ihn gemeinsam zu sehen. Oder Eltern haben ihre Kinder mit in den Film genommen. Der Film hilft sicher auch der Eltern-Generation, das Leben ihrer Kinder zu verstehen, wo sie heute vielleicht Schwierigkeiten haben. Auch das Berufsbild hat sich geändert. Die ganzen Medienberufe sind für unsere Eltern ja nicht reale Berufe. Schon da haben sie Schwierigkeiten. Da hilft der Film schon, ein paar Dinge vielleicht besser verstehen zu können.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 9. Oktober 2009
Zum Thema
Marko Doringer kommt 1974 in Salzburg zur Welt. Nach einigen gescheiterten Studienversuchen siedelt er nach Berlin um und arbeitet an seiner Filmkarriere. Nach zwei Dokumentar-Kurzfilmen verarbeitet er 2008 in "Mein halbes Leben" seine persönliche Lebenskrise zum 30. Geburtstag und wird dafür auf diversen Festivals mit Preisen ausgezeichnet.
Marko Doringer hat bereits mit jungen 30 Jahren eine erste Lebenskrise. Bisher hat er noch nichts Nennenswertes erreicht. Für seine sehr persönliche autobiografische Dokumentation "Mein halbes Leben" hat er Freunde und deren Eltern ebenso befragt, wie seine eigene Familie. Damit versucht er, dem Problem der heutigen Generation der 30-Jährigen auf ironische Weise auf den Grund zu gehen.
2024