Constantin Film
Andrea Maria Schenkel
Das einsame Kämmerlein
Interview: Andrea Maria Schenkels erstes Wort
Sie ist eine gestandene Frau: Mutter von drei Kindern und Gattin eines Hals-Nasen-Ohren-Arztes. Seit 2007 ist Andrea Maria Schenkel aber auch Trägerin des Deutschen Krimi-Preises für ihr Erstlingswerk "Tannöd". 2008 konnte sie diesen Erfolg mit "Kalteis" wiederholen. Wir treffen die sympathische Autorin in München und befragen sie zur Verfilmung ihres ersten Buches. Sie verrät uns, dass sie weder Buch noch Film als düster empfindet und warum sie manche Stellen anders gemacht hätte.
erschienen am 18. 11. 2009
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Andrea Maria Schenkel fühlt sich sichtlich wohl
Ricore: Haben Sie damit gerechnet, dass Ihr Debüt-Roman gleich ein solcher Erfolg wird?

Andrea Maria Schenkel: Nein! Wenn ich damit gerechnet hätte, wäre ich Hellseherin und sollte die Branche wechseln (lacht). Man hofft, dass man einen Verlag findet. Man hofft auch, dass man Leser findet. In Verträgen, die man zugeschickt bekommt, steht manchmal das schreckliche Wort "verramschen". Man will natürlich niemals verramscht werden, das stelle ich mir scheußlich vor. Aber man macht sich natürlich Gedanken, ob man die Bücher loskriegt. Irgendwann hat man dann einen Albtraum und denkt sich, die nächsten 20 Jahre verschenkst du an Weihnachten, Ostern und Geburtstagen immer das gleiche Buch, bis du Verwandte und Bekannte vergrault hast.

Ricore: Hatten Sie viele solcher Albträume?

Schenkel: Nein, Gott sei Dank nicht. Die erste Auflage hatte 3.000 Stück. Da überlegt man sich schon, was mache ich, wenn die nicht verkauft werden?

Ricore: Wenn es dann auf eine Million zugeht, kann man es wahrscheinlich kaum fassen?

Schenkel: Nein, das kann man nicht glauben. Das ist so eine große Anzahl von Menschen, die man sich nicht vorstellen kann. Man kann sich noch 150, 200 oder 400 Leser vorstellen. Bei 15.000 wird es dann schwieriger. Wenn es dann über die 100.000 oder auf die Million zugeht, kann man es sich nicht mehr vorstellen. Ganz komisch ist es auch, wenn man in ein Lokal geht und am Nachbartisch liest jemand das Buch. Du kennst diese Person nicht, aber sie liest dein Buch. Ich glaube, das Schlimmste, was einem da passieren kann, ist, wenn man jemanden sieht, der dein Buch liest, es zumacht, und es in den nächsten Abfalleimer schmeißt.
btb
Andrea Maria Schenkels Roman "Tannöd"
Ricore: Sie haben ein Jahr nach "Tannöd" "Kalteis" publiziert, das wie "Tannöd" ebenfalls den Deutschen Krimi Preis gewonnen hat. Das ist sehr ungewöhnlich.

Schenkel: Für mich war das nicht so ungewöhnlich. Für mich war der Zeitraum dazwischen wesentlich länger. Als "Tannöd" im Frühjahr 2006 rauskam, war ich mit "Kalteis" fast schon wieder fertig. Es hat ja auch ein bisschen gebraucht, bis "Tannöd" gehypt wurde. Es war eigentlich schon ein altes Buch, als es auf die Bestsellerliste kam.

Ricore: Wie erklären Sie es sich, dass es nach so einem Zeitraum doch noch so erfolgreich wurde?

Schenkel: Es war ja schon erfolgreich. 2006 sind 15.000 Exemplare verkauft worden. Es gab bereits ein großes Presseecho. Anfang 2007 erhielt "Tannöd" dann den Deutschen Krimipreis und wurde bei Elke Heidenreich in der Sendung "Lesen" vorgestellt. Dann ging es richtig los.

Ricore: Als Sie zum ersten Mal von den Plänen gehört haben, dass das Buch verfilmt werden soll, waren Sie begeistert oder eher skeptisch?

Schenkel: Es ging alles unheimlich schnell. Ich habe damals ein Manuskript an Nautilus und eins an Emons geschickt. Bei Nautilus habe ich zugesagt. Kurze Zeit später bekam ich einen Anruf von Emons. Aber ich hatte den anderen Vertrag schon unterschieben. Herr Emons, der auch bei Wüste-Film West ist, hat dann spontan entschieden, wenn er das Buch nicht kriegt, will er die Filmrechte daran. Deshalb waren die Filmrechte bereits verkauft, kurz nachdem das Buch erschienen ist. Damals wusste man auch noch nicht, ob das Buch ein Erfolg wird. Er hat wohl das Potential im Stoff gesehen.
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Andrea Maria Schenkel und Brigitte Hobmeier auf der Premiere von "Tannöd"
Ricore: Man kann sagen, dass alles sehr schnell gegangen ist?

Schenkel: Ja, zwischen 2006 und 2008 ging alles unheimlich schnell. Erst seit 2009 ist es wieder etwas ruhiger. Ich kann wieder stärker durchatmen. Ich hab mich vielleicht auch an den Rummel gewöhnt.

Ricore: Die Filmrechte an "Kalteis" sind auch schon verkauft, "Bunker" noch nicht?

Schenkel: Bei "Bunker" habe ich eine ganz bestimmte Vorstellung, wie ich das Buch verfilmt haben möchte. Das ist etwas schwieriger. Ich glaube, dass sich "Bunker" sehr gut für eine Independent-Produktion eignen würde. Mich würde es wahnsinnig reizen, bei "Bunker" wesentlich stärker mitzuarbeiten.

Ricore: Wie sehr waren Sie bei der Drehbuchadaption von "Tannöd" involviert?

Schenkel: Ich war als Beobachter dabei. Das war auch ganz gut. Anders wäre es zeitlich gar nicht gegangen. Ich habe gehört, dass Bettina Oberli den Film machen soll. Ich kannte "Die Herbstzeitlosen" und habe mir gedacht, die ist gut, die kann das gut umsetzen. Wir haben uns ein Mal getroffen und sie hat gesagt, wie sie es gerne machen möchte.

Ricore: Wie war es, als Sie das erste Mal Ihr Buch auf der Leinwand gesehen haben?

Schenkel: Es wird immer gesagt, das Buch sei düster, der Film sei düster. Für mich ist das überhaupt nicht düster. Ich sehe das Buch wahrscheinlich anders, als der normale Leser oder Zuschauer. Wenn ich bestimmte Stellen lese, verbinde ich damit bestimmte Erfahrungen und persönliche Erinnerungen. Wann ich das geschrieben habe, in welcher Situation.
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Andrea Maria Schenkel auf dem roten Teppich
Ricore: Können Sie ein Beispiel nennen?

Schenkel: Die Stelle mit dem Messer habe ich beispielsweise in Italien geschrieben. Ich bin im Zimmer gesessen und hatte den Blick auf einen Olivenhain. Es war sonnig und warm draußen. Es sind Wespen ins Zimmer geflogen und haben an der Holzdecke zu nagen angefangen. Die Szene ist zwar sehr dunkel, aber der Eindruck, den ich damit verbinde, ist natürlich heller. Wenn ich den Film sehe, ist das ähnlich. Ich weiß ja auch, was als nächstes kommt und frage mich dann, wie Bettina Oberli das gelöst hat. Die Gedankengänge sind bei mir anders.

Ricore: Sein Sie mit allen Szenen zufrieden?

Schenkel: Bei manchen Stellen denke ich mir, das hat sie gut gelöst. Bei anderen hätte ich es vielleicht anders gemacht. Es ist eine andere Betrachtungsweise.

Ricore: Können Sie sich auch noch daran erinnern, wie Sie sich das erste Mal an den Computer oder die Schreibmaschine gesetzt haben?

Schenkel: Ja, das vergesse ich nicht (lacht). Das war ein Tag im Mai und ich habe überlegt, mit wem ich anfange. Ich habe mit der Betti angefangen. Das Kind erzählt über ihre Freundin, die tot ist. Ich habe mich hingesetzt und überlegt, wie nenn ich das Kind? Mein Sohn hat zu dem Zeitpunkt Englisch-Hausaufgaben gemacht und die haben den Text von "Tom Sawyer und Huckleberry Finn" durchgenommen. Da gibt es die Becky. Aber in Bayern gibt es den Namen nicht. Dann ist mir die beste Freundin meiner Mutter eingefallen, die hieß Betti. Den Namen fand ich gut. Betti war das erste Wort, das ich geschrieben habe. Beim Abspeichern habe ich wieder einen Namen für die Datei gesucht. Ich wollte etwas Düsteres und bin auf Tannöd gekommen. Den Namen hätte man ja immer noch ändern können. Aber das war reiner Zufall. Als das Buch dann schon herausgekommen war, hat mein Mann gefragt, ob ich überhaupt einmal nachgeschaut hätte, ob es in Bayern ein Tannöd gibt? Dann habe ich im Navigationssystem nachgeschaut und es gibt drei. Da war ich etwas erstaunt.
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Andrea Maria Schenkel und Julia Jentsch
Ricore: Wie kam es zum Prozess des Schreibens?

Schenkel: Es gibt keinen Punkt, an dem man sagt, jetzt werde ich Schriftstellerin. Das hat man immer in sich. Man kann es vielleicht mit einem kleinen Wasserkessel vergleichen. Man stellt das kalte Wasser auf den Herd, macht den Deckel drauf, und es fängt an zu köcheln. Irgendwann ist es dann soweit, dass der Wasserkessel zu pfeifen anfängt und der Dampf rauskommt. So ähnlich ist es bei mir gewesen. So lange ich mich erinnern kann, wollte ich Bücher schreiben, habe es mir aber nie zugetraut. Als ich acht Jahre alt war, hat mir meine Schwester aus Frankreich ein Asterix-Buch mitgebracht. Dort habe ich Bilder und Sprechblasen gesehen. So habe ich angefangen. Mit der Zeit wurden meine Bilder weniger und die Texte länger.

Ricore: Der Wunsch war also schon immer da.

Schenkel: Ja, aber dann passiert natürlich das, was oft geschieht: Der Wunsch tritt wieder in den Hintergrund. Dann war der Zeitpunkt gekommen, wo ich gesagt habe, jetzt mach ich's.

Ricore: Hat es einen ausschlaggebenden Moment gegeben?

Schenkel: Ja tatsächlich, aber das war sehr tragisch. Eine Freundin ist mit 40 Jahren an Brustkrebs gestorben. Wir haben des Öfteren darüber geredet, was sie noch alles machen wollte. Ich habe mich dann gefragt, worauf ich denn noch warte? Meine kleine Tochter war zu dem Zeitpunkt im Kindergarten und ich hatte ein paar Stunden am Tag, in denen ich ausprobieren konnte. Das Buch, das ich eigentlich schreiben wollte und das ich immer noch schreiben will, erschien mir zu dem Zeitpunkt zu schwierig. Ich dachte, man muss erst üben. Also habe ich mit etwas Einfachem angefangen, mit einer Kriminalgeschichte, die in Bayern sehr bekannt ist. Der Mord von Hinterkaifeck.
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Das Original-Hörspiel zum Film
Ricore: Verspüren Sie nach diesem Erfolg jetzt Druck?

Schenkel: Nein. Die Zeit zwischen den beiden Büchern war so hektisch, dass ich gar nicht zum Nachdenken gekommen bin. Mittlerweile bin ich so dran gewöhnt, dass die Freude am Schreiben überwiegt.

Ricore: Kommen Sie denn genug zum Schreiben?

Schenkel: Momentan wieder besser. Ich hab auch schon 30 Seiten von meinem neuen Buch (lacht).

Ricore: Es gibt das Klischee des Schriftstellers, der einsam in seinem dunklen Kämmerlein sitzt.

Schenkel: Das braucht man auch. Ich habe inzwischen Gott sei Dank ein Büro. In dem sitze ich einsam und das ist ganz gut. Man muss natürlich diesen inneren Schweinehund überwinden und sich hinsetzen und schreiben. Ich bin kein Morgenmensch, ich schreibe am Abend und die ganze Nacht.

Ricore: Vielen Dank für das Gespräch.
erschienen am 18. November 2009
Zum Thema
Mit ihrem ersten Roman "Tannöd" wird Andrea Maria Schenkel 2006 auf Anhieb zur Bestseller-Autorin und erhält den Deutschen Krimi Preis. Kurz darauf wird ihr Buch verfilmt, auch ihre weiteren Publikationen finden große Beachtung. "Tannöd" wird über eine Million Mal verkauft und in 20 Sprachen übersetzt. Privat lebt die Schriftstellerin mit ihrem Mann und drei Kindern in der Nähe von Regensburg.
Tannöd (Kinofilm)
Als 1922 eine ganze Familie auf einem Einödhof im bayerischen Hinterkaifeck ermordet wird, löst dies im ganzen Reich Angst und Schrecken aus. Bettina Oberli basiert "Tannöd" auf dem gleichnamigen, 2007 mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichneten Roman von Andrea Maria Schenkel. In den weiblichen Hauptrollen sind renommierte Schauspieler wie Monica Bleibtreu, Julia Jentsch und Brigitte Hobmeier zu sehen.
2024